Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1
20 Weltwoche Nr. 35.
Bild: Dietmar Denger (Laif, Keystone)

N

ach dem Klima-Alarm macht sich in
der Schweiz Wasser-Panik breit. Mitte
August hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu)
einen Bericht zum Zustand des Grundwassers
in der Schweiz veröffentlicht, der den Ein-
druck erzeugt, dass die sichere Trinkwasser-
versorgung zunehmend in Gefahr gerate und
das Land Raubbau an einem seiner kostbars-
ten Rohstoffe betreibe. Medien, vor allem die
NZZ, haben dem Alarm publizistisch Nach-
druck verschafft, und dieser Tage hat der Blick
ihn aufgefrischt mit der Schlagzeile: «Bauern
bauen Mist – und die Behörden tun nichts».
Der Kampf um das Wasser in der Schweiz wird
verbissener, die Auseinandersetzung zwi-
schen Umweltlobby und Landwirtschaft funkt
zurzeit direkt in die laufenden parlamenta-
rischen Behandlungen von Umweltthemen
hinein.

Appell an die Politik
Der Bafu-Grundwasserbericht und die damit
verbundenen Medienberichte erschienen
nämlich kurz vor der Sitzung der zuständigen
Ständeratskommission, an der zwei einschlä-
gige Initiativen von Umweltorganisationen
auf der Traktandenliste standen. Die Umwelt-
lobby fordert die hundertprozentige Reinheit
des Grundwassers und Nulltoleranz gegen-
über jeglicher Beeinträchtigung durch die
Zivilisation. So verlangt die Trinkwasser-
ini tiative, dass den Bauern, die Pestizide
oder bestimmte Antibiotika anwenden, die
Direktzahlungen zu streichen seien. Und die
Initia tive für eine Schweiz ohne synthetische
Pestizide soll die Anwendung von Pflanzen-
schutzmitteln überhaupt verbieten.
Die Landwirtschaft dagegen will einen ge-
wissen Spielraum für eine Landnutzung be-
halten, bei der in begrenztem Umfang Stoffe
ins Wasser gelangen, die von Natur aus nicht
drin sind. Der Bauernverband mit Präsident
Markus Ritter konnte seine Position in der
Juni-Sitzung des Nationalrats durchbringen,
als die Versammlung einen Gegenvorschlag
zur Trinkwasser- und zur Anti-Pestizid-Initia-
tive ablehnte. Die soeben erfolgte Publikation
der Bafu-Grundwasserstudie kann damit als
Unterstützung für das Umweltlager gesehen
werden, das nach der Niederlage im National-
rat nun neue Munition für den Kampf im
Zweitrat erhalten soll.
Die Medienmitteilung zur Studie von Mitte
August machte jedenfalls rasch klar, dass die
Umweltbehörde der Landwirtschaft kritisch

gegenübersteht, denn gleich in der Einleitung
hiess es: «In der Schweiz sind wir es gewohnt,
dass aus Grundwasser qualitativ einwandfreies
Trinkwasser in ausreichender Menge gewon-
nen werden kann. Dies ist heute jedoch nicht
mehr selbstverständlich, denn die Grund-
wasservorkommen weisen zunehmend Verun-
reinigungen auf, die mehrheitlich aus der
Landwirtschaft stammen.» Die Botschaft des
Bafu lautet: Die Qualität des Wassers und der
damit verbundenen Natur ist zunehmend in
Gefahr, grosse Schäden drohen, und schuld
daran ist vor allem die Landwirtschaft.
Entsprechend lautet der Appell an die Poli-
tik: «Schutz vor Verunreinigungen ausbauen


  • vor allem Landwirtschaft gefordert». Grund-
    lage der Alarmmeldung ist ein gut 130-seitiger
    Bericht der Nationalen Grundwasserbeobach-
    tung (Naqua) mit Daten von rund 600 Mess-


stellen in der Schweiz, an denen Bundes- und
Kantonsstellen Zustand und Entwicklung der
Grundwasservorkommen erhoben haben.
Vorher gab es bereits zwei ähnliche Program-
me, so dass eine Einschätzung der langfristi-

Essay der Woche


Das Bundesamt schürt Wasser-Panik


Von Beat Gygi _ Die Landwirtschaft gefährde das Schweizer Grundwasser.
Mit dieser Kritik mischt sich das Bundesamt für Umwelt in die Debatte über die Trinkwasserinitiative.
Die Zahlen stützen die Behauptungen nicht.

Hat sich die Situation wirklich verschlechtert?

Stärker als die Landwirtschaft
behindern oft Siedlungen und
Strassen den Trinkwasserschutz.
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