Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1

Martin Kölling Tokio


A


uch Japans Investorenlegende
Masayoshi Son ist fehlbar. Glaubt
man dem Chef des Technikinves-
tors Softbank, sind die fabelhaf-
ten Einhörner, also junge private
Firmen mit mehr als einer Milliarde Dollar
Marktwert, in Japans Startup-Welt so rar wie im
wirklichen Leben.
Weltweit hat der selbst ernannte „Einhorn-
Jäger“ über seinen 100 Milliarden Dollar schwe-
ren Softbank Vision Fund bereits in mehr als 80
Mega-Start-ups investiert. Doch keines liegt in
seiner Heimat. Japan sei bei Künstlicher Intelli-
genz (KI) ein Entwicklungsland, lamentierte Son
jüngst. „Die Tatsache ist, dass es keine Einhör-
ner in der KI in diesem Land gibt.“ Nur ist die
Meinung allzu pessimistisch.
Unweit von Softbanks Hauptquartier tüftelt Ja-
pans Vorzeige-Einhorn Preferred Networks da-
ran, mit intelligenten Maschinen zur Revolution
beizutragen. Seit das Unternehmen voriges Jahr
einen Butlerroboter vorgestellt hat, ist es daheim
endgültig ein Star. Die von Toyota geliehene ein-
armige Maschine bewegte sich zwar noch etwas
langsam. Doch immerhin räumte der Roboter
ein vermülltes Zimmer selbstständig auf. Socken
warf der Haushaltsroboter in den Wäschekorb,
Flaschen räumte er akkurat zurück ins Regal.
Toru Nishikawa, Chef von Preferred Net-
works, hat ambitionierte Ziele, die selbst einem
Mann wie Son gefallen sollten: „Innerhalb der
kommenden fünf Jahre werden die Menschen
sich an Haushaltsrobotern erfreuen können, die
ihnen helfen werden zu kochen, Geschirr abzu-
räumen und aufzuräumen, während die Men-
schen außer Haus sind“, sagt er. Nishikawa will
solche Maschinen liefern.
Damit ist er längst nicht mehr der einzige Ja-
paner im Milliardenklub mit großen Plänen.
Laut der globalen Referenzliste für Einhörner
des Marktforschers CB Insight übersprangen die-
ses Jahr auch die Kryptobörse Liquid vom Fin-
tech-Start-up Quoine und der Onlinenachrich-
tendienst Smart News die magische Hürde –
ganz ohne Softbanks Hilfe.
Auf dem Papier wirkt die Zahl von drei Ein-
hörnern in Japan zwar weiterhin mager. So

kommt Südkorea mit seiner nicht einmal halb so
großen Volkswirtschaft auf neun Mega-Start-ups,
von China und Indien ganz zu schweigen.
Gewiss spielt Japans risikofeindliche Ge-
schäftskultur eine Rolle. Aber durch eine einma-
lige japanische Börsenkultur, die Innovations-
strategie der Japan AG und die Nachfrage japani-
scher Konzerne nach heimischen Start-ups stellt
sich die Lage düsterer dar, als sie ist, meinen Op-
timisten.
Der Start-up-Markt entwickle sich zwar erst
noch, meint der in Japan aktive Firmengründer
und -investor James Riney, Chef des Wagniskapi-
talgebers Coral Capital. „Aber es gibt hier Ge-
winner.“ Nur passen viele der Firmen nicht in
das Beutemuster von globalen Einhorn-Jägern
oder sind – wie Preferred Networks – derzeit
selbst für Masayoshi Son unerreichbar.

Rascher Börsengang
Ein Grund für Japans niedrige Zahl an Investoren-
träumen sei, dass viele Start-ups so schnell an die
Börse gingen, dass sie gar keine Zeit hätten, zu
Einhörnern zu werden, erläutert Riney. Bei glo-
balen Firmen vergehen zwischen Gründung und
Börsengang oft mehr als zehn Jahre, in Japan nur
sechs. Denn zum einen sind die Anforderungen
für Listings an Japans neuem Markt Mothers sehr
niedrig. Zum anderen brauchen die Start-ups
Geld. Denn Wagniskapital war in Japan lange rar,
außerdem wollen die ersten Investoren oft ihr
Geld schnell wiedersehen.
2018 hatte Riney die japanischen Börsengänge
über die vergangenen 20 Monate analysiert. Er
kam auf zwölf Firmen mit einem Marktkapital
von mehr als 100 Millionen Dollar, darunter ein
prominenter Einhorn-Börsengang, und zwar die
global expandierende Flohmarkt-App Mercari.
Derzeit liegt ihr Börsenwert bei 3,3 Milliarden
Euro. „Das ist nicht schlecht“, meint der Inves-
tor. Nur würden diese Unternehmen nicht mehr
gezählt, weil sie die Grunddefinition eines Ein-
horns nicht mehr erfüllen: Sie sind schon an der
Börse und für Einhorn-Jäger damit nicht mehr
als Füllhorn interessant.
Dennoch hat Japan mit jeder Start-up-Welle
globale Unternehmen hervorgebracht: Softbank

