SEITE 22·MITTWOCH, 4. SEPTEMBER 2019·NR. 205 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
E
ine interessante Story zieht viel
besser als die besten Fakten. An
der Börse werden die solidesten Unter-
nehmen häufig kaum beachtet – es sei
denn, sie machen aus ihren Stärken ei-
nen Hoffnungswert. Bei Varta ist das
gut zu beobachten. Der Batteriespezia-
list versuchte sich im Jahr 2016 erst-
mals vergeblich an einem Börsengang.
2017 klappte es dann doch, und seither
hat sich der Börsenkurs vervierfacht.
So scharf sind die Anleger auf Varta-
Aktien, dass sie bereit sind, das 75-Fa-
che des für dieses Jahr erwarteten Ge-
winns zu zahlen. Was ist passiert? Heu-
te wird Varta nicht mehr mit einem
langweiligen Alltagsprodukt assozi-
iert, sondern mit einer Reihe von Zu-
kunftsmärkten. Knopfzellen für Hörge-
räte sind angesichts der alternden Be-
völkerung zwar auch ein lohnendes
Produkt, aber noch viel spannender
klingt die Geschichte doch, wie sie sich
jetzt darstellt: Die kleinen Batterien
passen nämlich auch in die kabellosen
Kopfhörer, von denen wohl bald fast je-
der welche haben wird, weil sie so prak-
tisch sind. Weil mit Varta zudem noch
die Phantasie mitschwingt, dass das
Knowhow über die Batterieproduktion
ja auch im Zeitalter der Elektromobili-
tät ein wichtiges Pfund ist, gibt es für
manche Anleger offenbar kein Halten
mehr. Jetzt kommt es nur noch darauf
an, die Grenze zwischen Phantasie
und Realitätsverlust zu erkennen.
PARIS, 3. September
I
n der Allianz zwischenRenaultund
Nissanknirschtes bekanntlich, seit
der ehemalige Vorstandsvorsitzende
Carlos Ghosn in Japan entmachtet wur-
de. Der lachende Dritte ist der französi-
sche Erzrivale PSA Peugeot Citroën.
Denn bei ihm kommen immer mehr Top-
manager unter, die Renault verlassen müs-
sen, weil dort unter die Ära Ghosn ein
Schlussstrich gezogen werden soll. Jüngs-
ter Fall ist der Direktor der Renault-Nis-
san-Allianz, Arnaud Deboeuf. Er wird
nun bei PSA Direktor der industriellen
Strategie, wie der Konzern mitteilte.
Der 1967 geborene Franzose war eine
Schlüsselfigur für die japanisch-französi-
sche Zusammenarbeit. Seit 2010 arbeite-
te er für die Allianz, seit 2015 als der „Di-
rektor des CEO Office“. Deboeuf, der
nach der Eliteschule Polytechnique 1993
bei Renault als Ingenieur anfing, war
auch Mitglied des Renault-Konzernvor-
standes. Er verfügt über breite Erfah-
rung, auch aus Südkorea, wo er zwischen
2004 und 2007 für Strategiefragen und für
den Einkauf bei Renault Samsung Motors
verantwortlich war.
Deboeufs Abschied erfolgt nicht leise.
In einem Schreiben an die Mitarbeiter der
Renault-Nissan-Allianz, das an die franzö-
sische Presse gelangte, berichtet er unver-
hohlen über die Hintergründe aus seiner
Sicht: Der Renault-Generaldirektor Thier-
ry Bolloré habe ihm gegenüber erklärt,
dass „niemand mehr mit mir arbeiten wol-
le, ich müsse daher Renault verlassen und
dürfe auch nicht bei Nissan arbeiten“. An
seine Mitarbeiter gerichtet, fügte er hinzu:
„Diese Worte hätten mich verletzt, wenn
ich nicht um all die Momente wüsste, die
wir geteilt haben, und um die Vertrauens-
beweise, die Sie mir gegeben haben.“
Der Kehraus bei Renault ist schon eine
Weile im Gange. Wer Ghosn nahestand,
muss gehen, lautet die Devise. Nur den Ge-
neraldirektor Thierry Bolloré, der das ope-
rative Konzerngeschäft leitet, betrifft das
nicht. Er war von Ghosn zu seiner Num-
mer zwei berufen worden, doch jetzt greift
er vom Chefposten aus gegen die Wegge-
fährten seines ehemaligen Vorgesetzten
durch. So hat Mouna Sepehri, die rechte
Hand von Ghosn, Renault verlassen, eben-
so der für den Vertrieb zuständige Thierry
Koskas. Auch Bruno Ancelin, früherer Di-
rektor für Produkte und Programme, so-
wie Jean-Christophe Kugler, der für das
Europa-Geschäft verantwortlich war,
kehrten dem Hersteller den Rücken.
