Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

WIE ES UM UNSER SEXLEBEN STEHT


Als sich unlängst gut 3000 Sozial- und Persönlichkeitspsychologen im amerikanischen Portland zu einer
Fachkonferenz zusammenfanden, wurde bei einigen Vorträgen ein ganz besonderer Ton angeschlagen.
Die Rede war von Fesselspielen und echten und vorgetäuschten Orgasmen. Dieses Interesse am Expliziten
ist neu in der psychologischen Erforschung unserer Sexualität

Der Höhepunkt der Frau
Bei allem Interesse der Psycho-
logen an gelebter Sexualität



  • auch im Jahr 2019
    kommen die meisten
    Forschungsergebnisse
    als nüchterne Umfra-
    gestatistiken daher.
    So hat man jetzt etwa
    ausgezählt: Mehr als
    zwei Drittel der Män-
    ner, jedoch weniger
    als zehn Prozent der
    Frauen erleben bei
    praktisch jedem sexu-
    ellen Akt einen Orgas-
    mus. Die „Orgasmus-
    kluft“ zwischen den
    Geschlechtern gibt es
    also noch immer. Und
    sie ist nicht ganz unproblematisch. Zwar behaupteten
    88 Prozent aller Frauen, den Beischlaf auch ohne Höhe-
    punkt zu genießen. Doch zugleich gilt: Wer regelmäßig
    kommt, hat auch höhere Chancen, zufrieden mit seinem
    Sexleben zu sein. Eine befriedigende Sexualität wieder-
    um macht uns glücklicher mit unserer Beziehung und
    unserem Leben insgesamt, wie jetzt in einer Metastudie
    belegt wurde. Natürlich: Der Orgasmus ist nicht alles.
    Sex ist nicht alles. Aber beides ist wichtig. Das Bemer-
    kenswerte: Der Höhepunkt der Frauen hat – sozusagen
    als Nebenwirkung – eine deutliche Auswirkung auf die
    sexuelle Zufriedenheit und das Selbstwertgefühl der
    Männer. Einen umgekehrten Effekt suchten die Forscher
    dagegen vergeblich. Die Männer sehnen sich also nach
    dem Höhepunkt der Frauen.


Lustlaute und Selbstwertgefühl
Offenbar wissen Frauen um diese spezielle Sehnsucht
der Männer und wollen sie nicht enttäuschen. In einer
Studie der University of Kansas gaben 67 Prozent der
Frauen (gegenüber 28 Prozent der Männer) an, ihre


Orgasmen gelegentlich vorzutäu-
schen. Unter anderem um dem
Partner ein Gefühl von Un-
zulänglichkeit oder Mit-
telmäßigkeit zu ersparen.
Auch hinter dem Stöh-
nen vieler Frauen ver-
muten die Forscher eine
ähnliche Strategie. Laute
Geräusche seien kein
Hinweis auf guten Sex.
„Die Hauptfunktion der
Lautäußerungen scheint
darin zu bestehen, Män-
ner schneller zum Höhe-
punkt zu bringen“, sagt
Kristen Mark von der
University of Kentucky.
Das kann den Grund
haben, dass die Frau die
Prozedur abkürzen möchte. Doch das Stöhnen kann
eben auch dazu dienen, den Partner in seinem Selbst-
wertgefühl als Liebhaber zu bestärken. Kristen Mark
konzipiert gerade eine Studie, um weitere Ursachen
für die weiblichen Lustlaute zu erkunden. Dafür will
sie – kein Scherz – wegen der bewährten akustischen
Analysemethoden mit einer Expertin für Vogelstimmen
zusammenarbeiten.

Von Eiswürfeln und Augenbinden
Eine weitere Erkenntnis der vergangenen Jahre: Die
Experimentierfreude scheint größer zu sein, als lange
vermutet. So zeigte sich in einer Studie aus Belgien
deutlich mehr als die Hälfte aller Befragten offen für Au-
genbinden, Fesselspiele und den erotischen Gebrauch
von Eiswürfeln. Und in einer ähnlichen Untersuchung
aus den USA behaupteten 43 Prozent der Männer und
37 Prozent der Frauen, mindestens einmal in ihrem Le-
ben Analsex ausprobiert zu haben. Überdies begrüßten
deutlich über 70 Prozent den gelegentlichen Einsatz
von Reizwäsche. JOCHEN METZGER
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