Die Zeit - 15.08.2019

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8 POLITIK 15. August 2019 DIE ZEIT No 34


U


m zu zeigen, was er in seinem
Berufsleben schon geschaffen
hat, lässt Brandenburgs CDu-
Chef Ingo senftleben, 45,
knapp hinter einer Autobahn-
brücke halten. Er steigt aus
seinem Wahlkampfbus und
zeigt nach oben: Dort rasen Autos über die A 13.
»Ich bin auf das, was ich hier gemacht habe, genau-
so stolz wie auf das, was ich in der Politik erreicht
habe«, sagt er. senftleben stellt sich unter die Brü-
cke und streichelt den Beton. »Herrlich«, sagt er. Er
hat die Brücke im Jahr 1999 selbst mit aufgebaut.
Dieser Mann ist Maurer, und er möchte in we-
nigen Wochen, bei der Landtagswahl am 1. sep-
tember, Ministerpräsident von Brandenburg wer-
den. senftleben verkörpert etwas, von dem die
AfD manchmal behauptet, es existiere nur noch
bei ihr: Er ist ein Arbeiter in der Politik. Einer, der
ein Leben vor dem Parlament hatte; ein Leben, in
dem er seine Hände benutzt hat.
Die Brücke westlich von Cottbus war die letzte,
an der er mitgebaut hat. Danach zog er im Alter von
25 Jahren in den Landtag von Brandenburg ein, ohne
politische Erfahrung. Das Parteibuch hatte er erst seit
kurzer Zeit, berufsbegleitend studierte er Hochbau-
technik. Er arbeitete sich in der Fraktion hoch. Im
Jahr 2014 wurde senftleben CDu-Fraktionschef,
dann Landeschef, nun ist er spitzenkandidat. und er
bietet eine Politik an, die in Ostdeutschlands CDu
einmalig ist: sie ist weit entfernt davon, konservativ
zu sein. sie ist im grunde: links. und das begründet
senftleben mit seiner Biografie.
Als die CDu bei den Europawahlen im Mai im
Osten ein Desaster erlebte, stattdessen grüne und
AfD punkteten, war senftleben einer der ganz
wenigen aus den neuen Ländern, die sich für eine
Annäherung an die grünen aussprachen. Heute
fordert er eine entschiedenere Klimapolitik, will
Bahnstrecken ausbauen, befürwortet die von der
sPD geforderte grundrente. Fragt man ihn nach
dem schulsystem in der DDR, als bis zur 8. Klasse
alle gemeinsam lernten, kommt er ins schwärmen.
Er gehörte auch zu den Ersten in der CDu, die
sich eindeutig von der AfD distanzierten. schon
vor vier Jahren sagte er: »unter meiner Führung
wird es keine Annäherung an die AfD geben.«
sein Kurs ist ein riskantes Experiment: Kann
ein Christdemokrat die AfD besiegen, ohne selbst
nach rechts zu rücken? Noch dazu in einem Land,
das von einer rot-roten Regierung geführt wird?
In einem Land, in dem seit 30 Jahren die sPD
den Regierungschef stellt? Auch in Brandenburg
ist die AfD stark; sie hat sogar gute Chancen,
stärkste Kraft zu werden. In der jüngsten umfrage
von vergangener Woche führt sie mit 21 Prozent,
dahinter folgte – noch vor der sPD – senftlebens
CDu mit 18 Prozent. Alle anderen CDu-Chefs
aus den Ost-Ländern umwerben die wütenden
Bürger im Versuch, die AfD überflüssig zu ma-
chen. senftleben tut das gegenteil. Hat er eine
Chance damit?
Die Fahrt mit senftleben im Wahlkampfbus
geht weiter, nach Norden in Richtung uckermark.
Drinnen sitzt er in seinem Wahlkampflook: oben
Hemd, unten Outdoorhose; er will viel wandern
mit potenziellen Wählern. Auf dem Bus klebt
überlebensgroß sein gesicht: braune Augen,
freundliches schwiegermutters-Liebling-Lächeln.
»Es geht um zwei bis drei Prozent«, sagt er, was
nicht falsch ist: Das Kuriosum in Brandenburg ist,
dass sPD, CDu, Linke, grüne und AfD alle die
Chance haben, stärkste Kraft zu werden. Wie sich
künftig in diesem Land die Regierung zusammen-
setzen wird, ist kaum vorherzusagen.

so kam es auch, dass senftleben im vorigen
Jahr eine kleine Revolution ankündigte, ohne
dass seine Partei darauf vorbereitet gewesen
wäre. Er schloss zwar rasch eine Koalition mit
der AfD aus – eine mit der Linken aber nicht.
senftleben kalkuliert: Wenn er die sPD in die
Opposition schicken will, dann muss er mit den
Linken zusammenarbeiten.

