Am Tag nach der Schießerei stand der Ex-
Präsident in einem strahlend weißen
Hemd auf seinem Grundstück, hinter sich
seine Verbündeten, vor sich kirgisische
Journalisten. Die Sonne schien, und Al-
masbek Atambajew erzählte, was in der
abgelaufenen Nacht in seinem Haus pas-
siert sei. Dass er eine Waffe in der Hand ge-
habt habe, dass er vielleicht „fünf, sechs
Mal nach oben geschossen“ habe, als es
dunkel war und die Spezialeinsatzkräfte
in den zweiten Stock gestürmt seien. Er
sagte: „Ich habe sofort gewarnt, dass ich
Widerstand leisten werde.“
Es war ein spektakuläres Ereignis in
dem kirgisischen Dorf Koj-Tasch nahe
der Hauptstadt Bischkek, wo der frühere
Staatschef sich mit etwa tausend Gefolgs-
leuten stundenlang gegen seine Festnah-
me wehrte. Irgendwie schien Atambajew
noch mal aus der Sache rauszukommen –
vorerst zumindest. Denn nur wenige Stun-
den, nachdem er dastand und von der ge-
waltsamen Nacht und vom Machtkampf
im zentralasiatischen Kirgisistan erzähl-
te, rückte die Polizei nochmals an. Mit tau-
send Beamten, Wasserwerfern und Blend-
granaten. Und am Donnerstagabend mel-
deten lokale Medien dann: Diesmal wur-
de der renitente Ex-Staatschef verhaftet.
Sein Nachfolger Sooronbaj Scheenbe-
kow wirft Atambajew nach den Tumulten
von Koj-Tasch bewaffneten Widerstand
vor, die kirgisische Justiz jedoch noch viel
mehr, nämlich Korruption und Macht-
missbrauch. Im Juni hob das Parlament
die Immunität Atambajews auf und mach-
te den Weg frei für eine Anklage. Mehr-
mals weigerte sich der, zu einem Verhör
zu erscheinen, und verbarrikadierte sich
auf seinem Grundstück. Dabei hatte alles
lange so friedlich gewirkt in dem Land.
Atambajew, 62, war der erste Präsident
in dem jungen zentralasiatischen Staat ge-
wesen, der sechs Jahre Amtszeit durchge-
halten hatte, ohne dass er wie seine Vor-
gänger gestürzt wurde. Er hörte einfach
auf als Staatsoberhaupt, als die Verfas-
sung es vorschrieb. Auch im Vergleich zu
den despotischen Dauerregentschaften in
der zentralasiatischen Nachbarschaft war
die einmalige Amtszeit etwas Besonderes.
Seinen Nachfolger Scheenbekow hatte er
bei der Machtübergabe sogar unterstützt.
Dann aber entfremdeten sie sich. Atamba-
jew kritisierte zunehmend seinen Nachfol-
ger, der wiederum ließ juristisch gegen
Atambajews ehemalige Mitstreiter vorge-
hen und zielte schließlich auf ihn selbst.
Eine gefährliche Fehde ist dies gewor-
den, und so wirkte es für manche doch ei-
nigermaßen entspannend, als Atamba-
jew vor zwei Wochen mit einem Privatjet
nach Moskau reiste. Ein Gruppenfoto
zeigt ihn an Bord mit seiner Entourage an
einem Tisch sitzend, vor sich Beeren und
aufgeschnittene Melonenstücke. Russ-
lands Präsident Wladimir Putin ist Atam-
bajew als ehemaliger Präsidentenkollege
von vielen Treffen und Gipfeln gut be-
kannt, und der Kremlchef sagte seinem
Gast zweierlei: dass Kirgisistan politische
Stabilität brauche und dass sich das Land
vereint um den amtierenden Präsidenten
sammeln müsse. Das ließ sich wie eine
sanfte Mahnung an Atambajew verste-
hen, nur keinen Aufstand zu wagen.
