Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

24 |SA./SO.,24./25.AUGUST2019DUnternehmen ERSTANDARDWOCHENENDE


Eine neue Seilbahn bringt
Skifahrer per Bahnvom
Dorfzentrum inKaprun
in das Gletschergebiet
am Kitzsteinhorn.
Die Großinvestition soll
weniger dieFrequenzen
steigern als den
Autoverkehrverringern.

ThomasNeuhold

Die Gäste sind auf die Seilbahnen
angewiesen. Die nunmehr zweite
Seilbahnstrecke ins Tal ist aber
doch ein erheblicher Sicherheits-
gewinn.
Rund 47 Millionen hat die Glet-
scherbahnen AG allein für die
Verbindungsbahn in die Hand
genommen. Das Gesamtinvesti-
tionsvolumen beträgt 81,5 Millio-
nen: Da ist ein neues Skicenter
im Ort und eine neue Seilbahn
auf den Maiskogel noch dabei.
Beides ist bereits in Betrieb.
Eine Frequenzsteigerung er-
warten die Kapruner übrigens nur

Neue Seilbahn holt den Gletscher nach Kaprun


N


orbert Karlsböck, den kri-
senerprobten Ex-Bürger-
meister von Kaprun und
jetzt Vorstand der Gletscherbah-
nen Kaprun AG, bringt so schnell
nichts aus der Ruhe. Selbst bei
der Frage, ob denn sein Gletscher-
skigebiet am Kitzsteinhorn über-
haupt noch einen Gletscher habe,
bleibt er gelassen: „Selbstver-
ständlich. Das Schmiedingerkees
hat noch rund einen Quadrat-
kilometer Fläche und ist bis zu 40
Meter dick“, sagt Karlsböck.
Der kleine Gletscher ist das
Herzstück des Gletscherskigebie-
tes am Kitzsteinhorn. Bis dato war
er nur aus dem Kapruner Achen-
tal erreichbar. Einst mit einer
Stollenseilbahn, nach der Brand-
katastrophe im November 2000
dann mit dem neuen Gletscherjet.
Ab Dezember dieses Jahres soll es
dann zusätzlich möglich sein, das
Kitzsteinhornauchdirektausdem
Salzachtal vom Ortszentrum Kap-
run aus via Seilbahn zu erreichen.
Dies wird durch eine neue,
4,3 Kilometer lange Dreiseilum-
laufbahn zwischen dem Kapruner
Skigebiet am Maiskogel (1570 m)
unddemLangwiedboden(1976m)
am Kitzsteinhorn möglich. Mit
der Verbindungsbahn (Fahrzeit
neun Minuten) entsteht über ins-
gesamt sechs Seilbahnen nicht
nur die längste durchgehende
Seilbahnachse, sondern mit 2261
Höhenmetern auch jene mit der
größten Höhendifferenz in den
Ostalpen.
Der Start ist in Kaprun auf 768
MeternSeehöhe,amEndestehtder
Passagier dann auf 3029 Metern.


Ein bisschen geht dann doch
das Pathos mit Karlsböck durch,
wenn er das Projekt als „Gene-
rationentraum“ beschreibt –ge-
meint ist die Verbindung des
Gletscherskigebietes mit dem Fa-
milienskigebiet am Maiskogel.

Sicherheit
Wobei mit Skiern das Kitzstein-
hornweiterhinisoliertbleibt.Eine
Talabfahrt ins Kapruner Achen-
tal ist weiterhin nicht möglich,
und auch zwischen dem Gebiet
am Kitzsteinhorn und dem Mais-
kogel gibt es keine Skiverbindung.

in geringem Umfang. Im Ge-
schäftsjahr Oktober 2017/Sep-
tember 2018 zählte man 1.091.000
Passagiere. Mit im Jahresdurch-
schnitt 278 Beschäftigten wurde
im vergangenen Geschäftsjahr ein
Gesamtertrag von 44 Millionen
Euro erwirtschaftet.

