Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1
Fragen des Führungsstils und über die Rolle der
Stuttgarter Sportwagentochter Porsche gegeben.
Nach seinem Ausscheiden in Wolfsburg sei der
Kontakt zwischen Piëch und ihm nie abgerissen.
„Deshalb gibt es keinen Grund, etwas Negatives
über Ferdinand Piëch zu sagen“, betont Pischets-
rieder. Der VW-Teilhaber sei zwar kein einfacher
Vorgesetzter gewesen, die klare und direkte Linie
habe er aber „immer geschätzt an ihm“.
Winfried Vahland, der frühere Vorstandschef der
tschechischen VW-Tochter Skoda, äußert sich
ebenfalls durch und durch positiv über den ver-
storbenen Automanager. Er vergleicht Piëch sogar
mit automobilen Größen wie Henry Ford und eben
dessen Großvater Ferdinand Porsche. „Piëch ge-
hört zu den größten Automanagern aller Zeiten,
auch als Ingenieur und als Erfinder“, sagt er. Piëch
habe in die Industriegeschichte eingehen wollen –
und dies auch erreicht.
Ein früheres VW-Vorstandsmitglied hebt zwar
ebenfalls die positiven Seiten hervor. So habe Piëch
mit seinen hohen Qualitätsansprüchen die gesamte
Automobilbranche vorangetrieben. Gleichwohl ha-
be er „keine Freunde“ gehabt und im persönlichen
Umgang „autistisches Verhalten“ gezeigt. Auch von
anerkannten Kollegen aus dem eigenen Umfeld ha-
be er sich abgewendet, wenn Piëch dafür die Not-
wenigkeit gesehen habe. Auffällig sei gewesen, dass
sich Piëch als gewiefter Machtmensch gegeben ha-
be. „Für einen Ingenieur ist das erstaunlich“, er-
klärt der frühere VW-Vorstand.
Das Leben des Ferdinand Piëch wird von diesen
beiden Seiten bestimmt: von der Sonnenseite des
technischen Genies, das auf Dinge kommt, die an-
deren verschlossen bleiben – und von der dunklen
Seite, die Empathie für Mitmenschen ausschließt,
die immer nur in einem System von oben und un-
ten, von „perfekt“ und „minderwertig“ denken
lässt. Eine Lichtgestalt also in Fragen
des Motors, eine Schattenfigur in Fra-
gen der Moral.
Piëch handelte ganz nach dem al-
ten Flick-Motto: „Ich möchte inner-
halb eines Jahres schwarze Zahlen
sehen – oder neue Gesichter.“ Sein
Harmoniebedürfnis sei begrenzt, ana-
lysierte er einmal, er sei eben „nicht
leicht verträglich“.
Die Härte, die er sich selbst aufer-
legte, zeigte er auch im Umgang mit
anderen. Früh hatte sich Piëch weit
entfernt gefühlt von den weichen,
kunstsinnigen Mitgliedern des Por-
sche-Clans, die oft die Waldorf-Schule
besuchten. Er aber, der Sohn der ehr-
geizigen Louise Piëch , die über den
VW-Vertrieb in Österreich bestimmte
und so exklusiv Ruhm und Reichtum
anhäufte, musste allein den Weg zur
Selbstverwirklichung finden, wobei er
den Zustand des wirklichen Glücks
vermutlich nie gefunden hat. Die har-
te Zeit im Internat im schweizerischen
Zuoz erinnerte der Legastheniker mit
einem drastischen Spruch: „Ich bin
als Hausschwein aufgewachsen und
musste als Wildschwein leben.“
Klar, dass in dieses Schema einer
wie José Ignacio López ganz wunder-
bar passte, der mit ihm das Projekt
der Gesundung von Volkswagen an-
ging. Der frühere Topmanager von
Opel brachte Mitstreiter und Doku-
mentenkisten mit und verteilte eine
Fibel: „Feeding the Warrior Spirit“. Da
war er in Wolfsburg an der richtigen Adresse, und
der juristische Streit mit der damaligen Opel-Mut-
ter General Motors wurde elegant per Vergleich ge-
regelt.
Am Ende zählte ja auch: plus 72 Prozent beim
Absatz auf 5,084 Millionen Fahrzeuge, plus 126 Pro-
zent beim Umsatz, Belegschaft plus 28 Prozent auf

326 000 Mitarbeiter und fast drei Milliarden Euro
Gewinn nach 992 Millionen Verlust. So rekapitu-
lierte Piëch in seinem Buch „Auto.Biographie“ sei-
ne Jahre als CEO von Volkswagen. Das war die
„Salzburg-Kurve“. Seine Kurve, die eines klarma-
chen sollte: Der Enkel Ferdinand war so gut wie
sein Großvater Ferdinand. Ein Piëch hatte es ge-
schafft, so gut wie Porsche zu sein.
Seinen letzten öffentlichen Auftritt
hatte der langjährige Patron von VW
im Hintergrund. Auf dem Podium der
Hauptversammlung in der Stuttgarter
Porsche-Arena verzog er im Mai 2017
keine Miene. Es war sein letzter Be-
such auf der Aktionärsversammlung
der Porsche SE. Während sein Bruder
Hans-Michel und sein Cousin Wolf-
gang Porsche sich den Fotografen
stellten, blieb der Krieger von einst
auf seinem Platz in der hinteren Bank-
reihe. In der Sitzung hinter verschlos-
senen Türen hatte Piëch seinen Lieb-
lingsfeind Wolfgang Porsche weitge-
hend ignoriert, wie ein Mitglied der
Familie anschließend berichtete. Es
war eben unvergessen, wie Piëch zwei
Jahre zuvor rabiat aus dem Aufsichts-
rat von Volkswagen gedrängt worden
war, und das nach zwölf Jahren an
der Spitze der Kontrolleure und nach
neun Jahren zuvor als CEO.
Immer hatte Ferdinand Piëch die
Richtung vorgegeben. Jeder aus der
Familie oder bei VW mag seine Mei-
nung gehabt haben, entscheidend
war aber die Ansicht von „FePi“, wie
er familienintern genannt wurde. Grö-
ßere Einwände oder sogar Wider-
spruch duldete er nicht. Piëch konnte
durchaus eisig in Fragen der Macht-
ausführung sein, ein langjähriger Ver-
trauter spricht sogar von „Menschen-
verachtung“. Nur der Erfolg einigte,
Misserfolg führte auf Dauer zur Tren-
nung.
Das Umfeld war also gut beraten, ihm zu folgen.
Wo er wirkte, war Wachstum, prosperierten die
Unternehmen. Beispiel Porsche 917: Mit dem Fahr-
zeug wollte Piëch vor 50 Jahren, damals Entwickler
im familieneigenen Porsche-Betrieb in Stuttgart,
unbedingt das 24-Stunden-Rennen von Le Mans ge-
winnen, die härteste Prüfung für Mensch und Ma-