Der Kirgise hatte einst selber dazu bei-
getragen, dass sich die gebirgige Ex-So-
wjetrepublik stabilisierte und als einzige
in Zentralasien eine nennenswerte Demo-
kratie schuf. Atambajew, der als Gitarrist
und passabler Sänger äußerst sentimenta-
ler Lieder gilt, hatte seinen Anteil daran,
dass Kirgisistan 2010 nach revolutionsrei-
chen Jahren zur parlamentarischen De-
mokratie wurde. Außenpolitisch näherte
Atambajew das Land an Russland an. Mos-
kau half gern. Es sieht das verarmte Kirgi-
sistan als Teil seiner Einflusszone.
Vielleicht hat Atambajew Putins Worte
vor zwei Wochen etwas zu sehr als Rücken-
deckung verstanden. Dass er eine Macht-
probe mit seinem Nachfolger wagen könn-
te, war dann die erste Fehleinschätzung
Atamabajews – dass die Schlacht nach sei-
nem erfolgreichen Widerstand gegen die
Festnahme am Mittwochabend geschla-
gen sei, die zweite. frank nienhuysen
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von paul-anton krüger
E
in amerikanischer General hat die
Strategie seines Landes in Syrien
einmal mit den Worten beschrie-
ben, man fliege ein Flugzeug, an dem
man noch baue. Das war noch unter Präsi-
dent Barack Obama, der die Kurden in Sy-
rien als Bodentruppen für den Kampf ge-
gen die Terrormiliz Islamischer Staat re-
krutierte. Unter Donald Trump ist es
noch schlimmer. Der Präsident montiert,
um im Bilde zu bleiben, im Flug die Trieb-
werke wieder ab, die ohnehin nur noch
mit Mühe die amerikanischen Bemühun-
gen in der Luft halten konnten. Mit einem
Tweet, rein innenpolitisch motiviert, ver-
kündete er den Abzug aus Syrien. Seither
sind seine Hintersassen nur noch mit
Schadensbegrenzung beschäftigt.
Kaum jemand im Pentagon oder im Au-
ßenministerium, der anders als Trump
die Region ein bisschen kennt, kann sich
vorstellen, dass eine von der Türkei kon-
trollierte Sicherheitszone im Norden Syri-
ens stabil sein würde. Und kaum jemand
will die Kurden, die Tausende Kämpfer in
den Schlachten gegen den sogenannten
Islamischen Staat (IS) verloren haben, oh-
ne Schutz der Türkei oder dem Assad-Re-
gime ausliefern. Die Folge wäre absehbar
der nächste Krieg in Syrien und unmittel-
bar auch ein Wiedererstarken der Dschi-
hadisten des IS. Nach der Einschätzung
des Pentagon sind diese ohnehin schon
dabei, ihre Strukturen zu festigen und
sich im Untergrund einzurichten, bis sich
ihnen die nächste Möglichkeit bietet. Ein
Waffengang zwischen der Türkei und
den syrischen Kurden wäre eine solche.
Der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdoğan spielt mit hohem Einsatz. Er hat
in Russland bei Wladimir Putin Luftab-
wehrsysteme gekauft, maßgeblich, um
dem Nato-Alliierten USA seine Eigenstän-
digkeit zu demonstrieren und aufzuzei-
gen, dass Ankara auch andere Optionen
hat – im Osten. Der Konflikt schwelt wei-
ter, Erdoğan spielt auf Zeit und hat ange-
kündigt, die Raketen bis April nicht zu ak-
tivieren. Bis dahin, so hofft er, werde
Trump das Problem entschärfen – auf sei-
ne Linie einschwenken. Doch wie viel Ver-
lass auf dessen Zusagen ist, bekommen
die syrischen Kurden gerade zu spüren.
