Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 34


Und plötzlich schauen wieder alle hin


A


m samstagmorgen verlassen
zwei junge Frauen den Kölner
Hauptbahnhof, um zum Ham-
bacher Forst zu fahren. sie sind
schülerinnen. Beide kämpfen
für Klimagerechtigkeit, beide
ernähren sich seit Jahren vegan,
beide verzichten auf Reisen mit dem Flugzeug.
Eine von ihnen ist weltberühmt.
Die andere, Jana Boltersdorf, 17, sitzt in der
s-Bahn, streicht ihre blonden Locken hinters Ohr
und sagt, sie sei furchtbar aufgeregt. In ein paar
stunden wird sie greta thunberg gegenüberste-
hen, die sie bisher nur auf Bildschirmen gesehen
hat. greta thunberg. und sie. Im Hambacher
Forst. Krass.
Dass der termin für Jana etwas Besonderes ist,
hat auch damit zu tun, dass sie eine der wenigen
ist, die überhaupt wissen, dass er statt-
findet. Die Organisatoren hatten den
Besuch lange geheim gehalten, nur eini-
ge Journalisten wurden vorab informiert,
zwei von ihnen soll Jana in den Wald
führen. »Das sicherheitsrisiko für greta
ist hoch«, sagt Kathrin Henneberger,
Pressesprecherin des Klimaaktionsbünd-
nisses Ende gelände, die das treffen mit-
geplant hat. sowohl im Internet als auch
auf der straße würden vor allem junge
Klimaaktivistinnen immer wieder be-
droht. Man wolle kein Risiko eingehen.
Der Hambacher Forst ist für eskalieren-
de Konflikte bekannt.
Es ist aber auch nicht irgendein termin
für greta thunberg. Der Besuch ist ihr
vorerst letzter Auftritt auf dem europäi-
schen Festland – fast genau ein Jahr nach-
dem sie sich an einem Montag im August
zum ersten Mal neben ihrem schild mit
der Aufschrift »Skolstrejk för klimatet« vor
das schwedische Parlament in stockholm
gesetzt und damit eine globale Bewegung
in gang gestreikt hat. Am Nachmittag
fährt sie weiter Richtung England, um von
dort aus mit einem segelschiff in die usA
zu reisen. Im september wird sie am Klima-
gipfel der Vereinten Nationen in New York
teilnehmen.
Vorher aber rückt sie noch den klei-
nen deutschen Wald ins Rampenlicht.
Ihr Besuch an diesem tag im Hamba-
cher Forst ist auch ein statement – und
für »Fridays for Future«-Verhältnisse ein
sehr politisches. greta thunberg, die
Ikone der schülerstreiks, trifft auf den
Wald, in dem die deutsche Klimabewe-
gung vor knapp einem Jahr zu dem wur-
de, was sie bis heute geblieben ist: ein
thema, das die öffentliche Debatte und
inzwischen auch die Politik bestimmt.
Als Jana Boltersdorf im November
2017 zum ersten Mal den Hambacher
Forst betrat, war sie 15 Jahre alt. Freunde
hatten ihr von den Baumhäusern im be-
setzten Wald erzählt. seitdem kam sie
immer wieder. Bis zur Räumung im ver-
gangenen Herbst. »Für mich war das so
eine Art sprungbrett in die Klimagerech-
tigkeitsbewegung.« Mittlerweile enga-
giert sie sich bei »Fridays for Future« und
bei Ende gelände.

