Süddeutsche Zeitung - 09.08.2019

(Frankie) #1

F


rüher einmal, als in Versailles König
Ludwig XIV. und in München der
Kurfürst Max Emanuel über ihre Völ-
ker herrschten, war Wirtschaftspolitik
ganz einfach. Sie sollte das Gold in den
Schatzkammern des Monarchen mehren.
Das konnte geschehen, indem der Gewer-
befleiß des Volkes gefördert wurde, vor al-
lem aber dadurch, dass das Land mehr Wa-
ren exportierte als importierte, dass seine
Handelsbilanz also einen Überschuss auf-
wies. Dafür hatten Zölle, Verbote und Mo-
nopole zu sorgen.
Die klassische Nationalökonomie be-
gann im 18. Jahrhundert mit der Erkennt-
nis, dass dieses Streben nach einem mög-
lichst hohen Überschuss in der Handelsbi-
lanz Unfug ist, weil es zwangsläufig dazu
führt, dass in einem anderen Land Han-
delsdefizite entstehen, das dadurch zum
Feind wird. Adam Smith, der Urvater der
Zunft, formulierte das so: Durch diese Poli-
tik würde „den Völkern eingeredet, ihr In-
teresse bestünde darin, alle ihre Nachbarn
zu Bettlern zu machen“. Seither heißt im
Englischen der Versuch, eine Währung
künstlich abzuwerten, um mehr Waren im
Ausland zu verkaufen,beggar thy neig-
hbour policy.
Seit Adam Smith weiß man, dass Frei-
handel in der Regel allen beteiligten Natio-
nen nutzt und dass der Versuch, andere
zum Bettler zu machen, oft damit endet,
dass man selber einer wird. Aber das alte
Freund-Feind-Denken in Handelsfragen
ist verführerisch, und besonders in Um-
bruchzeiten erliegen viele Menschen die-
ser Versuchung. Donald Trump ist inso-


fern ein Kind unserer Zeit. Freihandel ist
unpopulär, wie zuletzt die Demonstratio-
nen in Deutschland gegen das zu Zeiten
von Präsident Barack Obama geplante
Handelsabkommen TTIP zeigten. Trump
gibt dem noch eine besondere Note, indem
er sich als verfolgende Unschuld gibt, so
als müsse er eine Beggar-Thy-Neighbour-
Politik betreiben, weil ja die anderen – be-
sonders Chinesen und Deutsche – ihn zu-
vor schon zum Bettler gemacht hätten.
Diese Woche jedenfalls ist der amerika-
nisch-chinesische Handelskrieg auf dem
Feld der Währungspolitik angekommen.
Die Notenbank in Peking hat zugelassen,
dass der Dollar gegenüber dem Yuan stär-
ker geworden ist, was Produkte aus der
Volksrepublik automatisch wettbewerbs-
fähiger macht. Trump erklärte China dar-
aufhin zum „Währungsmanipulator“. Alle
wissen, dass das nicht stimmt und dass
die Chinesen in Wirklichkeit einfach auf-
gehört haben, sich den Kräften von Ange-
bot und Nachfrage entgegenzustellen.
Und die machen die Währung billiger,
auch wegen Trumps Zollpolitik. Womit
sich wieder die Frage stellt, wer hier wen
zum Bettler macht.
Der Währungsstreit diese Woche hat
aber noch eine andere Bedeutung. Er illus-
triert, welche Brüche der Aufstieg Chinas
zur Supermacht in der Welt im Allgemei-
nen und in Amerika im Speziellen auslöst.
Chinas Währung Renminbi („Yuan“ ist der
Name der Währungseinheit) ist nur halb in
das Weltwährungssystem integriert, der
Handel mit ihr ist stark eingeschränkt, die
Kurse werden politisch gesteuert. Ange-

sichts der Macht Chinas ist das ein Ana-
chronismus. Die Frage ist: Wird es gelin-
gen, diesen Anachronismus zu beseitigen
und China in die offene Weltwirtschafts-
ordnung einzubinden? Oder wird die Welt
in verschiedene Handelsblöcke zerfallen,
die sich nach Trump’scher Manier mit Zöl-
len und Abwertungen bekämpfen?

