SEITE 22·MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019·NR. 203 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
MÜNCHEN, 1. September
D
ie Liste von Sicherheitsrisiken und
Katastrophen ist lang, und sie kön-
nen unterschiedlicher kaum sein.
Es gibt die von Menschen verursachten
Gefahren mit politischen Konflikten,
Amokläufen in den Vereinigten Staaten
oder Messerstechereien in bestimmten
Vierteln Londons, die Geschäftsreisende
und Touristen meiden sollten. Es gibt Na-
turkatastrophen wie den „Blackrains-
torm“ in Hongkong, der regelmäßig im
Mai oder Juni des Jahres sintflutartige
Sturzbäche auslöst und Menschen mit-
reißt. Dann sind da mit Hackerangriffen
auf das Internet technische Zwischenfälle,
die das digitale Leben lahmlegen können.
In jedem der Ernstfälle ist ein schnell
greifendes Krisen- und Alarmmanage-
ment gefordert. Terroristische Bedrohun-
gen sind noch der kleinste Ausschnitt aus
dem extrem breiten Spektrum von Gefah-
renpotentialen. Dabei waren es die An-
schläge auf das New Yorker World Trade
Centeram 11. September 2001, die weni-
ge Monate später – im Jahr 2002 – zur
Gründung vonEverbridgeInc. führten.
Das börsennotierte amerikanische Unter-
nehmen hat sich damals zur Aufgabe ge-
macht, Notfallpläne für Bedrohungslagen,
Informationssysteme in angespannten La-
gen, Instrumentarien für den Umgang mit
Krisenfällen und Warnsysteme zum effek-
tiven Schutz der Menschen zu entwickeln.
Sie waren zu jener Zeit überall auf der
Welt gefragt.
Heute bietet Everbridge eine digitale Si-
cherheitsplattform an, die Informationen
sammelt und analysiert, Handlungsoptio-
nen entwickelt und Kontrollzentren mit
Frühwarn-, Notfall- oder Alarmsystemen
speist. Das Krisen- und Katastrophenma-
nagement – „Critical Event Management“
genannt – arbeitet mit einem so komple-
xen System, dass es ohne Künstliche Intel-
ligenz nicht auskommt. „Die Plattform ist
nicht allein auf terroristische Bedrohun-
gen ausgerichtet“, sagt Tracy Reinhold, Si-
cherheitsvorstand (Chief Security Officer,
CSO) von Everbridge. „Sie ist ausgelegt,
um Unternehmen, Institutionen, Städte,
Gemeinden, Staaten gegen alle kritischen
Eventualitäten zu wappnen – und das ef-
fektiver als je zuvor.“
Der Amerikaner ist prädestiniert für sei-
nen Job. Er war 22 Jahre lang Spezial-
agent des Federal Bureau of Investigation
(FBI), bevor er in die Privatwirtschaft
wechselte; zunächst als Vorstand Global
Investigation für den Einzelhandelsriesen
Walmart, dann als CSO des Hypothekenfi-
nanzierer Fannie Mae. Nun befasst er sich
mit einem unüberschaubaren Aufgaben-
feld: dem Schutz der Menschen vor politi-
schen und kriminellen Bedrohungen, vor
Feuer, Natur- oder Wetterkatastrophen,
der Analyse von Verkehrs- und Wetterpro-
blemen, der Abwehr von Cyber-Attacken
und Maßnahmen gegen Stromausfälle,
Umweltschäden oder Störungen in Liefer-
ketten. Auch Informationen über Rückru-
fe von Produkten oder über Engpässe in
der Medizinversorgung gehören dazu.
Unabhängig vom Einsatz arbeite das
System immer nach dem gleichen Muster.
„Die Plattform ist dieselbe“, sagt Rein-
hold. Und das mache sie „unbegrenzt ska-
lierbar“. Kunden – ob Regierungsbehör-
den, Unternehmen, Banken, Versicherer,
Flughäfen oder Krankenhäuser – sind mit
der Plattform vernetzt, erhalten aber nur
die auf sie zugeschnittenen Anwendun-
gen. Überflüssige und unwichtige Informa-
tionen werden herausgefiltert, was ein
Überfluten mit sekundären Informatio-
nen verhindert. „Das vereinfacht die Pro-
zesse“, sagt der ehemalige FBI-Agent.
