Die Welt am Sonntag - 18.08.2019

(lily) #1
DPA/GREGOR FISCHER, AP/DAKE KANG
Eine Demonstrantin in Hongkong. Die Karte in ihrer Hand bezieht sich auf eine Protestiererin, deren Auge durch ein Gummigeschoss der Polizei verletzt wurde

Die Demonstranten haben Regenschirme
dabei, Gasmasken, einige sind ver-
mummt, aus Angst, Chinas Geheimdienst
könnte sie identifizieren. Samstagnach-
mittag in der Millionen-Metropole Hong-
kong. Es ist feuchtwarm, der Regen
strömt. Aber den jungen Menschen, die
hier für ihre demokratischen Rechte
kämpfen wollen, macht das nichts aus.
„Freiheit für Hongkong! Das ist unsere
Revolution!“, brüllt Andrew, 22, ein Bank-
angestellter, der mit seinen Freunden
durch Mong Kok im Zentrum der Stadt
marschiert. Aus Angst vor den Behörden
will er, wie die meisten Demonstranten,
seinen vollen Namen nicht nennen. Seit
zehn Wochen protestieren sie hier schon


  • erst gegen das Gesetz über Auslieferun-
    gen nach China, das jetzt gestoppt wurde,
    dann für Neuwahlen und gegen die Poli-
    zeigewalt. Aber etwas hat sich verändert.


VVVor wenigen Tagen gab es erste Anzei-or wenigen Tagen gab es erste Anzei-
chen, dass China Militär nach Hongkong
schicken könnte. Die Armee sammele sich
an der Grenze zur Sonderverwaltungszo-
ne, hieß es aus den USA. Seither werden
immer wieder Vergleiche zur Nieder-
schlagung der Proteste auf dem Platz des
Himmlischen Friedens in Peking 1989 ge-
zogen. In der Grenzstadt Shenzhen üben
chinesische Truppen das Vorgehen gegen
Demonstranten, trainieren Straßenkampf
und lassen sich bereitwillig dabei filmen.
Es soll ein klares Signal sein für die Men-
schen in Hongkong. Genauso wie der
Leitartikel in der „Global Times“, der
englischsprachigen Zeitung von Chinas
kommunistischer Staatspartei. Dort heißt
es: „Peking hat nicht beschlossen, gewalt-
sam gegen die Unruhen in Hongkong vor-
zugehen, aber diese Option steht Peking
eindeutig zur Verfügung.“
Andrew und seine Freunde reden seit
Tagen über nichts anderes. „Natürlich
haben wir Angst davor, dass China Ernst
macht und mit Truppen nach Hongkong
kommt. Und ich weiß nicht, ob wir so
mutig wären wie die chinesischen Stu-
denten, die sich 1989 vor die Panzer ge-
stellt haben. Ich will weiterleben, aber ein
Leben in Freiheit, ohne Überwachung
und Kommunismus.“
Es ist dieses Bedürfnis nach Freiheit,
das die Menschen bei den Protesten im-
mer wieder erwähnen. Junge, sehr gebil-
dete Hongkonger sind es in der Mehrheit,
die auf der Straße sind. Laut einer um-
fffangreichen Umfrage der vier großenangreichen Umfrage der vier großen
Universitäten in Hongkong unter den De-
monstranten sind etwa 50 Prozent zwi-
schen 20 und 29 Jahren. 11 Prozent unter
2 0 und 19 Prozent zwischen 30 und 39.
Nur 16 Prozent gaben an, über 40 Jahre
alt zu sein. Noch bemerkenswerter: Mehr
als 77 Prozent gaben an, entweder stu-
diert zu haben oder studieren zu wollen.
Sie alle eint die große Sorge vor dem
chinesischen Einfluss. Renz, 21, Student,
demonstriert in Helm und Gasmaske.
AAAuch er fürchtet, dass Peking hart reagie-uch er fürchtet, dass Peking hart reagie-
ren könnte. „Was bleibt uns anderes üb-
rig, als auf die Straße zu gehen? Haben

