Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1
Brände im
Regenwald:
Die G7 organisieren
mit diplomatischem
Geschick Hilfe für das
Amazonas-Gebiet.

Vinicius Mendonza/dpa

Diplomatie ist es, wie Merkel und Macron verdeut-
lichten, zwei Dinge zu verbinden: das iranische Inte-
resse an einer Lockerung der Wirtschaftssanktionen,
vor allem die Möglichkeit, wieder Erdöl auszufüh-
ren. Und das Interesse des Westens, Teherans Griff
nach der Atombombe zu verhindern, das Programm
ballistischer Raketen einzuschränken und den Iran
zu einer konstruktiven Rolle in der Golfregion zu be-
wegen. Ein Mammutprogramm, aber Trumps Äuße-
rungen und eine ähnliche Botschaft Ruhanis zeigen,
dass eine Einigung nicht mehr unmöglich ist: ein ge-
waltiger Erfolg für Macron.

Durchbruch im Digitalsteuer-Streit
Ein zweiter erheblicher Erfolg ist es, dass Franzo-
sen und Amerikaner in zähen Verhandlungen ihrer
Fachminister den Streit über die Besteuerung digi-
taler Geschäfte großer internationaler Konzerne
beigelegt haben. Europäer wie Amerikaner wollen
sich nun voll darauf konzentrieren, mit der OECD
und der G20 eine ab 2021 anwendbare Mindestbe-
steuerung zu erreichen.
Frankreich ist hart geblieben und zieht seine na-
tionale Digitalsteuer nicht zurück. Doch stellen die
Franzosen in Aussicht, dass es nach der Einigung
über eine internationale Abgabe Erstattungen geben
wird. Das würde alle Konzerne betreffen, die durch
die nationale französische Steuer stärker belastet
worden sind, als es bei Anwendungen der neuen in-
ternationalen Mindeststeuer der Fall gewesen wäre.
Positiv verbuchen kann man auch die Äußerun-
gen zur Handelspolitik, die es in Biarritz gab. Alle
Europäer gemeinsam, Kanadas Premier Justin Tru-
deau und Japans Shinzo Abe redeten Trump ins
Gewissen, machten ihm klar, dass seine im Wo-
chenrhythmus verschärften handelspolitischen
Auseinandersetzungen mit China dem weltweiten
Wachstum schaden – und damit auch dem in den
USA. In Biarritz sandte er versöhnliche Signale aus,
sprach davon, dass China und die USA an den Ver-
handlungstisch zurückkehren würden. Und er stell-

te überraschend ein Handelsabkommen mit der
EU in Aussicht: „Wir sind sehr nah, ich glaube, wir
werden einen Deal machen, einen guten Deal.“
Trump verzichtete auf jede Drohung gegen die
Europäer, scherzte sogar: „Ich bestätige Ihnen,
dass Melania französischen Wein liebt“. Vor Kur-
zem wollte er den noch mit Strafzöllen belegen.
Im Augenblick steht der Aufnahme intensiver
Handelsgespräche noch die amerikanische Forde-
rung entgegen, über das beschlossene EU-Mandat
hinaus auch den Agrarhandel aufzunehmen. Dem
widersetzen sich Franzosen und andere Europäer.
Merkel schlug eine mögliche Kompromissformel
vor: Man solle auf der Basis des bestehenden Man-
dats die Gespräche aufnehmen und in Rechnung
stellen, dass es auch ohne neue politische Verein-
barungen bereits erhebliche Verschiebungen zu-
gunsten der USA gebe. So führten die Europäer be-
reits doppelt so viele Sojabohnen ein wie in der
Vergangenheit und haben ihre Importe von Flüssig-
gas aus den USA gesteigert, rechnete die Kanzlerin
vor. Merkels Angebot an Trump: „Ich würde mir
wünschen, man beginnt erst mal mit diesen Ge-
sprächen, dann ist man im Prozess.“ Und der kann
ja weiterführen, lässt sich ergänzen.
Eines der unerwarteten Resultate des Gipfels ist
eine geschlossene europäische Front. Merkel wie
Macron bescheinigten dem Briten Boris Johnson,
verlässlich an ihrer Seite zu stehen. Trump hätte
„BoJo“ gerne als Brecheisen genutzt, um die EU
zu spalten. Doch der hat sich auf dieses Spiel
nicht eingelassen. Was nicht bedeutet, dass man
einer Einigung über den Brexit schon näher wäre.
Trump hätte Moskau gerne ohne Vorbedingun-
gen wieder in die G7 aufgenommen. Doch die
deutsch-französische Koordinierung funktionierte
auch hier: Erst soll Wladimir Putin beweisen, dass
er die Ukraine nicht destabilisiert. Schon im Sep-
tember könnte es ein Treffen der Europäer mit Pu-
tin und dem Präsidenten der Ukraine geben. „Fort-
schritte sind möglich“, sagte Macron.

