Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1

23 Prozent, bundesweit 1,7 Prozent. Auf
einen ostdeutschen Manager in den neuen
Ländern kamen zwei westdeutsche. Mit
dem Gashandelskonzern Verbundnetz
Gas AG Leipzig und der Sektkellerei Rot-
käppchen-Mumm werden zwei der größ-
ten Ostfirmen von Westdeutschen geführt.
In den großen Forschungsinstituten lag
der Anteil der Ostdeutschen unter dem
der ausländischen Wissenschaftler.
Im Einheitsbericht der Bundesregierung
ist nachzulesen: »So ist kein einziges ost-
deutsches Unternehmen im Börsenleit -
index DAX-30 notiert. Und nahezu kein
Großunternehmen hat seine Zentrale in
Ostdeutschland.« Die größten Arbeitgeber
im Osten sind Niederlassungen westdeut-
scher oder ausländischer Konzerne. Ge-
meint damit sind etwa DHL in Leipzig und
Infineon in Dresden.
Man könnte auch sagen: Wenn es im
Osten doch mal was zu verdienen gibt,
dann sind die Brüder und Schwestern aus
dem Westen schnell zur Stelle.
Und wenn es Geld kostet, ist es manch-
mal umgekehrt. Die zähen Verhandlungen
zum Braunkohleausstieg haben das gerade
wieder gezeigt. Ginge es nach dem baye-
rischen Regierungschef Markus Söder, soll-
ten die Tagebaue möglichst rasch geschlos-
sen und Ausgleichszahlungen nicht unbe-
dingt vor Ort ausgegeben werden. Das
würde den Osten überproportional treffen:
Sieben der zehn betroffenen Tagebaue lie-
gen in den neuen Ländern.
Christine Herntier versucht, den Laden
trotz alledem zusammenzuhalten, trotz
der wieder anwachsenden Zukunftsängste
in der Kohleregion. Die Bürgermeisterin
von Spremberg in der Niederlausitz, kann
sich darüber in Rage reden. Die Lokal -
politikerin ist Sprecherin der Brandenbur-
ger Kommunen der »Lausitzrunde«, durch
sie wollen kommunale Vertreter der Lau-
sitz zusammen ihre Interessen durchsetzen.
Herntier saß in der Kohlekommission und
verhandelte den Ausstieg für ihre Region.
Bis 2038 soll ganz Schluss sein mit der
Kohle, so hat es die Kommission verhan-
delt. Das könnte für Orte, die ihr gesamtes
Wirtschaftsaufkommen aus dem Rohstoff
beziehen, den Untergang bedeuten.
An der Kohle hängen mehr als 13 000
Arbeitsplätze in der Lausitz. Die Menschen
vor Ort haben Angst, wieder zu den Ver-
lierern der Geschichte zu gehören. 17 Mil-
liarden sollen über einen Zeitraum von 20
Jahren in die Lausitz fließen, um das zu
verhindern. Es soll unter anderem in eine
Zugverbindung nach Berlin und neue For-
schungseinrichtungen investiert werden
(siehe auch Seite 40).
»Natürlich gibt es Spremberger, die mir
sagen, das klappt sowieso nicht«, sagt
Herntier. Noch kurz vor der Europawahl
hatte man die gewaltige Summe bekannt
gegeben, das hielt viele Wähler nicht davon


ab, ihre Stimme der AfD zu geben. 33 Pro-
zent votierten in Spremberg für die Partei.
Die AfD ist die einzige im Parlament
vertretene Partei, die keinen Kohleausstieg
will. Sie wirbt auf Wahlplakaten für Kohle -
kraftwerke. Hinter der AfD versammeln
sich jene, für die die guten Zeiten eher in
der Vergangenheit als in der Zukunft lie-
gen. Und die eins vor allem nicht wollen:
noch mehr Veränderung.
Herntier spaziert durch den idyllischen
Ort, vorbei an den kleinen Häusern und
einem Springbrunnen. Ihr ganzes Leben
hat sie in der Lausitz verbracht. Zwischen
1995 und 2015 hat der Landstrich 18,7 Pro-
zent seiner Einwohner verloren. Sie kann
verstehen, dass Leute wegziehen. »Natür-

lich, die Menschen brauchen ja Arbeit«,
sagt sie.
Die Politiker im Osten versuchen, die
Stimmung zu ergründen. Thüringen er-
hebt regelmäßig den sogenannten Thürin-
gen-Monitor, der die politische Kultur im
Freistaat beleuchten soll. Zuletzt fanden
58 Prozent der Thüringer, die Bundesre-
publik sei »durch die vielen Ausländer in
einem gefährlichen Maße überfremdet«.
In Thüringen beträgt der Ausländeranteil
5,1 Prozent. Fast die Hälfte der Befragten
war sich sicher, die Migranten kämen nur,
um den Sozialstaat auszunutzen.
Die Autoren des Monitors schreiben, es
gehe darum, dass neue Gruppen plötzlich
teilhaben wollten am hart erkämpften klei-

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JENS GYARMATY / DER SPIEGEL
Museumsdirektor Holz im sachsen-anhaltischen Bitterfeld

JENS GYARMATY / DER SPIEGEL
Promenade am Großen Goitzschesee in Bitterfeld

»Das ist doch ein Paradies hier, könnte auch
Kanada sein oder so.«
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