wir eine andere Möglichkeit, um der Welt
zu zeigen, dass wir nicht zu China gehö-
ren wollen? Wenn China tatsächlich das
Militär einsetzt, wird die Welt nicht
schweigen können.“
WWWährend er über die Gefahr aus Pekingährend er über die Gefahr aus Peking
spricht, schaut Renz immer wieder auf
sein Smartphone. Ständig bekommt er
neue Meldungen zu den Protesten über
Telegram, WhatsApp, Firechat, Facebook
oder LIHKG, ein lokales Online-Forum.
„„„Wir nennen es die KI-Revolution“, sagtWir nennen es die KI-Revolution“, sagt
er. KI steht für künstliche Intelligenz. Die
lernt immer weiter und passt sich jeder
Form an. In den sozialen Medien warnen
sich die Demonstranten gegenseitig vor
Gefahren und möglichen Einsätzen der
Polizei. Sie posten aber auch stolz Fotos
des Protests. In den vergangenen Tagen
vor allem Geldscheine. Die Demonstran-
ten hatten dazu aufgerufen, Bargeld ab-
zuheben und Hongkong-Dollar gegen
US-Dollar einzutauschen. So wollen sie
Druck auf das Finanzsystem machen.
AAAber die Hongkonger Regierung istber die Hongkonger Regierung ist
nicht bereit, den Demonstranten weiter
entgegenzukommen. Carrie Lam, die Re-
gierungschefin, bleibt bei ihrem Kurs.
Und sie verteidigt die Sicherheitskräfte.
„Der Polizei fällt es seit zwei Monaten
sehr schwer, Recht und Ordnung in
Hongkong aufrechtzuerhalten und durch-
zusetzen. Offensichtlich arbeitet unsere
Polizei derzeit unter sehr schweren Be-
dingungen.“ Zum gewalttätigen Vorgehen
der Beamten sagte sie nur: „Das können
AAAußenstehende nicht beurteilen.“ Dieußenstehende nicht beurteilen.“ Die
jungen Hongkonger sind sicher, dass Lam
schon längst nicht mehr die Kontrolle
hat. Im Internet werden Ausweise von an-
geblichen Undercover-Polizisten aus Chi-
na veröffentlicht. Beweise sind das nicht,
aaaber verdeckte Einsätze könnten Pekingsber verdeckte Einsätze könnten Pekings
AAAlternative zu einem direkten militäri-lternative zu einem direkten militäri-
schen oder polizeilichen Zugriff sein.
Lai, 70, einer der Ältesten bei diesem
Protest, ist mit seinem 25-jährigen Sohn
gekommen. Er verweist auf die Vorge-
hensweise kommunistischer Regime.
„Ich bin ganz sicher, dass hier längst viele
Soldaten und Polizisten aus China sind,
die immer mehr Druck machen auf die
Hongkonger Polizei. Mich macht das al-
les sehr traurig, weil ich der Jugend ein
Leben wünsche, so wie ich es in Hong-
kong leben durfte. Frei von Angst und
Unterdrückung.“
Der Protestmarsch in Mong Kok dau-
ert bis zum späten Samstagabend. Einige
Hundert Demonstranten marschieren
vor eine Polizeistation, setzen Laser-
pointer gegen die Hongkonger Beamten
ein und werfen Eier. Die Bereitschafts-
polizei reagiert schließlich, marschiert in
martialischer Weise durch eine der
meistbefahrenen Straßen Hongkongs. Es
kommt zu kleinen Krawallen, aber dras-
tische Gewalt wie in den letzten Tagen
gibt es nicht.
Für die Demonstranten ist der heutige
Sonntag entscheidend. Joshua Wong, 22,
einer der Wortführer der Proteste,
glaubt, dass über eine halbe Million Men-
schen auf den Straßen sein wird. Er ver-
sucht seit Tagen, für Aufmerksamkeit zu
sorgen. Gerade Deutschland hat er im
Blick, wenn es um die Verantwortung für
Freiheit und Demokratie geht. Von den
bisherigen Reaktionen sei er schwer ent-
täuscht. „Warum lässt uns Deutschland
allein?“, fragt er. „Deutschland sollte Ein-
reisesperren verhängen und das Vermö-
gen derjenigen einfrieren, die Menschen
in Hongkong unterdrücken wollen, das
gilt für die Verantwortlichen aus China
als auch für die Handlanger der chinesi-
schen Regierung in Hongkong.“

PPPaul Ronzheimer ist Reporter bei „Bild“aul Ronzheimer ist Reporter bei „Bild“

Ängstlich und MUTIG


Die meist jungen Demonstranten in Hongkong fürchten, dass Peking die Armee schickt,


um ihren Protest niederzuschlagen. Doch sie geben nicht auf – und bitten Berlin um Hilfe