Die historische Bedeutung dieser Frage
kann gar nicht überschätzt werden. Die
heutige, westlich dominierte Ordnung ent-
stand, weil die westlichen Siegermächte
des Zweiten Weltkrieges begriffen hatten,
wie katastrophal die Folgen von Abschot-
tung und Protektionismus im Vorlauf zu
diesem Krieg waren. Die Vereinigten Staa-
ten, Großbritannien und Frankreich hat-
ten sich in den frühen 1930er Jahren einen
regelrechten Währungskrieg geliefert, un-
ter dem besonders die Weimarer Republik
litt. Die Politiker in Berlin machten den
Kampf der Währungen nicht mit, weil
dann die Schulden des Reiches ins Uner-
messliche gestiegen wären. Der Preis war
eine verheerende Deflation. Das erklärt
Hitler nicht, aber die Krise erleichterte
zweifellos seinen Aufstieg.
Die Planungen für die neue, bessere Ord-
nung begannen bereits 1940, nach dem
Fall Frankreichs, als Nazi-Deutschland auf
dem Höhepunkt seiner Macht war. Damals
entwarf Walther Funk, Wirtschaftsminis-

ter des Dritten Reiches, Pläne für eine
„Neue Ordnung“ in Europa, in der Wirt-
schaft und Währungen der besetzten Staa-
ten dem deutschen Interesse unterworfen
gewesen wären. Die Entwürfe für eine glo-
bale Wirtschaftsordnung, die damals in
London und Washington entstanden, wa-
ren auch eine Antwort der zivilisierten
Welt auf diese Pläne für einen nationalsozi-
alistischen Handelsblock. Der Internatio-
nale Währungsfonds, 1944 auf der Konfe-
renz von Bretton Woods beschlossen, soll-
te zum Beispiel verhindern, dass Länder je-
mals wieder auf Währungsmanipulation
zurückgreifen mussten.
Das Währungssystem, das nach dem
Krieg entstand, erlebte und überlebte
schwerste Krisen. Im Endeffekt funktio-
nierte es, weil die Vereinigten Staaten als
faktische Garantiemacht dahinterstanden,
die im Zweifel auch einmal kurzfristige na-
tionale Interessen zurückstellte und sich
zum „starken Dollar“ bekannte. Diese Wo-
che hat gezeigt, dass man sich auf diese Rol-
le der USA nicht mehr verlassen kann. Man
darf sich dabei keine Illusionen machen –
für seine aggressive Währungspolitik fin-
det Trump im ganzen Land Unterstützung.
Elizabeth Warren, eine dezidiert linke Be-
werberin um die Präsidentschaftskandida-
tur der Demokraten, legte gerade einen ei-
genen Plan vor, wie die USA den Dollar ge-
zielt abwerten und so Jobs schaffen könn-
ten. Es ist keine Frage, wie Adam Smith das
genannt hätte. nikolaus piper

Jennifer DiMotta, 45, Spezialistin für
digitales Marketing, wird Chief Marke-
ting und Digital Officer in der Geschäfts-
führung der Media Markt Saturn Retail
Group in Ingolstadt. Der Posten wird
neu geschaffen. Bei der hauseigenen
Werbe- und Marketingagentur Redblue
baut Media-Saturn derweil in München
und Ingolstadt um und streicht Stellen.
DiMotta(FOTO: OH)ist US-Bürgerin und
leitete zuletzt ihre eigene Beratungsfir-
ma in Washington DC, die Händlern
hilft, ihr Geschäftsmodell ins Internet zu
übertragen. „Geiz-ist-geil“-Kampagnen
werden von DiMotta nicht erwartet,
stattdessen die Verschmelzung von Mar-
keting und Digitalem, und zwar interna-
tional. DiMotta hat 20 Jahre Erfahrung
in der digitalen Transformation, war
Sprecherin vonWomen Leadershipsowie
Women in Retail
Leadershipund
neun Jahre nukleare
Biospezialistin in
der US-Armee. Auf
ihrem Blog kann
man viele private
Fotos sehen und die
„DiMotta-Methode“
studieren. kläs

