W
oody Allen hat den
Blick eines Mannes,
der nach zwei Jah-
ren Fahrt durch ei-
nen dunklen Tunnel
ein kleines Licht entdeckt, als die Film-
verleiher ihm erklären, dass die ersten
Kritiken nach der Premiere von „A Rai-
ny Day In New York“ die besten seit den
Zeiten von „Midnight In Paris“ waren.
„Tatsächlich? Das macht mich glück-
lich.“
VON ARIANNA FINOS
Die Stimme des Regisseurs wirkt
dünn nach 83 Lebensjahren und den
vielen Sorgen der letzten Zeit. „Woody
hat seine Gelassenheit und seinen Hu-
mor wiedergefunden,“ erklärt sein
Agent schon vor dem Treffen in Paris.
„Über Amazon wird er allerdings nicht
sprechen, da es sich um ein laufendes
Verfahren handelt.“ Allen hat eine Ent-
schädigung von 68 Millionen Dollar für
den nicht erfolgten Verleih des Films in
den USA gefordert, der nun ab Oktober
in Europa zusehen sein wird (und ab
dem 5. Dezember in Deutschland). Auch
Fragen nach den Vorwürfen der sexuel-
len Belästigung seiner Tochter Dylan
Farrow, die 25 Jahre nach dem Frei-
spruch des Regisseurs vor Gericht er-
neut in den Schlagzeilen auftauchten,
sind nicht erlaubt.
Auf die Frage, wie er mit der Tatsache
umgeht, dass Schauspieler – wie der
Hauptdarsteller in seinem letzten
Werk, Timothée Chalamet – nicht mehr
mit ihm arbeiten wollen, breitet Allen
seine Arme aus: „Was kann ich dazu sa-
gen? Ich hatte viel Spaß bei den Drehar-
beiten mit ihnen. Sie haben das Recht,
das nicht mehr zu tun, natürlich. Und
ich habe gerade in Spanien meinen neu-
en Film „Rifkin’s Festival“ fertigge-
dreht, mit Christoph Waltz und Louis
Garrel.“
WELT:„A Rainy Day In New York“ ist
eine Liebeskomödie um zwei frisch-
verlobte College-Kids, die an einem
Wochenende in der Metropole plötz-
lich getrennt werden, anderen Men-
schen begegnen und Abenteuer erle-
ben, durch die sie sich stark verän-
dern. Was wissen Sie von der Liebe?
WOODY ALLEN:Man kann über die Lie-
be spekulieren, was auch sehr anregend
ist, aber man kann sie weder verstehen
noch kontrollieren. Da sind wir dem Zu-
fall ausgeliefert. Man kann nur hoffen,
dass man Glück hat, und genau deshalb
gibt es ja auch so viel Schmerz in der
Liebe, Probleme und Schwierigkeiten,
sie ist ein sehr komplizierter Teil des
Lebens. Alle haben darüber geschrie-
ben. Tschechow, Tolstoi, Stendhal. Aber
nie hat jemand etwas gefunden, womit
man das Problem lösen könnte.
Timothée Chalamet spielt den Gats-
by: Er liebt altmodische Kleidung,
klassische Hollywoodfilme und
Gershwin, und er hat auch in seinen
Bewegungen und seiner Sprechweise
viel von damals übernommen.
Ja. Ich hatte schon immer eine etwas
nostalgische Ader, ich mochte die Musik
von damals, das Kartenspielen, New
York im Regen. Dinge, die meine heuti-
gen Zeitgenossen nicht interessierten.
In der Schule kümmerte sich keiner der
anderen Kinder um jemanden wie Char-
lie Parker, die mochten nur Musiker ih-
rer Zeit. Ich hatte wenige Freunde, aber
mit den wenigen konnte ich meine Inte-
ressen teilen.
Haben Sie wie die Figur im Film je-
mals im Poker gewonnen?
Aber ja. Ich habe viele Jahre lang Poker
gespielt und oft gewonnen, weil ich das
Spiel ernst nahm. Doch das hat seinen
Preis: Alle anderen spielten zum Ver-
gnügen, sie tranken und erzählten sich
Witze. Ich war wie besessen vom Ge-
winnen, habe mich aber nicht dabei
amüsiert. Für mich war das keine sozia-
le Angelegenheit, sondern eine ge-
schäftliche. Ein befreundeter Produ-
zent hat mir mal gesagt: „Pokerspielen
ist verlorene Zeit.“ Gott, er hat recht,
dachte ich. Und habe nie wieder gepo-
kert.
Die weibliche Hauptperson, Elle Fan-
ning, ist ein Mädchen voller Illusio-
nen. Und Sie? Wie desillusioniert sind
Sie?
Ich habe schon mit acht Jahren begrif-
fen, dass das Leben furchterregend,
schwierig und anstrengend ist. Das hat
sich im Verlauf meines Lebens bestä-
tigt. Aber ich habe es zumindest vermei-
den können, von einer Drohne getrof-
fen zu werden. Ich hatte immer eine gu-
te Gesundheit, Eltern, die lange gelebt
haben, eine liebevolle Frau, eine Fami-
lie, eine Schwester, der ich sehr nahe
bin. Aber wenn ich mich umschaue, se-
he ich viele Menschen, die ein schreck-
liches Leben haben.
