Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
Weltwoche Nr. 32.19 19
Bild: Twitter; Illustration Bianca Litscher (www.sukibamboo.com)

A


ls Leser hatte ich eine schöne Jugend.
Denn in meiner Jugend gab es noch rich-
tigen Krieg.
In Solothurn, wo ich aufwuchs, standen die
Solothurner Zeitung und die Solothurner Nach-
richten in einem offenen Zeitungskrieg. Die
beiden Blätter attackierten sich nach allen
Regeln der Diffamierungskunst.
Überall sonst ging es ebenso lustvoll zu. In
St. Gallen droschen das Tagblatt und die Ost-
schweiz aufeinander ein. In Bern gingen das
Tagblatt und der Bund aufeinander los. In Basel
befehdeten sich die Basler Nachrichten und die
National-Zeitung.
Die Pressekonzentration beendete ab den
siebziger Jahren das frohe Schlachtgetümmel.
Heute gibt es nur noch in einer Stadt zwei Zei-
tungen aus zwei Verlagen. Zürich hat die Wahl
zwischen Neuer Zürcher Zeitung und Tages-
Anzeiger.
Hier erleben wir nun eine Wiederkehr der
schönen Tradition des Zeitungskriegs. Die
beiden Blätter gehen neuerdings heftig aufei-
nander los.
Es begann vor etwas mehr als zwei Jahren.
Der Tages-Anzeiger verfasste ein eher untergrif-
figes Porträt von NZZ-Chefredaktor Eric Gujer.
Gujer intervenierte darauf bei Tages- Anzeiger-
Chefredaktor Arthur Rutishauser. Rutishau-
ser kippte den Artikel kurz vor Redaktions-
schluss aus dem Blatt.
Das aber hinderte den Tages-Anzeiger nicht
am weiteren Feldzug. Seitdem greift er die
«Lieblingszeitung der Rechten», wie er die
NZZ nennt, regelmässig und heftig an. Es geht
ausschliesslich um die politische Haltung.
Wenn der Tages-Anzeiger über die NZZ
schreibt, dann fallen reihenweise Ausdrücke
wie «rechtspopulistisch», «Rechtsdrall» und
«rechtslastig». Zuletzt attestierte man dem
Konkurrenten gar eine Nähe zu «völkischen
Thesen» und rückte die NZZ damit gezielt in
die Nazi-Ecke.
Das ging nun sogar der Basler Zeitung zu weit,
die ebenfalls zum Tages-Anzeiger-Konzern ge-
hört. Sie publizierte eine umfassende Analyse
der NZZ und rühmte sie als «liberales Leit-
medium», das die Kritik als «Ritterschlag»
empfinden dürfe. Der Text wurde auch der
Tages-Anzeiger-Redaktion angeboten. Die lehn-
te natürlich den Abdruck ab.
Letzte Woche löste die NZZ den bisher
schärfsten Gegenangriff aus. Anders als der
Gegner argumentierte sie nicht politisch, son-
dern warf dem Tages-Anzeiger journalistisches
Versagen vor.


Als Beispiele erwähnte die NZZ etwa die Beste-
chungsvorwürfe gegen Thomas Borer und
Ex-Nationalrat Christian Miesch, die der
Tages- Anzeiger skandalisiert hatte und die sich
zuletzt in Luft auflösten. Ein ähnlicher Fall
waren die Fake News, am Frauenstreik hätte
Ständerat Roland Eberle Frauen mit obszönen
Gesten beleidigt. Das Haus Tages-Anzeiger
musste sich entschuldigen und den Artikel
löschen. Genau dieselbe Peinlichkeit unterlief
der Redaktion im letzten Jahr bereits bei
einem Artikel über den Bündner Verleger
Hanspeter Lebrument.
Genüsslich zitierte die NZZ auch eine Tages-
Anzeiger-Redaktorin, die zu ihrem umstritte-
nen Artikel über Familienpolitik gesagt hatte,
er sei «ohne Anspruch auf Detailtreue oder gar
Richtigkeit der Angaben» erschienen. Die
NZZ-Botschaft war damit klar.
Interessant am Zürcher Zeitungskrieg ist,
wie sich die Profile beider Widersacher schär-
fen. Die NZZ fährt einen bürgerlich-konserva-
tiven Kurs und stemmt sich gegen politische
Korrektheit. Der Tages-Anzeiger, der zuvor zur
Mitte tendierte, ist dadurch wieder deutlich
auf eine links-grüne Linie geschwenkt, ge-
würzt mit hohem Anteil an moralisierender
Belehrung.
Was wollen wir mehr? Im Vergleich zur Rest-
schweiz ist Zürich für uns Leser ein Schlaraf-
fenland.

