Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1
Gregor Waschinski, Micha Knodt
Berlin

C


hristian Lindner ist bis-
her nicht als Experte für
das Bundesnaturschutz-
gesetz in Erscheinung ge-
treten. Auf seiner Som-
mertour ließ der FDP-Chef aber er-
staunliches Fachwissen durchschim-
mern. „Moos darf nicht einfach aus
dem Wald mitgenommen werden. Je-
der Bürger darf nur so viel mitneh-
men, wie in einen Arm passt“, do-
zierte Lindner, während er über
Mooskulturen des Unternehmens
Green City Solutions streichelte. Das
Start-up hat sich auf Mooswände spe-
zialisiert, die in Städten mit hoher
Schadstoffbelastung Feinstaub und
Stickoxide aus der Luft filtern. Für
Lindner ist das ein Beispiel, was mög-
lich ist, wenn man beim Umwelt- und
Klimaschutz auf Innovationen setzt.
Der FDP-Chef hat erkannt, dass sei-
ne Partei beim Megathema Klima
sichtbarer werden muss. Die Reise
Mitte August führte ihn zu einer Rei-
he von Unternehmen, die an klima-
freundlichen Zukunftstechnologien
arbeiten. „Natürlich muss der Staat
Vorgaben machen und Rahmenbe-
dingungen setzen – gerade beim The-
ma Klimaschutz. Er soll aber nicht
den Weg vorschreiben, auf dem diese
Ziele erreicht werden“, sagte Lind-
ner. Die Liberalen wollen sich in der
Klimadebatte als Alternative zu Ver-
bots- und Verzichtsforderungen posi-
tionieren. Sie verlangen Technologie-
offenheit und Wettbewerb.
Die Frage ist, ob die Botschaft bei
klimabewegten Wählern verfängt –
und ob die FDP mit ihren Argumen-
ten überhaupt gehört wird. Die Partei

hatte die Wucht des Klimathemas
und den Einfluss der „Fridays for Fu-
ture“-Bewegung dramatisch unter-
schätzt. Vor der Europawahl machte
es Lindner noch schlimmer, als er
den Klimaschutz als „Sache für Pro-
fis“ bezeichnete und die Schülerpro-
teste herabsetzte.
Später erklärte der Parteichef, er
habe „sehr missverständlich und
dumm“ formuliert. „Dass die FDP
den Einstieg in die aktuelle Klimade-
batte verpasst hat, liegt auch an Par-
teichef Christian Lindner“, erklärt
Politikprofessor Hans Vorländer von
der TU Dresden. Lindners Äußerung
„wurde als Ausdruck von Arroganz
und Ignoranz wahrgenommen –
selbst wenn er es anders gemeint
hat“. Auch führende FDP-Politiker
räumen Kommunikationsprobleme
ein. „Was die Haltung der FDP zum
Klimawandel angeht, ist da ein schie-
fer Eindruck entstanden“, sagte Par-
lamentsgeschäftsführer Marco Busch-
mann dem Handelsblatt. „Es gab si-
cherlich auch unglückliche
Kommunikation von unserer Seite.“
Der stellvertretende FDP-Fraktions-
chef Michael Theurer beklagt: „Wir
haben als FDP bislang nicht verständ-
lich genug gemacht, warum marktba-
sierte Klimaschutzinstrumente über-
legen sind. Da müssen wir unsere Ar-
gumente schärfen.“
Ein Problem sieht Buschmann
aber auch darin, dass die Klima-
schutzdebatte in Deutschland sehr
„eindimensional“ geführt werde.
„Unsere Forderung nach Technolo-
gieoffenheit ist keineswegs eine Aus-
rede, nichts zu tun gegen den Klima-
wandel. Der Vorwurf, dass wir das
Thema auf die lange Bank schieben
wollen, ist falsch“, sagte er. „Wettbe-

werb bringt am Ende immer bessere
Lösungen hervor als staatliche Plan-
wirtschaft.
Nirgendwo zeigt sich die fehlgelei-
tete Klimapolitik der Großen Koaliti-
on aus Sicht der FDP so deutlich wie
bei der voreiligen Festlegung auf die
E-Mobilität. „Es ärgert uns sehr, dass
ausschließlich über E-Mobilität ge-
sprochen und einseitig diese Techno-
logie gefördert wird, während ande-
ren Antriebsformen wie syntheti-
schen Kraftstoffen Steine in den Weg
gelegt werden“, sagte Buschmann.

FDP warnt vor CO 2 -Steuer


„Der Ausbau der Netzinfrastruktur
für die E-Mobilität wird Jahrzehnte
dauern. Das steht doch im Wider-
spruch zu der Erkenntnis, dass wir
im Kampf gegen den Klimawandel
schnell handeln müssen. Da sind syn-
thetische Kraftstoffe deutlich besser
als neue Antriebsform geeignet, min-
destens als Übergangstechnologie.“
Für Buschmann geht es auch um
die gesellschaftliche Akzeptanz. „Po-
litisch könnten synthetische Kraft-
stoffe auch konservative Teile der Be-
völkerung für die Energiewende ge-
winnen“, sagte er. „Statt ihnen ihre
Autos und Tankstellen wegzuneh-
men, gibt man ihnen einfach einen
neuen Kraftstoff. Das werden auch
Menschen mitmachen, die sich nicht
viel Veränderung wünschen.“
Für einen weiteren Irrweg hält die
FDP eine mögliche CO 2 -Steuer. Statt-
dessen sollte der Handel mit Emissi-
onszertifikaten ausgedehnt werden,
fordert Theurer. Der Emissionshan-
del habe mit der strikten Begrenzung
der Treibhausgase „eine bessere Len-
kungswirkung“ als eine Steuer.
„Die FDP hatte sich einst als erste
Partei in ihren Freiburger Thesen
den Umweltschutz auf die Fahne ge-
schrieben“, sagt Politikprofessor Vor-
länder. Seit dem Ende der soziallibe-
ralen Koalition Anfang der 1980er-
Jahre habe sich die Partei aber auf
andere Themen wie Wirtschaft, Steu-
ern und Finanzen konzentriert. „Um-
weltthemen wurden nach außen
nicht mehr vertreten. In dieser Zeit
haben die Grünen den Klimaschutz
praktisch monopolisieren können.“