Hans-Joachim Ziems, Jahrgang 1954,
soll den angeschlagenen Autozulieferer
Leoni beraten, heißt es aus Finanzkrei-
sen. Der bekannte Sanierungsexperte ist
demnach angeheuert worden, um als
externer Berater den Nürnberger Kabel-
und Bordnet-Spezialisten zu durchleuch-
ten und zu überprüfen, ob die Strategie
des Vorstands um Aldo Kamper umsetz-
bar sei, sagte einer der Insider am Don-
nerstag der NachrichtenagenturReuters.
Ziems(FOTO: DPA)solle aber nicht selbst in
den Vorstand einrücken, sagte ein zwei-
ter Insider. Zuvor hatte dieWirtschafts-
wochedarüber berichtet. Leoni wollte
die Personalie zunächst nicht bestäti-
gen. „Leoni bestätigt, dass das Unterneh-
men konstruktive Gespräche mit seinen
Kreditgebern führt“, heißt es lediglich in
einer Stellungnahme. Zu den Inhalten
wolle man sich nicht
äußern. Ziems hat
in den vergangenen
Jahren Firmen wie
die Werkstattkette
ATU, den Immobi-
lieninvestor IVG und
den Holzverarbeiter
Pfleiderer saniert.
reuters, sz

Jens Parthe, 44, ausgewiesener Versi-
cherungsexperte, wechselt die Seiten.
Bislang hat er als hochkarätiger Mitar-
beiter des Beratungsunternehmens
Deloitte Vorständen in Versicherungsge-
sellschaften gesagt, was sie seiner Mei-
nung nach alles anders machen müssen.
Ab Oktober trägt er selbst die Verantwor-
tung: Er wird Vorstandsmitglied der
Ergo Beratung und Vertrieb. In dieser
Tochtergesellschaft hat der Ergo-Kon-
zern seine Vertriebe gebündelt. Ergo-
Chef Markus Rieß, gleichzeitig Vorstand
der Muttergesellschaft Munich Re, ist
von dem Berater überzeugt. Parthe soll
künftig zuständig sein für die Weiterent-
wicklung des Geschäfts, im Jargon „Busi-
ness Development“ genannt, für die
Koordination der Vertriebe und die Ko-
operationen. Außerdem soll er den digi-
talen Umbau des Vertriebs voranbrin-
gen. Parthe stammt aus dem Ruhrge-
biet. Er ist in Recklinghausen geboren,
hat in Essen, Rotterdam und Tampere
studiert. Dann wurde er Unternehmens-
berater, zuletzt seit 2012 bei Deloitte. Er
spricht Niederländisch. In seiner Freizeit
interessiert er sich für Rudern und Ski,
Kochen und Reisen. hfr

von silvia liebrich

W


er freut sich nicht darauf: Schöne
Urlaubstage sind der Ausgleich
für harte Arbeitstage. Sie sollen er-
holsam sein und den Blick für Neues freima-
chen. Warum sich also nicht eine interessan-
te Reise gönnen? Das denken sich viele Bun-
desbürger. Pro Jahr treten sie 80 Millionen
Kurzurlaube an. Hinzu kommen 70 Millio-
nen längere Reisen, 50 Millionen davon ge-
hen ins Ausland, meist mit dem Flugzeug.
Und hier fangen die Schwierigkeiten an.


In einer Zeit, in der die Klimakrise zum
drängendsten Problem wird, fällt es
schwer, einfach nur so zum Spaß durch die
Welt zu fliegen und jede Menge Kohlendi-
oxid (CO2) freizusetzen. Nachhaltiger rei-
sen, das wollen inzwischen viele Men-
schen. Laut einer Umfrage des Umweltmi-
nisteriums trifft das auf 57 Prozent der
Deutschen zu. Auch bei Geschäftsreisen-
den setzt ein Umdenken ein. Doch noch
klafft zwischen Anspruch und Wirklich-
keit eine große Lücke, auch weil umweltbe-
wusstes Reisen gar nicht so einfach ist. Die
SZ hat deshalb Tipps zusammengestellt:


Umdenken: Entspannen und Zeit nehmen
Die Frage „Fliegst Du noch in den Urlaub?“,
verkneift sich der Umweltwissenschaftler
Michael Kopatz bei Freunden und Kolle-
gen, „weil das sofort die Stimmung ver-
gällt“. Er erzählt stattdessen lieber, wie
und wohin und er mit seiner Familie in die
Ferien fährt. Sein Rat: „Wir sollten uns zu
allererst fragen, was wir uns vom Reisen
versprechen und wie stark der Herzens-
wunsch ist, in ein Land zu reisen, das nur
mit dem Flieger erreichbar ist.“ Meist gehe
es ja um Erholung. „Da hilft es, wenn wir
für die freien Tage möglichst wenig Auf-
wand betreiben müssen. Von Sehenswür-
digkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen, volle
Hotels, Flugzeuge und Züge, im Stau ste-
hen, das seien schließlich alles Stressfakto-
ren. Kopatz’ letzter Kurzurlaub mit dem
Camper führte nur 13 Kilometer von der
Haustür weg. „Das war sehr schön“, sagt er.