Früher galt zwischen den Erzrivalen Re-
nault und PSA die ungeschriebene Regel,
dass man Talente nicht aggressiv vom an-
deren abwerbe. Doch schon 2013 kam es
zu einem spektakulären Wechsel: Die da-
malige Nummer zwei von Renault, Carlos
Tavares, übernahm die Spitze von PSA, al-
lerdings nicht ohne eine Karenzzeit von
gut einem halben Jahr. Heute profitiert
PSA von der Renault-Nissan-Krise: Min-
destens acht ehemalige Renault-Manager
sitzen inzwischen im erweiterten PSA-Vor-
stand. Koskas wurde im März Direktor für
Vertrieb und Marketing. Der für den Moto-
renbereich in der Renault-Nissan-Allianz
zuständige Alain Raposo kümmert sich
jetzt bei PSA um die Antriebe. Yann Vin-
cent ist bei PSA für industrielle Projekte
zuständig, bei Renault war er für Qualitäts-
fragen verantwortlich.
Die Börse hat der personelle Aderlass
bei Renault am Dienstag indes nicht beun-
ruhigt. Der Aktienkurs stieg zeitweise um
fast 5 Prozent. Neue Gerüchte über eine
Neuauflage der Fusionsgespräche mit Fiat
machten nach einem Bericht der italieni-
schen Zitung „Il Sole 24 Ore“ die Runde.
Es ist gesichert, dass beide Unternehmen
einen Zusammenschluss weiter für sinn-
voll halten, allerdings pochen die Franzo-
sen auf den Erhalt der Allianz mit Nissan
und auf erhebliche Kontrollrechte. In der
vergangenen Woche hatte ein für die
Staatsbeteiligungen zuständiger hoher Be-
amter im Pariser Finanzministerium mit-
geteilt, dass es derzeit keine Gespräche
gebe, zumindest keine offiziellen. Die
Nachrichtenagentur Bloomberg berichte-
te indes, dass Renault und Nissan daran ar-
beiteten, ihre Allianz enger zu gestalten.
J
eder will schnelles Internet, aber
keiner will einen Mobilfunkmast
vor der Haustür. Das Prinzip erinnert
an die Diskussion um Windräder, nur
wird die Debatte um die Strahlung der
Masten teilweise noch absurder ge-
führt. Da wollen Landwirte 5G bis zur
letzten Milchkanne, aber äußern schon
jetzt die Vermutung, dass ihre Kälber
wegen der Strahlung sterben. Dabei
gibt es dort noch gar kein 5G, ja nicht
einmal eine zuverlässige LTE-Verbin-
dung. Die Zögerlichkeit zeigt sich auch
in den Baugenehmigungen, die sich re-
gelmäßig hinziehen wie Kaugummi.
Für einen Bürgermeister ist das eine
schwierige Situation, die vergleichbar
ist mit dem klassischen Bauen: Die
Wählerstimmen kommen schließlich
von denen, die jetzt schon im Ort sind,
und nicht von denen, die man noch
dorthin locken will. Wenn aber der
ländliche Raum nicht noch mehr abge-
hängt werden soll, dann braucht es dort
eine vernünftige Infrastruktur – und
zwar auch eine digitale. Auf Telekom-
munikationskonzerne zu schimpfen ist
leicht: Natürlich ist der Service häufig
zum Verzweifeln. Doch wer eine besse-
re Abdeckung mit Mobilfunk will, muss
dafür auch in Kauf nehmen, mehr Mas-
ten zu sehen. Dass es so viele sind, liegt
übrigens auch an einer deutschen Ei-
genheit: Aus Rücksicht auf die Angst
vor Strahlung senden sie hierzulande
nämlich mit weniger Kraft, als es ihnen
technisch möglich wäre.
Verstrahlt
Von Jonas Jansen
FRANKFURT, 3. September
I
n Dessau feiert die Bauhaus-Schule
in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag.
