Süddeutsche Zeitung - 31.08.2019

(Tuis.) #1
von thomas becker

L


os ging alles mit einem Mons-
trum, tonnenschwer und alles an-
dere als mobil. Um Ende der
1970er am Blaichacher Wasser-
skisee neue Sprünge trainieren
zu können, lassen sich die Trickskifahrer
Susi und Rainer Klimaschewski von einem
befreundeten Sägewerksbesitzer eine
Schanze schnitzen. „Maßlos überdimensio-
niert“, erzählt Susi Klimaschewski, damals
weltbeste Trickskifahrerin, ihr Ehemann
ergänzt: „Das Ding war hoch wie ein Kirch-
turm, mit betoniertem Fundament – dar-
auf hätte man ein Hochhaus bauen kön-
nen.“ Aller Anfang war schwer. Dass die bei-
den mehr als 40 Jahre später zum führen-
den Anbieter von mobilen und stationären
Surfanlagen werden würden, damit war
nicht unbedingt zu rechnen.


Wer heute das nötige Kleingeld auf den
Tisch legt – im satt sechsstelligen Bereich
-, dem bauen die Klimaschewskis mit ihrer
Martinsrieder Firma ATV Actionteam eine
künstliche Surfwelle in den Garten, ins
Sportzentrum oder in die Shopping Mall.
Auf Knopfdruck verstellbar für Anfänger,
Fortgeschrittene oder Profis. Für Wellen-
reiten, Longboard, Stand-Up-Paddling, Ka-
jak oder Boogieboard. In Taufkirchen steht
eine solche Anlage in der Jochen-Schwei-
zer-Arena; auch bei der Ispo und zwischen
den Flughafen-Terminals konnte man die-
ses Wunderwerk der Technik schon öfter
bestaunen. Unlängst verkaufte man auch
Tokio eine Citywave – schließlich werden
hier im kommenden Jahr im Wellenreiten
erstmals Olympia-Medaillen verteilt.
Noch auf dem Meer. Aber Rainer Klima-
schewski sagt: „Wer weiß, vielleicht wird
stationary wave ridingirgendwann mal ei-
ne eigene olympische Sportart.“
So wie beim Trickskifahren. Wo es heu-


