Neue Zürcher Zeitung - 22.08.2019

(Greg DeLong) #1

Samstag, 24. August 2019 MEDIEN 9


IN MEDIAS RAS


So schreibt man


heisse


Schlagzeilen


Rainer Stadler· DerVerdacht, hier hätte
einer dem andern abgeschrieben, ist
natürlich völlig abwegig.Am Mittwoch
waren im Internet folgende Schlag-
zeilen zu lesen: «So will der Bundes-
rat die Gesundheitskosten bremsen»
(Bluewin). Und: «So will der Bundesrat
im Gesundheitswesen sparen» («Tages-
Anzeiger»). Und: «So will der Bundes-
rat die Gesundheitskosten in den Griff
kriegen» (SRF). Und: «Sowill Berset
die Gesundheitskosten in den Griff be-
kommen» (Blick). Und: «So will Bun-
desratAlain Berset denKostenanstieg
im Gesundheitswesen bremsen» («Aar-
gauer Zeitung»).
Medienkulturpessimisten werden
sich bestätigt fühlen:Alle schreiben das-
selbe , es herrscht ein publizistischerEin-
heitsbrei. Man kann jedoch derlei Ein-
falt in derVielfalt durchauskonstrukti-
ver deuten. Dem gestressten Zeitgenos-
sen bieten die Schlagzeilen eine Chance,
in Momenten derRuhe zu versinken.
Das murmelndeVorlesenrepetitiver
Nachrichtentexte erzeugt einen gebets-
mühlenartigen Effekt,es befreit von der
Last des Alltags – innere Einkehr dank
News. Ein Rosenkranz für die Medien-
gesellschaft.
Aber zurück zum Handfesten. Die
zitierten Schlagzeilen machen die der-
zeitige «So»-Mode manifest.Anbei
ein paar weitere Beispiele, welche die
Newsrooms inden vergangenenTa-
gen ausspuckten: «So kreativ wird ge-
trickst» (Watson), «So geht es in Italien
weiter» (SRF),«So eindrücklich ist die
Schwingarena von oben» («20 Minu-
ten»), «So lachenTerroristen überTer-
roristen» (NZZ),«So veränderte Napo-
leon die Schweiz» («Tages-Anzeiger»),
«So fliegen unsere Sextoys sicher im
Handgepäck» («Schweizer Illustrierte»),
«So wird imAvers gesprengt und aufge-
räumt» («Südostschweiz») und so wei-
ter. Dem «So»-Raster kann man bei-
nahe jede Begebenheit unterwerfen.
Gewiss, kein von Aktualitäten ge-
triebenes Medienhaus ist immun gegen
Ticks und Moden. Angesichts der Be-
schleunigung der Nachrichtenzirku-
lation wächst allerdings die Anfällig-
keit gegenüber journalistischenViren.
Die digitalen Messsysteme, welche den
Redaktionen den Besucherverkehr lau-
fend vorrechnen, üben ihrerseits einen
homogenisierenden Effekt aus.
Fröhlicher Gestimmte werden die
«So»-Sätze als Zeichen einer dienstleis-
tungsorientierten Branche deuten, wel-
che gleich auf den Punktkommen und
den Konsumenten nicht mit langfädi-
gen Betrachtungen versäumen will. Sie
verspricht schnelleAufklärung:Werdas,
was nach dem «So» folgt, gelesen hat,
weiss sogleich Bescheid.
Umgekehrt heisst das aber auch,dass
in den entsprechenden Schlagzeilen eine
redaktionelle Anmassung mitschwingt:
Wir Informationsvermittler haben die
Weisheit gefressen und sagen nun dem
Publikum, was derFall ist. Nicht zufäl-
lig bekommen dieKonsumenten auch
diese Überschriftregelmässig vorge-
setzt:«Was Sie wissen müssen».
Damit kommen wir zu den allwetter-
tauglichen«W»-Konstruktionen. Sie ge-
langten bereits im Print-Zeitalter auf
modern gesinntenRedaktionen zum
Einsatz,sind aber auch online hoch im
Kurs. Ein paar Beispiele aus der aktuel-
len Produktion:«Wie Paris versucht, E-
Scooter in den Griff zu kriegen» (SRF),
«Wie ein Luzerner alle um denFinger
gewickelt hat» («Luzerner Zeitung»),
«Wie clevereKunden erhöhte Preise
umgehen» («Bilanz»). Oder dieseVa-
riante:«Warum sich derAHV-Bezug sel-
ten lohnt» («Berner Zeitung»).
Noch nicht erschienen ist diese
Schlagzeile:«Warum Medien so ticken».

