Süddeutsche Zeitung - 24.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
Vor fast genau fünf Jahren absolvierte Xa-
bi Alonso,damals 32, noch eine Trainings-
einheit bei Real Madrid, dann stieg er in
ein Flugzeug, das ihn wenig später am Mit-
telkreis der Schalker Fußballarena absetz-
te. Okay, ganz so direkt war der Reiseweg
nicht, aber es lagen nur 48 Stunden zwi-
schen Alonsos letztem Training in Madrid
und seinem ersten Einsatz für den FC Bay-
ern. Die Fachmagazine protokollierten ei-
nen seriösen ersten Auftritt, Alonso kam
in seinen ersten 68 Minuten für die Bayern
auf 88 Ballkontakte, denen er weitere
8,88Millionen folgen ließ. Fünf Jahre spä-
ter wird der Brasilianer Coutinho, 27, nun
am Samstagabend nicht gleich am Schal-
ker Mittelkreis erwartet, Bayern-Trainer
Kovac wird seinen neuen Spieler erst mal
auf die Bank setzen. Von dort wird Coutin-
ho beobachten, welches Niveau seine neu-
en Kollegen haben. Keine Fernsehkamera
wird Coutinhos Denkblasen sichtbar ma-
chen können, aber vermutlich wird in ei-
ner von ihnen stehen: Kann ich, Coutinho,
mit dieser Mannschaft nicht nur gegen
Schalke gewinnen, sondern auch gegen
Barcelona, Madrid oder Liverpool?
Am Donnerstag wird die Gruppenphase
der Champions League ausgelost, es ist je-
ner Wettbewerb, über den sich die Größen
der Branche mehr denn je definieren. Sind
die großen Namen überhaupt schon bereit
für diesen großen Wettbewerb? Sind ihre
Kader schon fertig gebaut, wo gibt es noch
Baustellen? Ein Rundgang durch die Lu-
xusresorts des europäischen Fußballs.

Blöd für den FC Liverpool, dass die alte
Saison schon im Mai zu Ende ging. Und
nicht erst jetzt, Ende August. Ein mickri-
ges Pünktchen hinter Manchester City
kamen dieRedsdamals als Zweite ins
Ziel, doch heute, kurz vor Spieltag drei
der neuen Premier-League-Saison, lie-
gen sie schon zwei Punkte voraus. Die Elf
von Jürgen Klopp, hat man den Ein-
druck, macht einfach weiter wie bisher.
An jenem Team, das im Insulaner-Duell
gegen Tottenham Hotspur die Champi-
ons League 2019 gewann, wurde nichts
geändert, knausrige 1,9 Millionen Euro
wurden in den Transfermarkt gesteckt,
stattdessen die Verträge mit der schnit-
tigsten Offensivreihe des Planeten (Sa-
lah, Firmino, Mané) bis 2023 fixiert. Eine
Politik, die im Kontrast zum Rest der
Liga steht. Kurz bevor sich Ende Oktober
die stahlharten Brexit-Tore schließen
sollen, präsentierte sich England noch

einmal im Kaufrausch – für 1,41 Milliar-
den Pfund ging Spielerware über den
Tisch. Auch Klopps Rivale Pep Guardiola
kaufte für sein Meisterteam teuer, aber
zielgerichtet ein: Die Defensivkräfte Ro-
drigo (70 Millionen/Atlético Madrid) und
Joao Cancelo (65 Millionen/Juventus
Turin) sollen das Offensivspektakel der
Himmelblauen, derSkyblues, absichern,
besonders international, denn Guardiola
hat seit seiner Messi-Zeit in Barcelona
das Finale der Champions nicht mehr
erreicht. Man hat das Gefühl, die Streber
von der Insel sind bereit und könnten
sich sogar mit einem Tausch anfreunden:
Wenn die Meisterschaft nach 1990 doch
mal wieder an Liverpool ginge und Euro-
pas Henkelpott erstmals an ManCity,
dann wäre das für beide auch okay. hoe

Alexander Zverevs Formkrise könnte
auch daherrühren, wie er zu diesem
Sport gekommen ist  Seite 39

