Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

40 |SA./SO.,24./25.AUGUST2019DKommentar ERSTANDARDWOCHENENDE


dst

.at/cartoons

Die Kanzlerin verpasst ihreChance


Eine Übergangsregierung bedeutetnicht, dassPolitik nichtstattfindet


gierungschefin der Justiz den Rücken
stärken –oder tätig werden, wenn
Zweifel tatsächlich angebracht sind.
Auch die üppigen Spenden an die
ÖVP, die interessante Genehmigun-
gen, gefällige Gesetzesvorlagen oder
sogar Posten in der staatsnahen Wirt-
schaft nach sich zogen, sollten die am-
tierende Regierung in die Gänge brin-
gen. Wie wäre es mit der Vorlage eines
Spendentransparenzgesetzes, das die-
sen Namen auch verdient–durchaus
aus gegebenem Anlass?
Bierleinund ihre Minister haben
nichts zu verlieren. Im Gegenteil:
Handlungswilligkeit und -fähigkeit er-

höhten ihre Autorität. Insofern ist auch
unverständlich, dass es bis heute kein
Gesetz gibt, das Lehrlinge unter den
Asylwerbern nachhaltig schützt.
Schließlich gibt es, mit Ausnahme der
FPÖ, einen breiten Konsens, dass es
sinnlos ist, junge Menschen erst auszu-
bildenund danach abzuschieben. Ein
politisches Wagnis wäre ein diesbezüg-
licher Gesetzesvorschlag also nicht.
Werregiert, kann nichtimmer sagen,
dassmannurÜbergangsei–nochdazu,
wo die Verfassung einen solchen Über-
gang gar nicht kennt. Wenn das Haus
jetzt brennt, kann man das Löschen
nichtbis nach der Wahl verschieben.

D


iese Wochebegann miteinem
sehrschönenSchwarz-Weiß-
Foto. Es zeigteBundeskanzle-
rin Brigitte Bierlein vor einerLein-
wand in expressiven Grautönensit-
zend,aufgenommenmiteinem ural-
ten Fotoapparat aus dem Jahr1839.
DasFotowar einGeschenk der Wie-
ner Galerie Westlicht: Die Kanzlerin
hatte sich persönlich dafür einge-
setzt,dassdie stark unterDruckste-
hendeFotogaleriefinanziellgerettet
wird.Bierle insInitiative ist sehr zu
begrüßen–nicht nur, weil ein außer-
gewöhnlicher Ort für Fotokunst un-
bedingterhaltenswertist.Eszeigte
sich nebenbei auch, dass Bierlein sehr
initiativ sein kann, wenn sie will –
etwaimKulturbereich,derihramHer-
zen liegt.
Leider gilt das für viele andere Berei-
che nicht. Da bleibt sie stumm, wo sie
redensollte,administriert,wosieregie-
ren könnte. Das ist eine vertane Chan-
ce, Schweigen konnten andere Kanzler
vor ihr auch gut. Und angesichts der
Dramatik, mit der sich die vorherige
Koalition selbst in die Luft gesprengt
hatte, und der unabsehbaren Folgen
gäbe es einiges zu sagen–und zu tun.
Dass sie gleich zu Amtsantritt be-
tonte, sich selbst und ihr Beamten-
kabinettalsÜbergangsregierungzuse-
hen, erschien ja noch logisch. Wer
sein eigenes politisches Programm
verwirklichen will, muss sich zuerst
von den Österreicherinnen und Öster-
reichern wählen lassen. So gehört sich
das in einer Demokratie.

D


as bedeutet aber nicht, dass
man so tut, als fände Politik
plötzlich überhaupt nicht mehr
statt. Die Kanzlerin schweigt zu aktu-
ellen Ereignissen, das wirkt bisweilen
irritierend. Um beim Offensichtlichs-
ten zubeginnen: NachIbiza hätteBier-
lein bei der Eröffnung der Salzburger
Festspiele punkten können, hätte sie
über den Rechtsstaat und/oder die
Notwendigkeit von Checks and Balan-
ces in der Demokratie parliert. Leider
blieb sie in Salzburg vage.
Die Arbeit der Ermittler der Soko
Ibiza, die von FPÖ und Peter Pilz ins
parteipolitische Zwielicht gerückt
wird, der Vorwurf von Exvizekanzler
Heinz-Christian Strache, die Razzien
in der Casinos-Causa seien Willkür,
schließlich die Attacke von Altkanzler
Sebastian Kurz, Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft im Zusammen-
hang mit Ibiza seien ein Schmutz-
kübelwahlkampf: Hier müsste die Re-

