Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

36 |SA./SO.,24./25.AUGUST2019DKultur ERSTANDARDWOCHENENDE


AmkommendenMontag feiertDagmarKoller,ehemaligerMusical-Star,einstigeFirstLadyWiens,Schwulenikone und
Wahrzeichen der Innenstadt ihren 80er.Wir warenzuBesuch und fragten sie nach Liebe im Alter,Helmut Zilks
morgendlichen Briefchen, Schönheitsidealen,Eitelkeit und einem Leben nach demTod.

„Ich liebe mich vonHerzen“


STIPPVISITE:Michael Hausenblas,FOTOS:Heribert Corn

D


agi“, wie der Volksmund Dag-
mar Koller nennt, sagt, sie sei
müde dieser Tage. Alle wollen
mit ihr sprechen. Anzumerken
ist ihr die Müdigkeit nicht, als
sie abends die Tür zu ihrer Wohnung in der
Wiener City öffnet. Kredenzt wird ein Pic-
colofläschchen Rosésekt. Sie selbst nippt
nicht an ihrem Glas. Sie möchte nur noch
ein heißes Bad nehmen. Doch bevor sie den
Hahn aufdreht, beantwortet sie noch ein
paar Fragen. Die letzten für diesen Tag.


Standard:Was möchten die vielen Men-
schen, die anlässlich Ihres 80ers hinter
Ihnen her sind, denn wissen?
Koller:Alle wollen nur wissen, wer der jun-
ge Mann ist, mit dem ich manchmal ins
Theater gehe. Dabei ist er ein wirklich gu-
ter Freund. Ist das denn so wichtig? Also
mich nervt das.


Standard:Ist eine ältere Frau mit einem
jüngeren Mann liiert, ziehen große Teile der
Gesellschaft noch immer ein Schnoferl.
Koller:Ja, das stimmt. Vor allem Männer
sehen es gar nicht gern, wenn Frauen jün-
gere Männer haben. Ich sehe mich als Vor-
bild, wenn ich mit einem jüngeren Mann
ausgehe. Da bin ich ganz cool.


Standard:Wären Sie denn auch gern noch
einmal jung, sagen wir 18?
Koller:Nein. Die Mädchen sind heute sehr
androgyn. Die haben wenig Taille, haben
lange schlanke Beine. Früher stand man auf
Frauen wie Ava Gardner oder Lana Turner.
Also Busen und Taille und runde Hüften.


Standard:Es gibtda diesen Spruch, dass
früher alles besser gewesen sei. Stimmt das?
Koller:Aber nein! Früher gab es das Diktat,
dass man schön sein muss. Diesen Zwang
sehe ich heute nicht mehr. Andererseits
schauen sie einmal in dieVogue!Da sehen
sie lauter fremd wirkende Gesichter. Hat
eine Frau heute einen kurzen Haarschnitt,
muss man genau schauen, ob es sich um
einen Bub oder ein Mädel handelt. Irgend-
wie schauen heute alle gleich aus.


Standard:Abgesehen von Schönheitsbil-
dern, was war früher besser?


Koller:Für mich ist jetzt alles besser. Aber
das hab ich mir erarbeitet. Außerdem wur-
de ich nie enttäuscht. Deshalb liebe ich die
Männer. Ich klopfe auf Holz, denn es kann
ja noch einer in mein Leben kommen, und
es könnte sein, dass er wieder geht.

Standard:HattenSiedieseAngstbeiIhrem
Mann, Helmut Zilk, auch?
Koller:Niemals! Der Helmut Zilk war Vater-
figur, Freund, Liebhaber und Berater. Und
er hat mir sehr gut gefallen. Außerdem hab
ich ihn lange geprüft. Neun Jahre lang habe
ich ihn nicht geheiratet. Er wollte das gleich
am Anfang. Heute wirkt alles viel aus-
tauschbarer. Also ich denke, in Sachen
Liebe war es früher schöner. Dieses Ver-
liebtsein.

Standard: Die Menschen verlieben sich
auch heute noch.
Koller:Gott sei Dank, ja.

Standard:Auch mit 80?
Koller:So viel sei verraten: Verliebtsein ist
ein Glück. Ich bin immer wieder verliebt.

Standard:HeuteistimmerwiederdieRede
von einem neuen Rollenbild des Mannes.
Wie sehen Sie dieses Bild heute, diese Rolle?
Immerhin kannten Sie Männer wie Frank
Sinatra, Tony Curtis oder Oskar Werner.
Koller:Ach Gott, der Oskar Werner, mit ihm
pflegte ich eine ganz besondere Freund-
schaft. Ich glaube, wäre ich seinerzeit nicht
nach Portugal gegangen, hätte er sich nicht
so versoffen. Früher stand ich auf Marlon
Brando, also auf einen Mann mit Muskeln.
Das hat sich total verändert. Heute gefallen
mir schmale, stille Männer besser. Ein
Mann kann auch ruhig Parfum verwenden.
Mein Beuteschema hat sich also geändert.

Standard:In einem Buch über Sie steht ein
Zitat zu lesen: „Die Aufmerksamkeit anderer
Menschen ist die unwiderstehlichste aller
Drogen.“
Koller:Für gewisse Leute stimmt das sicher.