Es ist gut denkbar, dass es anders
kommt, denn den geopolitischen und si-
cherheitspolitischen Interessen der USA
liefe es zuwider, die Kurden in Syrien fal-
len zu lassen. Sie kontrollieren noch im-
mer ein Drittel des Landes – das lässt sich
in politische Mitsprache ummünzen,
wenn es um die Nachkriegsordnung in
Syrien geht. In ihrem Gebiet liegen wichti-
ge Ölfelder, die zwar im Maßstab des
Weltmarkts unbedeutend sind, aber für
das Assad-Regime großen Wert hätten,
das Treibstoff auch wegen der Sanktio-
nen westlicher Staaten rationieren muss.
Neben der Türkei an der Grenze im
Norden lauern auch die Truppen des syri-
schen Präsidenten Baschar al-Assad, rus-
sische Söldner und iranisch kontrollierte
Milizen samt ihren von den Revolutions-
garden gestellten Kommandeuren am Eu-
phrat darauf, die kurdisch kontrollierten
Gebiete zurückzuerobern. Das liest sich
wie eine Liste der Gegner Amerikas. Den
Abzug der Iraner aus Syrien fordert etwa
Außenminister Mike Pompeo immer wie-
der. Eine Strategie für Syrien hat Trump
weiter nicht, und einfache Lösungen, wie
sie der Präsident liebt, gibt es nicht. Eini-
ges spricht deshalb dafür, dass die Ameri-
kaner noch eine Weile in Syrien bleiben,
auch wenn einstweilen Trumps Leute
nur noch damit beschäftigt sind, einen
Absturz zu verhindern.
von hanno charisius
U
m die Erde steht es nicht gut, das
geht aus dem jüngsten Bericht des
Weltklimarats deutlich hervor. Die
Expertinnen und Experten haben sich in-
tensiv mit den Wechselwirkungen zwi-
schen Landnutzung und dem Klimawan-
del beschäftigt. Weltweit stehen Böden,
Wälder und Feuchtgebiete vor allem
durch die Nahrungsmittelproduktion un-
ter enormem Druck. In vielen Regionen
droht Wassermangel, es besteht akute
Waldbrandgefahr, einst fruchtbare Wei-
den verwandeln sich in Wüsten, der Per-
mafrost schmilzt und Ernten sind auch
nicht mehr sicher. Das macht Angst. Und
es macht wütend: auf die Menschen, die
es so weit haben kommen lassen, sich
selbst eingeschlossen, und auf die, die
noch immer „Ja, aber...“ sagen, wenn es
um Klimaschutz geht.
So muss man zuschauen, wie der Re-
genwald in Brasilien immer schneller ab-
geholzt wird, wie neue Kohlekraftwerke
und immer irrsinnigere Autos gebaut und
Feuchtgebiete trockengelegt werden. Wo
sogar halbwegs aktuelle Schulbücher
noch arktischen Permafrost verorten,
brennt es seit Wochen auf riesigen Flä-
chen, weil dort eine Rekordhitzewelle wü-
tet, die vielleicht nicht menschengemacht
ist, aber doch durch sein Zutun viel wahr-
scheinlicher wurde. Auf solche Unterschei-
dungen legen die Klimaforscher Wert.
Das ist richtig so, denn viel ist noch va-
ge und unbewiesen. Ungewiss ist zum Bei-
spiel, wie die Pflanzen auf mehr CO 2 in der
Atmosphäre reagieren werden. Einiges
spricht dafür, dass sie einen Gutteil der
menschengemachten Emissionen schlu-
cken werden, das könnte den Temperatur-
anstieg bremsen und bessere Ernten er-
möglichen. Experimente zeigen aber
auch, dass höhere Temperaturen und
mehr Kohlendioxid die Nährstoffzusam-
mensetzung in pflanzlicher Nahrung oft-
mals verschlechtern. Und dann ist da na-
türlich noch der unkalkulierbare Faktor
Mensch, der alle Berechnungen von heute
zu Makulatur machen kann.
