Süddeutsche Zeitung - 31.08.2019

(Tuis.) #1
von nico fried

A


n diesem Sonntag wird Frank-
Walter Steinmeier sehr früh am
Morgen Józef Stępień treffen.
Stępień war ein kleiner Junge,
als er in der Nacht zum 1. Sep-
tember 1939 mit seinen Eltern aus dem
brennenden polnischen Städtchen Wieluń
floh. Auf einem kleinen Handkarren zogen
sie ein paar Kleider und ein Federbett hin-
ter sich her. Auf der Straße, so erinnerte
sich Stępień später, rumpelte der Karren
über eine Leiche. Und ein Stück weiter be-
gegnete die Familie einer verzweifelt wei-
nenden Frau, aus deren aufgerissener
Brust das Blut floß. Die Mutter gab ihr den
Bezug des Federbettes, ehe die Stępieńs
weiter flohen, weil am Himmel schon das
Grollen des nächsten Luftwaffengeschwa-
ders zu hören war.
80 Jahre später ist für Józef Stępień und
andere noch lebende Zeitzeugen ein ge-
meinsames Frühstück mit dem deutschen
Staatsoberhaupt geplant. Frank-Walter
Steinmeier wird in Wieluń gemeinsam mit
dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda
des deutschen Angriffs auf Polen vor
80Jahren gedenken. Die Stadt mit heute et-
was mehr als 20 000 Einwohnern, rund


hundert Kilometer südwestlich von Łódź
gelegen, war das erste Ziel, das die Deut-
schen damals angriffen. Hier begann etwa
um 4.37 Uhr der Zweite Weltkrieg, zehn Mi-
nuten bevor dieSMS Schleswig-Holstein
im Hafen von Danzig die Westerplatte be-
schoss.
Am Sonntagmittag findet dann die offi-
zielle Gedenkfeier der polnischen Regie-
rung in Warschau statt, zu der neben zahl-
reichen Staats- und Regierungschefs vor al-
lem aus Osteuropa auch Steinmeier einge-
laden ist und zu der sich vor einigen Wo-
chen plötzlich auch noch Donald Trump
als Redner angesagt hatte. Nun kommt al-
lerdings Vizepräsident Mike Pence. Solche
Reisen in die deutsche Geschichte gehören
zu den schwierigsten Aufgaben eines Bun-
despräsidenten. Aber ein möglicher Auf-
tritt des US-Präsidenten, bei dem das Be-
wusstsein für die Würde eines Augen-
blicks nicht unbedingt vorausgesetzt wer-
den kann, hatte im Schloss Bellevue bis hin-
ein ins Amtszimmer Steinmeiers zwischen-
zeitlich einige zusätzliche Sorgenfalten auf
manche Stirn geworfen.
Der Besuch in Wieluń ist gewisserma-
ßen der ausschließlich deutsch-polnische
Teil der Erinnerung. Allein die Tatsache,
dass die Anwesenheit des Bundespräsiden-
ten erwünscht ist, kann kaum hoch genug
eingeschätzt werden. Der Historiker Peter
Oliver Loew vom Deutschen Polen-Institut
in Darmstadt beschrieb im Deutschland-
funk, welches Ausmaß das Ereignis hatte,
dessen hier gedacht wird: „Das war von An-
fang an ein vorgesehener Zerstörungs-
krieg, der mit einer Versklavung und teil-
weisen Vernichtung der Bevölkerung in Po-
len einherging – der Juden natürlich in ers-