Petra Stuiber

KOPFDESTAGES


S


ein Leben sei wirk-
lich nicht sonder-
lich schön, jam-
merte der gutangezoge-
ne Engländer während
einerFußmassage.Inan-
deren Monarchien, dem
Fürstentum Monaco
zum Beispiel, würden
die Royals wenigstens in
ihrer Freizeit in Ruhe ge-
lassen. Er hingegen sei
wegen seines Privatle-
bens dauernd in „großen
Schwierigkeiten“.
Wie vieles rund um
Prinz Andrew, Lieb-
lingssohn von Queen
Elizabeth II und Achter
der Thronfolge, gehört
die mehrere Jahre zu-
rückliegende Szene in
den Bereich des Hören-
sagens. Allerdings passt
sie in das Bild, das sich
die britische Öffentlich-
keit über den Herzog von
York (59) gemacht hat: Der Mann war
Frauenheld (Spitzname: Randy Andy)
und Freund zwielichtiger Geschäfts-
leute, beharrt in rüdem Ton auf sei-
nem royalen Status und beklagt gern
sein schweres Schicksal.
Dass Andrews Reputation nun
„wahrscheinlich unwiderruflich be-
schädigt“ ist, wie der königstreueDai-
ly Telegraphglaubt, hat vor allem mit
einem Namen zu tun: Jeffrey Epstein.
Ein Jahrzehnt lang ließ sich der Prinz
immer wieder von dem US-Finanzier
einladen und durch die Welt fliegen,
verbrachte Zeit auf dessen New Yor-
ker Anwesen, wo auch die angebliche
Massage-Szene stattfand. Den Kontakt

brach der Engländer da-
mals nicht einmal ab, als
Epstein wegen Sexual-
delikten zu einer Haft-
strafe verurteilt wurde.
Vor vierzehn Tage be-
ging Epstein in U-Haft
Suizid, seither reißen
die für Andrew peinli-
chen Schlagzeilen nicht
ab. Denn Epstein stand
wegen Zuhälterei und
Beischlaf mit Minder-
jährigen unter Anklage –
eine Vielzahl von Frau-
en haben Beschuldigun-
gen erhoben. Eine Frau
behauptete, sie sei 2001
als 17-Jährige von Ep-
stein „zur Sexsklavin ge-
macht“ und zum Sex mit
dem Prinzen gezwungen
worden, hieß es in der
Klagebegründung. Das
US-Gericht von West
Palm Beach in Florida
beschrieb die Vorwürfe
gegen den Herzog aber als „unerheb-
lich und unverschämt“; er selbst be-
stritt alle Vorwürfe.
Seine Karriere als Handelsbeauf-
tragter Großbritanniens musste An-
drew schon 2011 wegen Kontakten zu
dubiosen arabischen Despoten sowie
wegen der Epstein-Connection aufge-
ben. Seither irrlichtert er durchs Kö-
nigshaus, durfte etwa bei US-Präsi-
dent Donald Trumps Besuch ein Früh-
stück für Wirtschaftskapitäne ausrich-
ten. Mit seiner geschiedenen Frau Sa-
rah ist der Prinz angeblich noch be-
freundet, die Töchter Beatrice und Eu-
genie machen wenig von sich reden.
Wenigstens etwas. Sebastian Borger

