Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1

Abgasskandal


Was wusste Ferdinand Piëch?


D


er Auftritt von Ferdinand Piëch dürfte
den Staatsanwälten in Braunschweig un-
vergessen sein. Denn der ehemalige Auf-
sichtsratschef des Volkswagen-Konzerns belaste-
te sich dabei vor allem selbst. In seiner Befra-
gung vor etwa drei Jahren berichtete Piëch als
Zeuge von einem Treffen mit dem früheren is-
raelischen Botschafter Avi Primor und Sicher-
heitsberatern im Februar des Jahres 2015, in
dem diese ihm von den Ermittlungen der US-
Umweltbehörden gegen Volkswagen berichtet
hätten. Der Autobauer hatte in Dieselfahrzeugen
eine illegale Software installiert, mit der die
Emissionswerte auf das gesetzlich zulässige US-
Niveau gedrückt wurden.
Das gesetzeswidrige Treiben der VW-Entwick-
ler hatte die US-Behörden zu dieser Zeit zwar
schon anderthalb Jahre beschäftigt, publik
machten sie den Fall aber erst im September


  1. Piëch hatte also nach eigenen Angaben
    schon lange vor dieser Mitteilung von dem Skan-
    dal erfahren, der später als „Dieselgate“ in die
    Geschichte des Volkswagen-Konzerns einge-
    hen wird.
    Bereits im März 2015 am Rande
    des Automobilsalons in Genf
    will der damalige Aufsichts-
    ratsvorsitzende Piëch mit
    VW-Chef Martin Winter-
    korn über die Dieselmani-
    pulationen gesprochen
    haben. Winterkorn habe
    abwiegelnd reagiert, er-
    klärte Piëch ein gutes Jahr
    später den Staatsanwälten.
    Piëchs Zögling Winterkorn
    habe keinen Grund gesehen,
    dem möglichen Verdacht mit
    größerem Elan nachzugehen.
    Der oberste Kontrolleur will es da-
    bei nicht belassen haben, so seine Aussage
    vor der Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Im
    Nachgang des Gesprächs mit Winterkorn hat er
    nach eigener Aussage die wichtigsten Aufsichtsrä-
    te über den Dieselverdacht informiert. Dazu zähl-
    ten außer Niedersachsens Ministerpräsident Ste-
    phan Weil (SPD) auch Betriebsratschef Bernd
    Osterloh, der frühere IG-Metall-Chef Berthold
    Huber und Piëchs Cousin Wolfgang Porsche, die
    damals allesamt im Präsidium des Volkswagen-
    Aufsichtsrats vertreten waren.


Präsidium weist Vorwürfe zurück
Sie alle erklärte Piëch damit zu Mitwissern einer
Affäre, deren Aufarbeitung den Autokonzern bis-
lang rund 30 Milliarden Euro gekostet hat. Hätte
sich Piëchs Behauptung bestätigt, es hätte die
Karrieren der Aufsichtsräte sofort beendet und
„Dieselgate“ auf eine neue Ebene gehoben.
Doch die obersten Volkswagen-Kontrolleure
wiesen die Anschuldigungen des Konzernpatri-