Der Sonderbericht des Weltklimarats
macht deutlicher als jedes Papier davor,
dass es beim Klimaschutz nicht nur um
ein paar Autofahrten, Flüge oder Schnit-
zel geht. Die darin enthaltene Bestands-
aufnahme zum Zustand des Planeten ist
katastrophal und eine Mahnung an die
Weltbevölkerung, die Politik und die Wirt-
schaft. Doch weist das Papier auch Auswe-
ge. Es zeigt einerseits, wie irrsinnig kom-
plex die Zusammenhänge zwischen Kon-
sum, Landnutzung, Klimawandel, Nah-
rungsmittelsicherheit, dem eigenen Ver-
halten und Weltpolitik sind. Andererseits
legt der Bericht dar, wie nachhaltige Land-
nutzung Teil der Lösung werden könnte.
Um die Klimakrise halbwegs glimpf-
lich zu überstehen, wäre jedoch gemeinsa-
mes, umsichtiges und vor allem schnelles
Handeln notwendig. Die Weltbevölke-
rung dürfte kaum noch wachsen, müsste
eher schrumpfen. Konsum müsste stark
zurückgefahren werden, Fleischverzicht
ist da noch eine kleinere Hürde. Wie realis-
tisch das ist, mag vielleicht jeder selbst be-
urteilen und sich dann fragen, inwieweit
er selbst bereit ist, dabei mitzumachen.
Also wäre die Politik in der Pflicht, den
Menschen zu helfen, das Richtige zu tun.
Doch statt energisch zu handeln, gibt die
Bundesregierung Gutachten für eine in-
ländische CO2-Steuer in Auftrag, die mög-
lichst niemandem wehtun soll. Der Klima-
wandel nimmt keine Rücksicht. Wenn er
seine ganze Wucht entfaltet, wird es für ei-
nen Großteil der Menschheit sehr
schmerzhaft.
W
ar es das? Italiens populistische
Regierung steht kurz davor aus-
einanderzufallen, nach nur vier-
zehn Monaten. Matteo Salvini, der sich in
der kurzen Zeit vom Innenminister zum
De-facto-alles-Entscheider gewandelt
hat und dabei seine politisch unbedarften
Regierungspartner von den Cinque Stelle
übertölpelte, will nun schnell wählen.
Man kann ihn verstehen: In allen Um-
fragen ist seine Lega obenauf. Manche In-
stitute sehen sie bei fast vierzig Prozent,
Salvini bräuchte wohl nur die Hilfe der
postfaschistischen Fratelli d’Italia für ei-
ne rechte, sehr rechte Regierungsmehr-
heit. Auf Silvio Berlusconis bürgerliche
Forza Italia könnte er wohl verzichten.
Doch noch ist es nicht so weit. Noch ha-
ben die Rituale einer veritablen Regie-
rungskrise, wie sie die Verfassung vor-
sieht, nicht eingesetzt. Für die Italiener,
die an politischen Kapriolen schon wirk-
lich alles erlebt haben, wäre diese Krise ei-
ne neue Erfahrung: Mitten im Sommer,
bei urlaubendem Parlament – wie soll das
gehen? Und wie entscheidet sich Sergio
Mattarella, der Präsident? Ihm fällt in ru-
higen Zeiten eine eher zeremonielle Rolle
zu. Ist aber Krise, liegen die Geschicke der
Republik in seinen Händen. Er allein kann
die Kammern auflösen und Neuwahlen an-
setzen. Weigert er sich, würde er dem Tri-
umphator des Moments wohl noch mehr
Wähler bescheren. oliver meiler
G
anz so einfach, wie es sich Teile der
Opposition machen, die schon wie-
der einen Abgrund von Vettern-
wirtschaft wittern, ist es nicht: Es stimmt
zwar, die Bundeswehr hat im ersten Halb-
jahr für externe Berater fast so viel Geld
ausgegeben wie alle anderen Ministerien
zusammen. Aber so richtig es gewiss sein
mag, hier genau hinzusehen: Eine Vorver-
urteilung ist nicht angebracht.