te Spezialisten für Aerials, Buckelpiste,
Half Pipe, Big Air und Slopestyle gibt, fuhr
man in den Anfängen des Trickskilaufs ein-
fach alles, Ski-Ballett noch dazu. Während
Rainer als Allgäuer praktisch auf Skiern
aufwuchs und im Sommer Wasserski fuhr,
machte Klein-Susi ihre ersten Rutscher
mit Papa an der Theresienwiese, an der da-
mals baumfreien Böschung, die heute als
„Kotzhügel“ bekannt ist. Sie wird Skilehre-
rin, jobbt in Sugarbush Valley in Vermont –
und sieht Videos der Hotdogger, wie Trick-
skifahrer dort hießen. Als Kind ist sie ge-
turnt, Trampolin gesprungen und weiß so-
fort: „Das ist genau meine Baustelle! Mir
war klar: ,Das mach’ ich!‘“ Um sich das Ski-
ballett abzuschauen, guckt sie die Filme
immer wieder an: „Man konnte die ja noch
nicht anhalten...“ Im Sommer gibt sie Ski-
kurse in Chile, bringt irre Sprungfotos aus
den Anden mit, worauf ein Münchner
Freund schreibt: „Wenn die Bilder kein Fa-
ke sind, dann komm zurück nach Europa
und du kannst echt was reißen.“ 1971 fin-
den die ersten professionellen Wettkämp-
fe statt, wenig später wird die nicht mehr
ganz so kleine Susi Weltmeisterin. Ihren
Mann lernt sie sozusagen im Flug kennen:
beim Trickski-Wettkampf. Der war durch
die Videos von „Pistenschreck“ Fuzzy Gar-
hammer infiziert worden. Susi Klima-
schewski sagt: „Der war auch so ein Frei-
geist wie ich, nicht so genormt.“
Gemeinsam tingeln sie von Wettkampf
zu Wettkampf, trainieren auf einer mobi-
len Schanze mit Luftkissen – was manch
Sportgeschäftbetreiber so spektakulär fin-
det, dass er sie bittet, ihre Sprünge zum Sai-
son-Opening vor dem Laden zu vollfüh-
ren. Rainer Klimaschewski erinnert sich:
„Plötzlich hatten wir 20 Termine im
Herbst, wo alle anderen trainiert haben.
Die Wettkämpfe standen vor der Tür, wir
mussten trainieren, hatten die Idee mit der
Wasserschanze, aber der See war zugefro-
ren...“ Mit dem Hammer hauen sie ein Loch
ins Eis, steigen in Neoprenanzug und Ski-
schuhe und springen los. „Außenrum ha-
ben die Kinder Eishockey gespielt und die
Lasterfahrer vom Kieswerk große Augen
gemacht“, erzählt Susi Klimaschewski.
Das erste Monstrum ist bald Geschich-
te, ein anderer Schreiner bekommt eine fili-
granere Schanze hin, irgendwas zwischen
Öl- und Eiffelturm. Den stecken sie in ei-
nen Anhänger, der sonst Formel-2-Autos
transportierte, und fertig ist die mobile
Trickski-Show: Hand in Hand, auf einem
Meter Breite, stürzen sie sich von der
Schanze, schlagen Rückwärtssalti oder an-
dere Figuren. Klimaschewski schüttelt
den Kopf: „Heute würden wir das nicht
mehr machen.“ Verständlich, mit 67. Das
ZDF lädt sie ins „Aktuelle Sportstudio“ zu
Dieter Kürten ein, baut im Hindelanger Eis-
stadion eine riesige Schanze auf. Die wil-
den Anfänge haben sie geprägt, sagt er:
„Wir haben Shows gemacht, waren schon
eine Eventagentur, als es den Begriff
,Event‘ noch gar nicht gab. Wir waren unse-
re eigenen Manager, sind über den Sport
ins Geschäftliche gerutscht, und das hat
sich dann durch unser Leben gezogen.“
Als Trickski Mitte der Achtzigerjahre im-
mer mehr reglementiert wird, steigen sie
aus – und wechseln das Element: Wasser

statt Schnee. Windsurf-Weltcups, Wellen-
reiten. Sie lernen die Floßlände in Taufkir-
chen kennen, den Eisbach, und über die
Jahre reift die Idee von einer stationären
Welle. Warum nicht mitten in der Stadt?
„Wir wollten immer den Sport in die Stadt
bringen“, sagt Rainer Klimaschewski,
„sonst nimmt das keiner wahr! Wer hat zu-
geschaut, wenn wir unsere Salti gesprun-
gen sind? Die paar, die gerade im Lift sa-
ßen.“ Als Mitte der 1980er Snowboarden
groß wird, ist er Feuer und Flamme: „Half-
pipe: genau mein Ding! Hätte ich gern ge-
macht, war aber schon zu alt.“ Seine Idee:
Snowboarden muss in die Stadt! Er baut ei-
ne Quarterpipe, stellt sie auf der Ispo vor,
mietet das Kühlhaus in Garching und ver-
anstaltet mit einer Modefirma eine Cool-
house-Party: DJ-Sound bei Minusgraden,
mitten im Sommer. Danach: die erste Big-
Air-Schanze, 25 Meter hoch, in einer War-
tungshalle am Flughafen.