Frenkie de Jong: für 75 Millionen Euro
zum FC Barcelona. Matthijs de Ligt: für
75 Millionen zu Juventus Turin. Ajax
Amsterdam ist ohne seine großen Talen-
te jetzt wieder das, was die Mannschaft
vorher war: Außenseiter. Im Mai hatte
das Team das Finale der Champions erst
in letzter Sekunde gegen Tottenham
verpasst. Ajax im Frühjahr 2019 – das
war die Hoffnung, dass Underdogs es in
Europa doch noch zu was bringen kön-
nen. Wie 2004, als es mal ein Finale Porto

gegen Monaco gab (3:0; Trainer Mourin-
ho). Aber Außenseiter wecken Begehrlich-
keiten, die besten Spieler gehen, das
Wichtigste jedoch hat Ajax behalten: eine
erfrischende Spielidee. Mit der müssen
sie sich gerade erst wieder für die Cham-
pions League qualifizieren – das Hinspiel
in Nikosia, Zypern, endete 0:0.bwa

von johannes knuth

D


ie Seismografen schlugen zuletzt
mal wieder kräftig aus auf der
Betroffenheitsskala, und das will
schon was heißen in der Leichtathletik,
der das Betrugsproblem seit jeher so treu
ist wie der Rausch dem Oktoberfestbe-
such. Der US-Amerikaner Christian Cole-
man, der Hallenweltrekordhalter über 60
Meter und der derzeit schnellste Mann
auf den werbeträchtigen 100 (9,81 Sekun-
den), er soll also binnen des vergangenen
Jahres drei Mal die Dopingtester verpasst
haben. Sollten sich die Berichte bestäti-
gen, müssten die zuständigen Behörden
den Mann, der fest als Erbe von Usain
Bolt eingeplant war, für mindestens ein
Jahr aussperren – der 23-Jährige würde
sowohl die nahende WM als auch die Som-
merspiele 2020 verpassen. Und der Neu-
beginn im Männer-Sprint wäre zerbrö-
selt, bevor er richtig begonnen hätte.

Coleman wehrt sich derzeit noch dage-
gen, dass einer seiner verpassten Tests
als solcher etikettiert wird; im Erfolgsfall
würde er einem Bannspruch entgehen.
Sollte er mit seinem Anliegen scheitern,
dürfte das wiederum bestenfalls diejeni-
gen bestürzen, die auch an die holde Zahn-
fee glauben. Von elf Sprintern, die die 100
Meter in 9,80 Sekunden oder schneller
zurücklegten, wären dann zehn gesperrt
oder mit verbotenen Praktiken in Verbin-
dung gebracht. Der Einzige, der aus die-
sem Kreis bislang nie auffällig wurde, ist
ein gewisser Usain Bolt. Der Spaßsprin-
ter a. D. lief Scharen von gedopten Re-
kordmännern schon mal mit offenem
Schnürsenkel davon, als würden ihn die
Gesetze der Ermüdung nichts angehen.
Alles dank großem Trainingseifer und
der jamaikanischen Süßkartoffel natür-
lich, wie sein Trainer mal beteuerte.
Bolts Fabelweltrekorde über 100 (9,58)
und 200 Meter (19,19) haben sich gerade
zum zehnten Mal gejährt, da wirkte es
wie eine gehässige Laune des Schicksals,
dass Berichte über Colemans drohende
Sperre kurz darauf an die Öffentlichkeit
sickerten. Jeder neue Fall im Dunstkreis
dieser unwirklichen Zeiten verstärkt ja
das schiefe Bild, das Bolt und sein Sport
in all den Jahren abgaben: Ausgerechnet
der Unberührbare wurde als glaubwürdi-
ger Retter gefeiert, während Teamkolle-
gen und Konkurrenten wie Dominostei-
ne aus den Rekordlisten plumpsten. So
rücken Bolts Zeiten – und die Süßkartof-
fel – mit jedem (potenziellen) Fall auch nä-
her an einen Status heran, in den schon
viele Bestmarken der Leichtathletik auf-
gestiegen sind: den des Mahnmals.
Auch ein Fall Coleman läge in der Lo-
gik der Branche. Publikum, Medien und
Verbände verlangen Wachstum und Re-
korde, getestet wird oft branchenintern
und so, dass gar nicht zu viele Sünder auf-
fliegen können. 2009, rund um Bolts
Traumläufe bei der Berliner WM, mach-
ten Berichte über die Dopingsubstanz
S107 die Runde, die die Muskeln partout
nicht ermüden lasse. Die Welt-Anti-Do-
ping-Agentur nahm das Mittel trotzdem
nicht auf die schwarze Liste. Vor Kurzem
hat eine Schweizer Studie ermittelt, dass
die Werte von 18 Prozent aller Leichtathle-
ten zwischen 2011 und 2013 Blutdoping
nahelegen. Rechnet man die weiteren üb-
lichen Schnellmacher hinzu, kommt man
bequem auf jene Ziffer, die eine Forscher-
gruppe für die Leichtathletik-WM 2011 er-
rechnet hatte: ein Drittel gedopte Athle-
ten, mindestens. Die Testergebnisse des
Weltverbands IAAF? Weit darunter.
Sollte Coleman die kommenden Leis-
tungsmessen tatsächlich verpassen, wä-
re übrigens Justin Gatlin favorisiert. Cole-
mans US-Kollege also, der schon zwei
Mal gesperrt war, der auch mit 37 Jahren
nicht langsamer wird – und dessen Bera-
ter vor zwei Jahren Undercover-Repor-
tern erzählte, dass Gatlin natürlich wei-
ter dope (was der vehement bestritt). „Jus-
tin wird es tun, so wie jeder andere Sprin-
ter in Amerika“, sagte der Berater jeden-
falls. Dann fügte er an: „Sie müssen es.“