Ein Alarmierungs- und Informationsys-
tem kann zudem Menschen warnen. Gera-
de erst wurde in Australien in Zusammen-
arbeit mit einem Telekommunikationsan-
bieter das Frühwarnsystem „Emergency
Alert Australia“ installiert. Mit ihm kön-
nen die 25 Millionen Einwohner sowie die
jährlich 9 Millionen Besucher des Landes
per SMS ortsbezogen über Notfälle be-
nachrichtigt werden, seien es Buschfeuer,
extremes Wetter oder ein Terroranschlag.
Während des Boston-Marathons im April
versorgte die Digital-Plattform die 10 000
freiwilligen Helfer in Echtzeit mit Informa-
tionen über den Fortschritt des Laufs und
über mögliche Störungen, hielt das medizi-
nische Personal vor Ort und in Kranken-
häusern mit Textnachrichten auf dem Lau-
fenden.
Everbridge hat im vergangenen Jahr
nach eigenen Angaben 2,8 Milliarden
Nachrichten versendet, informierte über
seine Systeme 500 Millionen Menschen in
200 Ländern; einschließlich aller mobil er-
reichbaren Einwohner Schwedens, der
Niederlande, Singapurs, Griechenlands
oder der Bahamas. Neun der zehn größten
Städte sowie die 25 größten Flughäfen in
den Vereinigten Staaten gehören zu den
Kunden sowie sechs der zehn dominieren-
den Autohersteller der Welt. Zu den 4500
Kunden gehören auch Apple, Amazon, Mi-
crosoft oder Accenture.
Grenzenlose Speicherkapazitäten für
enorme Datensammlungen und die tech-
nisch immer ausgefeilteren Methoden zu
deren Auswertung erlauben derartige An-
gebote, die sich im globalen Internet häu-
fen. Die 2013 gegründete deutscheRisk-
methodsaus München zum Beispiel hat
für Produktionsnetzwerke und Lieferket-
ten ein Frühwarnsystem für Betriebsstö-
rungen entwickelt. Doch umfasst Ever-
bridge nicht nur ein wesentlich breiteres
Spektrum, sie bietet über das mobile Netz
auch aktives Krisenmanagement an.
Die Informationsflut aus mehr als 100
Quellen steuert die Künstliche Intelligenz,
die aggregiert und filtert. Daten stammen
von Wetterdiensten oder Verkehrszentra-
len genauso wie von Polizei und Strafver-
folgungsbehörden. Dabei hängt die Nutz-
barkeit solcher Quellen von den jeweili-
gen Gesetzgebungen in den Ländern ab,
die wegen des Datenschutzes unterschied-
lich zu handhaben sind, sei es in Amerika,
in China oder in Europa.
Auch wenn sich Everbridge als globales
Unternehmen versteht, der mit Abstand
überwiegende Teil – 80 Prozent des Umsat-
zes von rund 150 Millionen Dollar im Jahr
- wird mit amerikanischen Kunden bestrit-
ten. Das noch vergleichsweise kleine Aus-
landsgeschäft soll forciert werden. Seit
Mitte vergangenen Jahres ist das Unter-
nehmen auch in Deutschland vertreten
und versucht seine Präsenz so in Europa
neben Büros in Frankreich und Großbri-
tannien auszuweiten. Mit dem Touristen-
konzern TUI und dem Verlag Axel Sprin-
ger gebe es hierzulande erste Referenzen.
