Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

(Brent) #1

24 SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N


nur noch in Ländern unterwegs war, wo der
SubjonctifeinfachSubjuntivoheißt und viel
regelmäßiger gebildet wird. Und die Folgen
muss mein armer Lehrer Philippe jetzt aus­
baden, wann immer ich in unserem Konver­
sationskurs am Institut français versuche,
ihm spanische Vokabeln als französische
unterzujubeln.
Man musste einen kleinen Einstufungs­
test machen dort, dessen Ergebnisse bei mir
nach all den Jahren des Ver­
gessens wild zwischen Fort­
geschritten und Totalanfän­
ger oszillierten. Dann wur­
de mir dieser junge, kluge
Mann aus Paris als Lehrer
zugeteilt, den es nach Berlin
verschlagen hatte, weil er
sich für deutschsprachige
Denker interessiert. Er hat
Soziologie studiert, und
entsprechend ist seine Sicht
auf das Problem. Spanisch,
sagt er, sei in Frankreich
das, was die weniger ehrgei­
zigen Schüler lernen. Es
klang ein bisschen, als wol­
le er mir meine damalige
Wahl schlechtreden. Aber
er beteuerte, dass diejeni­
gen, die zum Deutschunterricht geschickt
werden, oft den wohlhabenderen Eltern­
häusern und dem Bildungsbürgertum ent­
stammten. »L’allemand comme matière à
l’école est un marqueur social« schrieb er an
die Tafel. Und dann: »un marqueur des
élites«. Sollte heißen: Französische Schüler
müssten sich als zweite Fremdsprache nach
Englisch zwischen Spanisch und Deutsch
entscheiden, und die Kinder der Ober­
schichten wählten schon deshalb aus Prin­
zip Deutsch, weil es schwerer ist und weil
die anderen es nicht nehmen. »On fait
l’allemand« – Man macht Deutsch. Spreche
es dann aber für den Rest des Lebens eher
nie wieder. Mit Haushaltsgeräten oder Au­
tos muss man sich schließlich nicht unter­
halten, und das seien nach wie vor die
Hauptattraktionen aus dem Nachbarland.
Die Bücher von Peter Sloterdijk – »un peu
un rock star en France« – lägen in Über­
setzungen vor. Und viel mehr als das
interessiere dort niemanden. Philippe
klagt über eine Ex­Freundin, die nicht mit
nach Deutschland ziehen wollte, weil:
»L’Allemagne n’est pas sexy.« Außer bei den­
jenigen Franzosen, die bereits auf Nimmer­
wiedersehen darin versackt sind, sei auch
der Donnerruf des Berliner Nachtlebens nie


wirklich durchgedrungen. »L’ignorance
française«, schrieb er an die Tafel. Es wird
viel geseufzt in unserem Unterricht.
Aber dann wird umso stoischer weiter­
gemacht. Denn darum geht es ja.
Nun gibt es tatsächlich erste, zaghafte
Erfolge zu vermelden. Es ist nur nicht ganz
klar, ob das an mir liegt, an Philippe oder
an der Zeit, die vergangen ist. Wenn ich
jetzt wieder nach Paris fahre, kommt mir
die Stadt kleiner vor als da­
mals, die Leute dafür aber
großmütiger. Irgendwann
saß ich sogar mit der er­
wähnten Anne Berest zu­
sammen im berühmten
»Café Flore«. Sie hatte mit
ihrer Schwester zusammen
ein Buch über ihre Groß­
mutter geschrieben, das al­
lein Grund genug wäre, die
französische Sprache zu er­
lernen. Denn unverständli­
cherweise hat es bisher kein
deutscher Verlag übersetzt.
Dabei geht es inGabriële
um die Frau, die Francis
Picabia geheiratet und Mar­
cel Duchamp geliebt hat,
eine Frau, die hinter den
Karrieren von gleich zwei der bedeutends­
ten Künstler der Moderne steckte, nachdem
sie selbst als Pianistin und Komponistin
Furore gemacht hatte, unter anderem im
wilhelminischen Berlin.
Wir sprachen über das Buch. Das heißt,
ich versuchte, über das Buch zu sprechen.
Anne Berest hörte sich diese Versuche mit
rührender Langmut an. Irgendwann sagte
sie auf Deutsch: Wir können auch Deutsch
reden.
Nun klingt es ungleich charmanter,
wenn jemand mit französischem Akzent
Deutsch spricht, als umgekehrt. Allein die
Obsession, alle Wörter möglichst nahtlos
miteinander zu verschmelzen, macht dann
selbst aus deutschen Sätzen kleine Lieder,
während sich unsere abgehackte Intonation
für französische Ohren vermutlich immer
anhört wie das Morsealphabet oder ein
Schluckauf.
Umso bemerkenswerter ist die Geduld,
die einem in Paris auf einmal auch von
Leuten entgegengebracht wird, die kein
Deutsch können. Aber wenn man früher
auf Englisch fragen musste, um eine Ant­
wort auf Französisch zu bekommen, ist es
jetzt umgekehrt. Die wahre Umwälzung
durch das Internet hat offensichtlich in