Umsteigen: Verkehrsmittel vergleichen
Tipps für nachhaltiges Reisen hat das Um-
weltbundesamt (UBA) auf seiner Home-
page zusammengestellt. Wer weniger
schädlich unterwegs sein will, für den gilt
die Faustregel: je näher, desto besser. Im
Umkreis von nur 800 Kilometern liegen Ur-
laubsziele, die ohne Flieger gut erreichbar
sind und das bieten, was die meisten im Ur-
laub suchen: Natur, Berge, Strand und se-
henswerte Städte. Zwar liegt der Anteil des
Flugverkehrs an den gesamten CO2-Emis-
sionen weltweit nur bei drei Prozent. Doch
das ist viel, gemessen daran, dass nur drei
Prozent der Weltbevölkerung überhaupt
fliegen. Deutlich über dem Schnitt liegen
die Deutschen. „Ihre Flüge machen immer-
hin rund zehn Prozent der deutschen Treib-
hausgasemissionen aus, mehr als die Hälf-
te davon sind Urlaubsflüge“, rechnet Vol-
ker Quaschning vor, Professor für regene-


rative Energiesysteme an der Hochschule
für Technik und Wirtschaft in Berlin. Das
Auto habe zwar einen schlechten Ruf,
„aber es kommt drauf an, wie viel Leute
drinsitzen – nur einer ist schlecht, vier
oder fünf sind schon vergleichbar mit der
Bahn“. Da hilft es genau hinzusehen. Einen
CO2-Rechner bietet das UBA auf seiner In-
ternetseite an, aber auch Organisationen
wie Atmosfair oder Myclimate, bei denen
Reisende Flüge oder Kreuzfahrten kom-
pensieren können. „Wenn ich unbedingt
fliegen will oder muss, dann ist Kompensie-
ren eine gute Sache“, sagt Quaschning.
„Wer aber weiterhin so viel fliegt wie bis-
her und glaubt, dass damit alles gut sei, ist
auf dem falschen Weg. Wir müssen welt-
weit komplett klimaneutral werden.“ Er
selbst hat vor drei Jahren beschlossen,
überhaupt nicht mehr zu fliegen. „Das
muss aber der Job hergeben“, räumt er ein.

Umbuchen: Das richtige Angebot finden
Für Urlaubsreisen geben die Deutschen im
Jahr insgesamt fast 100 Milliarden Euro
aus. Das zeigt die RA-Reiseanalyse, eine
jährliche Branchenumfrage. Besonders ge-
fragt sind Pauschalreisen. Nachhaltigkeit
spielt dabei jedoch kaum eine Rolle. Wie al-
so vorgehen bei der Reiseplanung? „Kun-
den können durch die Buchung Einfluss
nehmen. Sie können darauf achten, wie Ho-
tels wirtschaften und sollten gezielt nach-
fragen“, meint Volker Böttcher, Direktor
am Institut für Tourismusforschung (ITF)
an der Hochschule Harz. Etwa in dem sie
sich erkundigen, wie Plastikmüll vermie-
den oder Wasser gespart wir.
Wem das zu anstrengend ist, der kann
sich bei speziellen Reiseanbietern wie
Bookdifferent, Bookitgreen und anderen
umsehen. Bei der Auswahl eines umweltbe-
wussten Reiseveranstalters oder Hotels
können sich Verbraucher zudem an Sie-
geln wie Travelife oder TourCert orientie-
ren. Tourismusexperte Böttcher selbst
träumte lange von einer Schiffsreise in die
Arktis oder Antarktis. Nun hat er entschie-
den, ganz auf die Fahrt zu verzichten und
begründet das so: „Wenn ich mich als Rei-
sender in dieser Region bewege, egal wie,
macht das etwas mit der Umgebung dort.“

