Der Spiegel - 24.08.2019

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Tages. Rechts stapeln sich Artikel über das
neue Gesetz. Darin geht es vor allem um
die sogenannten Terminservicestellen, die
Patienten künftig schneller bei der Arzt-
suche helfen sollen.
Terminservicestellen, was für ein Wort.
Das Angebot existiert seit mehr als drei
Jahren, allerdings wird es vergleichsweise
selten genutzt. Das liegt auch daran, dass
es keinen Anspruch auf einen Termin beim
Wunschorthopäden um die Ecke gibt. Seit
Mai vermitteln die Stellen nun auch Ter-
mine für Haus- und Kinderärzte. Und im
nächsten Jahr sollen sie sogar rund um die
Uhr erreichbar sein, nicht nur per Telefon,
sondern auch online oder per App.
Spahns digitale Vision trifft jedoch auf
eine ausgeprägte Onlineskepsis vieler Dok-
toren. Man sieht das am »eTerminservice«,
einem Onlinedienst, den die Kassenärzt -


liche Vereinigung (KV) in Berlin bereitstellt.
Niedergelassene Mediziner müssen freie
Termine melden, damit sie über die Service-
stellen vergeben werden. Da etliche Ärzte
noch immer am liebsten analog kommuni-
zieren, dürfen sie den Meldebogen ausdru-
cken, per Hand ausfüllen und als Fax schi-
cken. Auch im Jahr 2019 ist das noch so.
Die KV Berlin gibt verunsicherten Ärz-
ten in ihrem Mitgliedermagazin Antwor-
ten auf die häufigsten Fragen – und keine
klingt, als stehe die Ärzteschaft vor revo-
lutionären Durchbrüchen. Zum Beispiel:
»Muss ich draußen ein neues Praxisschild
mit den neuen Sprechzeiten anbringen?«
Stephanie Moore hat ihre freien Termi-
ne längst online gemeldet. Allerdings wird
sie künftig keinen einzigen Patienten mehr
als bislang aufnehmen können: »Meine
tägliche Arbeitsbelastung hat eine Zeit-

grenze, auch wenn der Gesundheitsminis-
ter das anders sieht«, sagt sie. An die Bun-
deskanzlerin hat sie deshalb eine Be-
schwerde über Spahns Gesetz geschickt.
Der Widerstand der Ärzte war von An-
fang an groß. Bis heute argumentieren
Funktionäre, bei den Wartezeiten handele
es sich lediglich um ein gefühltes Problem.
»Man nimmt sich selbst bekanntlich wich-
tig«, ätzte KBV-Chef Andreas Gassen, als
er die neueste Umfrage vorstellte. In drin-
genden Fällen, sagt er, bekämen auch Kas-
senpatienten schnell einen Termin.
Ganz so einfach lässt sich das Problem
jedoch nicht abtun, wie selbst praktizie-
rende Ärzte einräumen. Nur: Mit dem neu-
en Gesetz wird erst einmal wenig besser.
Von September an bekommen Hausärz-
te beispielsweise zehn Euro extra, wenn
sie Patienten einen Termin beim Facharzt
organisieren. Schon im Juli hat Stephanie
Moore versucht, für eine Patientin einen
Termin zur Magenspiegelung bei einem
Kollegen auszumachen. Vergebens. Der
Grund: Fachärzte müssen jetzt eine be-
stimmte Zahl an Terminen für die Service-
stellen freihalten. Exakt neun pro Quartal
sind es für Gastroenterologen in Berlin.
Bei ihrem Kollegen, an den Stephanie
Moore schon häufig Fälle vermittelt hat,
ist nun bis Jahresende kein Zeitfenster
mehr frei. Die Patientin, hieß es, möge sich
bitte an die Terminservicestelle wenden.
»So schwierig war das noch nie«, sagt
Moore. »Die Fachärzte schneiden sich die
Termine doch auch aus den Rippen.«
Ein Internist aus einer Großstadt kann
davon berichten. Seinen Namen möchte
er nicht gedruckt sehen, im Kollegenkreis
will er sich nicht angreifbar machen.
»Wenn wir für die Servicestellen extra Ter-
mine anbieten müssen, fallen diese Slots
in unserer Gemeinschaftspraxis an anderer
Stelle weg«, sagt er. »Das ist die logische
Konsequenz des Gesetzes.«
Auch das Plus beim Honorar, das Jens
Spahn versprochen hat, werde daran we-
nig ändern. Nur wenige Ärzte, so sagt er,
würden wegen eines Zuschlags viele neue
Kassenpatienten aufnehmen. Dafür sorg-
ten die komplexen Abrechnungsprüfun-
gen der Kassen, die bei einer wachsenden
Patientenzahl misstrauisch würden.
»Es werden künftig andere Patienten
sein, die schnell einen Termin bekom-
men«, sagt der Arzt. Gesetzlich Versicher-
te, die sich an eine Servicestelle wenden
und neu an eine Praxis vermittelt werden,
könnten gegenüber anderen im Vorteil
sein. Den Nachteil hätten im schlimmsten
Fall chronisch Kranke, die ihrem Arzt treu
bleiben – oder ältere Menschen, die sich
mit Onlineportalen nicht auskennen.
Im Gesundheitsministerium hält man
es noch für zu früh, das Gesetz zu bewer-
ten. Viele Regelungen müssten sich erst
einspielen und könnten »schon aus rein

DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 69


JENS GYARMATY / DER SPIEGEL
Hausärztin Moore: »So schwierig war das noch nie«
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