Dort hat auch das Frankfurter Famili-
enunternehmen Merz, das nur wenige
Jahre älter ist als die Designschmiede, in
Kürze etwas zu feiern: die Einweihung ei-
ner neuen Produktion für Faltenfüller,
also auf Hyaluronsäure basierende Mit-
tel, die in der Schönheitsindustrie verwen-
det werden. Auch das botoxverwandte
Präparat Xeomin wird dort schon seit län-
gerem hergestellt – ein Milliardenmarkt.
„Die Entscheidung, in Dessau weiter
zu investieren, ist gefallen“, sagt Philip
Burchard, der Vorsitzende der Geschäfts-
führung, im Gespräch mit der F.A.Z. In
mehreren Etappen habe man allein dort
jährlich mittlere zweistellige Millionenbe-
träge investiert. Zwar ist nach den Wor-
ten des familienfremden Unternehmens-
chefs, der von Oktober an zusätzlich zum
Vorsitzenden des Gesellschafterrats beru-
fen wurde, nicht unmittelbar eine weitere
Produktionsstätte geplant. Allerdings
wäre es dann fraglich, ob die Wahl wieder
auf Deutschland fallen würde. „In Ameri-
ka haben wir bedeutende Steuervorteile.
Da überlegt man schon, wo man hin-
geht“, sagt Burchard, der das Traditions-
unternehmen mit rund 3200 Mitarbeitern
führt, das in 28 Ländern vertreten ist.
Die aktuellen SPD-Pläne für eine Ver-
mögensteuer sieht er deshalb kritisch:
„Für weitere Steuern sollte sich die Bun-
desregierung genau überlegen, ob dies für
das Wirtschaftswachstum förderlich sein
kann.“ Familienunternehmen seien schon
durch die Erbschaftsteuer stark gefordert.
„Die Diskussion um die Vermögensteuer
kommt zu einem falschen Zeitpunkt“,
sagt auch Andreas Meyer, Mitgesellschaf-
ter in vierter Generation. Merz werde des-
halb nicht den Gründungsstandort Frank-
furt verlassen, „wir sind hier tief verwur-
zelt“, betont Meyer. Allerdings war für das
Familienunternehmen, das mittlerweile
19 Gesellschafter aus der dritten bis fünf-
ten Generation hat, schon die Erbschaft-
steuer „ein großes Thema“. Man musste ei-
nen Teil der Reserven für die Steuerlast zu-
rückhalten. Geld, das nicht in Projekte in-
vestiert werden konnte.
Dabei hätte Merz es in den vergange-
nen Jahren gut gebrauchen können. Seit
Beginn des Jahrzehnts sind nach und
nach die Patente für das Alzheimer-Mittel
Memantine ausgelaufen. Es war klar, dass
die einstige Blockbuster-Arznei, die zu
Hochzeiten für einen Jahresumsatz von
mehr als einer Milliarde Euro gesorgt hat,
stetig weniger einbringen würde. Etwa zu
der Zeit floppte zudem die Forschung zu
einer verheißungsvollen neuen Arznei ge-
gen Tinnitus. Damals, so erzählen es Bur-
chard und Meyer, stand also die Entschei-
dung an, wie das Unternehmen künftig
aufgestellt werden sollte. „Merz war im
Neurologiebereich sehr erfolgreich. Aller-
dings ist die Forschung dort eine der risi-
koreichsten mit den geringsten Erfolgs-
chancen“, erklärt Manager Burchard.
Man habe sich deshalb „schweren Her-
zens“ davon verabschiedet und stattdes-
sen auf das Geschäft mit der Schönheit fo-
kussiert. Damals wurden auch Stellen ab-
gebaut. Zudem gingen Mitarbeiter freiwil-
lig, ist es doch ein großer Unterschied, ob
an Alzheimer-Präparaten oder Mitteln
für das Antlitz geforscht wird.
Auch für die Gesellschafterfamilie war
das kein leichter Schritt. „Als Familie ha-
ben wir uns mit dem Abschied aus der Alz-
heimer-Forschung sehr intensiv beschäf-
tigt“, sagt Meyer. Da der botoxähnliche
Stoff Xeomin jedoch auch im therapeuti-
schen Bereich, etwa bei Spastiken oder für
Schlaganfallpatienten, eingesetzt wird,
habe sich Merz nicht von der Medizin ver-
abschiedet. „Wir sehen es gleichwertig. Al-
lerdings ist die Ästhetik für uns ein größe-
rer Wachstumsmarkt“, erklärt Meyer. In
den vergangenen Jahren hat Merz nach ei-
genen Angaben rund eine Milliarde Euro
investiert, insbesondre in das Geschäft
mit der Ästhetik. Im Jahr 2014 etwa über-
nahm Merz das amerikanische Unterneh-
men Ulthera für 600 Millionen Dollar.