ter Linie, aber auch der nichtjüdischen Po-
len.“ Steinmeier hatte seinem Kollegen Du-
da eine Zeremonie in Wieluń während ei-
nes Polen-Besuchs im Juni 2018 erstmals
vorgeschlagen, Duda hatte die Idee aufge-
griffen. Nun besuchen die beiden Präsiden-
ten dort auch ein neues Museum, das über
die Ereignisse vor 80 Jahren berichtet und
am 1. September eröffnet wird. Steinmeier
hat es zu einer Art Programm gemacht, in
der Erinnerung an die deutschen Verbre-
chen auch Orte zu besuchen, die im allge-
meinen Bewusstsein wenig präsent sind,
„weiße Flecken des Gedenkens“, wie das
im Bundespräsidialamt beschrieben wird.
Damit verfolge der Bundespräsident auch
das Ziel, einer lähmenden Ritualisierung
des Gedenkens – gleicher Ort, gleicher
Kranz, gleiche Worte – vorzubeugen.

So gedachte Steinmeier im August 2017
zusammen mit seiner Frau Elke Büdenben-
der in der litauischen Gedenkstätte Paneri-
ai der etwa 120 000 Menschen, die wäh-
rend der deutschen Besatzungszeit zwi-
schen 1941 und 1944 ermordet wurden. Im
Juni 2018 weihte er in Weißrussland die Ge-
denkstätte Maly Trostenez ein. Hier hatten
die Nationalsozialisten Zehntausende Ju-
den, Widerstandskämpfer, Kriegsgefange-
ne und Zivilisten getötet. In Griechenland
besuchte er im Oktober 2018 das Lager
Chaidari nahe Athen, in dem bis zu 25000
Menschen interniert worden waren. Und
erst am Sonntag war Steinmeier Gast im
italienischen Dorf Fivizzano, wo die SS vor
75 Jahren 400 Bewohner getötet hatte.
Nun ist Steinmeier der erste Bundesprä-
sident in Wieluń, jenem Ort, in dem deut-

sche Soldaten gleich ein Krankenhaus bom-
bardierten und bis zum frühen Nachmit-
tag 1200 Zivilisten töteten. Befehlshaber
für die Piloten der 87 eingesetzten Sturz-
kampfbomber war Wolfram von Richtho-
fen, der im April 1937 bereits als Stabschef
der Legion Condor im spanischen Bürger-
krieg an der Zerstörung der baskischen
Stadt Guernica beteiligt gewesen war.
Über die Zerstörungskraft der Brandbom-
ben notierte Richthofen in seinem Tage-
buch: „Bombenlöcher auf Straßen noch zu
sehen, einfach toll.“ Auch den Angriff auf
Wieluń, einen Ort ohne jede strategische
Bedeutung, betrachtete er offenbar als ei-
ne Art Test für die Schlagkraft der Luftwaf-
fe. In Wahrheit war es schon in den ersten
Minuten das erste Kriegsverbrechen der
Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg.

Am Mittag in Warschau werden Duda
und Steinmeier auf dem geschichtsträchti-
gen Piłsudski-Platz der Gedenkzeremonie
beiwohnen. Schon bei seinem Antrittsbe-
such im Mai 2017 hatte der Bundespräsi-
dent hier am Grabmal für den unbekann-
ten Soldaten einen Kranz niedergelegt. So
wird es auch diesmal sein, begleitet vom
Läuten der Glocken aller Warschauer Kir-
chen. Zuerst spricht Duda, anschließend
Steinmeier, danach Pence. Am Freitag ließ
dann die Bundesregierung wissen, dass
auch Kanzlerin Angela Merkel auf „aus-
drücklichen Wunsch der polnischen Seite“
an der Gedenkfeier teilnehmen wird – die
überraschende Ankündigung kam nur we-
nige Stunden nach der Absage Trumps.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Vize-
präsident der Vereinigten Staaten von Ame-

