Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
FOTOS: BILLY H.C. KWOK/GETTY IMAGES; ISSEI KATO/REUTERS; KIN CHEUNG/AP; SEBASTIAN WELLS/OSTKREUZ; SAM YEH/AFP

Shoppingmalls und treiben die oh-
nehin schon horrenden Immobi-
lienpreise noch weiter in die Höhe.
Gleichzeitig droht die einstige
Handelsmetropole in die ökonomi-
sche Peripherie abzurutschen. 1997
betrug das Bruttoinlandsprodukt
Hongkongs etwa ein Fünftel der in
China erwirtschafteten Waren und
Dienstleistungen. Heute sind es
nicht einmal mehr drei Prozent.
Shenzhen, direkt hinter der Grenze,
ist Sitz der größten Tech-Unterneh-
men Chinas wie Huawei, Tencent
und ZTE. Peking will Hongkong mit-
tels Zug- und Metro-Verbindungen
mit den anderen Metropolen des
Perlflussdeltas zur „Greater Bay
Area“ verschmelzen, was die Finanz-
metropole zu einer Stadt unter vie-
len degradieren würde.

Ein untaugliches Rezept


Besonders junge Hongkonger be-
fürchten eine „Festlandisierung“.
Um die zu verhindern, fordern sie
die versprochenen freien Wahlen.
Das waren auch die Motive der „Re-
genschirm-Bewegung“ 2014. Nach-
dem bekannt geworden war, dass
Peking für den November 2017 nur
„bedingt freie Wahlen“ zulassen
wolle, besetzten Studenten wochen-
lang das Hongkonger Finanzviertel.
Ihr Anführer war der damals erst
17-jährige Joshua Wong (s. Inter-
view). Die Proteste versandeten da-
mals nach einigen Monaten ergeb-
nislos. Darauf setzen die Regierung
Hongkongs und Pekings Machtha-
ber auch diesmal. Doch ihr im Rest
des Riesenreichs bewährtes Rezept
„Wir sorgen für Wohlstand, und ihr
lasst uns in Ruhe regieren“ funktio-
niert hier nicht. Die Stadt hat noch
immer ein deutlich höheres Pro-
Kopf-Einkommen als Shanghai
oder Peking – und mit dem Wohl-
stand nahmen nichtmaterielle Be-
dürfnisse eben nicht ab, sondern zu;
ein Umstand, mit dem umzugehen
die Machthaber nicht gelernt haben.
Deswegen unterschätzen sie die
Entschlossenheit und Hartnäckig-
keit der Hongkonger. „Vielleicht sind
nicht alle Bürger mit den Taktiken
der Demonstranten einverstanden“,
sagt der Politikwissenschaftler Ed-
mund Wai Cheng. „Doch sie stehen
grundsätzlich hinter den Zielen der
Bewegung.“ 2

Lesen Sie das Interview mit Joshua
Wong auf der nächsten Seite 4

PEKING UNTER-


SCHÄTZT DIE


ENTSCHLOSSENHEIT


UND HART-


NÄCKIGKEIT DER


HONGKONGER


15.8.2019 67
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