Die frühere Ministerin Ursula von der
Leyen (CDU) setzte stark auf Know-how
von außen, dabei gab es erhebliche Fehler
und Verstöße gegen das Vergaberecht,
was zu Recht einen Untersuchungsaus-
schuss beschäftigt. Bezahltes Know-how
aber muss nicht grundsätzlich eine üble
Idee sein, manchmal geht es kaum an-
ders. Eine riesige Baustelle der Bundes-
wehr etwa ist die Digitalisierung, vom
elektronischen Innenleben des neuen
Transportflugzeugs bis zur Cyberabwehr.
Mehr als zwei Drittel der Kosten für exter-
ne Beratung schluckte daher die IT.
Hier hat die Bundeswehr einen deutli-
chen Wettbewerbsnachteil. IT-Fachkräfte
können in der Privatwirtschaft den besten
und bestbezahlten Job wählen, so begehrt
sind sie. Weder bei Besoldung noch Karrie-
rechancen vermag die Bundeswehr mitzu-
halten, tut sich also schwer, mit eigenen
Leuten in die digitale Zukunft zu gehen.
Allein der Versuch käme viel teurer als die
Beratung jetzt. joachim käppner
D
eutschland ist ein reiches Land.
Nimmt man das Bruttoinlandspro-
dukt, die Exportkraft und das Pro-
Kopf-Einkommen, dann zählt es zu den
reichsten der Welt. Doch weil das viele wis-
sen und auch für selbstverständlich hal-
ten, ist die Schattenseite des großen Reich-
tums lange Zeit ignoriert worden. Es gibt
in Ost und West Regionen, die wirtschaft-
lich, technisch und sozial in Not sind. Und
das ist keine Petitesse, sondern ein Pro-
blem ersten Ranges.
Da kann man schon froh sein, dass die
Misere endlich in den Köpfen ankommt.
Binnen weniger Wochen hat nach dem
Bundesinnenministerium auch das Insti-
tut der deutschen Wirtschaft (IW) präzise
beleuchtet, wie schlimm es etwa um die
Altmark und manche Region um Halle
(Saale), aber auch um die Westpfalz und
Teile von Ost-Schleswig-Holstein bestellt
ist. Die Erkenntnis freilich ist das eine.
Jetzt geht es darum, dem Absturz Adäqua-
tes entgegenzusetzen.
Die Forscher des IW empfehlen wie die
Experten des Innenministeriums, schwa-
chen Kommunen mit einem Schuldener-
lass Luft zu verschaffen. Das ist nicht oh-
ne Risiko und würde Milliarden kosten.
Aber wenn Regionen sich mit nachhalti-
gen Konzepten um einen Erlass bewerben
müssen, könnte das die Fantasie beflü-
geln und Wunder bewirken. Warum nicht
endlich versuchen? stefan braun
I
n München steht ein hübsches neu-
es Gebäude. Schon bei seiner Grund-
steinlegung vor ein paar Jahren be-
reiteten Neonazis einen Bombenan-
schlag darauf vor. Inzwischen ist
das Gebäude fertig, komplett mit Metall-
detektoren, Sicherheitsglas – und mit ei-
nem Briefkasten, der seither schon jede er-
denkliche Beleidigung und Gewaltandro-
hung entgegengenommen hat. Dies ge-
schieht, wenn in Deutschland Jüdinnen
und Juden ein Gebetshaus bauen.
Klar gibt es heute wieder jüdisches
Leben in diesem Land. Jedes Wochenende
steigen irgendwo Bar-Mizwa-Partys,
Hochzeiten, die Erstklässler an jüdischen
Schulen werden mit riesigen Schultüten
begrüßt. Aber was es nicht gibt in diesem
Land, auch nicht nach 70 Jahren Demokra-
tie und Grundgesetz: angstfreies jüdi-
sches Leben. Vor der Bar-Mizwa-Party
stehen Wachleute, so wie jene, die 2015 in
Kopenhagen von einem Attentäter über-
wältigt wurden. Vor den jüdischen Schu-
len stehen Polizisten, so wie jene, die in
Toulouse 2012 den Anschlag auf Schulkin-
der nicht verhindern konnten. Sie stehen
dort, nicht weil jemand so etwas gerne
sähe, sondern weil die Gefährdungsanaly-
sen der deutschen Landeskriminalämter
entsprechend sind.