archen mit aller Schärfe zurück. Zu keiner Zeit
habe Ferdinand Piëch sie in seiner Zeit als Auf-
sichtsratschef über die Vorgänge oder die Er-
mittlungen der US-Behörden informiert, erklär-
ten sie, nachdem der Inhalt der Piëch-Aussage
bekannt geworden war. Unterstützung erhielten
die Aufsichtsräte auch von Avi Primor. Piëch
kenne er zwar, aber es habe kein Gespräch mit
ihm über ein solches Thema gegeben, erklärte
der frühere Botschafter schon vor geraumer Zeit
auf Anfrage.
Seine Aussage hat Piëch bis zu seinem Tod am
vergangenen Sonntag nicht zurückgenommen.
Sie steht im Raum, auch wenn die Ermittler ihr
zumindest in diesem Punkt keine größere Bedeu-
tung beigemessen haben. Andernfalls hätten sie
aus dem Zeugen Piëch wahrscheinlich einen Be-
schuldigten Piëch machen und wohl auch ein
Verfahren gegen Osterloh, Weil, Porsche und Hu-
ber einleiten müssen. Denn wenn es tatsächlich
so gewesen wäre, wie Piëch es selbst ausgesagt
hat, dann hätte er sich aus Sicht der Ermittler
wahrscheinlich selbst viel stärker und früher
um die Aufklärung der Dieselmanipula-
tionen kümmern müssen.
Für die vier Aufsichtsräte ist es
bis heute nicht nachvollzieh-
bar, warum Piëch sie einer
Mitwisserschaft beschuldigt
hat. Aus den Kreisen der
vier kommt der Verdacht,
dass er sich womöglich ha-
be rächen wollen. Immer-
hin waren sie es, die ihn im
Frühjahr 2015 aus dem Amt
gedrängt hatten.
Piëch hatte zuvor die späte-
re Ablösung von VW-Chef Win-
terkorn mit der Äußerung befeu-
ert, er sei „auf Distanz zu ihm“ gegan-
gen. Mit diesen Halbsätzen hatte er schon
in früheren Jahren Karrieren von Managern be-
endet. Bei Winterkorn konnte er sich erstmals
nicht durchsetzen, weil sich die vier einflussrei-
chen Aufsichtsräte dagegenstellten. Sie wollten
damals auf jeden Fall an Winterkorn als Vor-
standsvorsitzenden festhalten. Dass er einige Mo-
nate später das Feld wegen der Dieselaffäre räu-
men musste, konnten die Aufsichtsräte zu die-
sem Zeitpunkt nicht ahnen.
Nach einigen Krisengesprächen musste der
„Alte aus Salzburg“ – wie Piëch konzernintern
häufig genannt wurde – selbst seinen Posten räu-
men. Diese Gespräche markierten seinen Ab-
schied aus der Welt von VW.
Zwei Jahre nach seinem Rückzug von der Auf-
sichtsratsspitze veräußerte er dann auch seine
Beteiligung an der Porsche SE. Über diese Hol-
ding hält die Familie Porsche/Piëch die Mehrheit
am weltgrößten Automobilhersteller Volkswagen.
Martin Murphy, Stefan Menzel

Dieselaffäre


30


MILLIARDEN


Euro hat der Volkswagen-Konzern
bislang zur Bewältigung des Diesel-
skandals zurücklegen müssen.

Quelle: Volkswagen


Im offenen Beetle:
Piëch mit VW-
Managern Peter
Hartz (l.) und
Ignacio López.

Agentur Focus


Audi-Vorstand
Ferdinand Piëch:
1982 präsentiert er
stolz die Auszeich-
nung „Goldenes
Lenkrad“.

dpa


Familientreffen:
Piëch (vorne) mit
Cousins aus dem

PR Porsche-Clan.


Andere wichtige Aufsichtsratsmitglieder hat er
nach eigener Aussage damals angeblich über die
heraufziehende Dieselaffäre informiert – was die
Genannten dementierten, darunter auch Wolfgang
Porsche. Der Streit über diese Aussage ließ den
Riss in der Familie noch größer werden. Was auch
erklären dürfte, warum Ferdinand Piëch im Früh-
jahr 2017 begann, mit der Familie über den Verkauf
seiner Porsche-Anteile zu verhandeln.
Das letzte große Kapitel von Ferdinand Piëch im
Volkswagen- und Porsche-Reich hatte begonnen.
Der Verkauf seiner Anteile und der Rückzug aus
dem Porsche-Aufsichtsrat waren die logischen
Schritte einer Entwicklung. Ende 2017 verständigte
sich Ferdinand Piëch dann tatsächlich mit dem
Rest der Familie über den Verkauf seiner Anteile.
Eine knappe Milliarde Euro dürfte er damals damit
eingenommen haben.
Das war der Schlussakkord in der großen auto-
mobilen Karriere des Ferdinand Piëch. Sein Enga-
gement bei Volkswagen und Porsche war schon zu
diesem Zeitpunkt Geschichte.
Ganz zum Schluss hat Ferdinand Piëch der Nach-
welt noch ein neues Faktum vermittelt, und zwar
bezüglich der Frage nach der Zahl seiner Kinder.
Das Privatleben war ohnehin nie ganz persönlich
und privat gewesen, weil es im Clan der Salzburger
immer auch politisch war – firmenpolitisch. So war
es hier ein großes Thema, dass Piëch zwölf Jahre
lang mit der Schwägerin Marlene Porsche eine of-
fene Beziehung gepflegt hatte und zwei Kinder
zeugte. In einer Mitteilung des Familienjuristen
heißt es nun, dass Ferdinand Piëch insgesamt
13 Kinder gehabt habe. Bislang war immer von
zwölf Kindern aus vier Beziehungen die Rede
gewesen.
So hat der Spinxhafte mit der Weltgeltung im Au-
tomobilwesen am Ende ein Kunststück vollbracht:
ein Rätsel zu lösen und zugleich ein neues zu eröff-
nen. Wer ist Kind Nummer 13?

Piëch (rechts)
und Martin
Winterkorn: Zum
früheren Zögling auf
Distanz gegangen.

REUTERS

Familienunternehmen des Tages
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165

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