der Wende konnte kaum ein Ostdeutscher
den gleichen Job ausüben wie zuvor. Die
einst volkseigenen Unternehmen setzten
zunächst Kurzarbeit an, viele Arbeitsplät-
ze verschwanden schließlich ganz. Hallen-
kehrer und Pförtner wurden nicht mehr
gebraucht, Kombinatsdirektoren auch
nicht. Statt Schreibmaschinen kamen
Computer, die computergesteuerte Werk-
zeugmaschine ersetzte die Drehbank. Der
Wandel erfasste alle Altersgruppen, alle
sozialen Schichten, die Dinge veränderten
sich ohne eigenes Zutun im Zeitraffer.
Betrieb und Kollektiv waren ein zentra-
ler Bestandteil eines Lebens in der DDR
gewesen, all das brach nahezu flächende-
ckend weg. Das einmal Gelernte galt
nichts mehr.
Solche Brüche in den Biografien hatten
die Westdeutschen zuletzt nach Kriegs -
ende 1945 erlebt. Dann durften sie mehr
als 40 Jahre lang ihr von den Amerikanern
unterstütztes Wirtschaftswunder genießen.
Wie schwer die Anpassung an die neue
Welt war, interessierte im Westen nicht so
richtig. Der Osten wollte doch die Freiheit,
die Wiedervereinigung, die Westwährung.
Nun hatte er alles.
Was der reiche Westonkel im Zweifels-
fall dachte, hat der Journalist Michael
Jürgs kurz vor seinem Tod in einem
SPIEGEL-Gespräch (16/2019) noch einmal
aufscheinen lassen. Heraus kamen Sätze
wie diese: »Als die ersten Zonis nach dem
Mauerfall vor der ›Stern‹-Redaktion in ih-
ren stinkenden Trabis vorfuhren, habe ich
die Kantine öffnen lassen. Die hatten Hun-
ger.« Garnelen wollte er ihnen vorsetzen
lassen, weil die im Osten ja nur »Broiler
und Sättigungsbeilage« kannten.
Und dann? »Ich hatte in meinem Büro,
siebter Stock, eine riesige Terrasse. Dort
saß ich mit Kollegen bei der Planung fürs
nächste Heft. Ich forderte alle auf, los,
Geld auf den Tisch, das geben wir denen.«
Der Westen gibt und macht auf dicke
Hose, der Osten nimmt, hält die Klappe
und zieht zurück in die Zone.
Jürgs war damals Chefredakteur beim
»Stern«. Er musste kurz darauf gehen, weil
er einen Text mit der Überschrift abgelie-
fert hatte: »Sollen die Zonis bleiben, wo
sie sind?«
Reste dieser Einstellung gibt es bis heute.
Im Westen zeigt man mit Neid auf die groß-
zügig sanierten Städte, die feinen Hotels,
die neuen Autobahnen, die ICE-Strecken.
Und mit Frust auf den jahrzehntelang ge-
zahlten Solidaritätszuschlag, den Solidar-
pakt für den »Aufbau Ost« und die Pegi-
da-Märsche. Der Westen fuhr alles auf, was
er hatte: Bananen, Helmut Kohl und West-
geld. Da wird man doch wohl Dankbarkeit
erwarten dürfen!
Von Berlin muss man nicht weit nach
Nordosten fahren, um in der brandenbur-
gischen Uckermark zu landen, in der sich
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JENS GYARMATY / DER SPIEGEL
Braunkohletagebau Welzow-Süd in Brandenburg
JENS GYARMATY / DER SPIEGEL
»Natürlich, die Menschen brauchen
ja Arbeit.«
Bürgermeisterin Herntier im Spremberger Rathaus