FDP und Klimaschutz


Suche nach dem


grünen Zweig


Die Klimaschutzdebatte findet weitgehend ohne


die FDP statt. Die Parteispitze geht nun in die Offensive.


Die Botschaft: Wettbewerb statt Planwirtschaft soll das


Klima retten.


Welcher Partei trauen Sie am
ehesten zu, den Klimawandel
zu bekämpfen?

40


10


3


3


2


2


3


Grüne


Union


FDP


SPD


Linke


AfD


Keiner Partei/weiß nicht


% % % % % % %


Umfragewerte der FDP
Wenn am nächsten Sonntag
Bundestagswahl wäre ... (Ergebnis)

7 %


HANDELSBLATT • Quellen: Infratest dimap,
wahlrecht.de, ARD-Deutschland-Trend

4.8.


Bundestagswahl

22.8.


12

10

8

6



%

%

%

%

%

ChrCChristian Lindner:
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Henning Schacht/action press

Was die


Haltung der


FDP zum


Klimawandel


angeht,


ist ein schiefer


Eindruck


entstanden


Marco Buschmann
Parlamentarischer
Geschäftsführer der
FDP-Fraktion

Konjunktur


Rezession


rückt immer


näher


Frank Specht Berlin


L


ange war es vor allem die ex-
portorientierte Industrie, die
Warnsignale aussendete, doch

mittlerweile haben die Konjunktur-


sorgen auch die Dienstleister erfasst.


So ist der Geschäftsklimaindex des


Münchener Ifo-Instituts überra-


schend deutlich auf den tiefsten


Stand seit November 2012 gefallen.


Im August notierte das Barometer,


das auf Meldungen über die aktuelle


Lage und die Erwartungen von rund


9 000 Unternehmen basiert, bei 94,


Punkten – nach 95,8 Zählern im Vor-


monat. „Die Anzeichen für eine Re-


zession in Deutschland verdichten


sich“, kommentierte Ifo-Präsident


Clemens Fuest die Daten.


In der Industrie blicken die Firmen


so pessimistisch in die Zukunft wie


zuletzt im Rezessionsjahr 2009. „Bei


keiner der deutschen Schlüsselindus-


trien zeigten sich Lichtblicke“, sagte


Fuest. Aber auch die Dienstleister be-


urteilen ihre aktuelle Geschäftslage


deutlich schlechter als in der Vergan-


genheit und sind zudem wenig opti-


mistisch für die kommenden Monate.


Im Handel überwiegt der Konjunk-


turpessimismus; nur das Bauhaupt-


gewerbe freut sich weiter über eine


sehr gute Geschäftslage, auch wenn


das Barometer hier ebenfalls leicht


gesunken ist.


„Der freie Fall der deutschen Wirt-


schaft setzt sich fort“, kommentierte


Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der


Bank ING, die „Horrormeldungen“


aus München. Die Hoffnung schwin-


de, dass die Wirtschaft aus eigener


Kraft zu alter Stärke zurückfinden


könne. SPD-Gesundheitsexperte Karl


Lauterbach, der sich für den Partei-


vorsitz bewirbt, forderte denn auch


ein schuldenfinanziertes Konjunktur-


programm: „Es droht Rezession“,


twitterte er. „Wir brauchen jetzt ei-


nen staatlichen Nachfrageschub in


Bildung und Energiewende. Dafür


muss die Schuldenbremse gezielt auf-


gegeben werden.“


Ökonomen machen für das Stim-


mungstief vor allem die schwache


Weltkonjunktur verantwortlich. „Der


stetig eskalierende Handelsstreit, die


zunehmende Gefahr eines ungeregel-


ten harten Brexits und nun auch die


Regierungskrise in Italien sind zu viel


für die an sich starken Schultern der


deutschen Industrie“, sagte Deka-


Bank-Ökonom Andreas Scheuerle. In


die USA und nach China, die sich ge-


genseitig mit Strafzöllen überziehen,


sowie nach Italien und Großbritan-


nien geht zusammen mehr als ein


Viertel der deutschen Warenexporte.


Der Präsident des Bundesverbands


der Deutschen Industrie (BDI), Dieter


Kempf, fürchtet, dass das Wachstum


der deutschen Wirtschaft zum Erlie-


gen kommt, sollten die Briten Ende


Oktober ohne Abkommen aus der EU


aussteigen. „Die Unsicherheiten in


der Wirtschaft sind weiter groß, vor


allem wegen internationaler Handels-


konflikte und des Brexits“, sagte er


der dpa. Die Maschinenbauer spüren


bereits die Zurückhaltung. Sie melde-


ten im zweiten Quartal einen Rück-


gang der Exporte um 1,8 Prozent ge-


genüber dem Vorjahreszeitraum auf


44,7 Milliarden Euro. In der ersten


Jahreshälfte legten die Ausfuhren nur


schwach um 0,9 Prozent zu.


Wirtschaft & Politik


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DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164


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