Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

D


er deutsche Bot-
schafter in Washing-
ton redete Klartext.
Mit diesem „anti-
deutschen Museum“ wolle er
nichts zu tun haben, ließ Peter
Hermes eine Gruppe jüdischer
Kongressabgeordneter wissen,
die mit ihm über das geplante
Holocaustmuseum in der US-
Hauptstadt reden wollten.
Dieser Ausbruch sei ein Fehler
gewesen, schrieb der Bundes-
tagsabgeordnete Peter Petersen
am 5. Februar 1985 an Bundes-
kanzler Helmut Kohl. Dass „die
Juden ein Holocaust-Museum
mitten in Washington errichten
wollen“, sei zwar Anlass zur Sor-
ge. Doch sollte man das Projekt
nicht boykottieren, sondern ver-
suchen, Einfluss auf die Muse-
umsgestaltung zu gewinnen. Wie
Petersen das ja im Auftrag Kohls
seit Jahren schon versuche.
ZZZwischen 1978, als US-Präsi-wischen 1978, als US-Präsi-
dent Jimmy Carter eine Kom-
mission unter dem Vorsitz von
Elie Wiesel beauftragte, Pläne
fffür ein nationales Holocaust-ür ein nationales Holocaust-
Mahnmal und -Museum
(USHMM) vorzulegen, und der
Eröffnung des Museums 15 Jahre
später hat „ein Netzwerk deut-
scher Politiker, Diplomaten,
hochrangiger Beamter und ande-
rer Individuen“ versucht, das
Konzept des Gedenkorts zu än-
dern. So der Historiker Jacob
Eder, der in Jena, Jerusalem und
New York forscht und lehrt. Die
deutschen Einmischungen doku-
mentiert Eder in seinem Buch
„Holocaust-Angst“, das 2016 von
der Oxford University Press auf
Englisch veröffentlicht wurde
und im Januar endlich auf
Deutsch bei Wallstein erscheint.
Die Lektüre ist besonders auf-
schlussreich vor dem Hinter-
grund deutscher Empörung
üüüber die Kritik der israelischenber die Kritik der israelischen
Regierung an den Aktivitäten
des Jüdischen Museums Berlin
unter seinem inzwischen zu-
rückgetretenen Direktor Peter
Schäfer. Anscheinend wird hier
mit zweierlei Maß gemessen.
Denn die erheblich massivere
und in ihren Zielen äußerst frag-

wwwürdige deutsche Einmischungürdige deutsche Einmischung
wwwurde von einem Großteil derurde von einem Großteil der
deutschen Presse wohlwollend
begleitet. Die „FAZ“ etwa klagte,
„die rituelle Beschwörung eines
kleinen Abschnitts der deut-
schen Geschichte“ (Alexander
Gaulands „Vogelschiss“ lässt
grüßen), könne „nur zu neuen
VVVorurteilen führen“.orurteilen führen“.
Schon 1979 ordnete das – da-
mals vom FDP-Mann Hans-Die-
trich Genscher geführte – Aus-
wärtige Amt alle diplomatischen
VVVertretungen der Bundesrepu-ertretungen der Bundesrepu-
blik in den USA an, Kontakte zu
Mitgliedern der Holocaust-
Kommission zu suchen, um
„Einfluss auf die Konzeption des
Mahnmals zu nehmen“. Ziel sei
es, einer „Konzeption entgegen-
zuwirken, die eine Identifikati-
on der Bundesrepublik Deutsch-
land mit dem Holocaustvorha-
ben (sic!) nahelegt“. Das war
noch unter Kanzler Helmut
Schmidt. Unter dem Historiker-
kanzler Kohl wurde die Einfluss-
nahme zur Chefsache.
Das Bundeskanzleramt sei
„sehr gegen das Holocaust-Mu-
seum“, ließ Kohls Redenschrei-
ber Hubertus von Morr den Jour-
nalisten Marc Fisher wissen.
„„„Wir können nicht verstehen,Wir können nicht verstehen,
wie Amerika wollen kann, dass
seine jungen Leute da hineinge-
hen und beim Herauskommen
sagen: ‚Mein Gott, wie können
wir mit diesem Teufelsnest ver-
bündet sein?‘“ Kohl selbst mach-
te sich auch Sorgen um die eige-
nen Bürger: „Was würde ein jun-
ger deutscher Besucher der USA
denken, wenn er die ganze Ge-
schichte seines Landes auf diese
zzzwölf schrecklichen Jahre redu-wölf schrecklichen Jahre redu-
ziert sieht?“ So fasste Petersen

