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mehr. Allerdings möchte ich betonen, dass
auch eine Herkunft aus dem Osten damals
nicht davor schützte, von einem habituellen
Frankreichfimmel gepackt zu werden, ganz
im Gegenteil. Da kann ich nun wirklich mit
reden, denn ich komme da her. Und ich bin
deshalb auch sicher, dass selbst Angela Mer
kel damals dauernd Filme mit Belmondo
geschaut und Alain Delon hinreißend ge
funden haben muss – so angenehm wort
karg wie der war, zumal für einen Franzosen.
Ich weiß natürlich nicht, ob auch sie ihn
liebevoll Ellen Dellen genannt hat, wie so
viele im Osten. Aber in meiner Erinnerung
gab es im Fernsehen der DDR grundsätzlich
entweder politische Propaganda oder Filme
mit Alain Delon. Oder Jean Gabin. Ent
weder finstere Blicke von KarlEduard von
Schnitzler oder von Lino Ventura. Ich habe
mir auf diesen Kanälen damals mit Sicher
heit insgesamt häufiger die Schauspiele
rinnen Isabelle Huppert und Isabelle Adjani
angesehen als Angelika Unterlauf, die Nach
richtensprecherin der Aktuellen Kamera.
Und dabei war ich damals womöglich ein
bisschen jung für die Filme, in denen Isabel
le Huppert und Isabelle Adjani damals ihre
Künste und mitunter auch ganz schön viel
von ihren Körpern zeigten. Aber über Pierre
Richard war ich schon hinaus, und der hatte
seine Späße ebenfalls andauernd in den
Fernsehern und Kinos der DDR getrieben.
Was auch immer die Genossinnen und Ge
nossen, die das eingekauft, sowie die Mes
dames und Messieurs, die es ihnen über den
Eisernen Vorhang geschickt hatten, jeweils
damit bezwecken wollten: Die Effekte auf
den Gemütshaushalt waren auf alle Fälle
gigantisch.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich
sagen, dass die Programmverantwortlichen
mit der historisch ausstaffierten Softporno
ReiheSérie Rose, die sie dann inErotisches
zur Nachtumbenannten, große Teile der
reiferen Jugend samstagnachts vor dem
Fernseher festnagelten. Und mit absoluter
Sicherheit kann ich bestätigen, dass die jün
gere Jugend nach der Ausstrahlung vonLa
Boum – Die FeteundLa Boum 2 – Die Fete
geht weiterauch im Osten Deutschlands bru
talst in Sophie Marceau verknallt war. Oder
in Pierre Cosso. Oder in beide.
Philippe weiß das inzwischen alles. Er
muss es sich in unseren Doppelstunden oft
genug anhören, wie ein Therapeut. Außer
dem trainiert es einen in der Verschieden
artigkeit der Vergangenheitsformen, wobei
ich mich meistens für dasimparfaitent
scheide, egal, was Philippe sagt, ganz einfach
aus Sympathie und aus Prinzip: Die Ge
schichte dieser Beziehung ist nun einmal
nicht perfekt. Daspassé composéhingegen
können sie von mir aus auch inpassé composté
umbenennen: Ich möchte einfach nicht,dass
diese Dinge folgenlos im Gestern verrotten,
ich finde vielmehr, dass sie noch von Rele
vanz für Gegenwart und Zukunft sein sollten.
Denn wenn es mit der deutschfranzö
sischen Freundschaft schon nicht mehr so
weit her ist, möchte ich umso dringlicher
auf die Geschichte einer spezifisch ostdeut
schen Frankreichsehnsucht hinweisen. Und
damit meine ich weniger die vergilbenden
Ausgaben der kommunistischen Tageszei
tungL’Humanitéan den Kiosken oder das
SchulbuchBonjour les amis, in denen die
Widrigkeiten des kapitalistischen Alltags
der armen Franzosen in grauestmöglichen
Farben geschildert wurden. Vielmehr war es
doch immerhin so, dass die Forderungen
nach Reisefreiheit im Herbst 1989 in aller
Regel mit »Einmal Paris sehen« begründet
wurden. Um Hannover oder Wuppertal
ging es, bei allem Respekt, bei diesen Sehn
süchten weniger. Und dass in den sogenann
ten neuen Bundesländern danach der
Renault 19 jahrelang zum meistgekauften
Auto wurde, zeitweise deutlich vor dem
VW Golf: Das muss ja auch seine Gründe
gehabt haben. Selbst Erich Honecker hatte
sich ja schon am liebsten in einem Citroën
CX herumfahren lassen, Geschenk aus
Frankreich, dessen sagenhafte Hydraulik
federung ihn ganz gut über die Rumpelig
keit seiner Autobahnen hinweggetröstet
haben dürfte. Außerdem war das Tankstel
lennetz Ostdeutschlands dann ohnehin
ganz schnell in französischer Hand. Wer
sich heute noch für die Hintergründe inte
ressiert, googelt bitte unter den Stichworten
Minol und LeunaAffäre. Ich kannte damals
jedenfalls viele im Osten, die lieber der Bre
tagne oder der Bourgogne beigetreten wä
ren als der Bundesrepublik.
Die Geschichtsschreibung wirkt manch
mal ein bisschen uneinig in der Frage, wie
begeistert François Mitterrand von der deut
schen Wiedervereinigung war. Heute liest
man mitunter, er sei immer ein glühender
Befürworter gewesen. Damals wirkte es eher
so, als interessierte er sich mehr dafür, ob
die Ostdeutschen sich nicht über die Jahre
zu einer ganz eigenen Kulturnation ent
wickelt hätten, die dann mit derjenigen der
Westdeutschen nicht ganz so zwingend zu
sammengelegt werden müsste. Jedenfalls
bereiste Mitterrand kurz vor Weihnachten
1989 noch einmal ein paar Tage lang mit
auffällig ethnologischem Interesse die zer
fallende DDR, und ein paar Wochen später
reiste ein Großteil der Kunstszene des Lan
des zu einer Ausstellung in den ehemaligen
Pariser Schlachthof La Villette.
Angeregt hatte das der Pariser Journalist
Maurice Najman, den man in Filmaufnah
men von damals hinter viel Zigarettenrauch
das Programm verkünden sieht: »It is a cul
tural exhibition, but it is also a politique
event«, sagt er da auf Englisch, was, bei allen
DDDeutsch-
frrranzösische
UUUnterschiede
fififinden sich
nnnatürlich nicht
nnnur in
ddder Sprache.