Dessen Medizingeräte arbeiten mit Ultra-
schall, regen die körpereigene Produktion
von Collagen an und sollen somit für
mehr Fülle unter der Haut sorgen. Einige
Jahre zuvor hatte Merz zudem für mehre-
re hundert Millionen einen amerikani-
schen Hersteller von Faltenfüllern und
chirurgischen Klebstoffen gekauft. Ande-
re Unternehmensteile hat man wiederum
abgestoßen und sich fokussiert.
Ein Strategieschwenk, der sich bisher
ausgezahlt hat: Den Umsatz hat der
Mittelständler trotz rückläufiger Memanti-
ne-Einnahmen in den vergangenen Jah-
ren halten können. Im Geschäftsjahr
2018/2019, das Ende Juni endete, haben
die Einnahmen abermals die Milliarden-
schwelle überschritten. „Im vergangenen
Jahr sind wir sogar im operativen Ge-
schäft leicht gewachsen. Das ist schon
eine Leistung. Es ist ein Unterschied, in
ein neues Feld zu investieren oder ein an-
deres fortzusetzen. Auf der Ertragsseite
sind wir bisher noch nicht auf dem alten
Niveau“, sagt Meyer. „Das werden wir
auch nicht so schnell erreichen“, ergänzt
Burchard.
Mit dem Antlitz der Menschen hat das
Traditionsunternehmen schon seit jeher
Geschäfte gemacht. Angefangen mit
Gründer Friedrich Merz, der im Jahre
1908 mit der Herstellung von Salben sein
Geschäft quasi „im Hinterzimmer“ grün-
dete, wie es Nachfahre Meyer erzählt.
Merz Spezial-Dragees und Tetesept-Pro-
dukte setzen ebenfalls auf das Schönheits-
gefühl der Menschen. Der botoxverwand-
te Stoff Xeomin ist es hingegen, der für
die Frankfurter für Umsatz und vor allem
Erträge sorgen soll. Wie viel Potential in
dem Geschäft steckt, zeigt nicht zuletzt
die angekündigte Übernahme vom Origi-
nal-Botox-Hersteller durch Abbvie für sa-
genhafte 63 Milliarden Dollar. Nach
Schätzungen des Analysehauses Vantage
wird der globale Umsatz allein mit dem
Original-Präparat im Jahr 2024 mehr als
5 Milliarden Dollar betragen; nach rund
3,5 Milliarden im vergangenen Jahr. Merz
ist dagegen noch eine kleine Nummer,
setzt mit Xeomin gerade mal eine mittle-
re zweistellige Millionensumme um. Aller-
dings sind die Perspektiven gut. Mit Xeo-
min wachse man „schneller als die gro-
ßen Konkurrenten“, sagt Burchard. So
wollen die Frankfurter die Integrations-
phase, welche die beiden Konzerne brau-
chen werden, für einen verstärkten An-
griff auf dem amerikanischen Markt nut-
zen, der bei weitem der größte ist. Märkte
wie Lateinamerika, Russland, die Golf-
staaten oder auch Länder Asiens sind für
die Schönheitsindustrie zunehmend im
Kommen.
Dabei helfen soll unter anderem das
Mitt-Sechziger-Model Christie Brinkley,
die frühere Frau von Musiker Billy Joel,
die für Merz-Produkte wirbt. Lifestyle-The-
men lassen sich eben in sozialen Netzwer-
ken ebenso wie auf der Couch von Talk-
show-Moderatorin Oprah Winfrey verkau-
fen. Schließlich ist der typische Nutzer der
Faltenfrei-Spritzen die Frau zwischen 40
und 65 Jahren, die ein mittleres bis geho-
benes Einkommen hat, berufstätig ist und
ein aktives Leben führt. Während Kunden
an Amerikas Westküste überhaupt kein
Problem mit Schönheitsbehandlungen ha-
ben, ist man an der Ostküste und in Euro-
pa noch etwas konservativer, erzählt Bur-
chard. Problematisch ist hingegen für ein
Familienunternehmen wie Merz, das sich
der Gesellschaft verpflichtet fühlt, dass zu-
nehmend jüngere Patienten Behandlun-
gen einfordern – allerdings nicht um die
Alterserscheinungen aufzuhalten, son-
dern um ihren Stars und Idolen wie Kim
Kardashian nachzueifern, sagt Burchard.