rika dem Nato-Partner Polen weitere mili-
tärische Unterstützung ankündigen wird.
Abzuwarten bleibt, ob er in diesem Zusam-
menhang und im Auftrag seines Chefs
auch Spitzen gegen Deutschland setzt, das
von Donald Trump wiederholt wegen aus
seiner Sicht zu niedriger Beiträge für die ge-
meinsame Verteidigung kritisiert worden
ist. Selbst einen Kommentar zum heiklen
Streit zwischen Polen und Deutschen über
Reparationszahlungen hielt man im Belle-
vue für möglich. „Wir wissen nicht, was der
Vizepräsident sagen wird“, heißt es gleich-
wohl im Amt, „wir haben aber auch keine
Angst davor.“ Man rechne damit, „dass der
Anlass für Würde sorgt und ein Abschwei-
fen in tagespolitische Fragen“ verhindere.
Neben Präsidenten und Regierungs-
chefs aus vielen osteuropäischen Ländern,

dem französischen Premier, der General-
gouverneurin aus Kanada und einem Ent-
sandten der britischen Regierung wird ein
Staat indes nicht vertreten sein: Russland.
Die Regierung in Warschau hat alle Nato-
Partner eingeladen, selbst Island, sowie
die Staaten, die zur östlichen Partner-
schaft der EU gehören. So wird auch der
neue ukrainische Präsident Wolodimir Se-
lenskij nach Warschau kommen. Nach Mos-
kau aber erging keine Einladung.
Auf deutscher Seite will man das nicht
kommentieren. Dies sei allein eine Ent-
scheidung der polnischen Seite, heißt es
im Bundespräsidialamt. Man sei dankbar,
dass Steinmeier eingeladen worden sei.
Dass er in Wieluń und in Warschau aus An-
lass des deutschen Überfalls auf Polen spre-
che, demonstriere zudem, wie weit – bei al-
len aktuellen Problemen – die Beziehun-
gen zwischen Polen und Deutschen in der
Zwischenzeit gediehen seien. „Dass es zwi-
schen Russland und Polen nicht so weit ge-
kommen ist, kann man bedauern, aber es
unterstreicht den Wert unserer Freund-
schaft“, heißt es im Bellevue.
Um 17 Uhr am Sonntag erwartet der pol-
nische Präsident seine Gäste zu einem
Abendessen im alten Warschauer Königs-
schloss. Etwa zur Zeit des Desserts könnte
Steinmeier dabei noch in die Verlegenheit
kommen, ausgerechnet an diesem histo-
risch so beladenen Tag seinen Kollegen
das eine oder andere Spezifikum der Ergeb-
nisse bei den Landtagswahlen in Sachsen
und Brandenburg erklären zu müssen.

In Schloss Bellevue
sind nun ein paar Sorgenfalten
weniger zu sehen

Erst Dänemark, nun Polen: Donald
Trump hat auch den zweiten Teil sei-
ner geplanten zweiten Europa-Reise
innerhalb einer Woche abgesagt. Ein
Schelm, wer da mehr als puren Zufall
entdecken mag. Es wird aber nicht
ganz falsch sein, wenn man annimmt,
dass dem US-Präsidenten der im Atlan-
tik dräuende Wirbelsturm ein nicht un-
willkommener Anlass für die Stornie-
rung ist. Die Lage in Florida, zumal die
seiner Immobilien dort, etwa das Ho-
telresort Mar-a-Lago, dürfte ihm alle-
mal näherliegen als der alte Konti-
nent. Zumal der HurrikanDoriantat-
sächlich das Zeug hat, sich zu einem
„Monster“ zu entwickeln, wie Trump
den bedrohlichen Sturm in einer Video-
botschaft nannte. Die polnische Regie-
rung indes wird die Absage alles ande-
re als freuen. Auch ihr geht es um eine
Bedrohung, indes eher strategischer
Natur. Da wäre der Besuch des Präsi-
denten eine willkommene Botschaft
Richtung Osten gewesen. RKL