Der


peinliche


Prinz


Die Epstein-Affäre
lastet schwer auf
Prinz Andrew.
Foto:AFP

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DieWelt ist einDorf


Lisa Mayr

E


sist ein Bild, das man nicht mehr so leicht aus dem
Kopf bekommt: die Skyline von São Paulo um drei
Uhr Nachmittag, zur Nacht verdunkelt von dichtem
Rauch. Von Rauch, der aus dem 2700 Kilometer entfern-
ten Regenwald in die Stadt gezogen ist und irgendwann als
schwarzer Regen herabfällt. Dieses Bild, aufgenommen vor
zwei Tagen, steht dafür, dass die verheerenden Brände im
Amazonasgebiet kein regionales Phänomen sind. Sie be-
treffen nicht nur Brasilien–sie betreffen die ganze Welt.
Im Land brachen binnen 48 Stunden fast 2500 neue Brän-
de aus; seit Jahresbeginn waren es mehr als 75.000. Die
dunklen Rauchwolken kann man längst vom All aus sehen.
Nein,dass Amazonien brennt,ist nicht ungewöhnlich.
Neu istdas Ausmaßder Brandstiftungen–und dassBra-
siliensPolitik eifrigÖlins Feuergießt. Als Emmanuel
Macron in einem Tweet voneiner„internationalen Kri-
se“sprichtund davon, dassmit de mRegenwald„unser
Haus“ in Flammen stehe,geißelt BrasiliensKrawallprä-
sident Bolsonaro dies als Ausdruck einer kolonialisti-
schen SichtFrankreichsauf sein Land.Den entscheiden-
denUnterschied–dassnämlichdie Kolonialisten die Ko-
lonialisiertenunterjochten,esMacron aber um die Ret-
tungder grünenLungeder Weltund damit um globales
Interesse geht–, Bolsonaro erkennt ihn nicht.
Der rechtsextreme Klimawandelleugner steht fest aufsei-
ten der brasilianischen Agrarindustrie, die von den Brand-
rodungen profitiert, weil sie ihr Flächen für die Rinder-
zucht verschafft. Die Brandstifter haben unter ihrem Prä-
sidenten wenig zu befürchten: Er hat das Klima für ihre Ro-
dungen geschaffen. Unter dem Vorwand des Umweltschut-
zes wolle man Brasilien wirtschaftlich kleinhalten, sagt er,
der den Wald wirtschaftlich erschließen will. Dass bei den
Bränden nun zahllose Indigene ihre Lebensgrundlage ver-
lieren, ist ihm willkommener Kollateralnutzen.
Macrons Vorschlag, die Brände auf die Agenda des G7-
Gipfels zu setzen, ist sinnvoll. Die Zerstörung der Umwelt
und ihre Folgen kennen keine Grenzen, der Kampf dagegen
darf es auch nicht tun. In Sachen Klimakatastrophe ist die
Welt ein Dorf; ohne den Regenwald ist der Kampf dagegen
nicht zu gewinnen. Der EU stehen deshalb ihre schreck-
geweiteten Augen schlecht: Zwischen 2000 und 2009 hat
sie 1000 Millionen Tonnen CO 2 in Form von Waren impor-
tiert,fürdieRegenwaldgerodetwurde–undreichtmitdem
Mercosur-Abkommen den nächsten Brandbeschleuniger.


Versprechen sindzuwenig


Eric Frey

A


us österreichischer Sicht klingt das Versprechen von
181 Bossen großer US-Konzerne wie eine Selbstver-
ständlichkeit: Sie wollen in Zukunft nicht mehr nur
ihren Aktionären zu höheren Gewinnen verhelfen, son-
dern auch die Interessen von Mitarbeitern, Kunden, Zulie-
ferern und der Umwelt verteidigen. Stakeholder Value
heißt dieses Prinzip, das dem angloamerikanischen Share-
holder Value entgegensteht und auch im heimischen Ak-
tienrecht verankert ist.
Der Gedanke ist nicht neu: Unternehmensethik ist popu-
lär, und fast jedes Unternehmen spricht heute von Nach-
haltigkeitundUmweltschutz.Wennsichnundieweltgröß-
ten Konzerne diese Ziele mit viel Lärm auf ihre Fahnen hef-
ten, dann können sie sicherlich mit Zustimmung rechnen.
Stattdessen wäre Skepsis angebracht. Das liegt nicht nur
daran, dass sich die US-Manager vor klaren Verpflichtun-
gen drücken. Das ganze Stakeholder-Prinzip ist problema-
tisch. Natürlich sollten Unternehmen nicht Profite um je-
den Preis verfolgen. Aber einem klugen Kaufmann ist die
Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden ohnehin ein
Anliegen. Und Umweltbewusstsein spart oft Kosten.
Doch wenn all diese Ziele gleichwertig sind, dann wird
es schwierig, die Leistung von Managern zu beurteilen und
sie gegebenenfalls zur Rechenschaft zu ziehen. Es bleibt
der Hauptzweck eines Unternehmens, Waren und Dienst-
leistungen möglichst effizient anzubieten und damit am
Markt Erfolg zu haben.Davon sollte man nicht ablenken.
Im Gegenteil: Aktive Aktionäre, die den Managern genauer
auf die Finger schauen, würden der Wirtschaft oft guttun.
Die übrigenStakeholder-Interessen sind anderswobes-
ser aufgehoben. Es braucht hier vor allem intelligente Ge-
setze, gut ausgestattete Aufsichtsbehörden, unabhängige
Gerichte sowie eine aufmerksame Öffentlichkeit, damit
Verbrauchergeschützt,Mitarbeiternichtausgebeutetsowie
Umwelt und Klima geschont werden. Auch starke Gewerk-
schaftenund NGOs werden gebraucht. Ebenso müssen die
Pressefreiheit verteidigtund der Einfluss des Geldes in der
Politik, etwa durch Großspender, eingedämmt werden.
Auch Österreich hat hier Handlungsbedarf. Aber vor al-
lem in den USA wird den Unternehmen seit rund 40 Jah-
ren viel zu viel freie Hand gelassen. Es ist sicher kein Zu-
fall, dass gerade jetzt die Konzernchefs Besserung verspre-
chen, da die Demokraten immer lauter nach strikteren Re-
gulierungen rufen. Das sollte die Politik nicht bremsen.

VERANTWORTUNGVONUNTERNEHMEN


WALDBRÄNDEAMAMAZONAS

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