FOTO: MINAS PANAGIOTAKIS / AFP

Es gibt schlimmere Jobs, als Trainer bei
Real Madrid zu sein. Beneiden möchte
man Zinédine Zidane, 47, dennoch nicht.
Zidane war im Frühjahr nach halbjähri-
ger Auszeit und zuvor drei Champions-
League-Titeln in Serie zu Real zurückge-
kehrt. Damals dachte er, dass er das Sa-
gen haben werde. Die Realität sieht an-
ders aus, bei Real regiert nur einer: Flo-
rentino Pérez, 72, der Präsident.
Zidane hatte einst den Kolumbianer
James ausgebootet und zur Leihe zum
FC Bayern geschickt – nun kam James
zurück und hat Aussichten zu bleiben. In
diesem Sommer wies Zidane Gareth Bale
die Tür („Je eher, desto besser“); der wali-
sische Stürmer blieb trotzdem. Zidane
forderte die Verpflichtung seines französi-
schen Landsmanns Paul Pogba. Doch der
kickt weiter bei Manchester United, weil
Pérez fand, dass Pogba der Glamourfak-
tor fehle. Den wiederum hat ein Spieler,
den Zidane auf keinen Fall wollte: Ney-

mar von Paris Saint-Germain. Derzeit
stehen die Chancen nicht so schlecht,
dass der Brasilianer zu Real kommt – für
dieselbe Position, für die der Belgier
Eden Hazard für mehr als 100 Millionen
vom FC Chelsea verpflichtet wurde.
Zwar favorisiert Neymar selbst den
FC Barcelona, wo Lionel Messi auf ihn
wartet, die Katalanen aber sind knapp bei
Kasse. Schon für den Einkauf von Antoi-
ne Griezmann (120 Millionen Euro) wur-
den die Banken angezapft. Spanien ist die
Transferbaustelle Europas. Wer davon
profitiert? Womöglich Atlético Madrid,
das sich für 126 Millionen Euro das
Sturmtalent Joao Félix von Benfica Lissa-
bon sichern konnte. Merke: Wenn zwei
sich streiten, freut sich oft der Dritte. jc

Johannes Knuth lief die 100
Metermal in 11,7 Sekunden


  • ohne Süßkartoffel halt.


Wenn Paris Saint-Germain die Champi-
ons League gewänne: Hätte dann ein
Favorit oder ein Außenseiter gewonnen?
Vermutlich beides. Es wäre ein Favoriten-
sieg, weil die Mannschaft seit Jahren und
mit monströsem Geldeinsatz auf diesen
Titel hingetunt wird; es wäre aber auch
ein Außenseitersieg, weil es bisher eben
nie geklappt hat – und weil man immer
das Gefühl hat, dass das Geld für Stars
wie Mbappé und Neymar reicht, nicht
aber für eine seriöse Mannschaft. Die
Frage lautet nun: Was passiert, wenn

Neymar geht? Fehlt dann entscheidende
Qualität oder entfaltet sich endlich ein
Team? Trainer Thomas Tuchel hat dieses
Rätsel nicht zu verantworten, aber er
muss es lösen. Angeblich läuft sich der
Trainerkollege Allegri draußen vor der
Stadt schon warm. nee

Auf der Suche nach Yoda


Kein anderes Sportereignis in der Schweiz erzielt
solcheAufmerksamkeit wie das Schwingen,
der archaische Ringkampf im Sägemehl  Seite 39