Hongkongs Pressefreiheit ist in Gefahr


Investor en vom chinesischen Festland haben Gefallen an Hongkonger Medien häusern gefunden


MATTHIAS MÜLLER,HONGKONG


Reporter sorgen normalerweise mit
ihren Beiträgen für Headlines. Im
Oktober vergangenenJahres geriet aus-
nahmsweise mal einJournalist in die
Schlagzeilen. Die Hongkonger Behör-
den weigerten sich ohne Angabe von
Gründen, dem damaligen Leiter des
Büros der «FinancialTimes» in der eins-
tigen britischenKolonie, Vi ctor Mal-
let, dasVisum zu verlängern. Es spra-
chen alle Anzeichen dafür, dass sie sich
für MalletsRolle alsVizepräsident des
Foreign Correspondents’ Clubrächen
wollten. Denn die Organisation hatte
imAugust vergangenenJahres den Chef
der HongKong NationalParty,Andy
Chan, eingeladen.
Die inzwischen verbotenePartei hat
sich für eine Unabhängigkeit Hongkongs
vomFestland starkgemacht und damit
gegen die Mini-Verfassung (BasicLaw)
der Finanzmetropole verstossen.Gemäss
Artikel 1 ist die Stadt ein untrennbarer
Teil des chinesischenFestlands. Hong-
kongs Regierung ebenso wie die Zen-
tralregierung schossen denn auch scharf
und verurteilten dasVorgehen der aus-
ländischenJournalisten. Mallet vertei-
digte denAuftritt mit Verweis auf die
Meinungsfreiheit.Damit war sein beruf-
liches Schicksal in Hongkong besiegelt.
Hongkongs Behörden hatten in der
Vergangenheit mehr Fingerspitzen-
gefühl bewiesen und sensibleThemen
geräuschlos gelöst. Dieses Gespür ist
ihnen jedoch abhandengekommen. Sie
hatten mit dem Entscheid, Mallet das
Visum nichtzuverlängern, einerPartei
Aufmerksamkeit beschert, die bei ihrer
Auflösung maximal 30 Mitglieder ge-
habt haben soll.Westliche Diplomaten
in Hongkong sind sich sicher, dass die
Regierung in der einstigen britischen
Kolonie aus demFehler gelernt hat und
sich bei einem ähnlichenFall künftig
anders verhalten wird.
Der Vorfall hat Spuren in der öffent-
lichen Wahrnehmung hinterlassen. Bei
einer zu Beginn diesesJahres durch-
geführten Umfrageder HongKong Jour-
nalists Association (HKJA) unter 1033
Kantonesisch sprechenden Hongkon-
gern gaben 70 Prozent der Befragten an,
das Vorgehen derRegierung gegen Mal-


let sei für die Pressefreiheit schädlich ge-
wesen. Die Umfrage ist ein weiterer Be-
leg dafür,wie schlecht es um die Medien
in Hongkong bestellt ist. Die seit 2002
jährlich von der Nichtregierungsorgani-
sationReporterohne Grenzen erstellte
Rangliste der Pressefreiheit spiegelt die
Entwicklung und die Probleme. Belegte
die Finanzmetropole 2002 noch den
18.Platz, rangiert sie unter180 Ländern
inzwischenauf Rang 73.Als Begründung
geben dieReporter ohne Grenzen neben
der Causa Mallet auch den wachsen-
den EinflussPekings an, durch den die
Pressefreiheit geschwächt worden sei.
Dabei sichertArtikel 27 desBasic Law
der Hongko nger Bev ölkerung eigentlich
Meinungs- und Pressefreiheit zu.

Die chinesischenGeldgeber


AlsWendepunkt für Hongkongs Medien
machtFu Kingwa, der an der University
of HongKong amJournalism and Media
Studies Centre lehrt, dasJahr 2003 aus.
Damals protestierten Hunderttausende
gegen ein vonPekings Zentralregierung
vorangetriebenes Sicherheitsgesetz, das
in Hongkong vor allem als «Article 23»
bekannt ist. DieRegierung in der eins-
tig en britischenKolonie gab dem Druck
nach und legte dasVorhaben für unbe-
stimmte Zeit aufWiedervorlage. «Da-
mals haben die Medien im Kampf gegen
das Gesetzeine wi chtigeRolle gespielt»,
sagt Fu. DerenParteinahme hatte je-
dochFolgen. Seitdem habe sich die
Pressefreiheit verschlechtert, betontFu.
Laut demWissenschafter kauft seit
dem neuenJahrtausend eine zuneh-
mende Zahl an chinesischen Investo-
ren Hongkongs Medienhäuser auf. Da-
gegen sind immer weniger finanzkräf-
tige Hongkonger und Medienmogule
aus derRegion bereit, sich zu engagie-
ren; das Geschäftsmodellrechnet sich
kaum noch.Festlandchinesen schreckt
dieser Umstand jedoch nicht ab. Die
Reporter ohne Grenzen schreiben,
mehr als die Hälfte der Eigentümer von
Medienhäusern in Hongkong hätten in
politischen Instanzen wie der Nationa-
len Volksversammlung auf dem chine-
sischenFestland eine politischeRolle
inne. Mit ihrem Engagement verfol-
gen die Investoren das Ziel, ein objek-