Kohls Einlassungen vor der
CDU/CSU-Fraktion zusammen.
Das war die Zeit, da es weder
ein Holocaust-Mahnmal noch
ein dem Nazi-Terror gewidmetes
Museum in Berlin gab. Das Haus
der Wannseekonferenz wurde
als Kindererholungsheim ge-
nutzt. Auf den Trümmern des
Reichssicherheitshauptamts, der
heutigen Topographie des Ter-
rors, warb ein findiger Kleinun-
ternehmer damit, hier dürfe man
ohne Führerschein Auto fahren.
Um die negative Beeinflus-
sung der amerikanischen und
deutschen Jugend durch das Ho-
locaust-Museum zu verhindern,
verfolgte die Regierung zwei Zie-
le. Idealerweise wolle man „die
Konzeption des Museums dahin-
gehend beeinflussen, dass nicht
nur die Verbrechen der Deut-
schen an den Juden, sondern
üüüberhaupt Menschenrechtsver-berhaupt Menschenrechtsver-
letzungen in diesem Jahrhundert
in vielen Teilen der Welt“ darge-
stellt werden, schrieb Petersen
an den damaligen Vorsitzenden
der Unionsfraktion im Bundes-
tag Alfred Dregger: Holocaustre-
lativierung als deutsche Regie-
rungspolitik.
Sollte das nicht gelingen, soll-
te wenigstens ein Raum im ge-
planten Holocaust-Museum
dem deutschen Widerstand, den
deutschen Opfern, der Ge-
schichte der Bundesrepublik, ih-
rer angeblich vorbildlichen Ver-
gangenheitsbewältigung, der
Wiedergutmachung und ihren
ggguten Beziehungen zu Israel ge-uten Beziehungen zu Israel ge-
widmet werden.
Dazu „müssten wir die füh-
renden amerikanischen Juden
aaauf unsere Seite bekommen“, souf unsere Seite bekommen“, so
Petersen. Eine Möglichkeit sei
es, den „führenden Juden“ Elie
Wiesel für den Friedensnobel-
preis vorzuschlagen und ent-
sprechende Lobbyarbeit zu leis-
ten. Wiesel bekam tatsächlich
1 986 den Preis. Er zeigte sich für
den deutschen Vorschlag offen,
eine gemeinsame Kommission
einzurichten, in der fünf Ameri-
kaner („Juden“ in der Diktion
der internen deutschen Korres-
pondenz) und fünf Deutsche

VVVorschläge für die Gestaltungorschläge für die Gestaltung
des Museums entwickeln sollten.
Doch Wiesel trat bald darauf
als Gründungsdirektor des
USHMM zurück, und aus der
gemeinsamen Kommission wur-
de nichts. Wiesels Nachfolger
berichten, dass ihnen in der Fol-
ge von deutschen Emissären
Geld angeboten wurde, das sie
aaaber trotz der prekären Finanz-ber trotz der prekären Finanz-
lage des ausschließlich spenden-
fffinanzierten Museums ablehn-inanzierten Museums ablehn-
ten. So kam es,
dass das „Scheiß-
museum“ – so der
spätere Generalse-
kretär der CDU
VVVolker Rühe – ohneolker Rühe – ohne
die erwünschten Änderungen
und in Abwesenheit des eingela-
denen Bundeskanzlers 1993 fei-
erlich eröffnet wurde. Ein
schlechter Nachgeschmack
bleibt. Und die Erkenntnis, dass
die Regierungseinmischung in
die Konzeption und Arbeit von
Museen, die ihre Geschichtspo-
litik und das Selbstverständnis
ihres Landes berühren, durch-
aaaus kein israelisches Monopolus kein israelisches Monopol
darstellt. Wobei der Wunsch Is-
raels, in der Arbeit eines „Jüdi-
schen Museums“ in Deutsch-
land auch die Perspektive des jü-
dischen Staats berücksichtigt zu
sehen, kaum zu vergleichen ist
mit dem damaligen Versuch der
deutschen Regierung, den Holo-
caust zu relativieren.
Um ein weniger verfängliches
Beispiel zu zitieren: Das
Deutsch-Russische Museum in
Berlin-Karlshorst ist den
deutsch-sowjetischen Beziehun-
gen zwischen 1917 und 1945 ge-
widmet, vor allem dem „Großen
VVVaterländischen Krieg“. Trägeraterländischen Krieg“. Träger
sind die Bundesrepublik
Deutschland und die Russische
Föderation; dem Trägerverein
gehören deutsche, russische,
weißrussische und ukrainische
Institutionen an. Erinnerung als
gemeinschaftliche Aufgabe: Hier
ist sie, allen politischen Span-
nungen zum Trotz, Wirklichkeit.
WWWarum sollten im Stiftungsratarum sollten im Stiftungsrat
des Jüdischen Museums Berlin
angesichts seiner überragenden
Bedeutung auch für die deutsch-
israelischen Beziehungen neben
den dort schon sitzenden Vertre-
tern der Bundesregierung und
des Landes Berlin nicht auch
VVVertreter des Staates Israel undertreter des Staates Israel und
israelischer Institutionen sitzen,
etwa des Diaspora-Museums in
Tel Aviv oder der Hebräischen
Universität?
Es wäre ein Leichtes und be-
dürfte nur des guten Willens sei-
tens der Bundesrepublik, die Sat-
zung des Stiftungsrats zu ändern
und damit ein Ärgernis aus der
WWWelt zu schaffen; dem jüdischenelt zu schaffen; dem jüdischen
Staat das einzuräumen, was man
in Karlshorst den Russen ein-
räumt und was man in Washing-
ton selbst gern erreicht hätte.
Hier ist Christoph Stölzl als der
von Kulturstaatsministerin Mo-
nika Grütters eingesetzte Ver-
mittler und Anreger gefragt. Und
die Kanzlerin, die damit auch ein
bisschen Wiedergutmachung für
die Geschichtspolitik ihres Vor-
vorgängers leisten könnte.

