Die Welt - 16.08.2019

(Brent) #1

D


ie Signale, die Stephan
WWWeil im Landtag von Han-eil im Landtag von Han-
nover aussendet, sind ein-
deutig. Niedersachsens
Ministerpräsident, das
strahlt Niedersachsens Ministerpräsi-
dent mit jeder Pore, mit jeder Geste, mit
jedem Wörtchen aus, möchte sehr gerne
Niedersachsens Ministerpräsident blei-
ben. „Und zwar auf Dauer.“ Um den SPD-
VVVorsitz, auch diese Botschaft schwingt inorsitz, auch diese Botschaft schwingt in
jeder Sekunde seiner spätsommerlichen
Pressekonferenz mit, möchte er sich
nicht bewerben. Aber diesen Satz spricht
er nicht aus, wieder nicht.

VON ULRICH EXNER

Es ist eines der größeren Kommunika-
tionsprobleme, die die SPD dieser Tage
hat, dass Stephan Weil die Tür zu einer
Kandidatur für den Bundesvorsitz seiner
Partei immer noch ein Stück offen lässt.
Ein sehr kleiner Spalt ist das, ein Hauch,
aaaber die Entschlossenheit, die Tür zuzu-ber die Entschlossenheit, die Tür zuzu-
ziehen, die hat er auch an diesem Don-
nerstagmittag nicht. Er schließe grund-
sätzlich nichts aus, sagt Weil erneut das,
was Weil seit Wochen sagt, wenn man
ihn auf den Grund für diese Zögerlichkeit
anspricht, „aus Verantwortungsbewusst-
sein gegenüber meiner Partei“.
Er will nicht, aber das müssen die Be-
obachter im Leineschloss, dem Sitz des
niedersächsischen Landtags, dann schon
wieder interpretieren, dass die SPD ihre
Suche nach einem oder zwei neuen Vor-
sitzenden am Ende nur mit den bisher
bekannten Kandidaten antritt. Michael
Roth und Christina Kampmann, Nina
Scheer und Karl Lauterbach, vielleicht
noch Ralf Stegner und Gesine Schwan –
alle diese Duos hält Weil nicht für satis-
fffaktionsfähig für die SPD; für nicht hin-aktionsfähig für die SPD; für nicht hin-
reichend geeignet, die älteste Partei
Deutschlands aus einer der tiefsten Kri-
sen ihrer Geschichte zu führen.
Schon am Abend zuvor, in der „Alten
Molkerei“ in Emden, hatte Weil diese Be-
denken, auch den Grund für sein beharr-
liches Zaudern für einen Moment öffent-
lich gemacht. So laufe das eben, schimpf-

te er bei einer Veranstaltung seiner Par-
tei, wenn zu viele führende Sozialdemo-
kraten zu früh öffentlich ihr Desinteresse
am Parteivorsitz hinterlegten. „Dann
kommt so was.“
„So was“ war in diesem Falle die gera-
de bekannt gewordene mögliche Kandi-
datur Ralf Stegners und Gesine Schwans
fffür den SPD-Vorsitz. Ein Pärchen, demür den SPD-Vorsitz. Ein Pärchen, dem
WWWeil „bei allem Respekt“ die erfolgreicheeil „bei allem Respekt“ die erfolgreiche
Erneuerung der Partei nicht zutraut.
„Ich mache keinen Hehl daraus“, so Weil
in seltener personalpolitischer Offen-
heit, „dass Ralf Stegner und Gesine
Schwan meine Stimme nicht bekommen
werden.“ Die Frage ist nur: Wer be-
kommt sie dann?
Bis zum kommenden Wochenende, so
heißt es in Hannover, wollen Niedersach-
sens Sozialdemokraten klären, welchen
Kandidaten oder welches Kandidaten-
paar der Landesverband bei der Kür ei-
nes neuen Parteivorsitzenden unterstüt-
zen will. Vielleicht dauert es auch noch
ein paar Tage länger.
Infrage kämen dafür der aus der Lüne-
burger Heide stammende SPD-General-
sekretär Lars Klingbeil, der in dieser Wo-
che wahlkämpfend durch Ostdeutsch-
land tourte und sich in den vergangenen
WWWochen vergeblich um die Schwerinerochen vergeblich um die Schweriner
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig
als Co-Vorsitzende bemüht hat. Infrage
käme auch Niedersachsens ehrgeiziger
Innenminister Boris Pistorius, der aus
seinen bundespolitischen Ambitionen
längst keinen Hehl mehr macht und für
den Fall des Falles ein Bewerbertandem
mit der sächsischen Integrationsministe-
rin Petra Köpping bilden würde. Aller-
dings betrachtet Weil Pistorius’ Landes-
politik überschreitende Bestrebungen
eher skeptisch. Pistorius seinerseits hält
wiederum Klingbeil nicht zwingend für
einen geeigneten Kandidaten.
Fest steht, dass sowohl der SPD-Gene-
ralsekretär als auch der niedersächsische
Innenminister ihre eigenen Pläne zu-
rückstellen würden, falls Weil sich am
Ende doch noch zur Kandidatur ent-
schlösse. Niedersachsens Regierungs-
chef ist mit zwei erfolgreich bestande-

