Handelsblatt - 29.08.2019

(Dana P.) #1
Windräder:
Mit Senvion
könnte einer
der ältesten
Windkonzerne
Deutschlands
verschwinden.

Senvion

Kathrin Witsch Düsseldorf


A


m Mittwochnachmittag
hatten die Mitarbeiter des
insolventen Windturbi-
nenherstellers Senvion
nach wochenlangem Hin
und Her endlich Gewissheit: Der Ham-
burger Windkonzern ist am Ende. Sen-
vion wird es schon bald nicht mehr ge-
ben – oder nur noch in Teilen.
Ein harter Schlag für die 4 000 Ange-
stellten, von denen fast die Hälfte in
Deutschland sitzt. Weil es für den
hochverschuldeten Konzern als Ganzes
keinen Interessenten gab, wird Senvion
jetzt in seine Einzelteile zerschlagen.
Das teilte das Unternehmen am Mitt-
woch mit.
„Über die letzten Monate hinweg ha-
ben wir daran gearbeitet, in dieser
schwierigen Situation das bestmögliche
Ergebnis für das Unternehmen zu er-
reichen. Wir stehen nun kurz vor einer
Lösung für wesentliche Kernbereiche
des Unternehmens“, sagte Senvion-
Chef Yves Rannou. „Darüber hinaus
können wir das Geschäft bis zum Ab-
schluss des Prozesses am Laufen hal-
ten. Möglich ist dies durch die harte Ar-
beit und das Engagement aller bei Sen-
vion. Ich möchte mich bei unseren
Mitarbeitern für ihr Vertrauen und ihre
Unterstützung bedanken.“
Eine andere Option bleibt dem Ham-
burger Unternehmen nicht mehr üb-
rig. Senvion ist das Geld ausgegangen.
Schon in zwei Tagen läuft die Verlänge-
rung eines Kredits aus, der es dem
Windkonzern erlaubte, sein bestehen-
des Geschäft überhaupt noch weiterzu-
führen. Bis zum vergangenen Freitag

konnten potenzielle Käufer ihr Angebot
abgeben.
Es ist das Ende eines der ältesten
Windkonzerne Deutschlands. Im April
musste Senvion Insolvenz anmelden.
Aber schon Monate zuvor hatten Fi-
nanzierungssorgen und Lieferproble-
me Gerüchte laut werden lassen, dem
Turbinenhersteller sei das Geld ausge-
gangen. Senvion hatte sich übernom-

men. Die Expansion ins Ausland lief al-
les andere als rund und offenbarte
massive operative Schwächen im eige-
nen Haus. In der Folge kam der Kon-
zern seinen Projekten nicht mehr
nach. Zu Umsatzausfällen und Straf-
zahlungen hinzu kam ein schwieriger
Heimatmarkt in Deutschland. Senvion
stand mit dem Rücken zur Wand.

Eigentlich hatte man gehofft, einen
neuen Käufer für den insolventen
Windradbauer zu finden. Aber es gab
nicht mal einen Interessenten, der das
Unternehmen als Ganzes retten wollte,
berichtet ein Insider. Gewisse Einzeltei-
le hingegen sorgten auf dem Wind-
markt für großes Interesse.
So hat sich ein Käufer für die Ser-
vicesparte gefunden, aber möglicher-
weise auch für die prall gefüllten Auf-
tragsbücher in Portugal und Indien.
Das erfuhr das Handelsblatt aus Unter-
nehmenskreisen.
Weniger gut sieht es hingegen für die
Turbinensparte aus, hier hat sich kein
Käufer gefunden. Erste Kündigungen
soll es deswegen schon im September
geben. Die Gehälter sollen aber für alle
Beschäftigten so lange weitergezahlt
werden, bis der Verkaufsprozess abge-
wickelt ist. Unterschrieben ist noch
nichts.
Über die genauen Namen der poten-
ziellen Käufer hüllt sich die mit dem
Verkauf beauftragte Investmentbank
Rothschild in Schweigen. Und auch
Senvion lässt nichts durchsickern. Di-
rekte Konkurrenten aus der Windbran-
che, aber auch ein oder zwei Interes-
senten aus der Finanzbranche sollen
als Interessenten im Gespräch sein, be-
richtet ein Insider. Was genau an wen
verkauft wird, soll am 10. September
ein Gläubigerausschuss entscheiden.
Centerbridge hatte den Hamburger
Konzern 2015 für 400 Millionen Euro
vom indischen Windriesen Suzlon
übernommen. Die US-Investoren
machten den früheren Chef des Auto-

zulieferers Schaeffler, Jürgen Geißinger,
zum neuen Vorstandschef.
Dieser sollte Senvion an die Börse
bringen und die Internationalisierung
vorantreiben. Diese glückte allerdings
nicht wirklich. Weil auf dem deutschen
Heimatmarkt parallel die Aufträge weg-
blieben, geriet der Konzern in einen fi-
nanziellen Engpass.
Seit zwei Jahren muss die Windbran-
che um die Höhe der staatlichen Zu-
schüsse kämpfen. Wo es früher feste
staatliche Vergütungen gab, bekommt
heute in vielen Ländern nur noch der-
jenige mit dem günstigsten Preis den
Zuschlag. In der Folge herrscht ein har-
ter Wettbewerb. Bei den Turbinenbau-
ern brechen die Aufträge auf dem
wichtigen deutschen und auch auf dem
europäischen Markt weg.
Heimische Weltmarktführer wie Sie-
mens Gamesa und Nordex streichen
Tausende Stellen und verbuchen sin-
kende Umsätze, können sich aber mit
vollen Auftragsbüchern in ausländi-
schen Märkten absichern. Auch bei
Senvion waren die Orderbücher – vor
allem in Lateinamerika, Australien und
Asien – voll. Aber auch das hat am En-
de nun nichts mehr gebracht. Ein Blick
in die Zahlen zeigt, warum.

Kein Geld mehr vom Investor
Im vergangenen Jahr lag der Umsatz
nur bei 1,45 Milliarden statt der erhoff-
ten 1,6 Milliarden Euro. Am Ende des
dritten Quartals 2018 hatte das Unter-
nehmen gerade mal 221 Millionen Euro
an Kapital, bei einer Verschuldung von
1,2 Milliarden Euro.
Haupteigentümer Centerbridge woll-
te das fehlende Geld offenbar nicht
mehr selbst zuschießen. Der US-Inves-
tor hatte bereits über 80 Millionen
Euro in den angeschlagenen Konzern
gesteckt. Die letzte Tranche von 40 Mil-
lionen Euro gab es erst im Januar.
Keine leichte Aufgabe für Senvion-
Chef Rannou, der erst Anfang des Jah-
res vom Konkurrenten General Electric
zu Senvion gewechselt ist. Seine Aufga-
be war es, einen „sicheren Hafen für
Senvion zu finden“, wie er es im April
in einem Interview mit dem Handels-
blatt genannt hat. Das hat er jetzt nur
für einen Teil des Unternehmens ge-
schafft.

Windkonzern


Ausverkauf bei


Senvion


Der insolvente Turbinenhersteller hat nur für Teile seines


Geschäfts Käufer gefunden. Jetzt beginnt die Zerschlagung.


1 800


MITARBEITER


von Senvion warten allein in
Deutschland darauf, wie es für sie
weitergeht. Weltweit hat die Firma
4 000 Angestellte.

Quelle: Senvion


Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019, NR. 166

22

Free download pdf