Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

Weltwoche Nr. 32.19 17
Bild: Alessandro della Valle (Keystone)


Das Urteil des Bundesgerichts lässt auch in
Bern die Wogen hochgehen. Der Ärger über
die höchstrichterliche Zulassung der Grup-
penanfrage ist parteiübergreifend. Er reicht
von CVP-Chef Gerhard Pfister («Halte den
Entscheid für falsch») über FDP-Nationalrat
Hans-Peter Portmann («Die Richter
missachten unsere demokratischen
Gesetze») bis zur SVP: «Unglaubli-
ches Urteil gegen den Schweizer
Finanzplatz.»
Eher leise wird dagegen die Rolle
der Exekutive hinterfragt. Schliess-
lich war es die Eidgenössische Steuerverwal-
tung (ESTV), welche an drei Stationen dem An-
liegen der Franzosen zum Durchbruch verhalf:
Im Frühjahr 2016 wird der französische
Fiskus bei der ESTV vorstellig. Er möchte eine
Gruppenanfrage für Amtshilfe in Steuer-
sachen stellen, rund 40 0 00 Kunden der UBS
betreffend. Die ESTV hilft daraufhin aktiv bei
der Formulierung des formellen Ersuchens.
Ob Beamte der ESTV für diesen Zweck sogar
eigens nach Paris gereist sind? Die ESTV hüllt
sich in Schweigen.
Am 11. Mai 2016 geht das gemeinsam for-
mulierte Ersuchen in Bern ein. Nach längeren
juristischen Scharmützeln zwischen UBS, ESTV
und den französischen Behörden entscheidet
die ESTV am 9. Februar 2018, den Franzosen
Amtshilfe zu gewähren. Sie verschiebt damit
aktiv die Grenze zwischen zulässiger Grup-
penanfrage und unzulässigem Fischzug.
_ Das Bundesverwaltungsgericht heisst am



  1. Juli 2018 eine Beschwerde der UBS gegen
    die Datenlieferung gut. Gegen diesen Ent-
    scheid legt die ESTV beim Bundesgericht aktiv
    Rechtsmittel ein.


Keine etablierte Rechtspraxis


Die Weltwoche wollte von der ESTV wissen, wa-
rum sie sich derart für die Anliegen einer aus-
ländischen Behörde eingesetzt habe. Doch die
Hoheit über die Kommunikation hat mittler-
weile das Generalsekretariat von Bundesrat
Ueli Maurer (SVP). Maurers Beamte schreiben:
«Zur Rechts sicherheit gehört, dass bei grund-
sätzlichen Fragen, die für die Amtshilfepraxis
von grosser Relevanz sind, für die Beurteilung
der Rechtslage letztlich das oberste Gericht an-
gerufen wird.» Tatsächlich gibt es im Grenz-
bereich zwischen erlaubten Gruppenanfragen
und unerlaubten Fischzügen keine etablierte
Rechtspraxis. Das bestätigen Nachfragen bei
renommierten Steueranwälten.


Hat die ESTV tatsächlich nur getan, was eine
unpolitische Behörde im rechtlichen Zweifels-
fall tut: unabhängigen Gerichten den Ent-
scheid über Recht und Unrecht überlassen?
Entschieden anders sieht es Rechtsanwalt
David Zollinger, ehemals Staatsanwalt im
Kanton Zürich. Seines Erachtens hat
die ESTV aktiv den Bereich ausge-
dehnt, der für Gruppenanfragen gel-
ten soll – über den Staatsvertrag mit
Frankreich hinaus. Das Bundesgericht
habe diese Ausweitung gutgeheissen
und damit «die Grundlinie verscho-
ben», welche erlaubte Gruppenanfragen
einer seits und unerlaubte Fischzüge anderer-
seits trenne. Bislang, und nach Wortlaut des
Doppelbesteuerungsabkommens, sei ein kon-
kreter Tatverdacht Voraussetzung für die Ge-
währung von Amtshilfe gewesen. Mittlerweile
genüge es, dass ein anderer Staat «eine Konto-
nummer bei einer Bank in der Schweiz kennt,
die möglicherweise auf einen seiner Bürger
lauten könnte». Darüber hinaus brauche es
«künftig kam einen Verdacht, damit die
Schweiz diese Information übermittelt».