Umorganisieren: Im Job mobil bleiben
Geschäftsreisen lassen sich nicht so leicht
vermeiden, auch weil hier der Arbeitgeber
mitentscheidet. Am Flughafen Frankfurt
waren laut Statistik im vergangenen Jahr
36 Prozent der Fluggäste dienstlich unter-
wegs. „Dabei sind sehr viele Geschäftsrei-
sen nicht notwendig, wenn man genau
nachdenkt“, sagt Daniela Jacob vom Helm-
holtz Zentrum Geesthacht. Die Art des Ar-
beitens müsse sich ändern, fordert die Kli-
maforscherin, die unter anderem die EU
Kommission berät. Man müsse sich zwar
immer mal wieder gegenübersitzen, „aber
das lässt sich sicher auf ein Drittel der bis-
her üblichen Treffen herunterschrauben“.
Videokonferenzen, Chats und andere di-
gitale Medien können dabei helfen. Klar ist
für Jacob aber auch: „Unternehmen müs-
sen ihre Reiserichtlinien ändern“. Mitarbei-
ter können ihren Beitrag leisten, indem sie
eigene Vorschläge machen und Vorgesetz-
te für das Thema sensibilisieren. Jacob hat
gerade an einer Konferenz in Lissabon teil-
genommen. Angereist ist sie mit dem Zug.
Dafür hat sie zwei Tage gebraucht, mit Zwi-
schenstopp an der französischen Atlantik-
küste. „Die Umsteigezeit habe ich am
Strand von Biarritz verbracht. Das war per-
fekt und sogar günstiger als zu fliegen.“

Folge 5 der Nachhaltigkeitsserie erscheint am


  1. August zum Thema: Einkaufen


München –Es istwieder diese Zeit des Jah-
res. Die Zeit, in der sich viele Menschen fra-
gen: Wie komme ich bloß von Berlin nach
Bali, von Flensburg nach Florenz oder von
München nach Madagaskar, ohne meine
ohnehin schon negative CO2-Bilanz noch
weiter zu verschlechtern? Soll ich wirklich
lieber mit dem Rad durch den Bayerischen
Wald fahren statt in der Dominikanischen
Republik zu surfen, wirklich lieber ins Sau-
erland statt nach Sardinien?
Seit einiger Zeit ist in diesem Zusam-
menhang in neues Wort ziemlich populär:
„Flugscham“. Nicht, dass sich gleich alle da-
für schämen würden, zu fliegen. Es gibt ge-
nug Menschen, die nach wie vor am Wo-
chenende für ein paar Euro nach Lissabon
oder London fliegen und sich keinerlei Sor-
gen machen. Aber immer mehr Menschen
schämen sich dafür, und zwar richtig.
Durchaus zu Recht: Forscher der Univers-
ity of Sydney haben im vergangenen Jahr
den Zusammenhang von Tourismus und
Klima untersucht. Demnach liegt der An-
teil von klimaschädlichen Treibhausgasen
durch den Tourismus an den globalen
Gesamtemissionen bei etwa acht Prozent.
Was deutsche Touristen damit zu tun ha-
ben? Viel. Zwei Drittel der Deutschen sind
allein 2018 verreist. Egal ob per Flugzeug,
Kreuzfahrtschiff, mit der Bahn oder ganz
klassisch mit dem eigenem Auto: Deut-
sche Touristen gehören zu den Weltmeis-
tern, wenn es darum geht, Emissionen zu
produzieren. Vor ihnen kommen nur noch
Urlauber aus den USA und China.