Sehen Sie sich immer noch selbst
nach Geschichten für Ihre Filme um?
Immer. Die Geschichte des Bruders, der
seine Verlobte nicht mehr heiraten
wollte, weil ihm ihr Lachen nicht gefiel,
das ist tatsächlich einer Person, die ich
kenne, passiert. Und ich bin mir sicher,
dass ihr Lachen in Wirklichkeit nicht so
schrecklich war wie das im Film.
New York steht im Mittelpunkt des
Films, wie der Regen und die Sonne.
Die Schauplätze und die Personen in
Ihren Filmen sind immer miteinander
verbunden.
Ich bin ein Fan von Großstädten, sie
sind immer wie Figuren in meinen Fil-
Was haben Sie beim Aufschreiben
selbst entdeckt?
Dass ich kein sehr aufregendes oder dy-
namisches Leben geführt habe. Das Le-
ben der Mittelklasse. Morgens aufwa-
chen, ein bisschen Bewegung, Früh-
stück, Arbeit, Klarinette spielen, Spa-
ziergang, Freunde. Ich habe kein Schiff,
kein Flugzeug, kein Haus auf dem Land
oder am Meer. Ich führe das Leben ei-
nes Geschäftsmannes oder eines Bä-
ckers.
Donald Trump hat kürzlich die Loya-
lität der jüdischen demokratischen
Senatoren angezweifelt. In Europa
und auch in Ihrem Land wachsen An-
tisemitismus und Faschismus.
Der Aufstieg der Rechten ist immer et-
was Negatives, zu jeder Zeit. Freud hat
gesagt, dass es immer Antisemitismus
geben wird, weil die menschliche Rasse
reaktionär ist. Das stimmt: Die Men-
schen haben eine derartige Angst vor
dem Leben, dass sie zu sehr schlechten
Dingen neigen, und es ist leicht, dem
Antisemitismus zu verfallen. Er ist im-
mer da und wird das wahrscheinlich
auch immer sein. Und wenn es nicht
die Juden sind, dann sind es die
Schwarzen oder die Einwanderer. Es
gibt immer irgendwelche anderen Leu-
te, die man beschuldigen und verletzen
kann. Der Aufstieg der Rechten ist
wirklich schlimm in Europa und genau-
so schlimm in den USA: Ich könnte
mich irren, aber ich denke, ich befinde
mich im „Garten der Finzi Contini“.
Dem großen Film von Vittorio De Si-
ca von 1970 über den Aufstieg des An-
tisemitismus im faschistischen Ita-
lien.
In den USA hofft man, dass bei den
kommenden Wahlen die Demokraten
siegen werden, und auf eine daraus re-
sultierende Wirkung auf den Rest der
Welt. Aber vielleicht liege ich auch da-
mit falsch, was allerdings entsetzlich
wäre. Die extreme Rechte ruiniert die
Zivilgesellschaft, sie hat noch nie ir-
gendetwas Nützliches für die Mensch-
heit erreicht.
Wie wichtig ist eigentlich Comedy
heutzutage?
Es gibt in den Vereinigten Staaten wun-
dervolle politische Komödianten. Die
AAAktualität ist die große Stärke des Fern-ktualität ist die große Stärke des Fern-
sehens: Kaum treffen die Nachrichten
ein, reagieren die Komiker auch schon
darauf, noch am selben Abend. Sobald
der Präsident etwas tut oder im Kon-
gress etwas geschieht, werden wir mit
Millionen guter Witze überschüttet. Ich
selbst bin kein politischer Komiker. Poli-
tik wird im Kino sowieso durch den lan-
gen Prozess, den man für das Drehen des
Films braucht, schnell wieder überholt.
Auch in Ihrem nächsten Film, „Rif-
kin’s Festival“, geht es wieder um Ge-
fühle.
Ich habe ihn gerade erst fertiggestellt. Er
spielt während des Festivals von San Se-
bastián und erzählt von einem amerika-
nischen Paar, das dorthin fährt, weil die
Ehefrau die Presseangelegenheiten eini-
ger Personen leitet. Es war eine schöne
Erfahrung, mit fabelhaften spanischen,
amerikanischen und französischen
Schauspielern. In einer Woche werde ich
in New York mit dem Schnitt beginnen,
ich schneide ihn in Stücke und setze ihn
dann wieder zusammen. Im Moment bin
ich glücklich damit, aber danach werde
ich ihn, wie immer, mit dem kritischen
AAAuge des Realismus betrachten.uge des Realismus betrachten.
Sie haben beide Filme mit dem italie-
nischen Kameramann Vittorio Stora-
ro gedreht, der dre Oscars gewonnen
hat, unter anderem für „Apocalypse
Now“.
Ich liebe ihn. Die Beziehung zwischen
dem Regisseur und dem Kameramann
ist das Wichtigste im Film. Storaro ist
ein Genie, voller Ideen.