Das ist der Zustand. Und es rede keiner
von einem neuen Antisemitismus, der ur-
plötzlich erstarkt sei. Denn dieser Zu-
stand ist nicht neu, Juden in Deutschland
kennen ihn seit Jahrzehnten nicht anders.
Noch nie seit 1949 hat es hierzulande et-
was anderes gegeben, keine Normalität
und keine Ruhe, die erst jetzt durch Flücht-
linge aus arabischen Ländern gestört wer-
den könnte. Was stimmt, ist, dass Ver-
schwörungstheorien insgesamt Konjunk-
tur haben, und damit auch der Antisemi-
tismus, eine der historisch am besten ein-
geübten. Je mehr die Rechten dies zele-
brieren, desto mehr fühlen sich auch mus-
limisch geprägte Antisemiten ermutigt,
damit nicht hinterm Berg zu halten.
Die Bedrohung ist so umfassend, dass
alle zwei Wochen ein Anschlag auf einen
jüdischen Friedhof registriert wird, wie
die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau
(Linke) gerade durch eine parlamentari-
sche Anfrage herausgefunden hat. Es gibt
nicht viele jüdische Friedhöfe im postna-
zistischen Deutschland; es trifft sie reih-
um. Wer als Jude hier lebt und eines Tages
seine Eltern zu Grabe tragen muss, kann
es daher kaum ausblenden: Mit umgetre-
tenen Grabsteinen, mit Schmierereien ist
zu rechnen. Es braucht hohe Zäune, so
traurig das ist. Judentum in Deutschland,
das ist Religionsausübung im Belage-
rungszustand. Das wäre für jedes Land ei-
ne Schande. Für dieses Land aber, das sich
als Antithese zum Nationalsozialismus
konstituiert hat, gilt das besonders.
Hinter den hohen Zäunen, gewiss, geht
es immer lebhafter zu. Es treffen sich fei-
ernde, streitende, vielfältige jüdische Ge-
meinden, von ultrakonservativ bis queer,
auch wenn die meisten sehr klein sind.
Aber wenn ihre Mitglieder anschließend
auseinandergehen, dann ähneln sich die
Szenen überall. Die Kippa verschwindet
in der Hosentasche oder – bei den weni-
gen Juden, die orthodoxer sind und die re-
ligiöse Kopfbedeckung aufbehalten möch-
ten – unter einer Baseballmütze. Nicht
erst bei einem Abstecher nach Berlin-Neu-
kölln geschieht dies, also in eine der angeb-
lich örtlich begrenzten No-go-Areas. Son-
dern einfach in Deutschland, Postleitzahl:
egal. Dass gerade wieder ein Rabbiner auf
offener Straße bespuckt worden ist, ge-
schah in München in bester Lage. In Ham-
burg und Berlin kurz zuvor genauso.
Wenn man unbedingt etwas aussetzen
möchte an der empathisch gemeinten
Empfehlung des Bundesantisemitismus-
beauftragten Felix Klein neulich, Juden tä-
ten sich keinen Gefallen damit, wenn sie
sich überall mit Kippa zeigten, dann
höchstens dies: Das wissen die meisten eh
schon. Die meisten bemühen sich längst,
nicht ohne Not aufzufallen. Kleinere Syn-
agogen verzichten auf Türschilder. Man-
che verheimlichen auf ihrer Website ihre
Adresse. Die Anschrift gibt es nur auf An-
frage. So gut wie alle jüdischen Gemein-
den verschicken ihre Mitgliedszeitungen
nur im neutralen, blickdichten Umschlag,
als wäre es der Beate-Uhse-Katalog.