schine. Doch die Verantwortlichen bei Porsche
lehnten zunächst ab, erst als Piëch selbst in Le
Mans in den Wagen stieg und eine Runde in Re-
kordzeit absolvierte, gaben sie den Widerstand auf.
Aus solchem Stoff sind Legenden.
Der 917 sei „das Risiko meines Lebens“ gewesen,
befand Piëch, der bei Porsche nach einer der übli-
chen Familienstreitigkeiten gehen musste, sich
dann selbstständig machte und kurz danach 1972
bei Audi anheuerte. Hier avancierte er rasch zum
Entwicklungschef und von 1988 an zum Vorstands-
chef. Die Innovationen des Diplom-Ingenieurs reüs-
sierten: Allradantrieb Quattro, Aluminiumkarosse,
poppiges Image. Um das lädierte Image aufzupolie-
ren, ließ Piëch in einem Werbespot einen Audi die
Skischanze hochfahren. Die VW-Tochter wurde
zum Herausforderer für BMW und Daimler.
Bei seinem Aufstieg setzte Piëch auf strenge Hie-
rarchie. Er ließ sogar eigens einen Aufzug einbau-
en, der exklusiv für ihn zwischen den Stockwerken
der Ingolstädter Audi-Zentrale verkehrte. Schon da-
mals galt: Wer nicht für ihn war, war gegen ihn.
Freund oder Feind? Loyal oder illoyal?
An zwei großen Feinden im Management arbei-
tete sich Piëch ab. Erfolgreich bei Wendelin Wiede-
king, der in den 1990er-Jahren Porsche saniert hat-
te und dann auf die Napoleon-Idee verfiel, in Wolfs-
burg einfallen und den ganzen VW-Konzern
übernehmen zu wollen. Piëch fädelte die Fusion
der beiden Unternehmen ein und rettete so auch
das Vermögen seiner Verwandtschaft. Den Abgang
Wiedekings kündigte er lustvoll mit einem seiner
bedeutungsschweren Halbsätze an, wofür er schon
mal das Wort „Guillotinieren“ benutzte. Auf die
Frage, ob der Porsche-Chef sein Vertrauen genie-
ße, antwortet Piëch: „Zurzeit noch. Streichen Sie
das ‚noch‘!“
Weniger glücklich lief am Ende die Fehde mit
Martin Winterkorn, seinem langjährigen Paladin,
der ihm als CEO von Audi und Volkswagen gefolgt
war. Gegen den „Alten“ aus Salzburg wollte Winter-
korn lange nicht rebellieren. Er wusste, dass der
misstrauische Piëch im VW-Konzern ein Netz von
Vertrauten über die Hierarchiestufen hinweg unter-
hielt. Sie versorgten ihn mit Interna. Als dann vor
sechs Jahren im Umfeld der Internationalen Auto-
mobilmesse Gerüchte über Piëchs Gesundheitszu-
stand aufkamen, vermutete der Patron, sie seien
aus dem Umfeld Winterkorns gestreut worden. Das
Verhältnis war zerrüttet.
Doch Anfang 2015 funktionierte das Guillotinie-
ren mit ein paar Verbalattacken nicht mehr. Piëchs
Satz „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“ fiel auf
ihn selbst zurück. Nach einem Zoff im Gesellschaf-
terkreis legte er sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzen-
der nieder und zog sich zurück. Familie, Land und
Betriebsrat – alle waren plötzlich auf Distanz zu
Ferdinand Piëch.
Winterkorn hielt sich noch ein paar Monate im
Amt, ehe er mit dem Aufkommen von „Dieselgate“
gehen musste. Heute erklärt der Manager: „Die ge-
meinsame Arbeit mit Ferdinand

GTI-Treffen
am Wörthersee:
Ferdinand Piëch mit
Ehefrau Ursula und
Martin Winterkorn.

dpa

Schwieriges
Verhältnis:
Piëch (rechts) mit
seinem Cousin
dpa Wolfgang Porsche.

REUTERS

Piëch auf einem
VW-Aktionärs -
treffen 2012:
Drei Jahre später
verließ er den
Konzern.

argus


Seine


visionäre


Kraft und


seine


Fähigkeiten


als Ingenieur


haben mich


während vieler


Jahre geprägt.


Martin Winterkorn
ehemaliger VW-Chef

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Familienunternehmen des Tages


MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165


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