selbst stammt aus den 80er-Jahren, Japans On-
linemall Rakuten aus den 90er-Jahren und eine
Reihe von Online-Gaming-Firmen wie Gree oder
DeNA aus diesem Jahrtausend. Einen weiteren
Grund für den von Son beklagten Mangel an KI-
Start-ups nennt Martin Schulz, Volkswirt vom
Fujitsu Research Institute: „Viele Konzerne ent-
wickeln KI im eigenen Konzern.“
Preferred Networks wiederum entzieht sich
durch zwei andere Faktoren Sons Zugriff: die
Unternehmensphilosophie und den Willen der
Japan AG, den KI-Lokalmatador für sich zu si-
chern. Schon das bisherige Geschäftsmodell ent-
spricht nicht Sons Geschmack. Er investiert in
Unternehmen wie den Mitfahrdienst Uber oder
den Büroflächenanbieter WeWork, die mit KI
und Internettechnologien Industrien umpflügen
und die Welt erobern wollen. Im Gegensatz dazu
stellten die Gründer von Preferred Networks ih-
re preisgekrönten Algorithmen lieber in den
Dienst von Japans Großkonzernen. Dies zeigt ein
Blick in die Unternehmensgeschichte.
2006 gründeten die Informatiker Nishikawa
und sein Partner Daisuke Okanohara gemein-
sam mit anderen Kommilitonen der Tokio-Uni-
versität Preferred Infrastructure, um eine eigene
Suchmaschine zu programmieren. Während
Nishikawa nach außen hin das Gesicht des Jung-
unternehmens darstellte, übernahm Okanohara
die Rolle des Techniknerds. Ihm wird nachge-
sagt, dass er jede Woche 100 wissenschaftliche
Aufsätze liest.
Irgendwann studierte Okanohara Papiere
über KI. „Deep Learning“ heißt der Megatrend,
mit dem Computer mit vernetzten Prozessoren
ähnlich wie ein Mensch selbst lernen, Dinge,
Muster oder Zusammenhänge zu identifizieren.
Sein Entschluss stand fest: „Das will ich auch
versuchen.“
Den Japanern war bewusst, dass ihre Bonsai-
Programmierstube zu dem Zeitpunkt nicht mit
globalen Konzernen wie Amazon oder Google
konkurrieren konnte. Die haben schließlich Zu-
griff auf riesige Bild- oder Sprachdatenmengen.
Stattdessen boten sie Konzernen der Japan AG
an, deren Produkte und damit auch die Techno-
logie des Start-ups intelligenter zu machen.

Die Serie
Als Einhorn bezeichnet die
Gründerszene junge
Unternehmen, die mit
mindestens einer Milliarde
Dollar bewertet werden.
Weltweit ziehen immer
mehr Gründungen
Risikokapital an.
Die Handelsblatt-
Korrespondenten haben
Einhörner in ihrem
Berichtsgebiet herausge-
sucht, deren Entwicklung
sie besonders beeindruckt.
Sie schildern zudem,
wie die Bedingungen für
aufstrebende Unterneh-
men und Investoren
in ihrem jeweiligen Land
sind. Im vierten Teil der
Serie beschreibt Martin
Kölling Japans ungewöhn-
liche Start-up-Welt.

In der kommenden
Woche berichtet
Korrespondent
Carsten Volkery aus
Großbritannien über ein
Fintech-Unternehmen.

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Preferred Networks


Japans

große

Ausnahme

Der japanische Entwickler Künstlicher


Intelligenz ist das größte von Japans


kleiner „Einhorn“-Herde. Er steht für


eine außergewöhnliche Start-up-Welt,


die globale Großinvestoren wie


Softbank abschreckt.


Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166

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