„Für die deutschen großen und mittel-
ständischen Unternehmen, die einen
Großteil des Umsatzes weltweit erwirt-
schaften, ist die Reisesicherheit für Mitar-
beiter ein äußerst wichtiges Thema“, sagt
Deutschland-Chef Andreas Junck. „Das er-
fordert eine besondere Planung, spezielle
Prozesse und entsprechende Instrumen-
te.“ Doch es gibt auch eine spezielle, in
jüngster Zeit sich häufende Problemstel-
lung. „Viele Unternehmen proben eine Ge-
bäudeevakuierung nicht nur für den Fall
eines Brandes“, sagt er. „Manche sind
auch schon gefordert gewesen, wenn es
um eine Evakuierung wegen einer Flieger-
bombe gegangen ist, was erhebliche Aus-
wirkungen auf die Betriebsabläufe hat.“
Herr de Planta, seit Sonntag sind Sie Se-
niorpartner und damit Chef der Genfer
Privatbank Pictet. Wir gratulieren!
Dieser Titel hat nichts mit meinen Ver-
diensten um die Bank zu tun. Seniorpart-
ner zu werden, ist bei uns nur eine Alters-
frage. Es braucht halt jemanden, der die
Sitzungen der Teilhaber leitet und die
Agenda setzt. Den nennen wir bei uns Se-
niorpartner. Ich bin kein Vorstandsvorsit-
zender, sondern sehe mich in der Rolle
des Spielertrainers. In unserem Haus
übernimmt immer der dienstälteste Teil-
haber diese Rolle.
Wo liegen die Vorteile dieses Systems?
Es eliminiert jeglichen Machtkampf im
obersten Führungsgremium. Damit bleibt
uns ein Problem erspart, das viele Unter-
nehmen und Banken plagt: Dass ein Spar-
tenchef gegen einen anderen kämpft, um
sich für den Sprung an der Spitze zu emp-
fehlen. Außerdem verwalten wir für unse-
re Kunden Vermögen von rund 500 Milli-
arden Franken. Eine Investmentgruppe
dieser Größe zu führen, erfordert viel Er-
fahrung. Es ist wichtig und hilfreich, aller-
lei Konjunktur- und Marktzyklen schon
einmal durchlebt zu haben.
Im Moment haben wir negative Leitzin-
sen und Anleiherenditen. Das wird wohl
noch eine Weile so bleiben. Was bedeu-
tet das für die Finanzbranche?
Vermögensverwalter wie Pictet werden
damit klarkommen. Wir müssen uns eben
permanent neu erfinden. Aber das muss-
ten wir auch schon in den vergangenen
200 Jahren. Es gab Weltkriege, Rezessio-
nen, hohe und tiefe Zinsen – wir haben ge-
lernt, mit Widernissen umzugehen und le-
ben zum Glück nicht von der Zinsmarge,
sondern von Gebühren im Anlagege-
schäft.
Und was ist mit den „normalen“ Ge-
schäftsbanken, die stark von der Zins-
marge abhängig sind?
Für die wird es gefährlich. Die Geldpo-
litik stößt langsam an ihre Grenzen. Und
ich frage mich: Ist sie noch Teil der Lö-
sung oder schon Teil des Problems? Ein
Bankensystem, das als Sammler von Spar-
geldern und Vermittler von Krediten
nicht mehr funktioniert, lässt mich an der
Wirksamkeit dieser unkonventionellen
Geldpolitik zweifeln. Wenn wir perma-
nent negative Zinsen haben, verlieren
Sparkassen und kommerzielle Banken ei-
gentlich ihre Existenzberechtigung.
Die niedrigsten Zinsen gibt es in der
Schweiz. So will die Nationalbank den
Franken schwächen. Von welchem
Punkt an wird diese Arznei zum Gift?
Ich habe den Eindruck, dass mit dem
gegenwärtigen Leitzins von minus 0,75
Prozent die Schmerzgrenze erreicht ist.
Mich wundert, dass der Markt mit einer
weiteren Zinssenkung auf minus 1 Pro-
zent rechnet. Irgendwann wird ein Punkt
erreicht, an dem die Leute Bargeld abhe-
ben und horten. Dann verliert die Geldpo-
litik jegliche Wirkung. Ich weiß auch
nicht, was die Notenbanken von diesen
Zinssenkungen erwarten. Das ist am
Ende nur ein Währungskrieg. Der ergibt
umso weniger Sinn, je länger er dauert.