Jetzt machen die Klimaschewskis also
die Welle. Warum? Klimaschewski sagt:
„Weil wir das Gefühl haben, dass die Men-
schen das machen wollen. Wenn ich sehe,
wie die lachen und strahlen! Der Andrang
wird immer größer. Wir wollen die Meeres-
welle nicht ersetzen oder kopieren, aber
wir wollen diesen Sport größer machen.“
Ihre nach der Sportkarriere abgeschlosse-
nen Studien – er Elektrotechnik, sie Archi-
tektur – ergänzen sich bei der Entwick-
lung der Kunstwelle. „So was kostet eine
Menge Zeit, Geld und Hirn“, sagt Susi Kli-
maschewski, „wenn es Red Bull früher ge-
geben hätte, hätte der uns bestimmt was
gegeben. Gab’s aber nicht, haben wir’s halt
selbst gemacht – wie alles in unserem Le-
ben.“ 2006 basteln sie ein Tischmodell,
aus dem 2008 auf der Pariser Bootsmesse
Nautica der erste mobile Prototyp ent-
steht. Ende 2019 werden rund 15 Citywave-
Wellen weltweit in Betrieb sein.
Die erste Anlage steht mobil zwei Som-
mer lang vor der Skihalle in Bottrop, erster
Käufer für 680000 Euro ist der Geschäfts-
führer der Skihalle Bispingen zwischen
Hamburg und Hannover, ein Ex-Snow-
board-Weltmeister. Es folgen Anlagen in
Wien (mobil am Schwarzenbergplatz, nun
stationär in der Shopping City Süd), Zürich
(Gerolds Garten), München sowie in Hade-
ra, in einer Shopping Mall zwischen Tel
Aviv und Haifa, worüber sogar der „Welt-
spiegel“ berichtete – ungewöhnlich, aber
der Nahost-Korrespondent der ARD ist
Surfer. Auch in Moskau rollt die Citywave,
zur Verwunderung der Klimaschewskis:
„Da kamen drei sportliche Militär- oder Pi-
loten-Typen zum Surfen, haben die Hälfte
anbezahlt, zwei Jahre lang ist nix passiert,
und dann musste es schnell gehen“, er-
zählt Susi Klimaschewskis. Ihr Mann fliegt
nach Moskau – und wird statt im Hotel da-
heim beim Geldgeber einquartiert, sitzt
mit der Großfamilie am Küchentisch, Heli-
kopter im Garten. „Ganz geheuer war mir
das zunächst nicht“, gibt Klimaschewski
zu.
Von der gerade in Tokio vollendeten Ar-
beit schwärmen dagegen beide. Vor Olym-
pia veranstalten sie hier einen Wettkampf,
im Rahmen der Citywave Pro World Tour.
Eine weitere Anlage in einem Wasserpark
in Seattle soll bis September fertig sein,
ebenso wie die in einer Halle in Ost-Berlin
und in einem Madrider Einkaufszentrum.
Anfragen kommen aus allen Ecken der Er-
de: Südafrika, Kongo, Jordanien, Aserbeid-
schan, Kasachastan, Ukraine. Auch der
Kronprinz von Dubai kommt zum Probe-
surfen angejettet, will dann aber keine
zehn Meter breite Welle, sondern 30 Me-
ter. Nur: Alles geht halt nicht. Das wäre ja
wieder ein Monstrum geworden.

München, Tokio, Osnabrück: Wer genügend Geld hat, dem baut die Martinsrieder Firma
ATVActionteam eine künstliche Welle an den Flughafen (unten das Munich Aiport Center),
vor die Skyline oder auch ins Einkaufszentrum.FOTOS: HAGENA/FLUGHAFEN MÜNCHEN, ATV (4)

Susi und Rainer
Klimaschewski

Der Kronprinz von Dubai
wollte gerne eine breitere Welle


  • das ging nur leider nicht


Deutsche Welle


Die mobilen und stationären Surfanlagen


von zwei ehemaligen Trickskifahrern aus München


finden immer mehr Käufer in der ganzen Welt


R4 MÜNCHEN – Nr. 201, Samstag/Sonntag, 31. August/1. September 2019 DEFGH


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München, 07. September 2019


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