Frankreich stattgefunden. Das Englische ist
auf einmal kein Problem mehr, sondern
ganz normal. In Bezug auf die Beziehung,
die wir wieder anbahnen, das Französische
und ich, hat es ungefähr die Funktion eines
Mediators. Man kann darauf bei Bedarf aus­
weichen. Als ich neulich trotzdem stur wei­
ter das geredet habe, was ich für Französisch
hielt, hat die Wirtin der kleinen südfranzö­
sischen Pension mit genau den gleichen
Accents aigusüber den Augen zugehört, die
ich in solchen Fällen auch von meinem Leh­
rer Philippe kenne. Es war eine Szene wie
aus einem der französischen Filme, die ich
mir einbilde, als Kind im DDR­Fernsehen
immer gesehen zu haben: Die Tafel stand
draußen vor dem Landhaus, das so tat, als
wäre es ein kleines Château. Rechts davon
graste ein Schimmel. Links wuchs Gras aus
einem weißen Peugeot 205. Ein Monsieur
mit sehr alten Tätowierungen auf den Un­
terarmen hatte ein Kaninchen gekocht,
rauchte selber aber lieber Filterlose, statt zu
essen, denn es war wirklich ein bisschen
heiß für Kaninchen an diesem Mittag. Des­
wegen bestand die Wirtin darauf, wenigs­
tens ausreichend zu trinken – allerdings
nicht nur Wasser, sondern vor allem Rosé
aus der Region. Ein paar durchreisende
Gäste aus Spanien wollten Kaninchen wie
Roséwein in hohen Tönen loben und baten
mich zu übersetzen. Denn gemessen an
deren Fremdsprachkenntnissen war sogar
mein Französisch exzellent. Dann schwärm­
ten sie der Wirtin von Reisen in die ihrer
Ansicht nach sehr exotische Stadt Berlin
vor. Diese hörte sich das auch alles mit gro­
ßem Interesse an, warf gelegentlich Rück­
fragen auf Englisch ein, von denen ich
mich, wie gesagt, nicht abhalten ließ, es in
ihrer eigenen Sprache zu versuchen – und
dann passierte es: Sie nickte, als verstünde
sie mein Französisch zumindest teilweise
tatsächlich. Nur ganz beiläufig korrigierte
sie hier mal ein falsch gesetztesImparfait,
dort einPasse composé.
Seitdem ist mir um das Futur nicht mehr
bange.

Der Kulturkorrespondent derSZin Berlin hat be-
reits die nächste Sprache im Blick, die er dringend
mal wieder auffrischen möchte: Russischlehrer der
Stadt, es kommt harte Arbeit auf euch zu.

Musste man


f rüher auf


Englisch f ra gen,


um eine Ant wort


auf Französisch


zu bekommen,


ist es jetzt


umgekehrt


PETE R RICH TER
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