Dies ist Deutschland im Jahre 70 n. GG.
Dagegen hilft bestimmt nicht allein, Schü-
ler in KZ-Gedenkstätten zu schicken, wie
es von Politikern vorgeschlagen wird. Anti-
semitismus ist das Vorurteil, dass Juden ei-
nen schlechten Charakter hätten, ver-
schlagen, illoyal, egoistisch seien; dass sie
es kurz gesagt „verdient“ hätten. Warum
sollte das durch die Vermittlung der histo-
rischen Erkenntnis, dass Juden brutal er-
mordet wurden, besser werden? Warum
sollte der Besuch einer KZ-Gedenkstätte
irgendwen kurieren?
Was hilft, sind nur Begegnungen mit re-
al existierenden heutigen Juden, die in
Wahrheit so nett, witzig oder auch lang-
weilig sind wie andere auch. Sowie media-
le Repräsentationen, die Juden nicht zu
rätselhaften Fremden von nebenan stili-
sieren, sondern realistisch zeigen. Und: Po-
lizei. Eine, die erkennt, dass der Charakter
dieser Republik auf dem Spiel steht. Und
dass es nicht gut aussieht bisher.
Gaius Maecenas schrieb Ge-
dichte, aber Ruhm erntete er
damit nicht, Nachruhm auch
nicht. Wohlgefallen, Ehre
aber lassen sich auch anders
erwerben mit etwas Glück und viel Geld.
Maecenas beschenkte Autoren. Horaz et-
wa kam in den Genuss eines Landguts, er
dankte es seinem Gönner mit schönen
Worten. Maecenas lebt bis heute im Wort
„Mäzen“ fort. Wer sein Geld nicht für sich
behält, sondern damit die Künste fördert,
darf sich wie der alte Römer fühlen. Da-
für aber sollte er oder sie keine doppelte
Agenda betreiben. Schenkt jemand sei-
ner Heimatstadt seine Kunstsammlung,
fordert dafür aber einen Museumsbau
samt Unterhalt, Forschung und Bilder-
pflege, so ist das kein Mäzenatentum,
sondern Geschäftemacherei. Wahre Mä-
zene genießen und schweigen, manche
verraten öffentlich nicht einmal ihren Na-
men. In Deutschland war das Mäzenaten-
tum lange weniger wichtig als etwa in
den USA, weil die staatliche und kommu-
nale Kunstförderung hier besser funktio-
niert. Doch in Zeiten knapper Haushalts-
kassen ändert sich das. Die Künstlerin Hi-
to Steyerl warnt nun davor, Mäzene könn-
ten auch hierzulande zu viel Einfluss auf
den Kunstbetrieb nehmen. Anlass ist die
Debatte um die internationale Kunstför-
derung des Sackler-Konzerns Purdue
Pharma, der mit seinen Schmerzmitteln
von Tablettensucht profitierte. kia
4 HMG (^) MEINUNG Freitag,9. August 2019, Nr. 183 DEFGH
ITALIEN
Und es war Sommer
FOTO: AP
NORDSYRIEN
Zwischen allen Fronten
KLIMAKRISE
Bilanz der Zerstörung
BUNDESWEHR
Gute Beratung ist teuer
DEUTSCHE REGIONEN
Auf der Schattenseite
Altölund Altlasten sz-zeichnung: burkhard mohr
ANTISEMITISMUS
Leben in Angst
von ronen steinke
AKTUELLES LEXIKON
Mäzen
PROFIL
Almasbek
Atambajew
Rebellischer
Ex-Präsident
von Kirgisistan
Die Kurden drohen von ihren
Feinden überrollt zu werden.
Die USA sind daher in der Pflicht
Der Zustand der Welt ist
katastrophal. Doch es gibt
Auswege – falls alle handeln
Juden in Deutschland sind
ständig in Gefahr.
Das zerstört die Republik