«Richterrecht»
Eine solche Ausweitung der Amtshilfe sei
nicht in erster Linie juristischer, sondern poli-
tischer Natur. Demzufolge wäre es am politi-
schen Verantwortlichen gelegen, darüber zu
entscheiden: Bundespräsident Ueli Maurer.
Insbesondere, weil auch dem Finanzdeparte-
ment nicht verborgen geblieben sein dürfte,
wie die bei solchen Themen zum Zug kom-
mende Zweite öffentlich-rechtliche Abteilung
des Bundesgerichts sich immer wieder da-
durch profiliert habe, «Rechtsfortbildung zu
betreiben und eigentliches ‹Richterrecht› zu
schaffen», sagt Zollinger.
An Warnungen diesbezüglich mangelte es
nicht. Nachdem das Bundesverwaltungs-
gericht im Sinne der UBS entschieden hatte,
wurden Branchenvertreter bei Bundesrat Ueli
Maurer persönlich vorstellig. Sie wiesen ihn
auf die politische Bedeutung des Falls für den
Finanzplatz Schweiz hin und legten Maurer
nahe, zu verhindern, dass die ESTV Rechts-
mittel einlegt. Im September 2016 hatte die
Zweite öffentlich-rechtliche Abteilung (in
gleicher Besetzung) schon einmal ein Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts umgestossen,
welches die Datenlieferung verboten hatte.
Damals war es um eine Gruppenanfrage aus
den Niederlanden gegangen. Maurer hörte die

Emissäre an – und unternahm nichts. Aus dem
Departement heisst es: «Dazu äussern wir uns
nicht.» Offensichtlich sah es Maurer als zu ris-
kant an, in diesem Fall politisches Kapital zu
mobiliseren. Aus SVP-Kreisen heisst es, es rä-
che sich nun, dass sich der Finanzminister be-
harrlich geweigert habe, in seinem Departe-
ment bürgerliches Personal zu platzieren. Der
Chef der im UBS-Fall federführenden ESTV
beispielsweise, Adrian Hug, wurde 2013 von
Maurers Vorgängerin Eveline Widmer-
Schlumpf (BDP) in sein Amt berufen.
Hug, der früher im Zürcher Gemeinde- und
Kantonsparlament für die CVP politisierte, hat
sich in früheren Funktionen den Ruf eines
zuverlässigen Etatisten erworben, für den die
Interessen der Staatskasse zuoberst stehen. In
den späten neunziger Jahren leitete er die
Abteilung Schenkungs- und Erbschaftssteuer
beim kantonalen Steueramt, die durch eine
gewonnene Volksinitiative von SVP und Haus-
eigentümerverband überflüssig wurde. Mit
übertriebenen Szenarien zu drohenden Ein-
nahmeverlusten setzte er sich politisch in die
Nesseln. Daraufhin bot ihm der christlichsozi-
ale Finanzvorstand Willy Küng die Leitung
des stadtzürcherischen Steueramts an. 2007
wechselte er unter dem später abgewählten Fi-
nanzdirektor Hans Hollenstein (CVP) wieder
zum Kanton. Fünf Jahre später schlug seine
Stunde in Bern: Finanzministerin Widmer-
Schlumpf suchte einen Mann für «umfangrei-
che Projekte in einem politischen Umfeld».

Finanzplatz


Verschobene Grundlinien


Von Florian Schwab _ Hat die Eidgenössische Steuerverwaltung


die Schweizer Grossbank bewusst ans Messer geliefert? Und hätte


der Finanzminister dies verhindern können?


An Warnungen mangelte es nicht: Ueli Maurer.

Mehr zum Thema: «Bodenmann», Seite 18
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