Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1

FOTO: MURAT TUEREMIS/LAIF


Das alles, aber das ist nur der sehr geraff-
te Teil seiner Geschichte, führt Hans-Georg
Maaßen, CDU, 56, seit November 2018 in
den einstweiligen Ruhestand versetzt,
seit Februar dieses Jahres Mitglied der erz-
konservativen Werteunion, zu dem Fazit:
„Ich habe Deutschland genug gedient.“ Da-
mit könnte die Geschichte hier zu Ende
sein und Maaßen Privatier. Einerseits.
Andererseits aber ist sein hochsensibles
Dienstverhältnis auf denkbar spektaku-
lärste Weise beendet worden, quasi als
Schlussakt eines Glaubenskrieges, in dem
Maaßen von seinem Posten als Verfas-
sungsschutzchef zunächst auf eine Stelle
mit höherer Besoldungsstufe im Innen-
ministerium befördert, dann aber doch fal-
len gelassen wurde. Es waren turbulente
Wochen in jenem Sommer 2018. Maaßen
hatte bei rechtsextremen Ausschreitungen
in Chemnitz keine „Hetzjagden“ auf Aus-
länder erkennen können. Das Kanzleramt
schon. Die Große Koalition wäre darüber
fast in die Brüche gegangen. Eine SPD-
Vorsitzende ist (auch) an der Causa Maa-
ßen gescheitert. Hans-Georg Maaßen aber
war es, der die Schlacht in diesem Glau-
benskrieg verloren hatte.

blik. So etwas wie ihn gab es bislang ja noch
nicht: ein Ex-Verfassungsschutzpräsident,
von dem nicht wenige glauben, dass er sich
selbst gerade radikalisiere.
In diesen Wochen tourt Hans-Georg
Maaßen durch Sachsen, macht Wahlkampf
in Radebeul, in Riesa, in Lampertswalde,
für CDU-Landtagskandidaten, die der
Werteunion nahestehen. Am vergangenen
Donnerstag wird er im Dorfgemein-
schaftshaus in Lampertswalde als „Held“
vorgestellt – als jemand, der „seine Mei-
nung im Interesse seiner Ideale“ äußere.
Maaßen ist in einem solchen Moment
zweierlei: ein Merkel-Opfer mit Märtyrer-
status, im Prinzip immer noch Verfas-
sungsschutzpräsident der (harten) Herzen.
Zugleich ist er eine Art „Last man standing“,
einer, der aus tiefster Überzeugung weiter-
macht, notfalls bis zum bitteren Ende. Im
Publikum wünschten sich viele, sie hätten
seine Argumentationskraft. Sie hoffen auf
Ermutigung. Und Maaßen liefert.

Kampf um die Deutungshoheit


Wahrscheinlich sind die Vorträge, die er
nun hält, denen sehr ähnlich, die er bei den
Sicherheitslagen im Kanzleramt vorge-
tragen hat. Die Zahlen – die gleichen. Das
Argumentationsgebäude – dasselbe.
Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit,
den der stets korrekt gekleidete Jurist in ge-
bügeltem Hemd und eng gebundener Kra-
watte nun in der Provinz führt. Er hat eine
grassierende „Ausgrenzungskultur“ in
Deutschland wahrgenommen, für ihn ist
das Grundübel, dass sich Menschen radika-
lisieren, die bislang eher in der bürgerlichen
Mitte verortet waren. Und so predigt er als
intellektueller Überflieger unter Seelenver-
wandten – vor einer Gemeinde der sich aus-
gegrenzt Fühlenden. „Ausgrenzung führt
zu einer Verhärtung der Fronten“, sagt
Maaßen, „für eine Demokratie ist das nicht
nur unwürdig, das ist schädlich.“
Auch in Lampertswalde kommt er auf
das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer zu
sprechen, eine, vielleicht zwei Minuten
nimmt er sich für das komplexe Thema
Zeit. Im Prinzip ist es die long version sei-
nes Tweets, mit dem Unterschied, dass der
„Shuttle-Service“ im Dorfgemeinschafts-
haus zum „Shuttle-Dienst“ wird. Maaßens
Fazit: „Es ist ein Schleusergeschäftsmodell