Medien


Zürcher Zeitungskrieg


Von Kurt W. Zimmermann _ Zwischen Tages-Anzeiger und NZZ lebt
eine alte Tradition wieder auf, die Tradition des Zeitungskriegs.

Die Profile schärfen sich: Tages-Anzeiger online.

F


rüher, also zu Go-
ethes und Schillers
Zeiten, war das Theater
in Deutschland eine
moralische Anstalt,
heute sind es die ARD
und das ZDF. Die Ge-
bührenzahler werden
belehrt und erzogen,
man könnte gleich sagen: indoktriniert. Do-
nald Trump ist böse, Boris Johnson ist verrückt
(oder auch umgekehrt), die AfD ist die neue
NSDAP, die EU ist ein Friedensprojekt, und wer
die unkontrollierte Zuwanderung nicht gut
findet, der ist ein Nationalist ohne Herz und oh-
ne Verstand. Sie denken, ich übertreibe? Dann
verfolgen Sie eine Woche lang die Kommentare
zum Tagesgeschehen in den Tagesthemen
(ARD) und dem «Heute Journal» (ZDF).
Oder schauen Sie sich das «Neo Magazin
Royale» im ZDF an, mit Jan Böhmermann als
Conferencier. Böhmermann hat sich mit einem
Spottgedicht auf den türkischen Präsidenten
einen Namen gemacht, was beinah zu einem
Abbruch der diplomatischen Beziehungen
zwischen Deutschland und der Türkei geführt
hätte. Seitdem versucht er zu beweisen, dass er
auch anders kann. Zuletzt hat er zu einer Soli-
daritätskampagne mit der deutschen Kapitä-
nin Carola Rackete, die in Italien festgehalten
wird, aufgerufen und über eine Million Euro zu
deren Verteidigung eingesammelt.
In einem Beitrag zum siebzigsten Geburtstag
des Grundgesetzes lässt Böhmermann eine Fi-
gur namens «Grundi» mit einem Hartgummi-
knüppel einen Polizeiwagen demolieren. Zwei
Polizisten schauen dem Treiben tatenlos zu.
Zum Schluss lässt Grundi den Knüppel fallen,
schiebt die Polizisten zur Seite und macht sich
aus dem Staub, derweil eine Stimme aus dem
Off sagt: «Grundgesetz – unfickbar seit 1949».
Ich habe mir den eine Minute und 27 Sekun-
den langen Spot mehrmals angesehen und
weder ihn noch die Pointe verstanden. Was
wollte Böhmermann damit sagen? Dass Gewalt
gegen Polizei o. k. oder nicht o. k. ist?
Ich bat den Intendanten des ZDF um Aufklä-
rung. Ob er mir bitte sagen könnte, wo sich der
Witz versteckt und worauf die Feststellung
«unfickbar seit 1949» anspielt? Jetzt warte ich
seit einer Woche auf eine Antwort des Inten-
danten. Ich vermute, er hat meine Bitte an die
zuständige Redaktion weitergegeben. Dort
geht die Suche nach dem Witz weiter, fieberhaft
von 9 bis 17 Uhr. Auflösung folgt, demnächst an
dieser Stelle.

Die Deutschen


Grundi knüppelt


Von Henryk M. Broder _ Was genau
meint Böhmermann?
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