Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1

M


it der Sommerruhe ist es vorbei.
Während die Vertreter der Gro-
ßen Koalition auf die ostdeut-
schen Landtagswahlen wie das
Kaninchen auf die Schlange star-
ren, kündigt sich der Wirtschaftsabschwung an.
Welche Folgen sich daraus ergeben, hat die Politik
nicht im Blick. Bisher ist in erster Linie Wirt-
schaftsminister Peter Altmaier darauf vorbereitet.
Er wird in Kürze seine Mittelstandsstrategie vorle-
gen. Altmaier stellt die entscheidende Frage: Was
muss die Politik tun, damit Familienunternehmen
morgen noch erfolgreich sind? Damit lenkt der
Wirtschaftsminister den Blick auf unsere Stand-
ortbedingungen. Das ist überfällig, denn die deut-
sche Regierung hat die Wettbewerbsfähigkeit des
Landes seit Langem vernachlässigt.
Deutschland braucht eine Agenda gegen den
Abschwung. Doch die Große Koalition verkennt in
ihrer Gesamtheit noch immer den Ernst der Lage.
Der Regierung fehlt eine Strategie gegen die
Wachstumsschwäche. So hat Bundesfinanzminis-
ter Olaf Scholz lange Zeit den Eindruck erweckt,
eine kleine Konjunkturdelle könne der guten
Stimmung in der Wirtschaft nichts anhaben.
Mit der Ankündigung des völlig unzureichenden
Abbaus des Solidaritätszuschlags vollzieht der Fi-
nanzminister einen Kursschwenk. Er sieht die teil-
weise Streichung des Solidaritätszuschlags – nur
die Hälfte des Aufkommens wird an die Steuerzah-
ler zurückgegeben – als Maßnahme, um die Kon-
junktur zu stützen. Doch diese Rechnung wird
nicht aufgehen. Bisher ist die Binnenkonjunktur
noch intakt, doch der Automobilindustrie und
dem Maschinenbau brechen die Umsätze weg.


Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich Unterneh-
men mit Investitionen zurückhalten. Wichtig wäre
es deswegen, deren Anreize für Investitionen zu
erhöhen. Doch gerade diejenigen, die Investitions-
entscheidungen treffen, sollen bei der Soli-Sen-
kung leer ausgehen: Das sind die Familienunter-
nehmen, Handwerker und Selbstständige. Dies ist
konjunkturpolitisch das falsche Signal. Es ist er-
freulich, dass Wirtschaftsminister Altmaier einen
Plan für die vollständige Entlastung vorgelegt hat.
Was muss die Regierung gegen den Abschwung
tun? Dass der Wirtschaftsminister bei den Famili-
enunternehmen ansetzen will, ist richtig. Auf sie
entfallen 60 Prozent der Arbeitsplätze in Deutsch-
land. Aus Sicht unserer Familienunternehmen
sollte die Regierung ein Sofortprogramm für
nachhaltiges Wachstum auflegen und überfällige
Strukturreformen anpacken.
Am dringlichsten ist eine steuerliche Entlastung
der Unternehmen. Deutschland ist für unsere Be-
triebe längst zum Höchststeuerland geworden. Ei-
ne Senkung der Unternehmensteuerbelastung
von zurzeit 31 auf 25 Prozent würde den notwen-
digen Spielraum für Investitionen schaffen und
damit einen Gleichstand im Steuerwettbewerb.
Das mit dem Argument abzutun, die Haushaltsla-
ge gebe dies nicht her, überzeugt nicht. So ließen
sich Steuersenkungen etwa auch etappenweise
realisieren. Auf diese Weise bliebe die „schwarze
Null“ gesichert.
Die europäischen und deutschen Politiker müs-
sen sich auf eine Steigerung der Wettbewerbsfä-
higkeit verständigen. In den vergangenen Jahren
hat die EU viele bürokratische Regelungen auf
den Weg gebracht, die unserer Wirtschaft scha-

den. So wurde zum Beispiel europaweit ein
Transparenzregister eingeführt, das alle Gesell-
schafter eines Unternehmens zur Offenlegung
zwingt. Der Datenschutz für Familienunterneh-
mer bleibt dabei auf der Strecke. Dabei reicht es
aus, wenn den Behörden die Angaben bekannt
sind. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen
große Familienunternehmen nun dazu verpflich-
tet werden, Steuer- und Gewinndaten für die ein-
zelnen Länder, in denen sie tätig sind, zu veröf-
fentlichen. Würde das umgesetzt, erhielten au-
ßereuropäische Konkurrenten und Investoren
einen tiefen Einblick in die Ergebnisrechnung eu-
ropäischer Unternehmen. Wer ein gläsernes Fa-
milienunternehmen schaffen will, setzt die hohe
Wirtschaftskraft des Mittelstands aufs Spiel.
Die Koalition muss dafür Sorge tragen, dass die
überhöhten Strompreise wieder auf ein wettbe-
werbsfähiges Maß reduziert werden. Dem Welt-
klima ist nicht geholfen, dass wir Ökostrom zwar
im Überfluss produzieren, sich die industrielle
Fertigung aber in andere Staaten verlagert, die
weiter auf Kohlekraft setzen. Nötig ist auch eine
Offensive für mehr Aus- und Weiterbildung. Wir
benötigen dafür keine Mindestausbildungsvergü-
tungen, wohl aber eine bessere Ausstattung der
Berufsschulen und eine stärkere Einbeziehung
unserer Hochschulen. Es ist Zeit, die unzurei-
chende digitale Infrastruktur auszubauen.
Gerade jetzt, in den Zeiten des Abschwungs,
muss die Große Koalition ihre Existenzberechti-
gung unter Beweis stellen.

Agenda gegen

den Abschwung

Der Regierung fehlt eine Strategie gegen die


Wachstumsflaute, kritisiert Brun-Hagen Hennerkes –


lobt aber den Wirtschaftsminister.


Der Autor ist Vorsitzender des Vorstands
der Stiftung Familienunternehmen.

Thomas Klink [M]

Gerade die -


jenigen, die


Investitions -


entscheidun-


gen treffen,


sollen bei der


Soli-Senkung


leer ausge-


hen: die


Familienunter -


nehmen


und viele


Handwerker


und Selbst-


ständige.




   


 

  




 
 




 
 
 

 
 


Gastkommentar
DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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