Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
Matthias Peer Jakarta

F


ür einen Online-Unternehmer
nimmt Achmad Zaky eine unge-
wöhnliche Zielgruppe in den Fokus:
Menschen ohne Internetzugang. In
seiner Heimat Indonesien ist dieses
Kundensegment beachtlich: Mehr als ein Drittel
des 270 Millionen Einwohner großen Landes
lebt offline. Um sie zu erreichen, hat der Start-
up-Gründer ein in Indonesien einzigartiges Pro-
jekt gestartet. Innerhalb weniger Monate schloss
er Vereinbarungen mit rund zwei Millionen
Kioskbetreibern, die mit seinem E-Commerce-
Unternehmen Bukalapak zusammenarbeiten.
Die Besitzer der Tante-Emma-Läden, die in In-
donesien unter dem Namen Warung bekannt
sind, helfen internetlosen Kunden dabei, über
Bukalapak Produkte zu bestellen oder Tickets zu
buchen. „Der Bedarf für solche Angebote ist rie-
sig“, sagt Zaky. „Und noch ist der Markt weitge-
hend unerschlossen.“
Zaky ist 32 Jahre alt. Er trägt Sportschuhe von
Adidas zu seinem dunklen Anzug. Seinen Plan
zur Revolution im indonesischen Einzelhandel
präsentiert er beim Interview in der Starbucks-
Filiale in einem von Jakartas riesigen Einkaufs-
zentren. Nebenan shoppen gleichaltrige Lands-
leute in den Filialen von H&M und Nike. In der
indonesischen Hauptstadt unterscheidet sich
das Einkaufsverhalten der Millennials kaum von
anderen Metropolen in Europa oder den USA.
Doch Zaky weiß, dass das bei Weitem nicht auf
das ganze Land zutrifft: Der Inselstaat erstreckt
sich vom westlichen Ende auf Sumatra bis zum
östlichsten Punkt auf Neuguinea über 17 000 In-
seln und mehr als 5 000 Kilometer. Viele Gegen-
den sind so abgelegen, dass für einen Kaufhaus-
besuch mindestens eine Tagesreise nötig ist. Für
Zakys E-Commerce-Firma ist die bisher unter-
versorgte Landbevölkerung die größte Wachs-
tumshoffnung. „Indonesien ist ein einzigartiger
Markt“, sagt der junge Gründer.
Mit Angeboten, die auf die spezifischen Be-
dürfnisse in dem Schwellenland abgestimmt
sind, hat Zakys Start-up einen Unternehmens-
wert von mehr als einer Milliarde Dollar er-
reicht. Sein Erfolgsmodell hat große Gemein-
samkeiten mit den drei anderen sogenannten

Unicorns in Indonesien. Sie alle bemühen sich,
mit ihrem lokalen Know-how über die Besonder-
heiten ihres Heimatmarktes Wettbewerber aus
Amerika und China auf Abstand zu halten: Der
Taxi-Dienst Go-Jek wehrte mit seinem Fokus auf
die in Indonesien weitverbreiteten Motorradta-
xis den US-Konkurrenten Uber ab. Das Reisepor-
tal Traveloka punktet mit alternativen Bezahllö-
sungen in einem Land, in dem kaum jemand ei-
ne Kreditkarte benutzt – und zog so Expedia als
Investor an. Und die E-Commerce-Portale Buka-
lapak und Tokopedia sehen sich im Vorteil mit
Lösungen für die logistischen Herausforderun-
gen in dem Inselstaat, an den sich Amazon bis-
her nicht herangewagt hat.

Lokale Kenntnisse
Das tiefe Wissen über die Alltagsprobleme der
Indonesier ist auch aus Sicht von Investoren der
größte Wettbewerbsvorteil der lokalen Start-up-
Szene: „Indonesische Probleme sind so grund-
sätzlich einzigartig, dass für sie eine indonesi-
sche Lösung notwendig ist“, zeigt sich Gitta
Amelia, Gründerin der Venture-Capital-Firma
Everhaus mit Sitz in Jakarta, überzeugt. „Mit lo-
kalem Wissen und einem lokalen Netzwerk,
kann ein Start-up auch einen globalen Konzern
mit tiefen Taschen hinter sich lassen.“
Zaky gehört zu den Gründern, die die Proble-
me, die sie lösen wollen, selbst erlebt haben. Er
wuchs in Sragen auf, einer ländlichen Gegend
auf Indonesiens Hauptinsel Java. Den Drang zum
Unternehmertum entdeckte er früh: Als er ein
Kind war, verdiente sich seine Mutter ein Zusatz-
einkommen mit selbst gemachtem Kuchen und
Eis am Stiel, die sie in der Nachbarschaft ver-
trieb. Zaky brachte die Produkte zu einem La-
den an seiner Schule und vereinbarte mit dem
Besitzer, die Erlöse zu teilen. Er lernte damals,
wie wichtig Partnerschaften sein können, um
Kunden am richtigen Ort zu erreichen.
Bukalapak startete 2010 als Online-Marktplatz,
der Produzenten und Käufer miteinander verbin-
den sollte. Während in Amerika und Europa zu
der Zeit Onlinehändler wie Amazon bereits gigan-
tische Produktkataloge aufgebaut hatten, gab es
in Indonesien kaum jemanden, der im In ternet

