Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1

FOTOS: GETTY IMAGES (2)


dem Realitätsverlust: „Es gibt ein bedrü-
ckendes Grundgefühl bei vielen Men-
schen, das ihnen sagt: ,Du bist nicht gut
genug. Es reicht noch nicht.‘ Und das, so
Bornemann, entstehe nicht nur, aber vor
allem durch die Flut von Vergleichsmög-
lichkeiten in unserer modernen Gesell-
schaft. Besonders in den sozialen Medien.
„Da stehen“, sagt Bornemann, „auf Instag-
ram oder Facebook all die kondensierten,
idealisierten Bilder, die mir zuraunen: ,So
sollte es sein. So sollte ich sein.‘ Und dann
stellen viele eben auch diese Idealbilder
von sich ins Netz, posen darauf und sagen
anderen, aber auch sich selbst: ,So bin ich.
Hier – dieser lustige, lässige Typ.‘ Aber das
ist ja nie die ganze Wahrheit. Und in dem
Moment, wo ich mich anders erfahre – ver-
letzlich, traurig, zweifelnd –, da wird die
Diskrepanz zum Idealbild umso größer.
Und obwohl genau diese Verletzlichkeit

zu mir gehört und wichtig ist, will ich sie nicht
zulassen, weil sie nicht passt. In dem Wahn,
etwas darstellen zu müssen, verpasse ich es,
zu sein, zu füh-len, mich wirklich vom Leben
berühren zu lassen.“

Die Welt rückt uns zu Leibe


Zudem bringt uns die Globalisierung die
ganze Welt ständig näher. Und mit dem
Smartphone haben wir 24 Stunden am Tag
globalen Zugriff auf alles und jeden. „Die
Welt“, sagt Hartmut Rosa, „rückt uns auf
historisch beispiellose Weise zu Leibe.“
Immer klingelt, piept, brummt und summt
etwas um uns herum und verlangt unsere
Aufmerksamkeit. Und wir reagieren nur
noch. Aber dieser Alltagslärm hilft nicht
gegen das grundsätzliche Weltverstummen.
Ans Handy zu gehen erzeugt selten echte
Resonanz. Es stört meist nur. Auch der Phi-
losoph und Bestsellerautor Richard David

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