D


ie Nachfolgepartei der sED soll also
mit der Partei der deutschen Einheit
koalieren? In Berlin klingt das wie der
sündenfall. In Brandenburg aber
könnte genau das passieren. Denn obwohl die
Brandenburger Linke solch ein Bündnis offiziell
nicht anstrebt, haben einige ihrer Funktionäre
längst signalisiert, für eine Zusammenarbeit
durchaus zur Verfügung zu stehen. Zu problem-
beladen ist aus ihrer sicht die Koalition mit der
sPD, die nach 30 Jahren an der Macht in Pots-
dam ausgelaugt wirkt. Christian görke, Finanz-
minister der Linken in Brandenburg, findet für
senftleben lobende Worte. »Er ist ein engagierter
Politiker«, sagt er. görke will sich ein Bündnis
mit der union offenhalten. Fragt man ihn, ob er
sich das vorstellen könne, antwortet er knapp:
»Ich kann mir vieles vorstellen, aber darüber den-
ke ich gerade nicht nach.« Allein: schon heute
würden etwa 20 Prozent der Anträge im Landtag

auf gemeinsame Initiativen von CDu, Linken,
sPD und grünen zurückgehen, sagt görke.
senftlebens Problem wäre eher die eigene
Partei. Im Dezember beschloss die CDu auf ih-
rem Parteitag, dass sie Koalitionen mit der Lin-
ken ablehne. und kurz nachdem senftleben im
vorigen Jahr mit den Linken anzubandeln be-
gann, wurde er ins Konrad-Adenauer-Haus nach
Berlin einbestellt zum gespräch mit Angela
Merkel, damals noch Parteichefin, und mit An-
negret Kramp-Karrenbauer, damals noch gene-
ralsekretärin. sie distanzierten sich öffentlich
von senftlebens Aussagen. Ihn hinderte das
nicht, weiter die Linken zu loben. Es sei nicht
immer sinnvoll gewesen, diese Partei zu verteu-
feln, sagte er. »Als ich in die CDu eintrat, war
ich selber Arbeiter.« In den Neunzigern habe die
CDu dieses Klientel noch besser angesprochen,
mit sozialen themen.
Ob senftleben dafür unterstützung findet, ist
offen. Er habe, sagt einer seiner Parteifreunde, die
Brandenburger CDu nicht verändert. Er habe sich
von ihr nur die Freiheit geben lassen, für eine be-
grenzte Zeit zu tun, was er für richtig halte. »Bran-
denburger schlachteplatte« hat man die Landes-
partei lange Zeit genannt, weil sie ihre Vorsitzenden
regelmäßig aus dem Amt putschte. senftleben hält
sich, so gesehen, schon recht lange, seit vier Jahren.
Aber bei seiner Nominierung zum spitzenkandida-

ten im Juni zeigte ihm die union auch direkt, dass
das nicht auf ewig so sein muss: Er erhielt 69,
Prozent. Eine Watsche, auch deshalb, weil er ver-
sucht hatte, die Landesliste paritätisch zu besetzen.
Die Delegierten zerpflückten die Liste, auf den
ersten 20 Plätzen stehen jetzt noch fünf Frauen.
senftleben hofft, dass die Wahl ihn stärkt, auch
innerparteilich. »Am Morgen nach der Wahl wer-
de ich im Konrad-Adenauer-Haus stehen«, sagt er.
»Dort wird mir ein Blumenstrauß überreicht wer-
den. und das Einzige, was wirklich interessiert, ist
doch die Frage, ob ich die Wahl gewonnen habe.«
Vertrackt bleibt seine strategie an einer stelle.
Die CDu hat in den vergangenen Jahren viele An-
hänger an die AfD verloren. Vermutlich, weil die
union ihnen zu stark in die Mitte gewandert ist.
Holt senftleben auch nur einen Einzigen davon
zurück, wenn er mit einer Zusammenarbeit mit
den Linken kokettiert? Er weiß es womöglich
selbst nicht so genau, er strebt es allerdings auch
nicht erkennbar an. senftleben macht Politik fast
so, als wäre die AfD gar nicht da.
um das unverblümte zu verstehen, das diesen
Mann umgibt, hilft es, seine Karriere anzuschau-
en. Bislang hat er meist gegen den Zeitgeist ge-
handelt. Er trat zu einem Zeitpunkt in die CDu
ein, 1997, am Ende der Kohl-Epoche, als Ost-
deutschland im Nachwende-Kater steckte. Er kan-
didierte für ein Direktmandat in seiner Heimat,