Ihre Goldene Kamera widmete Greta
den Aktivisten im Wald

Die Räumung, von der Jana erzählt, war
der Höhepunkt in einem Konflikt, der
schon seit Jahren im Hambacher Forst
tobt. In dem wenige Hundert Hektar
großen Wald stehen sich umweltaktivis-
ten und der Energiekonzern RWE gegen-
über. Immer wieder ist die Polizei im Ein-
satz. Während das unternehmen in der
gegend seit Jahren Braunkohle aus einer
riesigen grube baggert und auch den
Hambacher Forst dafür abholzen will, tun
die umweltaktivisten alles, um das zu verhindern.
seit 2012 halten sie den Wald mit Baumhäusern
besetzt. Der Hambacher Forst wurde zum schau-
platz eines Kampfs um Klima und Kohleausstieg,
der die Menschen in der Region und später auch im
Rest des Landes polarisierte. Manche sehen das trei-
ben dort bis heute skeptisch. Immer wieder gab es
Berichte über gewaltbereite Aktivisten, auch wenn
sich manche später als falsch erwiesen. Andere zog
es wie Jana zu den Aktivisten in den Wald.
Während sich in schweden die ersten unter-
stützer neben greta thunberg vor das Parlament
setzten, kamen in Deutschland Zehntausende in
den Hambacher Forst gereist. Mit Bussen und Zü-
gen aus Bayern und schleswig-Holstein, aus den
Niederlanden und Polen. Demonstranten stellten
sich der Polizei entgegen, die den Wald räumen soll-
te. und feierten mit den Aktivisten, als ein gericht
die Rodung stoppte. Der Ansturm überraschte da-
mals selbst die Baumbesetzer. Bisher waren sie mit
ihrem Protest recht allein geblieben. Auf einmal
waren sie und der Wald im ganzen Land auf Fern-
seh- und smartphone-Bildschirmen zu sehen. Es
hat wohl auch mit diesen Bildern zu tun, dass sich
Monate später viele den »Fridays for Future«-Protes-
ten anschlossen.
Mit greta thunberg und dem Hambacher
Forst bekam die Klimabewegung beinahe zeit-

gleich die symbole, die ihr bisher gefehlt hatten.
Ein Wald, der abgeholzt werden soll, um klima-
schädliche Kohle abzubauen. Ein Mädchen, das
Angst um seine Zukunft hat. greta und der Wald
machten den Klimawandel, der für viele bis da-
hin ein abstraktes Problem gewesen war, zum
ersten Mal greifbar. Mit einem Feinbild, einer
Identifikationsfigur und einem Ziel, für das sich
kämpfen lässt.
Der Wind trägt sand mit sich, als greta thun-
berg am Mittag die schmale straße am Rand des
Hambacher Forsts heruntergelaufen kommt, be-
gleitet von ihrem Vater svante und der deutschen
Aktivistin Luisa Neubauer. Hinter ihnen ragt ein
gebinde aus stativen und Mikrofonstangen in die
Höhe. Es sind am Ende doch ein paar Journalisten
mehr gekommen, als die Organisatoren ursprüng-
lich geplant hatten.

Die vergangenen tage hat greta bei einem in-
ternationalen »Fridays for Future«-Kongress in
Lausanne verbracht. Medien berichteten über Po si-
tions kämp fe innerhalb der Bewegung.
sie wirkt müde, auch ein bisschen genervt vom
Rummel hinter ihrem Rücken, während sie die
Hände des Empfangskomitees schüttelt, das sich
am Waldrand versammelt hat: Anwohner der um-
liegenden Dörfer, die vom Abriss bedroht sind,
umweltaktivisten. und Jana. Am Eingang zum
Wald warten zwei Baumbesetzer. Eine der beiden
hat ihr gesicht mit einem schal vermummt, als
die Kameras auftauchen. Es sind die Bilder mit ihr,
die greta thunberg nach ihrem Auftritt noch Pro-
bleme bereiten werden.
Als sie im März in Berlin mit der goldenen Ka-
mera ausgezeichnet wurde, hatte greta ihren Preis
den Bewohnern des Hambacher Forsts gewidmet.
Jetzt schlendert sie auf mit Ästen markierten Pfaden
durch den Wald, lässt sich von der geschichte der
Besetzung erzählen, davon, wie die Aktivisten heute
hier leben. Die große Lichtung, auf der die gruppe
Halt macht, Oak town, ist eines von zehn Dörfern,
die die Besetzer inzwischen wieder errichtet haben.
In den Baumwipfeln, in 15 Meter Höhe, sitzen Holz-
bauten wie Vogelnester, transparente hängen von den
Ästen: stopp Kohle jetzt! Freiheit für Carola! seenot-
rettung ist kein Verbrechen!