Geben Sie Negativzinsen an ihre Kun-
den weiter?
Ja, zum Teil schon, denn wir sind sehr
stark kapitalisiert und haben eine hohe
Überschussliquidität. Wir sind also ein
Stabilitätsfaktor im Finanzsystem – und
werden dafür bestraft. Seit 2015 müssen
wir jedes Jahr zwischen 50 und 100 Millio-
nen Franken Negativzinsen an die Schwei-
zerische Nationalbank überweisen.
Was beschäftigt Ihre Kunden derzeit am
meisten?
Unsere Kunden treiben die niedrigen
Zinsen ebenfalls am meisten um. Sie fra-
gen uns: Was sind die Konsequenzen? Wo
zeigen sich Anzeichen einer Blase? Für
manche Großkunden, wie etwa Pensions-
kassen oder Lebensversicherer, sind sol-
che Fragen von existentieller Bedeutung.
Und was ist mit der politischen Unsicher-
heit?
Die De-Globalisierung, die im Handels-
konflikt zwischen Amerika und China ih-
ren Ausdruck findet und deren Auswir-
kungen auf die Anlagemärkte beschäftigt
unserer Kunden sehr. In gewissen Regio-
nen geht das Gespenst von Kapitalver-
kehrskontrollen und Enteignung um.
Wie reagiert Pictet auf dieses schwierige
Umfeld? Welche Akzente werden Sie als
neuer Spielertrainer setzen?
Es geht um Nuancen. Die wichtigsten
Entscheidungen treffen wir Teilhaber
stets gemeinsam in unseren regelmäßigen
Sitzungen. Die Akzente, die ich setzen
werde, sind ein Spiegelbild der nötigen
Entwicklungen bei uns. Als Erstes müs-
sen wir unsere Präsenz und Kundenbasis
in Asien signifikant ausbauen.
Wie lautet Ihr konkretes Ziel?
Heute beschäftigen wir im Raum
Asien-Pazifik 470 Leute. Das entspricht
knapp 10 Prozent unserer Belegschaft. In
ähnlicher Höhe liegt der Umsatzanteil.
Das ist beträchtlich, könnte aber viel hö-
her sein. Auf Asien entfallen heute rund
30 Prozent der investierten Gelder in al-
ler Welt. Wegen des wachsenden Wohl-
stands in dieser Region wird dieser Anteil
bis 2030 auf 40 Prozent steigen – auf Kos-
ten von Amerika und Europa. Daher wol-
len wir in dieser Region stark wachsen
und den Umsatzanteil binnen zehn Jah-
ren auf 15 bis 20 Prozent erhöhen.
Pictet ist in den vergangenen zwanzig
Jahren in Euro gerechnet im Jahres-
durchschnitt um 8,5 Prozent gewachsen,
und zwar organisch, also ohne Akquisi-
tionen. Was machen Sie anders als ihre
Wettbewerber?
Organisch zu wachsen, ist ein wichti-
ger Teil unserer Philosophie und Aus-
fluss unserer Eigentümerstruktur. Wir
sieben Teilhaber kennen das Geschäft
besser als Aktionäre oder Verwaltungsrä-
te börsennotierter Banken. Unsere Inter-
essen verlaufen parallel zu denen unserer
Kunden. Und wir sind sehr langfristig ori-
entiert. Ein Partner bei Pictet bleibt im
Durchschnitt 20 Jahre im Amt. In der ge-
samten Finanzbranche beträgt die Ver-
weildauer auf der Kommandobrücke
durchschnittlich nur rund vier Jahre. Wo
andere in Jahren denken, denken wir in
Jahrzehnten.
Inwiefern?
