Auf dieser Seite
zeigen wirjede
Woche neue,
unbekannte oder
verschollene
Werke von Künst-
lern, Autoren,
Architekten,
Komponisten,
Regisseuren und
Designern. Sie
sprechen für sich
selbst, wir erzählen
die Geschichte
ihrer Entstehung.
Die deutsche Bildhauerin Gego, die 1938 nach Caracas emigrieren musste und
1994 starb, gehört in Südamerika zu den wichtigsten Künstlern. Wir zeigen Bilder
einer Arbeit, die nach einer Ausstellung in Frankfurt spurlos verschwand
FOTOS: PETER HÖNIG
Der Name Gego hätte einer der großen des
20.Jahrhunderts sein müssen: Die Bildhauerin,
die im Jahr 1912 in Hamburg unter dem Namen
Gertrud Goldschmidt geboren wurde, gilt als ei-
ne der bedeutendsten der Avantgarde. In ihren
filigranen Installationen – den Reticulàres –
verschränken sich Architektur und Bildhaue-
rei. Seit Kuratoren und Kunsthistoriker das
Werk der im Jahr 1994 Verstorbenen nach der
Jahrtausendwende wieder entdeckten, erfor-
schen und ausstellen, ist ihr Rang als eine der
bedeutendsten Künstler Lateinamerikas unbe-
stritten. Gego ist wohl vor allem deswegen eine
der großen Unbekannten geblieben, weil sie ei-
ne Frau war und weil sie – einer jüdischen Fami-
lie entstammend – im Jahr 1938 nach Caracas
ins Exil gegangen war, also in der Peripherie
der Kunstszene arbeitete, nachdem sie zu-
nächst Architektur in Stuttgart studiert hatte.
Diese biografische Fußnote ist der Grund,
warum das Kunstmuseum Stuttgart ein Konvo-
lut der äußerst raren Zeichnungen, Leihgaben
und Objekte von der Fundación Gego, den Nach-
lassverwaltern, als Dauerleihgabe erhielt. Zu-
dem wurden die Kunsthistoriker des Muse-
ums, in dem eine Forschungsstelle eingerichtet
wurde, auf eine verschollene Arbeit hingewie-
sen, die in den Achtzigerjahren in Deutschland
verloren ging: „Reticuláre (Ambientación)“, ei-
ne Installation, die im Rahmen der Ausstellung
„Spielraum – Raumspiele“ in der Alten Oper in
Frankfurt gezeigt wurde. Die hier gezeigten,
noch nie veröffentlichten Aufnahmen zeigen
Gego beim Aufbau im Liszt-Saal.
Das gewaltige Werk aus Stahl und Draht war
in kleine Netze verpackt in elf Kisten aus Süd-
amerika angereist. Aber es sollte nie wieder
nach Caracas zurückkehren: Noch jahrelang
korrespondierte man über den Verbleib des
Werks, dessen Versicherungswert schon da-
mals mit 45000 Mark angegeben wurde und
das angeblich nach dem Abbau in einem Han-
gar gelagert worden war. Trotzdem ist „Reticu-
láres“ – das unter anderem John Cage begeis-
tert hatte – niemals wieder aufgetaucht.
Es stellt sich nun nicht einfach nur die Frage,
wie elf gewaltige Transportkisten einfach verlo-
ren gehen können. Sondern ob sie nicht doch
noch irgendwo sind – in einer dunklen Ecke –,
wie es in einem Schreiben von Nikolai Petersen,
dem Direktor des Goethe-Instituts Venezuela
heißt. „Nicht ausgeschlossen werden kann zu-
dem, dass jemand die Kisten bewusst entwen-
dete und deren Inhalt einer Verwendung zu-
führte – ob als Kunstwerk, wage ich zu bezwei-
feln, denn die Installation war groß, kompli-
ziert und benötigte die Inspiration der Künstle-
rin, aber komplett negieren will ich auch diese
Option nicht.“ Die Abbildungen auf dieser Seite
sind also nicht nur Erinnerung an ein Kunst-
werk, vielleicht liefern sie ja auch Hinweise auf
seinen Verbleib. catrin lorch
24 FEUILLETON GROSSFORMAT Samstag/Sonntag, 31.August/1. September 2019, Nr. 201 DEFGH