Pkw-Verkehr einsparen
„Wir rechnen mit einer Fre-
quenzsteigerung von höchstens
fünf Prozent“, sagt Karlsböck.
EinesderzentralenArgumentefür
den Bau der neuen Verbindungs-
bahn sei die Komfortverbesserung

gewesen. Die Gäste könnten nun
fußläufig im Ort Kaprun zum Ski-
center gelangen und von dort be-
quem wahlweise zu den 20 Pisten-
kilometernamMaiskogeloderden
42 Kilometern am Kitzsteinhorn
gelangen oder je nach Wetter auch
zwischen den Gebieten switchen.
Wer auf den Gletscher möchte,
müsse nicht mehr mit dem Auto
ins Achentalfahren. Derzeit wür-
den im Winter bis zu 2000 Pkws
zur Talstation fahren, Karlsböck
rechnetmiteinerReduktionum50
Prozent. Somit würden etwa eine
Million Autokilometer eingespart.

Ab Dezember soll es möglich sein, den Gletscher am Kitzsteinhorn über eine Kette von sechs Bahnen direkt aus dem Salzachtal zu erreichen.

Rendering: Gletscherbahnen Kaprun AG

Warum einemTirolerMetzger Olivenholz nichtwurst ist


Markus Knab bautgemeinsam mit seinem tunesischen Schwiegersohn einFamilienunternehmen inNordafrikaauf


SteffenArora

M


arkus Knab ist ein kerni-
ger Tiroler. Großgewach-
sen ragt der gelernte Metz-
ger hinter der Fleischtheke in Ab-
sam hervor. Obwohl erst 54 Jahre
alt, blickt Knab auf ein arbeitsrei-
ches Leben zurück. Diesen Som-
mer hat er 40 Dienstjahre beisam-
men: „Ich mache mir schon länger
Gedanken über die Pension.“
In seinem Umfeld sorgt er damit
für Kopfschütteln. „Viele lachen
mich aus und sagen, ich soll froh
sein und Ruhe geben“, sagt er. Der
nahende Ruhestand sei für ihn
abergarkeiner.„Seitichmit14die
Lehre begonnen habe, hieß es
immer nur: ‚Markus, du musst, du


musst, du musst.‘“ Damit soll bald
Schluss sein. Die Pension sieht er
als Start in einen neuen, selbst-
bestimmten Lebensabschnitt.
Knabs Zukunft liegt in Tune-
sien. Dort lebt seine Tochter aus
geschiedener Ehe. Sie hat einen
Tunesier geheiratet, ist zum Islam
konvertiert und vor vier Jahren
ausgewandert. Mittlerweile hat
Knab vier Enkelkinder in Sousse,
der drittgrößten Stadt des Landes.
Anfangs habe er große Bedenken
gehabt, als ihm die Tochter ihre
Pläne eröffnet habe. „Ganz ehr-
lich, das war schon ein kurzer
Schock. Ich dachte, das sind ja al-
les Barfußerte da unten“, sagt er.
Doch Schwiegersohn Khalil
habe ihn schnell eines Besseren

belehrt. Bei seinem ersten Besuch
in Sousse lernte der Tiroler Land
und Leute lieben. Trotz der
schwierigen Lebensumstände war
er begeistert von der Mentalität
der Menschen. „Also habe ich mir
überlegt, wie ich meine Tochter
und ihre Familie am besten unter-
stützen könnte“, erzählt er.
Diese Überlegungen fielen in
jene Zeit, in der sich der Metzger
erstmals mit dem nahenden Ruhe-
stand beschäftigte. Als er in Tune-
sien sah, dass sein Schwiegersohn
aus Olivenholz Schüsseln, Salat-
besteckundallerleianderesfertig-
te, um es auf lokalen Märkten zu
verkaufen, kam ihm die Idee zu
einem familiären Joint Venture.
Der Tourismus läuft nach den
Wirren des Arabischen Frühlings
schleppend. Wenn die potenziel-
len Kunden nicht zu Khalil kom-
men, müssen seine Produkte eben
zuihnengebrachtwerden,wardie
Idee. 2017 meldete Knab sein Ge-
werbe an und importierte die ers-
te Palette tunesischer Produkte
nach Tirol. Abends, wenn er aus
der Metzgerei heimkommt, sitzt er
in seiner Wohnung in Kolsass,
hört arabische Volksmusik–„weil
ich die so herrlich beruhigend fin-
de“ –und bastelt Aufsteller für Lä-
den, die er mit Ware beliefert.
Mittlerweile vertreiben tirolweit
19 Geschäfte seine Produkte.
Knab bietet die Ware auf Kom-
mission an, um Vorbehalte der La-