Nehmen Sie unseren Wasserfonds. Den
haben wir in einer Zeit lanciert, als der
kommerzielle Erfolg eines solchen Pro-
dukts nicht garantiert war. Heute können
wir sagen: Es hat sich enorm ausgezahlt. In
den vergangenen 20 Jahren hat der Wasser-
fonds 400 Prozent zugelegt, während der
MSCI-World-Index um knapp 100 Prozent
stieg. Dass wir nicht auf den kurzfristigen
Erfolg im nächsten Quartal achten müs-
sen, hilft uns auch in der Personalpolitik:
Gerade in Krisenzeiten agieren wir antizy-
klisch und holen Talente an Bord. Allein in
diesem Jahr stellen wir 300 neue Mitarbei-
ter ein.
Sind wir jetzt schon in einer Krise?
Nein, die Märkte sind trotz der Turbulen-
zen positiv gestimmt. Ich wäre aber nicht
überrascht, wenn wir in eine Krise kämen.
Was wir jedoch schon feststellen, ist, dass
wir als Unternehmen mehr und mehr als
Festung in unsicheren Zeiten wahrgenom-
men werden. Als Investor und auch als Ar-
beitgeber. Immer mehr Top-Talente mel-
den sich bei uns, teilweise allein,teilweise
ganze Teams. Unsere Werte, unsere Unter-
nehmenskultur und unser langfristiger An-
satz wirken sehr anziehend.
Die Nachfrage der Anleger nach preis-
günstigen passiven Indexfonds (ETF)
setzt die klassischen Fondsanbieter
stark unter Druck. Wie reagieren Sie
darauf?
ETFs bringen Preisdruck inundifferen-
zierteProdukte. Daher bewegen wir uns
mehr und mehr Richtung Nischen. So le-
gen wir gerade einen Fonds auf, der in
Anleihen notleidender Unternehmen in-
vestiert. Deren Preise würden im Falle
eine Rezession kollabieren und sind folg-
lich sehr günstig zu haben, wobei wir
uns die Rosinen herauspicken in der Er-
wartung, dass die Anleihen wieder stark
an Wert gewinnen. Von diesem Fonds er-
hoffen wir uns eine hohe einstellige oder
niedrige zweistellige Rendite. Wegen
des erhöhten Risikos ist das aber kein
Produkt für jedermann, sondern vor al-
lem für professionelle Großanleger ge-
dacht.
Haben Sie noch ein zweites Beispiel für
Ihre Nischenstrategie?
Wir haben gerade 600 Millionen Euro
für einen Fonds eingesammelt, der in Im-
mobilienprojekte investiert, also in Privat-
und Geschäftshäuser oder Hotels, die um-
gebaut, renoviert oder neu positioniert wer-
den müssen. Dafür haben wir ein Team in-
ternationaler Immobilienspezialisten rekru-
tiert. Ein solches Produkt kann man nicht
mit Robotern erschaffen. Das ist harte Ar-
beit, und die wird honoriert. Immer mehr
Kunden suchen nach etwas Speziellem.
Helfen Ihnen da nicht sogar die niedri-
gen Zinsen, weil die Kunden jetzt erst
recht solche Produkte nachfragen?
Es gibt eine Jagd auf Rendite. Aber die
Kunden haben auch Interesse an weniger
schwankungsanfälligen Anlagen. Private
Anlagen bringen optisch weniger Volatili-
tät. Das schützt Kunden vor sich selbst.
Wie meinen Sie das?
Wenn die Performance im Portfolio
klar sichtbar stark schwankt, geraten die
Kunden manchmal in Panik. Sie verkau-
fen große Teile ihrer Aktien und vernich-
ten dadurch Wert.
Was sind Ihre Pläne für Deutschland?
Wir sind in Frankfurt, Stuttgart und
München mit eigenen Büros im Markt
und bauen diese stetig aus. Deutschland
ist trotz der aktuellen Konjunkturschwä-
che die stärkste Wirtschaft in Europa. Es
gibt dort viele Familienunternehmer, die
ebenso wie wir langfristig denken. Das re-
gulatorische Umfeld ist besser abschätz-
bar als in anderen Märkten.
Die EU will die Beziehungen zur
Schweiz in einem Rahmenvertrag neu re-
geln. Aber die Regierung in Bern ziert
sich. Wie finden Sie das?