im äußersten süden Brandenburgs, wo die CDu
immer verloren hatte. Aber senftleben gewann.
Über Nacht wurde er zum star seines Landesver-
bands. Heute sagt er, dass ihm dieser Erfolg vor
allem dank zweier Wahlkämpfer gelungen sei. sie
heißen Diethard und Hannelore, sind 73 und 71
Jahre alt – und seine Eltern.
Ein tag im Juli, ein Besuch bei den senftle-
bens. »Ziehst du deine schuhe bitte aus«, sagt
Mutter senftleben zu ihrem sohn, eher mit Aus-
rufe- als mit Fragezeichen. Die Eltern wohnen in
dem südbrandenburgischen städtchen Ortrand in
einem Einfamilienhaus. Wenn Bay ern München
gewonnen hat, hängt der Vater die Vereinsfahne
raus. An den anderen tagen flattert die Deutsch-
landflagge im Hof. Die senftlebens sind boden-
ständige Leute. Der Vater war, bevor er in Rente
ging, Maurer wie der sohn, gemeinsam arbeiteten
sie lange in derselben Firma und auf denselben
Baustellen. Die Mutter war Verkäuferin. »Früher
haben wir für unseren sohn die Wahlplakate ge-
klebt«, sagt Diethard senftleben. »Heute küm-
mern wir uns um die Enkel, das grundstück und
die Wäsche, wenn er unterwegs ist.«

S


eine Eltern gehörten nie zu den unzufrie-
denen im Land, sie haben sich etwas auf-
gebaut nach 1989. Dem sohn ist wichtig,
dass das auch Platz findet in der aktuellen
Ost-West-Debatte, die vor allem die Defizite der
Nachwendejahre betont. senftlebens Vater zum
Beispiel erzählt: »Vor der Einheit musste ich nach
Feierabend noch arbeiten, um meiner Familie et-
was bieten zu können. Nach der Einheit habe ich
vernünftig verdient.«
Die senftlebens haben Angela Merkels Flücht-
lingspolitik immer gutgeheißen, genauso wie ihr
sohn. Aber sie wissen auch, dass die AfD in Bran-
denburg ein fester teil der politischen Landschaft
geworden ist. Voriges Jahr, erzählt Diethard
senftleben, habe er am Wahlkampfstand der
CDu in Ortrand gestanden, er sei ja selbst CDu-
Mitglied, er habe Kaffee und belegte Brötchen
angeboten. Irgendwann seien Vertreter der AfD
an seinen stand getreten, wollten essen und trin-
ken. »Wir hätten sie niemals weggeschickt«, sagt
senftleben senior. »Wir haben sie genauso be-
dient wie alle anderen.«
Es gibt gerade unter Ostdeutschen viele, für die
der umgang mit der AfD keine Frage der poli-
tischen Inhalte ist, sondern eine Frage des stils.
Ingo senftleben sagt im Wohnzimmer seiner El-
tern: »Man hat uns vor dem Mauerfall gesagt, mit
wem geredet werden darf und mit wem nicht.
Heute sollte das nicht mehr passieren.« Während
anderswo der Widerstand gegen die AfD als demo-
kratischer Akt gefeiert wird, ist es hier das gegen-
teil: Die demonstrative gleichbehandlung dieser
Partei gilt als Ausweis der eigenen Demokratiefes-
tigkeit. Deswegen hat Ingo senftleben für den Fall
seines Wahlsieges angekündigt, alle Parteien zum
gespräch einzuladen. Auch die AfD. Regieren al-
lerdings will er mit dieser Partei auf keinen Fall.
um Ingo senftleben bekannter zu machen, hat
sein Wahlkampfmanager vor Kurzem ein Lied ge-
schrieben. Es enthielt allerlei Reime auf senftle-
bens Namen. In einer Zeile heißt es: »Wer rüttelt
am status quo? Ingo! Ingo!«
Die große Frage an Ingo senftlebens Wahl-
kampf ist, wie sehr man am status quo rütteln
darf. Wie sehr man die gewohnten gegner zu
Freunden machen darf, ohne in der eigenen Par-
tei als Irrläufer zu gelten. Womöglich wird diese
Frage nach der Wahl nicht nur Brandenburg be-
schäftigen, sondern auch Berlin.

Ingo Senftleben betrachtet in der Garage seiner Eltern alte Wahlplakate

Der Tabubrecher


Ingo senftleben will für die CDu Ministerpräsident in Brandenburg werden und dafür notfalls auch mit den Linken reden.


seine Partei macht das nervös VON ANNE HÄHNIG


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Foto: Sebastian Wells für DIE ZEIT

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