Angela Merkel
und Donald Trump:
Das Treffen in Biarritz
verläuft weniger
eisig als vorige
Aufeinandertreffen.

Andrew Parsons/Polaris/laif


Emmanuel Macron
(l.) mit Trump:
Der französische
Präsident setzt als
Gastgeber den Ton
des Gipfels.

Andrew Harnik/AFP/Getty Images


Klima und Entwicklung


Hilfe für die


grüne Lunge


F


rankreich mag keine Weltmacht mehr
sein, aber seine Diplomatie spielt noch in
der Oberliga. Präsident Emmanuel Macron
hat den Schutz des von Großbränden und Abhol-
zung bedrohten Regenwalds im Amazonas auf
die Agenda des G7-Gipfels gehoben. Gleichzeitig
hat er einen Verbündeten aus der Region gefun-
den, der den Schutz der Lunge unseres Planeten
mit vorantreiben wird: Chiles Präsident Sebastian
Piñera. Mit dessen Hilfe wollen die sieben Indus-
triestaaten zunächst alles dafür tun, die Feuer zu
löschen, und dann in einem zweiten Schritt eine
ständige Kooperation gründen, die den Wald be-
hüten und aufforsten soll.
„Wir werden die Souveränität aller neun be-
troffenen Staaten achten, aber auch alle Betroffe-
nen einbeziehen, auch die autochthone Bevölke-
rung, die seit Jahrtausenden im und für den Re-
genwald lebt“, versprach Macron. Er erinnerte
daran, dass Frankreich durch sein Gebiet Guyana
in der Region vertreten ist. Das und das Bündnis
mit Piñera entkräften den Vorwurf des brasiliani-
schen Brandrodungsexperten Jair Bolsonaro, die
Europäer betrieben eine „neokoloniale Politik“.
Dem drohte Macron indirekt: Man könne durch-
aus den Weg weiterverfolgen, den Amazonas
zum Erbe der Menschheit zu erklären, um Län-
dern in den Arm zu fallen, die diesen Regulator
des Weltklimas gefährden. Bolsonaros rascher
Schwenk vom Zündler zum Feuerwehrmann
zeigt, welchen Druck die G7 ausüben können,
wenn sie wollen.
Biarritz zeigt einen Gipfel neuer Art, mit der
Einbeziehung vieler Länder, die nicht zur Gruppe
gehören sowie von Nichtregierungsorganisatio-
nen und großen Unternehmen, die mal – wie die
Textilindustrie – beim Schutz der Ozeane ihre Un-
terstützung versprechen, mal zur Förderung von
Frauen in Afrika beitragen wollen.
Gerade Afrika wurden wichtige Aktionen und
erhebliche Summen in Aussicht gestellt. Damit
sollen einerseits Unternehmerinnen in afrikani-
schen Ländern gefördert werden, denen der Er-
halt von Krediten und der Erwerb von Immobi-
lien erschwert oder verwehrt wird. Auch der
Fonds gegen Aids und Malaria soll aufgestockt
werden. Andererseits sollen fünf Länder der Sa-
helzone in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung
und bei der Stärkung ihrer Sicherheitskräfte un-
terstützt werden.
Solche Zusagen hat es bereits häufiger gege-
ben. Bislang wurde davon wenig umgesetzt. Teils
kommen die Mittel überhaupt nicht an, teils ver-
sacken sie in korrupten Verwaltungen. Das Vor-
dringen terroristischer Gruppen im Sahel wurde
jedenfalls in den letzten Jahren nicht gestoppt.
Hoffentlich achten die Unterstützerländer dies-
mal darauf, die Zusagen mit einer konsequenten
Umsetzung zu verbinden. Thomas Hanke

Wirtschaft & Politik
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DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164


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