Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1

H


otelslipper sind der Inbegriff von
allem, was schiefläuft, wenn
es um nachhaltigen Tourismus
geht. Die Latschen sind eine Um-
weltsauerei. Sie werden oft günstig in Fern-
ost hergestellt und umständlich verpackt,
sie bestehen aus einem Materialmix mit
teils mehr als fünf Schichten, ein Recycling
ist kaum möglich. Zwar könnten Hotels
leicht auf Alternativen umsteigen. Doch
kaum eine Herberge tut das.
Franziska Altenrath kann Dutzende sol-
cher Hotelumweltsünden aufzählen. Sie
macht wütend, dass immer noch Plastik-
wasserflaschen in den Zimmern stehen, ne-
ben dem Wasserkocher einzeln verpackte
Tee- und Kaffeeportionen aufgebaut sind,
eingerahmt von einem Einwegbecher wust.
Im Schrank liegt der Plastikwäschesack,
daneben ein Plastikschuhanzieher. Weiter
geht es im Bad: Wattestäbchen, Baumwoll-
pads, Zahnbürsten – alles einzeln ver-
packt. Eine Orgie des Mülls. »Absurd und
traurig«, findet Altenrath, 28, diese Zu-
stände.
Auch deshalb hat sie gemeinsam mit
Alexandra Herget Tutaka gegründet, ei-
nen Onlinehandel mit nachhaltigen Ver-
brauchswaren für Hotels und Restaurants.
Er bietet Alternativen an, doch die sind in
der Hotellerie nicht gerade ein Renner.
Beim Duschgel lassen sich vom Personal
einzelne Fläschchen rascher austauschen
als fest verbaute Spender. Und selbst wenn
die umweltfreundlicheren Shampootanks
in der Dusche hingen, heiße das erst ein-
mal nichts, erklärt Altenrath. »Die großen
Flaschen werden oft halbvoll weggeworfen
und gegen neue ersetzt, statt sie nachzu-
füllen, weil das einfach schneller geht.«
Es wird über Nachhaltigkeit im Touris-
mus viel geredet, aber wenig getan. Weder
von den Reisenden noch von den Anbie-
tern. 40 Prozent der 18- bis 34-Jährigen
achten bei der Wahl ihrer Hotels angeblich
verstärkt auf Nachhaltigkeit, sagt eine ak-
tuelle Umfrage. 65 Prozent der Befragten
haben in einer Umfrage des Reisekonzerns
Thomas Cook angegeben, ihnen sei das


Thema »Nachhaltigkeit« bei Urlaubsrei-
sen sehr wichtig. Tatsächlich zahlen nicht
einmal zwei Prozent einen Aufschlag, um
ihren touristischen CO²-Ausstoß zu kom-
pensieren. Die Ecology-Class bleibt weit-
gehend leer.
Selbst Urlauber, die weit mehr als
10 000 Euro für eine Luxuskreuzfahrt mit
einem Expeditionsschiff von Hapag-Lloyd
in die von der Erderwärmung bedrohte
Antarktis ausgeben, sind mehrheitlich zu
geizig für den 90 Euro teuren CO²-Aus-
gleich. Auch Hapag Lloyd übernimmt die-
se Klimakosten nicht ganz für die Kunden.
Man wolle dem Gast die Entscheidungs-
hoheit überlassen, heißt es vom Unterneh-
men. Man unterstütze die Idee jedoch und
übernehme ein Viertel der Summe.
Die Reise- und Touristikindustrie steht
unter Beobachtung. Das Geschäft mit dem
Urlaub steht für zehn Prozent der Welt-
wirtschaftsleistung. Der Tourismus ist um-
satzstärker als die Techgiganten aus dem
Silicon Valley, die Ölindustrie oder die glo-
bale Automobilbranche. Die Zahl der Rei-
senden hat sich seit 1950 verfünfzigfacht.
Eine Umweltzerstörung der kolossalen Art:
Jeder einzelne Tourist verbraucht direkt
und indirekt 6575 Liter Wasser – pro Tag.
In den Sommermonaten steigt das Auf-
kommen von Plastikmüll um 40 Prozent
in den Meeren der Ferienregionen.
Trotz Klima- und Flugschamdebatte
meldet Deutschlands größter Flugkonzern
Lufthansa Group Monat um Monat stei-
gende Passagierzahlen im Vorjahresver-
gleich; zwischen Januar und April 2019
verbrachten die Deutschen gut 408 Mil-
lionen Tage auf Ausflügen und Reisen –
1,2 Prozent mehr als im Vorjahreszeit-
raum.
Selbst die Galápagos-Inseln, ein aus 13
Hauptinseln und vielen kleineren Inseln be-
stehendes, extrem empfindliches Ökosys-
tem vor der Küste Ecuadors, verzeichneten
2018 gegenüber dem Vorjahr 14 Prozent
mehr Besucher. Urlaub scheint nach wie
vor für sehr viele auch Urlaub von der Ver-
antwortung zu bedeuten.

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sumenten ihr Verhalten ändern können, welche
Unter nehmen wirklich umdenken und was die
Politik tun muss. Welche Ideen gibt es, Ökologie
und Ökonomie zusammenzudenken?

Nachhaltig leben(VII) Der Klimawandel ist zur
entscheidenden politischen und ökonomischen
Frage geworden. Der SPIEGEL widmet dem Thema
deshalb eine Sommerserie: Wir fragen, wie Kon -


Ecology-Class


TourismusReisen ist zum Sinnbild der Umweltzerstörung geworden, doch die Zahl der Urlauber


steigt und steigt. Worauf sollte man achten, wenn man seinen nächsten Trip bucht?


Emissionsbeispiele für einen Flugreisenden
von Frankfurt am Main nach

Palma de
Mallorca

Sydney
über Singapur

zum Vergleich:
Mittelklasse-Pkw
12 000 km gefahren

Globale Bewegung
Touristik-Reisende in Millionen

Quelle: World Tourism
Organization

Quelle: atmosfair

1950

25

332 5305 2000


1970

166

1990

435

Prognose
2030

1800

2017

kg CO2-
Äquivalent

1326

PATRICK RUNTE / DER SPIEGEL
Hotelierin Janbeck
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