Wenn Arkadiusz Mularczyk zur Pressekon-
ferenzlädt, wissen Polens Medien, wor-
über sie berichten werden: über Millionen
Tote, über die Zerstörung polnischer Städ-
te und Dörfer, über die Ausplünderung
der Wirtschaft des Landes und den Raub
seiner Kulturgüter durch die Deutschen
im Zweiten Weltkrieg. Seitdem Jarosław
Kaczyński, der Vorsitzende der rechten
PiS-Partei und graue Eminenz der Regie-
rung, das Thema im Juli 2017 aufgriff, lei-
tet Mularczyk im Parlament eine Arbeits-
gruppe zur Bewertung der Kriegsschäden.
Schließlich, so verkündete Kaczyński
damals, bereite sich die polnische Regie-
rung auf eine „historische Gegenoffensi-
ve“ vor: Reparationsforderungen an
Deutschland in Milliardenhöhe. Denn es
gebe „keinerlei rechtliche Grundlagen,
aufgrund derer die Deutschen uns Repara-
tionen verweigern könnten“. Seitdem sind
Reparationen regelmäßig Thema. Außen-
minister Jacek Czaputowicz spricht da-
von, Ministerpräsident Mateusz Morawie-
cki tut es, im meinungsmachenden Staats-
fernsehen TVP wird darüber berichtet.
Sonst aber ist von der historischen Ge-
genoffensive bis heute nichts zu sehen.
Erst am 4. Mai 2019 beendete die Parla-
mentariergruppe nach etlichen Verzöge-
rungen ihre Arbeit am Kriegsschäden-Re-
port. Mularczyk zufolge ging der Bericht
an Präsident Andrzej Duda, Regierungs-
chef Morawiecki und an Kaczyński. Über
die Veröffentlichung werde politisch ent-
schieden. Diese Entscheidung steht bis
heute aus. Und bis heute hat Warschau Re-
parationsforderungen nie offiziell auf die
Tagesordnung gesetzt: weder bei Treffen
der Außenminister noch bei Gesprächen


von Regierungschef Morawiecki mit Bun-
deskanzlerin Angela Merkel, nicht bei
Treffen Kaczyńskis mit ihr und auch nicht
bei den gemeinsamen Kabinettssitzun-
gen, die im jährlichen Wechsel in War-
schau oder Berlin stattfinden.
Dafür gibt es Gründe: Polens damaliger
Regierungschef Marek Belka bekräftigte
am 27. September 2004, der Verzicht der
polnischen Regierung von 1953 auf Repa-
rationen sei gültig. Es gebe „weder aus
rechtlicher noch politischer Sicht“ Grund-
lagen für Reparationsansprüche – übri-
gens auch nicht für aus Polen nach Kriegs-
ende vertriebene Deutsche. Am 8. August
2017 bekräftigte Vizeaußenminister Ma-
rek Magierowski offiziell: „Die Haltung
der polnischen Regierung hat sich seit
2004 nicht geändert.“

Derlei Stellungnahmen und polnische
Verzichtserklärungen spielen für die auf
Geheiß Kaczyńskis gebildete Parlamenta-
rierkommission bezeichnenderweise kei-
ne Rolle: Mit Themen wie Kriegsschäden,
Reparationen und anderen antideutschen
Ressentiments versuchten Morawiecki
und Kaczyński sich den Wählern als Wah-
rer polnischer Interessen zu verkaufen –
erst vor der Europawahl im vergangenen
Mai, nun vor der Parlamentswahl am
13.Oktober. „Doch in Wirklichkeit unter-
nehmen sie nichts in dieser Sache“, analy-
sierte die polnische Ausgabe des Maga-
zinsNewsweek. Einer Umfrage vom März
zufolge unterstützen 46 Prozent der Polen
Reparationsforderungen, 40 Prozent sind
dagegen, 14 Prozent unentschieden.
Das Reparationsthema dient auch als
Ablenkungsmanöver in Zeiten, in denen
die Europäische Kommission gegen Polen
vorgeht und der Gerichtshof der EU begon-
nen hat, polnische Gesetze zur Justiz für
rechtswidrig zu erklären. Parlamentarier
Mularczyk trommelt nicht nur in War-
schau, sondern auch in der Parlamentari-
schen Versammlung des Europarates und
im Europäischen Parlament für das The-
ma Reparationen.
PiS-Fraktionskollege Janusz Szewczak
konterte Kritik an mangelnder Rechts-
staatlichkeit durch die EU Anfang April
mit einer Berechnung der Kriegsschäden.
„Bevor die Deutschen Polen nicht die auf-
gelaufene Rechnung für den Zweiten Welt-
krieg bezahlt haben, und wir reden von
mindestens 900 Milliarden Dollar, sollten
sie außerordentliche Zurückhaltung wah-
ren, wenn es um Angriffe auf die polnische
Regierung geht.“ florian hassel