tives, ausgeglichenes und faires Bild
von Chinain di eWelt zu transportieren.
Peking erfreuen solch scheinbar hehre
Absichten, denn westliche Medien stel-
len dasLand zu negativ dar,wie die chi-
nesischen Machthaber verärgert sagen.
Die Medienhäuser mit Eigentümern
vomFestland haben dagegenkein In-
teresse daran, China und dieKommu-
nistischePartei kritisch zu hinterfragen.
Stattdessen dienen sie sichPeking an,
um dadurch ihre wirtschaftlichenVor-
haben auf demFestland voranzutrei-
ben. Für Meinungsvielfalt in Hongkong
ist diese Entwicklung ein schlechtes
Signal. Sie schlägt sich in den Umfragen
zur Hongkonger Pressefreiheit nieder.
In der jüngerenVergangenheit hat
es zweiprominenteBeispiele für Inves-
toren vomFestland gegeben, die über
Hongkong hinaus fürAufsehen gesorgt
haben: 2011 gingen die Anteile an dem
HongkongerFernsehsenderTelevision
Broadcast (TVB) vom Gründer Shaw
Brothers an ein aus Hongkong stam-
mendes, Peking-freundlich gesinntes
Konsortium.Im April 20 15 stieg dann
der festlandchinesische Magnat LiRui-
gang , der an der Spitze von China Media
Capital steht, mit einem nicht näher be-
zifferten Betrag bei demKonsortium
ein.Unter den Demonstranten in Hong-
kong hat der Sender einen schlechten
Ruf, weil er ein falsches Bild von den
Protesten zeichnen soll.
Für noch grösseresAufsehen hatte
der im Dezember 2015 publik gewor-
dene Kauf der inzwischen 115Jahre
altenTageszeitung «South China Mor-
ning Post» durch den chinesischen Mil-
liardärJack Ma, der den E-Commerce-
Giganten Alibaba gegründet hat, ge-
sorgt.«Wir d achten damals, die Zei-
tung wirdwie ‹People’s Daily› zu einem
Organ derKommunistischenPartei»,
sagt WissenschafterFu. Diese Meinung
teilten die Medien weltweit. Sie sollten
sich jedoch täuschen. «DieJungs von
Alibaba sind clever. Sie haben verstan-
den, dass die Zeitung massenhaft Leser
verlöre, wenn sie auf die LiniePekings
einschwenken würde», betontFu.
Die «South China MorningPost»
wird trotz der Übernahme durch einen
Investor vom chinesischen Festland
noch immer alsPeking-kritisch wahr-

genommen.Fu geht jedoch davon aus,
dass es innerhalb derRedaktionrote
Linien gibt.Artikelmit zu scharfer Kri-
tik an ChinasPartei- und Staatschef Xi
Jinping oder Beiträgen, die mit einer
Unabhängigkeit Hongkongs vom chi-
nesischenFestland sympathisieren, wer-
den in der «South China MorningPost»
nicht publiziert,sagt Fu.

Online-Medienauf Vormarsch


Seit wenigenJahren gibt es in Hong-
kongs Medienlandschaft neben den
Investoren vom chinesischenFestland
noch einen weiterenTrend. Die Zahl
der Online-Medien, die als Bereiche-
rung der journalistischenVielfalt wahr-
genommen werden, wächst. An dieser
Entwicklung hat auch die in weitenTei-
len der Hongkonger Bevölkerung ver-
hasste Chefin der Sonderverwaltungs-
zone, CarrieLam, ihren Anteil.Sie li ess
ein System implementieren, wie sich
Online-Medienregistrieren lassenkön-
nen. Dadurchkönnen sie nun anVeran-
staltungen und Medienkonferenzen der
Regierung teilnehmen. Dies war ihnen
vor derReform nicht erlaubt gewesen.
Ein Beispiel für ein erfolgreiches –
und im prodemokratischenLager ver-
ortetes – Online-Medium auf Chine-
sisch ist die von erfahrenenJournalis-
ten gegründeteWebsite Citizen News,
deren BerichterstattungFu als «ziemlich
fair» bezeichnet. An englischsprachige
Leser richtet sich HongKong Free Press
(HKFP).Das Online-Medium hat sich
mit kritischer Berichterstattung über die
Regierung in derFinanzmetropole einen
Namen gemacht und nimmt auch die
Zentralregierung inPeking aufsKorn.
Online-Medien setzen oft auf Crowd-
funding. Dabei werden Internetnutzer
aufgerufen,fürFirmen zu spenden.Diese
Form derFinanzierung hat auchTücken.
«HKFP hatte in der jüngerenVergangen-
heit Probleme, ausreichend Geld zu be-
kommen», sagt Fu.Als die Proteste gegen
das vonLamlancierteAusschaffungsge-
setz jedoch immer grössereAusmasse
annahmen, ist den Internetnutzern be-
wusst geworden, wie wichtig eine vielfäl-
tige Medienlandschaft ist. HKFP hatte
anschliessendkeine Probleme mehr, an
frisches Kapital zu gelangen.

Die «South China MorningPost» gilt trotz Übernahmedurchden chinesischen MilliardärJack Ma nochimmerals Peking-kritisch. JUSTIN CHIN / BLOOMBERG

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