Man arbeite eng mit den Ärzten zusam-
men. Aber wenn junge Patienten eine Be-
handlung wünschten, bekämen sie die
auch irgendwie. „Dann können wir auch
nicht die Anwendung unserer Produkte
verhindern“, sagt er. Man empfehle je-
doch eine rein kosmetische Anwendung.
HAMBURG,3. September
S
elbstfahrende Autos gehören zu den
Hoffnungsträgern der Fahrzeug-
branche, aber ihre Entwicklung ist
teuer und zeitraubend. Um schneller vor-
anzukommen, stärkt der Autozulieferer
Continental jetzt seine Position in einer
Technologie, die für diesen Prozess essen-
tiell ist: Künstliche Intelligenz (KI). Nach
Angaben des Dax-Konzerns aus Hanno-
ver hat er sich mit Partnern an einer Fi-
nanzierungsrunde für Cartica AI aus Isra-
el beteiligt und hält jetzt einen Minder-
heitsanteil an dem Start-up, das soge-
nanntes maschinelles Lernen beschleuni-
gen will und dafür auf neue Methoden
setzt. Diese, so die Hoffnung von Conti,
könnten ein „Entwicklungsturbo für die
Objekterkennung“ werden.
Bislang ist viel menschliche Arbeit nö-
tig, um den für Roboterautos erforderli-
chen Programmen beizubringen, wie sie
durch den Straßenverkehr steuern. So set-
zen Anbieter oft auf sogenanntes Human
labelling, in dem Spezialisten massenhaft
Bilder oder Videos manuell mit Beschrif-
tungen, den Labels, versehen, um Maschi-
nen beizubringen, was etwa Straßenschil-
der bedeuten oder welche Verkehrssitua-
tionen ein bestimmtes Verhalten erfor-
dern.Cartica AIhingegen setzt auf „Unsu-
pervised Learning“: Algorithmen, die der
Funktion des Gehirns nachempfunden
sind, sorgen dafür, dass die Software durch
Auswertung großer Datenmengen selb-
ständig lernen kann. Dies spare Zeit und
Kosten, so Conti. Der Konzern sehe große
Chancen, „dass mit Hilfe der Cartica-Soft-
ware zukünftig neue Fahrzeugsysteme ver-
schiedener Unternehmen und Hersteller
schneller für den Einsatz auf der Straße
vorbereitet werden können“.
Ihren Ursprung hat die Technologie in
dem 2007 gegründeten Unternehmen
Cortica, das heute Büros in Tel Aviv, New
York und Haifa hat. Mit dem Ansatz des
Unsupervised Learning hatte dieses
Start-up an Lösungen für verschiedene
Branchen gearbeitet und unter anderen
die russische Gruppe Mail.ru und Hori-
zons Ventures, die Investmentgesell-
schaft des chinesischen Milliardärs Li Ka-
Shing, als Geldgeber gewonnen. Auch
dem Tesla-Gründer Elon Musk wurde ver-
gangenes Jahr Interesse an einer Beteili-
gung nachgesagt, was dieser aber bestritt.
An der Finanzierungsrunde für die Aus-
gründung Cartica, die sich speziell auf
Fahrzeugtechnik konzentriert, beteiligt
sich Conti zusammen mit BMW-I-Ventu-
res, einem Risikokapitalgeber des Münch-
ner Automobilherstellers, Toyota-AI-Ven-
tures und der Crowdfunding-Plattform
Our Crowd. Ziel sei es, „die Cartica AI-
Software für die gesamte Fahrzeugindus-
trie zu sichern und so die schnelle Imple-
mentierung von KI-Technologien für die
sichere Mobilität der Zukunft zu för-
dern“, heißt es von Conti. Über die ge-
naue Höhe der Beteiligung wurde zu-
nächst nichts bekannt.