Standard:Wie süchtig sind Sie nach die-
ser Droge?
Koller: Ich? Ich wäre unglücklich, wenn
mich kein Mensch mehr erkennen würde.

Standard:Ist das Eitelkeit?
Koller:Nein, das ist der Beweis, dass man
lange hart gearbeitet hat. Karriere zu ma-
chen ist eine schwierige Angelegenheit.
Sonst würde es ja jeder tun.

Standard:Zurück zur Liebe–Sie sagten
einmal: „Ich liebe mich von Herzen!“ Was
lieben Sie denn an sich?
Koller:Das sage ich mir seit neuestem, weil
es mir ja sonst niemand sagt. Dabei war ich
es so gewohnt. Helmut hat mir jeden Mor-
gen einen Zettel vor die Schlafzimmertür
gelegt. Ich habe meistens etwas länger ge-
schlafen als er. Meistens bis neun.

Standard:Was stand auf diesen Zetteln?
Koller:Zum Beispiel „Ohne Dich kann ich
nicht leben“ oder „Du bist mein Leben!“.
Ich hab sie gesammelt.

Standard:Siesagten auch einmal, Sie
würdenIhrkindlichesGemütlieben.Hältein
solches Gemüt jung?
Koller:Auf jeden Fall. Man sollte die Dinge
mit kindlichen Augen betrachten, dann
bleibt man neugierig und fröhlich. Erst heu-
te dachte ich mir wieder, es ist doch furcht-
bar, wie viele finstere Gesichter man in
Wien auf der Straße sieht.

Standard:Woran liegt das?
Koller:Ich glaube, die Menschen sind mit
Dingen beschäftigt, an denen sie herum-
kiefeln. Seien es Geldfragen, irgendwelche
Wünsche oder sonst etwas. Viele Leute
reden sich ihre Sorgen ein. Die ständige
Erreichbarkeit per Handy oder Computer
trägt auch viel zu diesen Gesichtern bei. In
der halben Stunde, bevor sie kamen, habe
ich zehn E-Mails bekommen. Muss ich die
wirklich alle gleich lesen?

Standard: Siewerden am kommenden
Montag 80 Jahre alt. Gehören Sie zu den
Menschen, für die Alter nur eine Zahl ist?
Koller:Ja, Alter ist nur eine Zahl. Auch weil
ich körperlich gut trainiert bin. Wissen Sie,
es ist auch so, dass ich mir jede Krankheit
sofort wegdenke. Dabei klopfe ich auf Holz.
Die Ärzte lachen darüber. Oder sie sagen:
„Mach Physiotherapie oder dies oder das.“
Wann soll ich denn dafür Zeit haben?

Standard: Dachten Sie als junge Frau
manchmal daran, wie es sein würde, 80 zu
werden?
Koller:Nein, diese Zahl war für mich un-
denkbar. Ich hatte so ein liebes Großmutterl
und konnte mir nie vorstellen, einmal in
dieses Alter zu kommen.

Standard:Hollywoodstar Mae West sagte
einst: „Altwerden ist nichts für Feiglinge.“
Geben Sie ihr recht?
Koller:Das sagt nicht nur sie, ich glaube
auch die Knef und andere. Sie haben un-
recht. Ich habe erst, als ich älter und reifer
war, ich spreche von der Zeit, als ich 60 wur-
de, verstanden, um was es wirklich geht. Ich
finde das Zitat sinnlos.

Standard:Frau Koller, was kommt nach
dem Tod?
Koller:Ich komme hoffentlich in das Grab,
in dem mein Helmut liegt. Auch wenn das
gar nicht so leicht wird, denn der Stein ist
ganz schön groß und schwer. Was dann pas-
siert, weiß ich nicht. Ich glaube, Helmut
liegt noch da unten, in dem wunderschö-
nen Anzug, den ich ihm mitgegeben habe.

Standard:Besuchen Sie ihn oft?
Koller:Ja, und ich rufe seit elf Jahren „Ich
bin wieder da“ und rede mit dem Grabstein
und beobachte, wie sich der Granit mit den
Jahren verändert.

Standard:Sie glauben nicht an ein Wie-
dersehen im Himmel?
Koller:Nein, das tue ich nicht. Aber ich
glaube an Gott, bete und bedanke mich jede
Nacht dafür, dass es mir so gut geht. Ich
gehe auch gern in Kirchen. Ich trage auch
einen Rosenkranz in der Handtasche.

Standard:Siehabenmirabererzählt,dass
Sie mit Helmut noch immer sprechen.
Koller:Ja, aber das tue ich ganz automatisch.
Wenn ich schon dort bin, kann er ruhig
erfahren, wie es mir geht.

Standard:Aber im christlichen Glauben
glaubt man doch an ein Jenseits.
Koller:So katholisch bin ich dann auch
wieder nicht.

„Alle wollen nur wissen,wer denn der
jungeMann ist, mit dem ich manchmal
ins Theater gehe. Ist das denn so wich-
tig? Also mich nervt das.“

„Karriere zu machen ist eine schwierige
Angelegenheit. Sonstwürde es ja jeder
tun. Ich wäreunglücklich, wenn mich
kein Mensch mehr erkennenwürde.“

„Man siehtsoviele finstere Gesichter auf
der Straße.Dabeisollte man die Dinge
mit kindlichen Augen betrachten, dann
bleibt man neugierig und fröhlich.“
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