Als die Polizei im vergangenen Jahr den Wald
verließ, waren von den Baumhäusern nur noch
scherben und Holzsplitter übrig. Aber noch am
selben tag, an dem ein gericht entschied, die
Rodung auszusetzen, begannen die Aktivisten, ihre
siedlungen wieder aufzubauen. Baumhaus für Baum-
haus. Mitbekommen hat die Öffentlichkeit von
diesen Bauarbeiten wenig. Auch davon nicht, dass
es in den vergangenen Monaten immer wieder zu
Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und der
Polizei kam. und dass längst nicht sicher ist, ob der
Wald tatsächlich stehen bleibt. Die Rodung ist nur
ausgesetzt bis 2020. und RWE baggert sich immer
näher an den Wald heran. so nah, dass manche
fürchten, es könnte den Wald bereits schädigen.
RWE hat kürzlich einen Antrag bei der Bezirks-
regierung gestellt, um den grundwasserspiegel für
den tagebau zu senken. Der Wald, so das unter-

nehmen, sei dadurch nicht gefährdet. umweltver-
bände sehen das anders. Doch von all diesen Dis-
kussionen hört man außerhalb des Waldes wenig.
Als die Rodung gestoppt wurde, verschwanden die
Kameras von hier. Viele verloren das Interesse, man-
che wandten ihre Aufmerksamkeit wenig später
greta thunberg zu. Das ist der grund, warum sich
Aktivisten von ihrem Besuch im Wald viel verspre-
chen: gretas Auftritt soll dazu beitragen, dass der
Hambacher Forst nicht in Vergessenheit gerät.
Die stimmung auf der Lichtung ist gereizt. Die
Kameraleute kommen greta immer wieder zu nahe,
werden immer wieder auf Abstand gehalten. Als sie
sich schließlich bereit erklärt, ein paar Fragen zu be-
antworten, bildet sich ein dichter Halbkreis um sie.
Ob sie mit ihrem Besuch auch die illegalen Ak-
tionen der Baumbesetzer unterstützt? »solange der
Protest nicht gewalttätig ist und niemand zu scha-
den kommt, unterstütze ich das.«
Was ihr Hoffnung macht? »Dass all diese Leute
auf ganz unterschiedliche Weise für den Wandel
kämpfen, den wir brauchen.«
Was ihr Hoffnung raubt? »Dass alles weitergeht
wie bisher und sich trotz all der Proteste so gut wie
nichts verändert hat.«
Warum ihr der Hambacher Forst wichtig ist?
»Er ist ein symbol, ein Ort der Biodiversität, er
ist außerdem so bedroht. Ich finde es bewun-

dernswert, dass all diese Leute für seinen Erhalt
gekämpft haben.«
Ob sie vorhat, sich in den usA auch mit trump
zu treffen? »Ich werde das oft gefragt, und meine
Antwort ist immer dieselbe: Ich glaube, es bringt
nicht viel, mit ihm zu sprechen, es wäre Zeitver-
schwendung. Denn offensichtlich hört er nicht
auf Experten und Wissenschaftler. Ich weiß nicht,
was ich, was wir sagen könnten, um seine Mei-
nung zu ändern.«
Fragen, die ihr immer wieder gestellt werden.
Antworten, die sie immer wieder in Mikrofone
spricht.
Während über den Wald heute kaum noch je-
mand redet, reden über greta thunberg umso mehr
Menschen. um die sechzehnjährige, die vor einem
Jahr noch niemand kannte, ist ein Wirbel entstan-
den, der weit über die Inhalte ihres Protests hinaus-
geht. Die Indie-Band 1975 aus Manches-
ter hat vor Kurzem eine greta-Rede zum
sprech-song vertont. Eine Online-Platt-
form veröffentlichte gar ein Foto von ihr
und ihrem Vater beim testen der Kojen,
in denen sie in wenigen tagen Richtung
New York segeln. Fans schicken ihr Liebes-
botschaften und sprühen graffiti mit
ihrem Namen an Hauswände.
Einige Klimaschützer sehen das skep-
tisch. sie fürchten, dass der Hype um
greta von ihrer Botschaft ablenkt. Dass
Äußerungen von ihr als Bekenntnis der
Bewegung verstanden werden. Aber sie
wissen auch, die Macht der greta-Bilder
für sich zu nutzen.
Im unterholz des Hambacher Forsts
klappen Journalisten ihre Laptops auf
und suchen nach Empfang. Beim Mittag-
essen auf der Lichtung möchten die
Aktivisten unter sich bleiben. Jana erzählt
später, sie habe greta auch im kleinen
Kreis, wenn sie gerade mal ihre Ruhe hat,
nicht ansprechen wollen. »Aber was ich
von ihr mitgekriegt hab, ist, dass sie wirk-
lich ... Ach, ich mag sie echt gern.«