DEFGH Nr. 195, Samstag/Sonntag, 24./25. August 2019 HMG 37


SPORT


6 Mal Real, 4 Mal Barça
Die Champions-League-Siegerseit 2000

Beim FC Bayern haben sie sich einiges
anhören müssen in der Sommerpause.
Wann kommt Sané? Was ist mit Werner?
Und dieser Hudson-Ja-mei oder wie der
heißt aus Chelsea, wollten die den nicht
auch? Wo sind überhaupt die ganzen
geheimen Kracher, von denen Uli Hoe-
neß mal behauptet hat, man habe die
schon sicher? Und Perisic? Okay, der hat
’ne coole WM gespielt – aber reicht das?
Aber die Bayern wissen schon noch,
wie’s geht: Mit einem Startransfer Mar-
ke Coutinho haben sie die Deutungsho-
heit ganz nach Art des Hauses wieder an
sich gerissen. Tatsächlich haben die
Bayern die individuelle Qualität im Ka-
der mit diesem Transfer krass erhöht,
aber ob die Architektur dieses Kaders
höchsten Aufgaben genügt, ist offen.
Wer stürmt, wenn es Lewandowski
zwickt? Wer stärkt die Abwehrkräfte auf
der Sechserposition? Wer erklärt den
Kollegen auf dem Rasen das Spiel, so wie
einst die großen Xabi Alonso und Philipp
Lahm? Und muss für Coutinho jetzt
nicht das System gewechselt und doch
mit einem Zehner gespielt werden? Im
Grunde beginnt die Vorbereitung für
den FC Bayern jetzt noch mal aufs Neue,
anders als bei den Champions-League-
Startern aus Dortmund, Leipzig und
Leverkusen, die – auf unterschiedlichen
Niveaustufen – zumindest schon einge-
spielt wirken. Bei Leipzig, übrigens,
spielt dieser Werner. nee

Renato Sanches, portugiesischer
Fußballerdes FC Bayern, steht vor einem
Wechsel nach Lille  Seite 38

Liegt es an den Zigaretten? Jedenfalls
verpasst Dauerqualmer Maurizio Sarri
den Saisonstart. Lungenentzündung.
Zurück vom Intermezzo beim FC Chel-
sea sieht es so aus, als könne sich der
Trainer von Juventus Turin die Absenz
sogar leisten: Ronaldo, 34, zickt gerade
nicht, Buffon, 41, strebt zurück ins Tor,
von Ajax wurde teuer de Ligt, 20, geholt,
zwei Deutsche (Khedira, Can) blieben im
Piemont. Für Juves Kader gilt, ganz im
Geiste des Trapattoni: Habe fertig! hoe

100 METER

Auf dem Weg


zum Mahnmal


Ajax,der Außenseiter


Die Streber von der Insel


Der FC Bayern hat den Brasilianer Coutinho beim FC Barcelona ausgeliehen, um endlich wieder die Champions League zu gewinnen.
Aber kann ein Transfer bereits die Lösung sein? Oder ist die Konkurrenz nicht schon viel weiter? Ein Streifzug durch Europas Spitzenklubs

2000 Real Madrid
2001 FC Bayern München
2002 Real Madrid (vs. Leverkusen)
2003 AC Milan
2004 FC Porto
2005 FC Liverpool
2006 FC Barcelona
2007 AC Milan
2008 Manchester United
2009 FC Barcelona
2010 Inter Mailand (vs. Bayern München)
2011 FC Barcelona
2012 FC Chelsea (vs. Bayern München)
2013 FC Bayern München (vs. B. Dortmund)
2014 Real Madrid
2015 FC Barcelona
2016 Real Madrid
2017 Real Madrid
2018 Real Madrid
2019 FC Liverpool

Hudson-Ja-mei


Salah! Firmino! Mané!


Das Rätsel von Paris


Italien dampft


Baustelle Spanien


Sollte auchChristian Coleman
gesperrt werden, läge das
in der Logik der Branche

Am Samstag um 22 Uhr erscheint
die digitaleAusgabe
Sport am Wochenende sz.de/sport-we

Sport digital


Getrennt auf Trophäenjagd: Jüngst jubelten Lionel Messi und Philippe Coutinho noch
gemeinsam imTrikot des FC Barcelona. Jetzt wechselte Coutinho (re.) ins Rot des
FCBayern, sein Ziel bleibt dasselbe: Gewinn der Champions League. FOTO: BARRENA / AFP

Abschied des Unvollendeten
FOTO: ROBERT MICHAEL / DPA

Ein Stier für den König


Sie haben doch nicht etwa ... – doch, sie haben: im Champions-League-Rausch im Mai eine Plastikversion des Henkel-Pokals vom Teambus des FC Liverpool geschleudert. FOTO: OLISCARFF / AFP

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