Wir sind sehr dafür, dass die Schweiz
dieses Abkommen bis Ende Oktober un-
terschreibt, also bis zum Abschied von
EU-Kommissionspräsident Juncker. Nur
sieht esim Momentleider nicht danach
aus. Das ist sehr schade – für die Schweiz
und die EU. Mehr als 60 000 Grenzgän-
ger kommen täglich in die Region Genf
zur Arbeit. Ein Teil Frankreichs würde
es in eine tiefe Krise stürzen, wenn sich
die Beziehungen verschlechterten, von
den Folgen für die wichtige Schweizer
Exportwirtschaft ganz zu schweigen.
Aber für die Schweizer Politiker ist es lei-
der viel einfacher, schwarzzumalen, als
über Vorteile dieses Rahmenvertrags zu
sprechen.
Das Gespräch führtenGerald Braunberger
undJohannes Ritter.
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Technikthemen
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Pictet gehört zu den ältesten und größ-
ten privaten Vermögensverwaltern der
Welt. Im Jahr 1805 in Genf gegründet,
verwaltet die Gruppe für überwiegend
sehr reiche Kunden ein Vermögen von
rund 500 Milliarden Franken. Mit 4500
Mitarbeitern erwirtschaftete Pictet
2018 einen Reingewinn von fast 600
Millionen Franken. Ein in der Höhe
nicht bekannter Teil geht an die sieben
Teilhaber, die zu den bestbezahlten
Führungskräften der Schweiz gehören.
Der 55 Jahre alte Renaud de Planta
arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten
für Pictet. Davor stand er in Diensten
der GroßbankUBS. Es gehört zur Stra-
tegie von Pictet, den Kreis der ge-
schäftsführenden Teilhaber für talen-
tierte Kräfte zu öffnen, die nicht den
Gründerfamilien entstammen. Für Auf-
sehen sorgte zuletzt die Verpflichtung
von Boris Collardi, der den Zürcher
Vermögensverwalter Julius Bär geführt
hatte. Aktuell sind mit Marc Pictet und
Bertrand Demole nur noch zwei Vertre-
ter der großen Genfer Geldadelsge-
schlechter in der Führung vertreten.
Jeder neue Teilhaber kauft sich zum
Buchwert ein. Dafür gewähren ihm die
anderen Gesellschafter eine Art Darle-
hen, das er aus seinen Gewinnanteilen
zurückzahlt. Wer aus dem Kreis aus-
scheidet, muss seine Anteile zum Buch-
wert an den oder die Nachfolger abge-
ben. Die Eigentümerschaft ist an die
Arbeits- und Leitungsfunktion gebun-
den und kann nicht vererbt werden. So
ist gewährleistet, dass nicht die Abstam-
mung, sondern die Qualifikation für
den Aufstieg auf die Kommandobrücke
ausschlaggebend ist, wo alle Entschei-
dungen einstimmig getroffen werden
müssen. Nach einem ungeschriebenen
Gesetz dürfen weder Vater und Sohn
noch Geschwister gleichzeitig Teilha-
ber sein. Damit will man eine Clan-Bil-
dung verhindern. Anwärter für einen
Platz am Teilhabertisch, die der Fami-
lie Pictet angehören, werden ausschließ-
lich von Nichtfamilienmitgliedern ge-
wählt. rit.
ImGespräch: Renaud de Planta, Seniorpartner der Schweizer Privatbank Pictet
Pictet – mehr als ein Familienbetrieb
Digitaler Kampf gegen Amokläufer, Regenfluten und Cyberattacken
Zur Krisenmanagement- und Katastrophenschutzplattform der amerikanischen Everbridge gehört auch Künstliche Intelligenz / Von Rüdiger Köhn
NETZWIRTSCHAFT
„Mit dem gegenwärtigen Leitzins ist die Schmerzgrenze erreicht“
Renaud de Planta Foto Guillaume Megevand
Derneue Chef des
Genfer Geldhauses über
seine Zweifel an der
Geldpolitik und die
Hoffnungen auf Asien.
Vorsicht, Tornado Foto Reuters