Der Innenminister warnt Greta
vor falschen Freunden

Während greta sich mit Luisa Neubau-
er per Flaschenzug in eines der Baum-
häuser ziehen lässt und gretas Vater mit
Blick auf seine am seil baumelnde
tochter »und das war das Ende von ›Fri-
days for Future‹« murmelt, diskutieren
Klimaaktivisten am Boden mit Baum-
besetzern darüber, ob man das Foto mit
dem soli-transparent für einen Marsch
indigener Frauen in Brasilien noch ein-
mal fotografieren sollte, ohne ver-
mummte Forst-Bewohner.
Die sinnbildliche Wirkmacht von
sturmhauben und maskierten gesich-
tern lässt sich wenige stunden später in
den sozialen Medien besichtigen. Bild-
Chefredakteur Julian Reichelt twittert
ein Bild von greta neben einer Waldbe-
setzerin, deren gesicht bis auf einen Au-
genschlitz verhüllt ist, dazu die Frage:
»Warum noch mal muss man sich als
Klima- und umweltaktivist vermum-
men?« Einen tag später zitiert die Bild-
Zeitung NRW-Innenminister Herbert
Reul (CDu): »greta sollte sich nicht mit
den falschen Leuten umgeben.«
Während der Räumung im vergange-
nen Jahr wurde viel über den Hambacher
Forst gestritten. Es gab Meldungen über
Aktivisten, die mit gegenständen oder
Fäkalien auf Polizisten geworfen haben
sollen. Baumbesetzer wiederum warfen
Beamten und RWE-sicherheitsleuten
vor, gewalt angewendet zu haben. Was
stimmt, lässt sich nicht immer eindeutig
klären. so kommt es, dass manche den
Hambacher Forst heute nicht wie Jana
mit friedlichen Baumbesetzern verbin-
den. Ihnen kommt greta thunbergs Besuch einer
Rechtfertigung gleich, gar einem Aufruf zum
gesetzesbruch.
Die strahlkraft von symbolen vermag Men-
schen für eine sache auf die straße zu bringen. sie
kann einer Bewegung aber auch gefährlich werden.
Was heute im Hambacher Forst passiert, wie greta
thunberg über seine Bewohner spricht und was
sie hier tut, hat Einfluss darauf, wie die gesamte
Klimaschutzbewegung wahrgenommen und beur-
teilt wird. Obwohl sie selbst immer wieder betont,
sie sei nur eine von vielen. Aber die eine eben, die
weltberühmt geworden ist.
Während greta thunberg im Auto zurück zum
Bahnhof gebracht wird, um ihre Reise nach Eng-
land fortzusetzen, sitzt Jana Boltersdorf wieder in
der s-Bahn und sagt, sie finde es krass, was für ein
Opfer greta bringe. Die sicherheitsteams, die
immense Aufmerksamkeit, die engen Zeitpläne.
Für ihren Besuch im Baumhaus hatte sie nicht mal
eine Viertelstunde, ehe es weitergehen musste.
Dabei wirkte sie an diesem tag nirgendwo so
gelöst wie hoch oben zwischen den Wipfeln, mit
15 Metern Abstand. greta thunberg, sagt Jana, sei
eine große Inspiration für sie. »Aber ich möchte
nicht mit ihr tauschen.«

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20 WIRTSCHAFT


Greta Thunberg am vergangenen
Samstag am Tagebau Hambach

greta Thunberg besucht


den Hambacher Forst –


und verschafft dem


noch immer umkämpften


symbolort neue


Aufmerksamkeit


VON KARIN CEBALLOS BETANCUR
UND LAURA CWIERTNIA

Foto (Ausschnitt): Mstyslav Chernov/AP Photos/dpa

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