Neue Zürcher Zeitung - 10.08.2019

(Ann) #1

44 SPORT Samstag, 10. August 2019


ZumSaisonstart der Ligue 1fragt sichder Dominator


PSG:Geht’s auchohneden Superstar Neymar? SEITE 42


Der vielseitige Mathieu van der Poelmacht NinoSchurter


die Vorherrschaft imMountainbikestreitig SEITE 43


Wie weiter mit Ludovic Magnin?

Beim FC Zürich gibt es schon früh eine Trainer-Diskussion – das liegt nicht nur am schlecht en Saisonst art


FLURIN CLALÜNA


Seit bald eineinhalbJahren ist Ludo-
vic MagninTrainer des FC Zürich. Es
ist vielleicht nur eine maliziöse Zufäl-
ligkeit:Aber genau so langekönnen sich
die Trainer beim Präsidenten Ancillo
Canepa imDurchschnitt imJob halten.
Und nach nur dreiRunden und zwei
Niederlagen in der neuen Saison wird
nun tatsächlich über Magnins Zukunft
diskutiert.Vor 15 Jahren war der FCZ
letztmals nach dreiRundenTabellen-
letzter.Schon imFrühlinghatte Magnin
eine Bewährungschance benötigt,um
eine Krise durchzustehen, die erste als
Profitrainer. Und jetzt braucht er wie-
der einenVertrauensvorschuss. Das sind
viele Krisen in wenig Zeit.


Am Anspruch gescheitert


Canepa sagt zwar im «Blick»: «Nach
drei Runden inPanikzuverfallen, wäre
wohl dasDümmste, was wir tunkönn-
ten.» Aber abgesehen davon, dass
Canepa mit Urs Meier im Sommer vor
vier Jahren schon einmal einenTrainer
nach bloss drei Spieltagen freigestellt
ha t: Der schlechte Saisonstart ist gar
nicht einmal Magnins grösstes Problem.
Denn Magnin hat jarecht, wenn er sagt,
dass der FCZ phasenweise gut gespielt
hat. Diese Analyse muss man Magnin
zugestehen, ohne ihm gleich Schönfär-
berei zu unterstellen.
Aber Magnin ist bereits angezählt in
die neue Saison gegangen, und nun läuft
der Countdowneinfach weiter,denn es
sind nicht diese letzten dreiRunden, die
ihn krisenanfällig machen, sondern die
Gesamtbilanz der letzten Monate. Da
braucht es nicht viel, ein paar Blackouts
der Spieler, ein neuerTrainer-Staff, der
sich noch nicht gefunden hat,eineoffen-
siv kommunizierte Erwartungshaltung
der Vereinsführung odereinengedank-
lich abwesenden Spieler wie Benja-
min Kololli,der während derWoche in
Kosovo heiratet.Und schon ist sie wie-
der da, dieVertrauenskrise.
Im Jahr 2019 hat Magnin nur fünfvon
21 Meisterschaftspartien gewonnen. Seit
Mitte Mai ist er sieglos.Wie man seine
Bilanz auch liest,und was manauch be-
urteilt, die Spielkultur, die Jugendförde-
rung oder bloss dieResultate: Der FCZ
hat sich mehr von Magnin erhofft.Aus
dem Insidertipp istkein neuer Lucien
Favre geworden. Es ist einWunder-
glaube, dasswelscheTrainer wieFavre,
Bernard Challandes oderDaniel Jean-
dupeux in Zürich besonders gut funktio-
nieren.Aber bei Magnin klappt es nicht.
Punktuell war er zwar erfolgreich, im
Cup-Final 2018 gegen dieYoung Boys
oderim Europacup vor allem gegen
Bayer Leverkusen.Aber verpflichtet
hat man ihn vor allem dafür: Um den
anspruchsvollenFussballstil des Klubs
wiederzubeleben und ihn wieder näher
an die Spitze mitBasel und YB heran-
zuführen. Daran ist Magnin bisher ge-
scheitert, so wie die meisten seinerVor-
gänger. Seit dem letzten Meistertitel vor
zehnJahren haben sich die Zürcher nur
zwei Mal in denTop 3 klassiert. Und
vi ele Nachwuchsspieler mehr als sein
VorgängerUli Forte hat Magnin bisher
nicht zu Stammspielern gemacht.