Auch andere Unternehmen der Auto-
branche setzen auf Partnerschaften, um
selbstlernende Systeme schneller voran-
zubringen. So hat sich Volkswagen am
Deutschen Forschungszentrum für Künst-
liche Intelligenz, kurz DFKI, beteiligt. Zu-
dem arbeitet der Wolfsburger Konzern un-
ter anderen mit dem Chiphersteller Nvi-
dia zusammen. Conti hatte zuletzt Part-
nerschaften mit der Universität Oxford,
der Forschungsgruppe Berkeley Deep
Drive und ebenfalls mit dem DFKI ge-
schlossen. Zudem beschäftigt der Kon-
zern, der wegen der Umbrüche in der
Branche an vielen Stellen unter Druck
steht, knapp 500 KI-Fachleute im eigenen
Haus. Bis Ende 2021 sollen es nach frühe-
rer Planung etwa 700 werden. Die Beteili-
gung an Cartica AI als Risikokapitalgeber
bilde nun „die dritte Säule unserer Aktivi-
tät im Umfeld der KI“, sagt Demetrio Aiel-
lo, Leiter der Forschungsabteilung Künst-
liche Intelligenz und Robotik von Conti.
Dabei gehe es darum, aussichtsreiche
Jungunternehmen mit Kapital zu fördern.
Cartica-Geschäftsführer Igal Raichel-
gauz sagte, die erfolgreiche „Serie-B-Fi-
nanzierung“ – ein Fachbegriff für Kapital-
erhöhungen, die Start-ups in der Regel in
einem relativ frühen Stadium ihrer Expan-
sion bekommen – durch Conti, BMW und
die weiteren Geldgeber sei eine „substan-
tielle Bestätigung“ für das Geschäftsmo-
dell und die Technologie des Unterneh-
mens. Er betonte, dass die Software ausge-
reift und schnell einsatzbereit sei. Sie be-
ruhe auf mehr als zehn Jahren Forschung
und sei mit mehr als 200 Patenten abgesi-
chert.
Viel Phantasie für Varta
Von Susanne Preuß
D
ie Börsenpläne des amerikani-
schen IndustriekonzernsCNHfür
seine Lastwagen- und Busgeschäfte mit
der KernmarkeIvecomuten professio-
neller an als die unbeholfene Vorge-
hensweise von Volkswagen. Deren
Nutzfahrzeugsparte Traton mit den
Marken Scania und MAN ist zur fulmi-
nanten Börsenpleite geworden. Mit ei-
nem unter Investoren plazierten Anteil
von nur 10 Prozent hat man sich bla-
miert; mit einem Kurs von 17 Prozent
unter dem Ausgabepreis von 27 Euro
nicht minder. Da könnten die Erfolgs-
aussichten für einen in eineinhalb Jah-
ren abzusehenden Börsengang von Ive-
co schon deshalb besser aussehen, weil
er per Abspaltung erfolgt. CNH-Eigner,
und damit auch die italienische Fiat-
Gründerdynastie Agnelli als Kernaktio-
när, erhalten die Anteile der neuen Ge-
sellschaft. Es gibt zudem schon Struktu-
ren einer Aktiengesellschaft. Die wa-
ren für Traton nicht vorhanden, wo Vor-
standschef Andreas Renschler über Jah-
re aus Puzzleteilen eine integrative
Nutzfahrzeuggruppe basteln musste.
Börsenfein ist Iveco indes noch lange
nicht, wie die dürftige Umsatzrendite
von knapp 3 Prozent zeigt. Und eine
stärker werdende Konjunkturflaute
könnte zum Risiko werden, das einer
positiven Börsengeschichte entgegen-
steht. Traton hat gerade gute Halbjah-
reszahlen präsentiert. Der Auftragsein-
gang jedoch schwächelt. Der ausgelös-
te Kurseinbruch hat den Börsenauftritt
erst recht zum Trauerspiel gemacht.
Ware Schönheit:Andreas Meyer (links) und Philip Burchard geben einen seltenen Einblick in das Frankfurter Traditionsunternehmen Merz Pharma. Foto Lucas Bäumel
Iveco versus Traton
Von Rüdiger Köhn
Conti kauft Künstliche Intelligenz für Roboterautos
Neue Beteiligung an israelischem Start-up soll Entwicklung beschleunigen / Von Christian Müßgens
Geschasste Renault-Manager erfreuen PSA
Der Kehraus nach der Ära Ghosn macht nun auch den Wechsel zum Erzrivalen möglich / Von Christian Schubert
„Vermögensteuer-Debatte zum falschen Zeitpunkt“
Der Pharmahersteller
Merz kehrt im Kampf
gegen Falten zurück auf
den Wachstumskurs.
Die deutsche Politik
bereitet jedoch Sorgen.
Von Sven Astheimer
und Ilka Kopplin