In der Geschichte der Kriege ist es oft so ge-
wesen, dass sich die Sieger einfach selbst
entschädigten. Etwa, indem sie Industrie-
anlagen abtransportierten oder indem sie
in die Staatskasse der Besiegten griffen.
Im Fall von Westdeutschland nach 1945
war es anders. Die Industrie-Demontagen
wurden schon bald gestoppt. Stattdessen
schütteten die USA das Füllhorn des Mar-
shallplans aus. Ihren neu entstehenden
Wohlstand teilten die Westdeutschen
dann nur sehr selektiv als Entschädigung
mit den noch lebenden, noch leidenden
Opfern ihrer Kriegsverbrechen und Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit. So se-
lektiv, dass dies noch heute Politik und Völ-
kerrecht beschäftigt.
Konrad Adenauer, der erste Kanzler der
Bundesrepublik, wollte sich gegenüber Is-
rael und den jüdischen Überlebenden des
Holocaust schon früh, 1952, vergleichswei-
se großzügig zeigen. Auch mit den westeu-
ropäischen Nachbarn wurden rasch Ab-
kommen geschlossen. Zwölf von ihnen er-
hielten insgesamt eine knappe Milliarde
D-Mark, der größte Anteil von 400 Millio-
nen ging an Frankreich. An die Staaten im
Ostblock hingegen, die oft so viel schlim-
mer gelitten hatten, floss keine einzige
Mark, auch nicht nach Polen. Das hätte
der Ratio des Kalten Krieges widerspro-
chen. Es gab und gibt keine rechtliche Legi-
timation für diese Ungleichbehandlung,
sagt der in Hamburg lehrende Völkerrecht-
ler Stefan Oeter: „Nur Politik.“
Allerdings: Die Regierungen im Osten,
die nichts abbekamen, akzeptierten dies.
Der polnische Ministerrat erklärte 1953
ebenso wie die UdSSR den Verzicht auf
weitere deutsche Kriegsreparationen,

1970 bestätigte Polens Vizeaußenminister
Józef Winiewicz dies noch einmal. Darauf
beruft sich die Bundesregierung heute.
Wehe dem, der einmal auf sein Recht ver-
zichtet hat. Das gilt dann; darauf dürfen
andere vertrauen. So lautet einer der
Grundsätze des Völkerrechts, und dabei
gilt es nach herrschender Lesart sogar als
unerheblich, ob ein Staat freiwillig oder
nur unter (zum Beispiel kolonialem oder
sowjetischem) Zwang verzichtet hat.
Andere Staaten wie etwa Griechenland
haben, anders als Polen, nie ausdrücklich
einen Verzicht erklärt. Griechenland, des-
sen Premier gerade erst bei einem Berlin-
Besuch an noch offene Reparationsforde-
rungen erinnert hat, erklärte in der Nach-
kriegszeit auch nie, dass mit bisher geleis-
teten deutschen Zahlungen alle Schuld ab-
gegolten sei. Trotzdem geht Berlin heute
von einem Verzicht aus: stillschweigend.
Denn nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag,
dieser „abschließenden Regelung in Be-
zug auf Deutschland“ von 1990, mit der
die einstigen Alliierten die Deutschen von
weiteren Zahlungen freisprachen, sei aus
Griechenland, Italien oder Polen nie ein
Protest gekommen.
Mehr als zwanzig Jahre lang schwiegen
diese Länder, so argumentiert die Bundes-
regierung. Darauf dürfe man nun vertrau-
en. Dieses Argument ist völkerrechtlich
nicht „zwingend“, hat gerade ein Gutach-
ten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Bundestages eingewandt, „weil völker-
rechtlich ungeklärt ist, wann von einer Si-
tuation auszugehen wäre, in der von Grie-
chenland eine ausdrückliche Reaktion“
auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag „hätte er-
wartet werden dürfen“. Für Griechenland