einkaufte. Zaky und seine Mitgründer mussten
auch erst Hersteller und Händler davon überzeu-
gen, dass es sich lohnt, Produkte auch online an-
zubieten. Gelegentlich stießen sie auf Geschäfts-
partner, die nicht einmal über eine E-Mail-Adres-
se verfügten. Das Büro der Bu kalapak-Chefs war
anfangs ihr eigenes Wohnzimmer.
Ihre ersten Erfolge hatten Indonesiens E-Com-
merce-Pioniere als Fahrradhändler: Eine Gruppe
aus Radliebhabern und Zubehörherstellern ver-
netzte sich über die Plattform. Nutzer, die weit
entfernt von Fachgeschäften lebten, bekamen
erstmals einfachen Zugang zu Ersatzteilen und
Sonderanfertigungen. Die Chancen im digitalen
Geschäft sprachen sich auch in anderen Bran-
chen herum. Inzwischen vertreiben mehr als
vier Millionen indonesische Unternehmer ihre
Waren über Bukalapak, täglich werden darüber
mehr als zwei Millionen Transaktionen abgewi-
ckelt. In diesem Jahr sollen auf Bukalapak nach
Prognosen des Unternehmens Waren im Wert
von fünf Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Die im vergangenen Jahr gestartete Zusam-
menarbeit mit den indonesischen Kiosken eröff-
net Zaky eine weitere Einnahmequelle: Die Be-
treiber können per App auch ihr Inventar auffül-
len lassen. Das erspare den Warung-Besitzern
den Weg zum Großhandel, der in der Regel mit
Einnahmeausfällen verbunden ist, weil das
Kiosk in der Zeit schließen muss. „Mein Ziel ist
es, den kleinen und mittelgroßen Unternehmen
Möglichkeiten für ein besseres Einkommen zu
bieten“, sagt Zaky.
Zakys Worte dürften auch dem Staatschef des
Landes gefallen. Der indonesische Präsident Jo-
ko Widodo sucht die Nähe zu den erfolgreichen
Start-ups und erhofft sich von ihnen einen
Schub für die gesamte Wirtschaft. Eines seiner
ersten Interviews nach seiner Wiederwahl im
April widmete der Politiker den Einhorn-Unter-
nehmen. „Die Unicorns wachsen nicht nur für
sich alleine“, sagte er dem japanischen Wirt-
schaftsmagazin „Nikkei“. „Sie müssen kleine Un-
ternehmen bei ihrem Aufstieg mitnehmen.“ Wi-
dodos Erwartungen sind groß: „Wir wollen, dass
Indonesien ein Zuhause für Technologiegiganten
wird“, verkündete er. Der Markt seines Landes

Die Serie
Als Einhorn bezeichnet die
Gründerszene junge
Unternehmen, die mit
mindestens einer Milliarde
Dollar bewertet werden.
Weltweit ziehen immer
mehr Gründungen
Risikokapital an.
Die Handelsblatt-
Korrespondenten haben
Einhörner in ihrem
Berichtsgebiet herausge-
sucht, deren Entwicklung
sie besonders beeindruckt.
Sie schildern zudem,
wie die Bedingungen für
aufstrebende Unterneh-
men und Investoren
in ihrem jeweiligen Land
sind. Im vierten Teil der
Serie beschreibt Mathias
Peer den digitalen Markt-
platz Bukalapak.

In der kommenden
Woche berichtet
Korrespondent Martin
Kölling über KI und die
Kryptobörse in
Japan.

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  • START-


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Einhorn Bukalapak


Das


Geheimnis


der Nähe


Das Einhorn Bukalapak ist in Indonesien


erfolgreicher als Amazon. Der digitale


Marktplatz hilft Menschen ohne Internet -


zugang, Waren online zu bestellen –


mithilfe seines Netzwerks an Kiosken.


Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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