Was haben Sie beim Drehen Ihrer
sechsteiligen Amazon-Fernsehserie
„Krise“ gelernt?
Dass das etwas war, was mich nicht
sonderlich interessiert hat. Ich konnte
das nicht wirklich. Vielleicht würde ich
mich anders fühlen, wenn ich es noch
einmal versuchen würde. Ich bin seit
vielen Jahren daran gewöhnt, einen
Film zu machen, und wenn der heraus-
kommt, dann sehen ihn die Leute oder
auch nicht. Das hier war in Kapitel auf-
geteilt und zum Streamen gedacht. Ich
fffühle mich nicht wirklich wohl dabei.ühle mich nicht wirklich wohl dabei.
Vielleicht werde ich es eines Tages
noch einmal versuchen, diesmal habe
ich mein Bestes gegeben, aber ohne
wirklich mit dem Herzen dabei zu sein.
„„„Wenigstens Wenigstens
hat mich keine
DROHNE
getroffen“
Eine Weile sah es so aus, als sei
Woody Allen erledigt. Doch nun kommt sein
von Amazon weggeschlossener Film heraus,
und der nächste ist schon abgedreht.
Ein Gespräch mit einem glücklichen Menschen
PICTURE ALLIANCE/ASSOCIATED PRES
/AP CONTENT
Elle Fanning und Timothée Chalamet in „A Rainy Day in New York“
©
2019 GRAVIER PRODUCTIONS/ JESSICA MIGLIO
/JESSICA MIGLIO
22
28.08.19 Mittwoch, 28. August 2019DWBE-HP
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Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:
DWBE-HP
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28.08.1928.08.1928.08.19/1/1/1/1/Kul2/Kul2AFREYE 5% 25% 50% 75% 95%
22 FEUILLETON *DIE WELT MITTWOCH,28.AUGUST2019
In Kooperation mit
„La Repubblica“.
Übersetzt aus dem Italienischen
von Bettina Schneider
men. Barcelona, Rom, Paris, New York.
Dabei sind meine Schilderungen von
ihnen nicht unbedingt realistisch, son-
dern so, wie ich sie empfinde. Das New
YYYork von Scorsese oder Spike Lee istork von Scorsese oder Spike Lee ist
ganz anders, viel realistischer und soli-
der. Meines wird vorher im Geiste auf
idealistische Weise gefiltert, das gilt für
jede Stadt, in der ich gedreht habe. Für
mich haben diese Metropolen etwas
sehr Wichtiges, vielleicht weil ich in ih-
nen den Gipfel der Kultur sehe, mit ih-
ren Theatern, den Musikgeschäften
und Buchläden. Wir sind vor zwei Ta-
gen hierher nach Paris gekommen, mei-
ne Frau wollte in ein Museum gehen,
aber mir gefällt es, einfach durch die
Straßen zu wandern, mir gefällt das
bunte Treiben der Stadt, der Rummel.
Es gefällt mir, den Leuten zuzusehen.
Ich weiß nicht warum, aber so ist es.
„A Rainy Day In New York“ ist ein
Film über die Suche nach der eigenen
Identität. Wann haben Sie die Ihre ge-
funden?
Als ich auf der Highschool war: All mei-
ne Freunde mussten die große Ent-
scheidung treffen, was sie schließlich
am College studieren sollten. Sie wur-
den dann Ärzte oder Rechtsanwälte,
Professoren, Wissenschaftler oder Ar-
chitekten. Ich hatte entdeckt, dass ich
viel Sinn für Humor hatte und die Leu-
te zum Lachen bringen konnte. Mir
wurde klar, dass darin meine Identität
lag. Ich verkaufte schon als Jugendli-
cher, was ich da so produzierte. Ich
wusste, dass ich den Rest meines Le-
bens Komödien machen würde. Ich ha-
be für das Fernsehen geschrieben, für
das Radio, das Kabarett und schließlich
fffür das Kino.ür das Kino.
Warum ist es für Sie so wichtig, wei-
terhin Filme zu drehen?
Weil es mich davon ablenkt, daran zu
denken, dass ich schon 83 Jahre alt bin.
Ich könnte hier am Tisch tot umfallen,
und es würde Sie nicht überraschen.
„Was erwarten Sie, er ist 83!“ Ich arbeite
weiter, weil ich mich so auf die Details
eines Projektes konzentrieren kann,
auch wenn sie noch so banal sind. Auf
die Charaktere, die Fotografie, die Dar-
steller. Es stirbt niemand, wenn ich
mich dabei irre, es spielt keine große
Rolle. Aber wenn ich für mich zu viel
Zeit zur Verfügung habe, dann spielt das
eine Rolle. Es gibt Sport und Literatur,
aber dann fängt man doch an nachzu-
denken. Die Bilder des Lebens sind
traurig, unangenehm. Also vergrabe ich
mich in der Arbeit.
Wird Ihre Autobiografie veröffent-
licht?
Ja, ich gehe davon aus, dass sie im kom-
menden Jahr herauskommt, hoffentlich
früher, als die Leute glauben.
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