  • das darf nicht unterstützt werden.“ Aus
    dem selbst ernannten Realisten wird ein
    Populist. Der Saal applaudiert.
    Maaßens Mimik ist sparsam. Ihm ist in
    solchen Momenten nicht anzusehen, ob er
    zumindest Genugtuung empfindet, dass
    seine Sicht der Dinge endlich wieder auf
    Begeisterung und nicht auf abwägende
    Skepsis stößt. Da steht niemand, dessen
    Ego ständig im Beifall baden muss. 4


Für Maaßen selbst war der vermeint-
liche Aufstieg und spätere tiefe Fall auch
ein Akt der Demütigung, nur vordergrün-
dig wegzustecken mit dem Verweis auf das
Beamtenrecht. In Teilen der Gesellschaft
ist er „Persona non grata“. Die „öffentliche
Herabwürdigung“, wie er es nennt, habe
ihn geschmerzt.
Seine Geschichte ist deshalb noch nicht
zu Ende. Sie bekommt gerade ein neues
Kapitel. Sein Kampf um die Stabilität der
Republik, so sieht er es, geht weiter, nun,
nach kurzer, selbst verordneter Ruhezeit,
eben an anderer Stelle.
Von Maaßens Standpunkt aus ist ja im
Prinzip alles noch so da wie zu dem Zeit-
punkt, als er seinen Posten verlassen muss-
te: er selbst, seine Überzeugungen, seine
Expertise, seine Sorgen. Und dann: die Un-
zufriedenheit über Merkel, die offenen
Grenzen, die vielen Migranten, die verun-
sicherte Republik. Zudem: die Gefahr einer
zunehmenden Spaltung der Gesellschaft,
die Erosion des Rechtsstaates, das Ver-
schwinden der bürgerlichen Mitte.
Der Katalog ließe sich beliebig ergänzen.
Nur der Schüttelfrost fehlt, was womög-
lich daran liegt, dass Maaßen sich nicht
mehr in der Verantwortung sieht. Aber er
sieht sich noch in der Pflicht.
Er ist jetzt frei. Frei zu sagen, was er
denkt. Er tut das mit Verve und von Zeit zu
Zeit so pointiert, dass ein Bild entsteht. Es
ist scharf konturiert. Zu erkennen ist ein
Mann, der den rechten Flügel seiner Partei,
der CDU, sehr gern bedient. Maaßen sagt:
„Die Meinung, die ich vertrete, wird in
Deutschland von sehr vielen vertreten.“
Er sagt jetzt Sätze wie diese: „Ich bin vor
30 Jahren nicht der CDU beigetreten,
damit heute 1,8 Millionen Araber nach
Deutschland kommen.“ Er sagt das vor Au-
ditorien, die darüber nicht irritiert sind,
sondern in Jubel ausbrechen.
Er twittert: „Lassen Sie sich nicht ein-
reden, dass es sich um Seenotrettung han-
delt. Diese Migranten sind keine Schiff-
brüchigen und keine Flüchtlinge. Sie
haben als einwanderungswillige Auslän-
der die Schleuserboote bestiegen, um
von einem Shuttle-Service nach Europa
gebracht zu werden.“
Wer schreibt so was? Ein Rechtsradikaler?
„Ein Realist“, sagt Maaßen.
Seit April ist er bei Twitter. Er hat sich den
Account mit Bedacht zugelegt als „Ehem.
Präsident des BfV / Nüchterner Realist, der
sich große Sorgen um die Zukunft Europas
macht“. Das ist sein Selbstbild. Er sieht in
Twitter eine ideale Bühne für eine „profes-
sionelle Gegenöffentlichkeit“, die Möglich-
keit, „Diskussionen anzustoßen“. Ganz
unrecht hat er damit nicht. Mit seinen
Tweets beschäftigt er tatsächlich die Repu-

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