Magnin erlebte mit dem FCZ einen
goldenen Herbst 2018, einen Indian
Summer, als die Mannschaft so schön
leuchtete wie ein bunterLaubwald.Aber
insgesamt waren es wenige gute Monate
und viele mittelmässige oder schlechte.
Und dafür gab es immer wieder andere
Erklärungen: Anfangsschwierigkeiten,
Verletzungssorgen, Europacup-Belas-
tungen, die Formschwäche einzelner
Spieler. Nur an einem wollte Magnin nie
zweifeln: dass seine Mannschaft eigent-
lich gut ist.
Er sagtes auch jetzt wieder und
nimmtdafür in Kauf, dass man sich im
Umkehrschluss fragen muss:Wenn die
Spielergut genug sind,muss esdann also
am Trainer liegen? Es ist die Kardinal-
frage beim FCZ: Ob der Klub für eine –
gemäss Selbsteinschätzung–talentierte
Mannschaft erst noch den passenden
Trainer finden muss. Oder ob es diesen
Trainer gar nicht gibt, weil diese Mann-
schaft doch nicht genügt, um die hohen
Ansprüche des Klubs zurechtfertigen.
Oder noch weiter gedacht: Ob der
FCZ mit seiner Struktur und seinen
Möglichkeiten solche Ambitionen über-
haupt haben darf.Alle fünf neuen Spie-
ler kamen in diesem Sommer ablösefrei
nach Zürich.Anderes,teureresPersonal
konnte oder wollte sich derVerein nicht
leisten. Und so wie Canepakommuni-
ziert, öffnetsich immer wieder ein Gap
zwischen Erwartungen undRealität.

AusCanepas Reagenzglas


Sollte sich Canepa bei anhaltendem
Misserfolg von Magnin trennen wollen,
ist eines absehbar:Es könnte emotio-
nal die schwierigste Entlassung seiner
bald 13-jährigen Amtszeit werden.Das
Timing einer solchen Massnahme ist
immerschwierig, oft erfolgt sie zu spät

wie bei Sami Hyypiä oder zu früh wie
bei UrsFischer.Aber bei Magnin fällt
etwas anderes nochstärker ins Gewicht:
Er ist so etwas wie derAdoptivsohn des
Ehepaars Heliane und Ancillo Canepa.
Undwenn jemand zurFamiliegehört, ist
eineTrennung besonders schmerzhaft
und die Enttäuschung grösser als sonst.
Kommt hinzu, dass einExperiment
gescheitert wäre: Magnin war gewisser-
massen einTrainer imReagenzglas,
einer, den die Canepas während meh-
rere r Jahre behutsam im eigenen Nach-
wuchs aufgebaut hatten. Sie hatten sich
vorgestellt, ihn als Cheftrainer weiter
formen und seine Emotionalität ein-
dämmen zukönnen. «Ich habe mich in
den letztenJahren dort verbessert, wo
sie es wollten, sagte Magninbei seiner
Vorstellung imFebruar vor einemJahr.
Sie: Das sind die Canepas. Die Neigung
zum Cholerischen war vom erstenTag
Magnins klare Schwäche, und sie ist bis-
her nicht derart abgeflaut, wie es nötig
wär e, um aus einem talentiertenJung-
trainer einen anderen, einen besseren
Coach zu machen.
Als Magnin damals Chefcoach wurde,
lief seineWahl ohne Gegenkandidaten

oder grössere Vernehmlassung ab. Und
seither fühlt sich Magnin verpflichtet,
dieses ungewöhnlicheVertrauen zurück-
zuz ahlen.Das ist eineemotional aufge-
ladene Situation in einem emotionali-
siertenVerein.

Vertrag endet 2020


Es ist absehbar, dass Canepa länger zu-
warten und geduldiger seinkönnte als
in früherenFällen. AnfangJahr sagte
Magnin über die Canepas im Interview
mit der NZZ:«Sollten sie mich einmal
nicht mehr wollen – wir werden es trotz-
demgut haben.» Dennoch ist dieTren-
nung von Magnin für Canepa noch ein
verbotener Gedanke, weil er auch per-
sönlich so viel riskiert hat und einege-
wagteWette auf ihn einging.Aber wie
man auch immer zu einerTrennung
steht: DieFrage, wie es mit Magnin wei-
tergehen wird,kommt ohnehin bald
aufsTapet, und sie wird die ganze Sai-
son nicht mehr verschwinden, weil sein
Vertrag im nächsten Sommer ausläuft.
Irgendwann in nicht allzu ferner Zu-
kunft wird sich Canepaent scheiden
müssen:Für Magnin. Oder gegen ihn.

Eine Lösung aufPapier? DerFCZ-Trainer Ludovic Magninist unterDruck. ENNIO LEANZA / KEYSTONE

Magnins schwierige Monate in Zitaten


Februar 2018:«Ich bin da für die gros-
sen Spiele.»
März 2018:«Die Punkteausbeute ist un-
genügend und enttäuschend. Dessen bin
ich mir bewusst, aber das istim Moment
zweitrangig. Es findet ein Prozess statt.»
Mai 2018:«Das primäre Ziel ist nicht
der unmittelbare Erfolg, sondern etwas
für die Zukunft aufzubauen.»
September 2018:«Ludovic Magnin,
kann der FCZkeine Spiele mehr gewin-

nen?» «Ja, momentan sieht es so aus.»
März 2019:«MeinTeam hat so viele
Fehler gemacht wie ich in zehnJahren
als Trainer, auch bei denJunioren, noch
nie gesehen habe.»
April 2019:«Wir sind im Gegenwind
und müssen uns richtig wehren.»
Mai 2019:«Die Negativspirale wird
immer stärker.»
August, 2019:«Wir haben zu wenig
Punkte, das ist sehr ungemütlich.»