Ein Plädoyer


zur Zukunft


des Jüdischen


Museums in


Berlin. Von


Alan Posener


Flamme im
Holocaust-
Museum in
WWWashingtonashington

AFP/GETTY IMAGES

/NICHOLAS KAMMIsrael soll


mitentscheiden


22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST2019


große Ganze zu zielen: die USA.
„Jungs werden Jungs bleiben,
aber wo sind die weisen Män-
ner?“, fragt sich Swift – ohne
Trump nur einmal zu erwäh-
nen, ist klar, auf wen sie sich
hier bezieht.
Lieder wie das oder „The
Man“ fallen in „Lover“ vor al-
len deshalb auf, weil sich das
Album ansonsten stark an sei-
nem Titel orientiert. Abgese-
hen davon ist es eine Platte
voller Liebeslieder. Es geht um
die große Liebe, Liebeskum-
mer und die Angst vor Bindun-
gen. In „London Boy“ geht es
um Swifts Vorliebe für briti-
sche Männer – sowohl ihr aktu-
eller Freund Joe Alwyn als auch
ihre Ex-Beziehungen Tom
Hiddleston und Calvin Harris
waren Briten. „Cornelia
Street“ richtet sich ganz per-
sönlich an Alwyn und den Be-
ginn der gemeinsamen Bezie-
hung in New York.
Es ist eine typische Taylor-
Swift-Pop-Ballade, mit langsa-
men Beats und Swifts Stimme
im Vordergrund. Im Gegensatz
dazu ist das Titellied „Lover“
eine klassische Gitarrenballade,
die – anders als Songs wie
„Calm Down“ – Spuren ihrer
Country-Wurzeln erkennen
lässt. Neben Liebe geht es auf
dem mittlerweile siebten Stu-
dioalbum von Taylor Swift –
wie so oft zuvor – auch um
Freundschaft. Um wahre und
falsche Freunde, um diejenigen,
die dich hintergehen („The Ar-
cher“), und solche, die dir ihre
eigenen Handschuhe geben,
wenn du deine in der Kälte ver-
loren hast („It’s Nice To Have A
Friend“).
Musikalisch unterscheidet
sich „Lover“ insofern vom Vor-
gänger „Reputation“, als Swift
weggeht von den Einflüssen des
Hip-Hop und sich stärker am
aktuellen Pop orientiert. Statt
Rap-Versuchen gibt es wieder
klassisch gesungene Strophen.
Geblieben sind die syntheti-
schen Pop-Beats, die in „Lover“
aber gemächlicher und weniger
aggressiv daherkommen als im
Vorgängeralbum.
Bisher bestand die hohe
Kunst der Taylor Swift darin,
sich von Album zu Album zwar
musikalisch zu verändern und
weiterzuentwickeln, aber die
Neuerungen in so homöopathi-
schen Dosen zu verteilen, dass
sie damit keine Fans ver-
schreckte. Bei „Lover“ ist das
anders: Musikalisch bleibt Tay-
lor Swift zwar die Alte, aber die
politischen Botschaften, die sie
in „Calm Down“, „The Man“
und vor allem in „Miss Ameri-
cana & The Heartbreak Prince“
verpackt, kommen einer klei-
nen Revolution gleich. Denn
damit riskiert Taylor Swift, die
Liebe einiger ihrer Südstaaten-
fans zu verlieren. Und die wird
auch mit Katzenbildern auf Ins-
tagram kaum zurückzugewin-
nen sein.


Liebe als Waffe


FORTSETZUNG VON SEITE 21
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