Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Der Tod lässt sich nicht bannen


„Keine Experimente!“ So lautete das Credo des kon-
servativen Nachkriegskanzlers Konrad Adenauer,
und jenseits der Zeitläufte ist das eine Art Lebens-
motto von Menschen eines bestimmten Typus. „Of-
fenheit für Neues“ nennt sich eine der fünf großen
Achsen der Persönlichkeit (Big Five). An deren einem
Pol stehen Menschen, die beständig aufgeschlossen
sind, ihren Erfahrungshorizont intellektuell und kul-
turell zu erweitern. Am anderen Ende der Skala hin-
gegen finden sich Zeitgenossen, die ihr Leben lieber
im Vertrauten und Wohlbekannten einrichten. Sie
reagieren empfindlich und mit allen psychophysi-
schen Anzeichen von Stress auf jede Störung im Ab-
lauf des Gewohnten. Schließlich ist jede Veränderung
latent gefährlich – und vielleicht sogar tödlich.
Was geschieht nun, wenn Menschen dieses Natu-
rells tatsächlich mit dem Gedanken an den Tod kon-
frontiert werden? Sie ziehen sich dann noch mehr in
die Trutzburg ihrer Persönlichkeit zurück, klammern
sich erst recht am Vertrauten fest, wie Forscher der
University of South Florida nun in zwei Experimenten
beobachtet haben. In der ersten Studie beantworte-
ten 128 Probanden Fragen, bei denen ein ums ande-
re Mal auch der Tod angesprochen wurde, etwa: „Ich
fürchte mich sehr vorm Sterben.“ Bei den Teilneh-
mern, die sehr offen für Neues waren, änderte diese
gedankliche Stippvisite des Todes nichts an ihrer per-
sönlichen Art: Sie blieben ebenso offen wie zuvor.


Wirkung zeigte der Tod jedoch bei den wenig offenen
Teilnehmern: Sie verstärkten darauf hin ihre Vermei-
dungshaltung und wurden noch reservierter gegen-
über jedweder Veränderung.
Diese Abwehrhaltung legten wenig offene Perso-
nen auch in dem zweiten Experiment an den Tag:
162 junge Frauen und Männer wurden abermals per
Fragebogen mit dem Todesgedanken konfrontiert
und hatten anschließend in einem vermeintlichen
Worterkennungstest die Möglichkeit, kontaminier-
te Wörter wie „Tod“, „Beisetzung“ oder „Grab“ mit
einem Joystick buchstäblich wegzuschieben. Proban-
den mit geringer Offenheit für Neues hatten es dabei
auffallend eilig, als könnten sie die Todeswörter gar
nicht schnell genug aus dem Bewusstsein schieben.
Doch offenbar verfing diese Abwehrstrategie nicht,
denn ihr Selbstwertgefühl war nach dem Versuch
gesunken.
Anders die Teilnehmer mit hoher Offenheit für
Neues: Sie schoben die todesassoziierten Begriffe so-
gar langsamer von sich weg als neutrale Vokabeln,
so als habe der Tod sie geradezu neugierig gemacht.
Gedankliche Annäherung statt Vermeidung, das war
offenbar ihre Art, mit der menschlichen Todesfurcht
umzugehen. Und ihr Selbstwertgefühl fiel dabei
nicht, sondern stieg. TSA

DOI: 10.1111/jopy.12474

Keiner wird
gerne an den
Tod erinnert.
Doch je nach
Persönlichkeit
weckt er neben
Furcht auch
Neugier
Free download pdf