VONPAUL RONZHEIMER
AUS HONGKONG

FFFahrzeuge der chinesischen Armee in Shenzhen, nicht weit von Hongkong. Neue Truppen wurden hierher entsandt. Die Soldaten üben den Straßenkampfahrzeuge der chinesischen Armee in Shenzhen, nicht weit von Hongkong. Neue Truppen wurden hierher entsandt. Die Soldaten üben den Straßenkampf

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Artdirector

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Textchef

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Chefredaktion

Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst

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8 POLITIK * WELT AM SONNTAG NR.33 18.AUGUST


N


ur eine Straße führt durch
Miejsce Odrzanskie. Ge-
rade mal 270 Menschen
leben hier, tief im Süden
Polens. Es gibt keinen
Bahnhof, keine Poststelle, sogar der
Dorfladen ist verriegelt. An seinem
Flachdach hängt ein gelbes Plastik-
transparent mit der Aufschrift „Zu ver-
kaufen“. Nur noch die Landwirtschaft
bietet Arbeit. Eine Handvoll Bauern be-
stellt Felder. Am Horizont sind Trakto-
ren zu sehen. Darauf, dass hier ein Auto
vorbeifährt, kann man lange warten.

VON PHILIPP FRITZ
AUS MIEJSCE ODRZANSKIE

So wie hier sieht es in vielen Dörfern
in Polen aus. Spätestens nach dem Bei-
tritt des Landes zur EU 2004 sind viele
Junge gegangen, vor allem Alte blieben.
„Für uns hat sich lange niemand inte-
ressiert“, sagt Krystyna Zydziak, die
schon seit 1972 in Miejsce Odrzanskie
lebt und in der vierten Amtszeit Orts-

vorsteherin ist. „Aber jetzt ist alles an-
ders. Wegen der Mädchen.“
Seit etwa einer Woche ist das Dorf
das Gesprächsthema Nummer eins in
der Region. Täglich bekommen die Ein-
wohner Besuch von Fernsehteams aus
aller Welt. Mit Kamerawagen und
Übersetzern rollen sie an, während die
Menschen im Ort neuerdings die Türen
ihrer Häuser geschlossen halten und
ungläubig aus den Fenstern lugen. Der
Grund für die Aufregung: Seit zehn
Jahren werden in Miejsce Odrzanskie
ausschließlich Mädchen geboren. Der
letzte Junge kam vor zwölf Jahren zur
WWWelt, ein anderer ist zugezogen. Lokal-elt, ein anderer ist zugezogen. Lokal-
politiker loben Preise für die Familie
aus, die endlich wieder einen Jungen in
die Welt setzt. „Dorf der Mädchen“
nennen Menschen in den Nachbarge-
meinden den Ort mittlerweile.
In Miejsce Odrzanskie helfen Mäd-
chen bei der Feldarbeit, sie sind Minis-
trantinnen in der hölzernen Kirche von
1770, und es sind Mädchen, die sich in
der freiwilligen Feuerwehr engagieren –

sie gehen also Tätigkeiten nach, die vie-
le eher Jungen zuschreiben. Beinahe
hätte die Außenwelt nichts von diesem
kleinen Geschlechterwunder mitbe-
kommen. Denn die Einwohner finden es
nicht besonders bemerkenswert, dass
hier ausnahmslos Mädchen geboren
werden. Das sei Zufall, sagen sie knapp.
Sie verstehen nicht recht, dass ihrem
Dorf ausgerechnet jetzt so viel Auf-
merksamkeit zuteil wird. Dabei ist der
Grund dafür schlicht: die Feuerwehr.
Tomasz Golasz steht in seiner Uni-
form vor der offenen Garage der Feuer-
wache. „Die Mädchen haben mich da-
rauf angesprochen, und dann habe ich
die Gruppe gegründet“, erzählt er. Die
Jugendgruppe der freiwilligen Feuer-
wehr, die er ins Leben gerufen hat, ist
weiblich geprägt. „Natürlich ist sie auch
für Jungen offen, aber von denen gibt es
hier nicht so viele“, sagt Golasz. Er ar-
beitet hauptberuflich als Feuerwehr-
mann in einem anderen Ort in der Nä-
he, in Miejsce Odrzanskie leitet er die
Freiwilligen. Er ist wegen seiner Frau