denbesitzer zu zerstreuen. „Ich
sag ihnen, sie können es auspro-
bieren. Wenn sie es verkaufen,
rechnen wir danach ab, wenn
nicht, hole ich es wieder ab“, sagt
er. Sogar einen Onlineshop hat er
mittlerweile. Alles, was der
Nebenjob derzeit abwirft, wird
reinvestiert. Zusammen mit dem
Schwiegersohn kaufte Knab mit
den Erlösen ein Grundstück. Auf
4,5 Hektar am Rande von Sousse
haben sie nun 400 Olivenbäume
gepflanzt und errichten ein Ge-
schäftsgebäude. „In ein paar Jah-
ren werde ich da jeden Morgen sit-
zen und den Kaffee in der Sonne
genießen“, malt sich Knab seine
Pension unter Palmen aus.

Arbeiten im Ruhestand
Mehr als eine Viertelmillion ös-
terreichische Rentner leben im
Ausland, weiß Wolfgang Pan-
hölzl,PensionsexpertederWiener
Arbeiterkammer. Das ist problem-
los und ohne Abschläge möglich.
Die Bezieher müssen nur in regel-
mäßigen Abständen glaubhaft
nachweisen, dass sie noch leben.
Die Zahl der Menschen, die im
Ruhestand weiterarbeiten, wie
Knab es plant, liegt bei 75.000. Vor
15 Jahren waren es um 15.000 we-
niger. Es seien in erster Linie Men-
schen aus körperlich weniger an-
strengenden Berufen, die nach
dem Erreichen des Pensionsalters
weitermachten, weiß Panhölzl.

Nur selten würden sich Arbeiter
wie Knab dafür entscheiden.
Eine Teilzeitanstellung mit fle-
xiblen Arbeitszeiten schwebt
Knab vor, um daneben das Oliven-
holzgeschäft aufzubauen.Solange
er damit wenigerals 30.000 Euro
Umsatz im Jahr mache, falle nur
die Unfallversicherung an. Das
zweite Standbein diene zugleich
als Absicherung: „Fallsdie Metz-
gerei zusperrt, habe ich einen Plan
Bund muss mich nicht nach dem
AMS richten.“ Ein Kollege,der un-
längst seinenJob verlorenhatte,
wurde an einen großenFleischver-
arbeitervermittelt, für Knab eine
Horrorvision: „Da stehst du dann
im eiskalten Kühlhaus und musst
mit Ende 50 im Akkord mit den
Jungen mithalten.“
Da erscheint die Alternative mit
dem Olivenhain in Tunesien an-
genehmer. Der Lebensstandard in
Sousse sei von der medizinischen
Versorgung her mit Europa ver-
gleichbar.„Ich war mit den
Enkerln beim Zahnarzt mit, da
merkst keinen Unterschied“,er-
zählt er. Alleinandie nordafrika-
nische Gelassenheit musste er sich
gewöhnen: „Stress darfst unten
keinenhaben.Aberdasistauchgut
so.“ Ob in einerStundeoder einem
Tag, Zeitangaben sind relativ. Aber
genau das wünsche er sich für
die Pension, die für ihn ja kein
Ende, sondern einen Neuanfang in
Selbstbestimmtheit darstellt.

Markus Knab vor der Fleischtheke in Absam: Der gelernte Metzger
fürchtet keinen Pensionsschock–dankFamilien-Joint-Venture.

Foto: Florian Lechner
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