SuperLeague, 4.Runde


Samstag Sonntag
Basel - Servette Zürich - Xamax
St. Gallen - YB Lugano - Sitten
Luzern - Thun



  1. YB 3/7 6. Sitten 3/4

  2. Basel 3/6 7. St. Gallen 3/4

  3. Servette 3/5 8. Thun 3/2

  4. Lugano 3/4 9. Xamax 3/2

  5. Luzern 3/4 10. Zürich 3/1


Erster


Rückschlag für


die Grasshoppers


0:1 gegen Schaffhausen


FLURIN CLALÜNA, ZÜRICH

Der schönste Moment an diesemAbend
war für GC gleichzeitig auch der unglück-
lichste. Gerade gab der Speaker die Zahl
der Zuschauer bekannt, fast 4000 kamen
in den Letzigrund, das sind beinahe dop-
pelt so viele, wie der Klub imDurch-
schnittrechnet. Es scheint, als hätten die
meistenFans Abstand genommen von
ihrer Boykottdrohung,die sieAnfang Sai-
son angekündigt hatten.
Aber im gleichenAugenblick, in dem
die Stimme des Stadionsprechers ertönte,
geschah eben auch, was nicht hätte ge-
schehen dürfen: Die Grasshoppers ver-
loren dieses Spiel gegen Schaffhausen,
das sie nicht hätten verlieren dürfen. Sie
versagten in einer der wenigen gefähr-
lichen Szenen der Schaffhauser nach
etwas mehr alseiner Stunde, als der Ab-
wehrchef MarkoBasic einenPenalty ver-
schuldete und dierote Karte sah. Helios
Sessolo traf zum 1:0-Siegtreffer.
Es war die erste Niederlage der Grass-
hoppers in dieser Saison in der Challenge
League und der ersteRückschlag für ihre
Aufstiegsambitionen. GC hatte in den
bisherigenPartien nichtimmer überzeu-
gend gespielt, derTrainer UliForte hatte
seineSpieler deshalb imVorfeld auch ge-
warnt, «dass wir das Glück nicht weiter-
hin strapazieren dürfen».Vieles warin
di eser Saison bisher für die Grasshop-
pers gelaufen, diesmal nicht. «Bitter»
nannteForte die Niederlage, «so darf
man nie verlieren». MuratYakin sagte,
es habe vermutlich «eine glückliche Si-
tuation in diesem Spiel gebraucht, um zu
si egen».Er sprach diePenaltyszene an.
«Ob der Erfolg verdient ist, sollen an-
dere beurteilen.» Er war es nicht unbe-
dingt. Denn GC war die bessere Mann-
schaft mit mehr Chancen, spielte aber
auch nicht so zwingend, dass diesePar-
tie gewonnen werden musste.
Es war an diesem Abend auch das
Freundschaftsduell zweierTrainer, die
sich auch schon als «seelenverwandt»
bezeichnet haben, weil sie sich mensch-
lich so gut verstehen. Uli Forte und
MuratYakin sind sich auf Schweizer
Fussballplätzen schon sehr oft begegnet,
18 Mal haben sie als Cheftrainer bereits
gegeneinander gespielt, mit den unter-

schiedlichsten Klubs. In einerSaisonwar
es sogar dasAufeinandertreffen zweier
Spitzencoachs: 2013 wurdeYakin mit
Basel Meister undForte mit GC Cup-
Sieger. Ihre Karrieren sind in denletz-
ten Jahren vielleicht nicht so verlaufen,
wie sie sich das damalsvorgestellt hat-
ten.Denn nun sehen sie sich in der Chal-
lenge League wieder.Aber eines gilt
auch hier: ihre Privatwette.Wer gewinnt,
muss den anderen zum Essen einladen.
Sie hatten diesmal zwar garkeine Ge-
legenheit, offiziell zu wetten, «aber die
Abmachung gilt immer», sagteForte.
Yakin wird das Geld gern aufwerfen. In-
zwischen führt er auch im internenRan-
king der beiden.Yakin hat nun einmal
mehr gegenForte gewonnen.
Forte sagte, die Spieler müssten sich
nach dieserPartie «an der eigenen Nase
nehmen».Aber eigentlich hat sich am
Freitag nur bestätigt, was er schon ange-
deutet hat:So souverän,wie es dieTabelle
bisherzu spiegeln schien, ist GC nicht.

PD

Uli Forte
Trainer GC

MuratYakin
FC Schaffhausen
Free download pdf