hergezogen, mit der er mittlerweile
zwei Kinder hat – natürlich Mädchen.
Während der Priester die Gemeinde nur
einmal in der Woche besucht, ist in der
Feuerwache immer was los.
„Gerade vor Wettbewerben trainie-
ren die Mädchen beinahe jeden Tag“,
sagt Golasz. Sie übten dann das Lö-
schen von Bränden oder erste Hilfe. So
war es auch im Juni dieses Jahres. Die
Mädchengruppe nahm an einem Tur-
nier im zentralpolnischen Wieruszow
teil. „Da waren wir eine Ausnahme“,
sagt Golasz stolz. Dennoch: „Machen
wir uns nichts vor, die Feuerwehr ist
grundsätzlich eher was für das männ-
liche Geschlecht.“ Gruppenleiter Go-
lasz war sich zwar bewusst, dass seine
Mädchen mit den Helmen unter all
den Jungen auffallen, aber dass sie ihr
Dorf landesweit bekannt machen wür-
den, das hat er nicht erwartet. Schließ-
lich war niemandem im Ort aufgefal-
len, wie lange schon kein männlicher
Nachwuchs mehr geboren worden
war. Aber während des Feuerwehr-

Turniers wurde ein Reporter des staat-
lichen Senders TVP auf die Mädchen-
gruppe aufmerksam. Und dann brach
„dieser Zirkus“ los, wie Golasz es
nennt. Seitdem klingelt ständig sein
Telefon. Das sei lästig. Aber er freue
sich für die Mädchen, die bei Wettbe-
werben immer gut abschneiden. Er
könne die Pokale in der Wache kaum
noch zählen. „Schauen Sie, wie gut un-
ser Team ist!“, sagt er stolz. Zum Ge-
winnen braucht es keine Jungen.
Das beweisen auch Adrianna Pie-
ruszka, 20, und Sabina Blana, 21. Die
beiden zählen zu den älteren in der
Gruppe und leiten die jüngeren an.
„Nein“, sagt Pieruszka, deren Eltern ei-
nen Hof in Miejsce Odrzanskie führen,
„ich mache mir keine Sorgen, dass uns
die Männer im Ort völlig abhanden-
kommen“. Man könne ja in anderen
Gemeinden Männer kennenlernen und
herbringen. Pieruszka lächelt schüch-
tern und zieht die Ärmel ihrer Feuer-
wehrjacke lang. „So wie ihn“, sagt Blana
dann. Sie zeigt auf Feuerwehrmann Go-

lasz. Pieruszka und Blana studieren
beide im rund 70 Kilometer entfernten
Opole, wohnen aber noch bei den El-
tern. Die Feuerwehr ist ihre Leiden-
schaft. Wegziehen käme für sie nicht
infrage. Sie helfen ihren Eltern auf den
Höfen aus und fahren auch mal Traktor


  • was Mädchen und junge Frauen in
    Miejsce Odrzanskie eben so machen.
    „„„Wir haben hier wirklich viele alteWir haben hier wirklich viele alte
    Einwohner“, sagt Ortsvorsteherin
    Krystyna Zydziak. „Nur 20 junge Fami-
    lien leben hier. Und wenn die schon
    mal Kinder bekommen, dann nur Mäd-
    chen.“ Zydziak schüttelt den Kopf.
    AAAber es freue sie schon, dass Miejsceber es freue sie schon, dass Miejsce
    Odrzanskie jetzt bekannter sei. „Viel-
    leicht kommen dann mal Leute zu Be-
    such“, sagt sie. Aber dass ihr Dorf jetzt
    wieder wächst, glaubt Zydziak nicht.
    Sie hat selbst zwei Töchter, eine lebt in
    der Nähe von München. „Fast jede Fa-
    milie hier hat jemanden im Ausland“,
    sagt sie. Sie weiß, dass die Feuerwehr
    die Mädchen nicht für immer in
    Miejsce Odrzanskie halten wird.


Das Dorf der tapferen Mädchen


In einer Gemeinde in Südpolen werden seit zehn Jahren nur weibliche Babys geboren. Den Einwohnern fiel das gar nicht auf – bis zu der Sache mit dem Feuerwehrturnier


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