Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
Axel Vornbäumen hatte gedacht,
er könne sich mit dem Mönchen-
glad bacher Maaßen auch über die
Borussia unterhalten. Maaßens
Fantum endete aber bereits mit der Niederlage
gegen den FC Liverpool. Das war 1977 FOTO: BENJAMIN ZIBNER/STERN

Er taugt nicht zum Volkstribun. Maaßen


sucht eher Mitstreiter, Leute, die sich nicht


ins Schweigen zurückziehen. Duckmäuser


sind ihm persönlich zuwider.


Ist das tatsächlich seine Welt? Lamperts-


walde, Riesa, Radebeul – der tiefe Osten


mit seinen Bürgern in karierten Halbarm-


hemden, die vornehmlich darauf warten,


dass er mit seiner juristischen Argumen-


tation ihr Bauchgefühl bestätigt: dass


dieser Staat seine Grenzen dichtmachen


müsse, weil er die hohe Zahl an Migranten


nicht verkraften kann? Maaßen zögert. In


diesen Tagen wird er ja sogar als Kandidat


für das sächsische Innenministerium ge-


handelt. „Das hier ist Land“, sagt er. Er habe


Sympathie für die Provinz.


Vielleicht verbindet Maaßen und sein


Publikum der Mangel an Ambiguitäts-


toleranz – die Fähigkeit, in komplexen


Situationen Mehrdeutigkeiten zu ertragen.


In der Welt des Hans-Georg Maaßen muss


alles der Sicherheit untergeordnet werden.


„Sicherheit dient der Freiheit.“


Die AfD ist für ihn ein gäriger Haufen


Im „Festsaal im Riesenhügel“ in Riesa, wo


Fragen auf Zetteln schriftlich eingereicht


werden müssen, will man am vergangenen


Donnerstag wissen, wer denn die Anwalts-


kosten bei Asylverfahren zahlen müsse.


Weil die Asylsuchenden meist kein Geld


hätten, sei das in der Regel der Staat, sagt


Maaßen – was ziemlich exakt die Pointe ist,


die man im Saal hören wollte. Dabei wäre


es doch eine gute Stelle gewesen, um sich


an einem Satz von George Orwell zu orien-


tieren – „Freiheit ist die Freiheit, den Leu-


ten zu sagen, was sie nicht hören wollen“.


Hätte er in Riesa nicht die Prinzipien


des Rechtsstaates erklären können – dass
Rechtssicherheit für alle da sein muss? Hat
er nicht. „Ich habe juristisch argumen-
tiert“, sagt Maaßen. „Ich bin Jurist.“
Im „Riesenhügel“ referiert Maaßen aus
der Kriminalstatistik, dass 43 Prozent der
Tatverdächtigen bei Tötungsdelikten in
Deutschland Ausländer seien. Hinten, in
der letzten Reihe, sitzen ein paar Linke,
auch sie reichen einen Fragezettel ein:
Warum er, Maaßen, überhaupt nicht von
den 57 Prozent der Fälle spreche, die von
Deutschen verübt wurden?
Maaßen spricht nicht darüber – weil es
nicht zu seinem Thema passt. Sein Thema
ist die nicht ausreichend wahrgenomme-
ne Steuerungsfunktion des Staates beim
Asyl- und Ausländerrecht. Alles andere mag
auch wichtig sein, ihn treibt das aber nicht
um. Für die 57 Prozent der von deutschen
Verdächtigen verübten Taten hat er jeden-

falls an diesem Donnerstag kein Konzept –
die müsse man „insoweit hinnehmen“. Ein
leichtes Raunen geht durch den Festsaal im
Riesenhügel.
Steht er der AfD nah? Das wird ihm
unterstellt. Wahrscheinlich aber ist das der
falsche Blickwinkel. Es ist eher umgedreht.
Die AfD hat Gefallen an Maaßen. In Rade-
beul meldet sich der AfD-Bundestagsab-
geordnete Jens Maier mit dem bemerkens-
werten Statement, dass es seine Partei gar
nicht geben würde, wären Leute wie Maa-
ßen und die Werteunion der „bestimmen-
de Faktor“ in der CDU.
Maaßen lässt das so stehen. Nicht ge-
schüttelt, nicht gerührt. Er sieht das
ja ziemlich nüchtern ganz genauso. Der
Union ist ein Teil ihrer DNA abhanden
gekommen. Damit will er sich nicht abfin-
den. Die will er zurückholen.
Die AfD bezeichnet er als „gärigen Hau-
fen“, ein Wort von AfD-Chef Alexander
Gauland aufgreifend. Man wisse nicht, in
welche Richtung sich die Partei entwicke-
le. „Sie ist derzeit nicht koalitionsfähig.“
Manchmal, wenn doch ein wenig Frei-
raum ist, lässt Hans-Georg Maaßen seine
Gedanken schweifen in jene Bereiche, die
aus seiner Sicht ebenfalls im Argen liegen.
Da gibt es durchaus einige: Die Niedrig-
zinspolitik macht ihm Sorgen, die Stabili-
tät des Euro, der Zusammenhalt in Europa,
die seiner Ansicht nach unausgegorene,
weil ideologiegetriebene Energiewende.
Hans-Georg Maaßen wittert die Gefahr,
dass dieses Land wieder vom Totalitaris-
mus erfasst werden könne. Die ums Klima
besorgte Jugendbewegung „Fridays for
Future“ sei ein Beispiel. „Ich halte es für
verwerflich, Kinder zu instrumentalisie-
ren.“ Ihm graut davor, dass Deutschland
sich mit China in einen Konflikt begeben
müsse, „weil wir den Chinesen unsere CO 2 -
Regelungen aufoktroyieren wollen“. So
sieht er das. Er setzt da klare Prioritäten. In
Riesa sagt er: „Die Menschen haben sich zu
einem Staat zusammengeschlossen, um in
fairer Art und Weise zusammenleben zu
können, und nicht, um das Klima zu retten“.
In der idealen Welt des Hans-Georg Maa-
ßen wäre es besser, wenn alle an ihrem ange-
stammten Platz blieben. Wenn sie den Re-
geln folgten. Wenn Eindeutigkeit herrschte.
Aber so ist es nicht. Nicht mal beim Uhu.
Wie viele Eier legt der Uhu?
Zwei.
Manchmal aber auch drei. 2

DER STAAT


HAT FÜR IHN


NICHT DIE


AUFGABE,


DAS KLIMA


ZU RETTEN


Begehrter
Vortragsreisen-
der: Für den
Auftritt in Riesa
musste ein
größerer Saal
gemietet werden

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