Gleichzeitig sorgen sie in den Urlaubsre-
gionen für Milliardeneinnahmen. Wer den
Tourismus ganz einstellen wollte, würde
gleichzeitig auch lokale Wirtschaftsstruk-
turen zerstören. Besser also: den Touris-
mus neu denken – und anders gestalten.
Wenig zielführend sind etwa All-inclusi-
ve-Aufenthalte in mittelschlechten Groß-
hotels, die von ihren Gästen vor allem we-
gen der 24-stündigen Verfügbarkeit hoch-
prozentiger Getränke in Plastikbechern ge-
schätzt werden. Die lokale Wirtschaft der
Reiseländer profitiert kaum von dieser Art
des Massentourismus: Wer all-inclusive
bucht, verlässt nur selten seine Hotelwelt.
Trotzdem muss es nicht gleich der Töp-
fer- oder Malkurs in einem biodynami-
schen Agriturismo in der Toskana sein. Es
ist eher die Frage des Wie und Wie oft. „Ich
bin nicht prinzipiell gegen die großen Inter-
kontinentalflüge“, sagt der Mobilitätsfor-
scher Andreas Knie vom Wissenschaftszen-
trum Berlin für Sozialforschung. „Es geht
dabei auch um völkerverständigende Rei-
sen. Die Frage ist nur, wie viele wir davon
den Menschen zugestehen wollen. Das
muss am Ende mit Maß und Verstand ge-
schehen.“ Der Wissenschaftler berichtet
von internen Diskussionen, bei denen es
auch um Fragen wie diese gehe: Muss es
wirklich sein, dass man von München oder
Berlin für einen Vortrag nach Mexiko-
Stadt fliegt? Oder lässt sich so etwas nicht
auch per Skype erledigen? Eine Debatte,
die übrigens nicht zufällig auch in vielen
globalen Großkonzernen geführt wird.

Ähnliche Diskussionen lassen sich auch
über das Fliegen führen. Nun sind einige
Reiseziele tatsächlich nur mit dem Flug-
zeug zu erreichen – aber längst nicht alle.
Italien, Slowenien, Skandinavien oder die
Niederlande: alles mit Auto oder Zug mach-
bar. Solange das CO2-intensive Fliegen al-
lerdings finanziell oft attraktiver ist, bleibt
es auch schwierig, die Menschen vom Flug-
hafen zum Bahnhof umzuleiten. Braucht
es also doch eine Kerosinsteuer? Experte
Knie ist skeptisch. „Eine Kerosinsteuer al-
lein wird es nicht bringen. Dann kostet Ber-
lin-New York eben 495 statt 395 Euro. Glau-
ben Sie, dass das etwas verändert?“
Und so sind Verkehrsexperten auf der
Suche nach Lösungen, irgendwo zwischen
drastischen Verboten einerseits und den
Exzessen von All-inclusive-Schnäppchen
andererseits. Gleichzeitig steigt die Zahl
der Fluggäste in Deutschland um vier bis
fünf Prozent jährlich, und es sieht nicht so
aus, als würde sich diese Entwicklung kurz-
fristig umkehren lassen. Knie hat daher ei-
ne Idee: Drei internationale Flüge sollten
pro Person erlaubt sein. Pro Jahr. „Die wer-
den dann registriert. Wer mehr fliegen
will, muss sich von den Menschen Optio-
nen kaufen, die nicht fliegen.“ Eine Art Bo-
nusmeilen-System also, bei dem exzessiv
Reisende denjenigen das Recht auf Fliegen
abkaufen, die es nicht nutzen. So etwas
könnte funktionieren. Es könnte aber auch
zurückführen in jene Zeit, in der nur dieje-
nigen verreisten, die sich das auch erlau-
ben konnten. thomas fromm

Richtig gut leben – die große NachhaltigkeitsserieFolge 4: Umweltfreundlicher reisen


16 HMG (^) WIRTSCHAFT Freitag,9. August 2019, Nr. 183 DEFGH
ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV
An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Jutta
Allmendinger und Nikolaus Piper im Wechsel.
N
A
C
H
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A
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KEIT
NN
AA
NN
C
A
H
H
A
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IG
KEIT
Der Nachbar als Bettler
Es istwieder vorstellbar geworden,
dass Staaten ihre Währungen als
Waffe im Handelsstreit einsetzen.
Schuld an dieser
Entwicklung ist nicht nur US-Präsident
Donald Trump
PIPERS WELT
Das Bekenntnis der
USAzum „starken Dollar“
ist Vergangenheit
Let’s go, Ingolstadt
Damuss ein Profi ran
Ergo engagiert Berater
PERSONALIEN
Tipps für
Umsichtige
Immer mehr Deutsche wollen nachhaltig unterwegs sein.
Da kommt es auf vor allem auf die Planung an
Urlaub, aber anders
Es muss ja nicht gleich der Töpferkurs in der Toskana sein

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