hieße dies, dass für Forderungen durch-
aus Raum bleibt. Für Polen aber nicht.
Ist das gerecht? Das ist eine andere Fra-
ge. Im bislang letzten Urteil des Internatio-
nalen Gerichtshofs in Den Haag zu deut-
schen Reparationen wiesen die Richter
2012 zwar Ansprüche aus Italien zurück.
Sie fügten aber eine bemerkenswerte klei-
ne Passage an. Ein sogenanntesObiter dic-
tum, eine Art Randnotiz, zu der sie rein
rechtlich nicht veranlasst waren, die ih-
nen aber offenbar ein Anliegen war. Dort
heißt es: So wie die Bundesrepublik noch
sehr spät, im Jahr 2000, einen Fonds für
noch lebende NS-Zwangsarbeiter aufge-
setzt habe, so könne eine solche Geste
auch mit Blick auf weitere, bislang ver-
nachlässigte Gruppen von Opfern sinnvoll
sein. Auch wenn man Berlin juristisch
nicht zwingen könne. ronen steinke

2 THEMA DER WOCHE HBG Samstag/Sonntag, 31.August/1. September 2019, Nr. 201 DEFGH


Weiße Flecken der Erinnerung


Reisen in die Vergangenheit gehören zu den schwierigsten Aufgaben eines Bundespräsidenten.
Frank-Walter Steinmeier besucht bewusst Orte, wo selten Deutsche der Verbrechen gedacht haben

Zeichen der Wertschätzung: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – hier 2018 am Denkmal für den Warschauer Aufstand von 1944 – wurde von seinem polni-
schen Kollegen Andrzej Duda ausdrücklich zu den Gedenkfeiern zum Beginn des Zweiten Weltkriegs eingeladen. FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP

Absage


Am Sonntagmorgen, auf den Tag genau 80 Jahre nach Beginn des Angriffs, wird der deutsche Bundespräsident


sich mit Zeitzeugen in Polen treffen – nicht nur für ihn ein Akt von hoher symbolischer Bedeutung


WELTKRIEGSGEDENKEN


„Historische Gegenoffensive“: PiS-Chef
JarosławKaczyński. FOTO: PEMPEL/REUTERS

Berechnende Rechnung


Wie Polens Regierungspartei die Reparationsfrage politisch instrumentalisiert


Gruß aus Den Haag


Warumes für deutsche Reparationszahlungen durchaus noch Gründe gäbe


Rubrikenanzeigen
In dieser Ausgabe auf folgenden Seiten:

Reisemarkt, Verschiedenes
Heiraten/Bekanntschaften
Kunst und Antiquitäten
Bildungsmarkt, Bekanntmachungen,
Geschäftsanzeigen, Verkäufe
Immobilien- und Mietmarkt
Stellenteil
Motormarkt
Veranstaltungen

Seite 11
Seite 21
Seite 23

Seite 35
Seite 45-
Seite 61-
Seite 65-
im Lokalteil

Anzeigenschluss für Samstag:
Stellenanzeigen: Donnerstag, 11 Uhr
Übrige Rubriken: Donnerstag, 16 Uhr B
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