nen Landtagswahlen im Rücken einer
der wenigen verbliebenen politischen
Schwergewichte der deutschen Sozialde-
mokratie. Ein Standing, das dem frühe-
ren Oberbürgermeister von Hannover
im Übrigen nicht prognostiziert worden
war, als er in den Jahren 2012 und 2013
die landespolitische Bühne betrat. Auch
WWWeil selbst, zu kritischem Blick auf dieeil selbst, zu kritischem Blick auf die
eigene Person fähig, sieht sich im Grun-
de seines Herzens bis heute nicht als hel-
denhafter politischer Hoffnungsträger
der siechen deutschen Sozialdemokra-
tie. Auch das ist ein Grund für das Zö-
gern des Niedersachsen.
In Emden, in der „Alten Molkerei“,
kleidet er diese (Selbst-)Erkenntnis ein-
mal mehr in ein Bekenntnis zu seinem
derzeitigen Amt als niedersächsischer
Ministerpräsident: „Ich mag die Leute,
die Leute mögen mich. Warum sollte
man daran etwas ändern?“ Weil, daran
lässt er seit Wochen keinen Zweifel, fühlt
sich ausgesprochen wohl in seiner Rolle
als Landesvater; auch wenn ihm sein spä-
testens seit der Wiederwahl im Herbst
2 017 stetig gewachsener bundespoliti-
scher Einfluss schmeichelt. Ein mögli-
cher Wechsel ins Willy-Brandt-Haus
stand bis zum Rücktritt von Partei- und
Fraktionschefin Andrea Nahles nicht an-
satzweise auf der Agenda dieses „einfa-
chen, Bier trinkenden Juristen“, wie der
Hannoveraner sich selbst gerne etwas
kokett charakterisiert.
Dennoch: Seit dem Nahles-Abgang,
den Weil durchaus als Flucht vor der
VVVerantwortung empfand, zweifelt Weil,erantwortung empfand, zweifelt Weil,
ob er sich tatsächlich noch länger weg-
ducken kann vor der Verantwortung.
AAAuch hat er sich durch seine indirekte,uch hat er sich durch seine indirekte,
dennoch unmissverständliche Kritik an
den umstandslosen Absagen von Olaf
Scholz, Malu Dreyer und Manuela
Schwesig selbst unter Druck gesetzt. Die
weiterhin negativen Umfragewerte für
die SPD, die absehbaren Niederlagen bei
den bevorstehenden Landtagswahlen im
Osten, das überschaubare Zutrauen in
das bisherige Kandidatenfeld für den
SPD-Vorsitz verstärken diese Zweifel.
„Ich bin Sozi durch und durch“, sagt

WWWeil in Emden, „und ich gebe mir wirk-eil in Emden, „und ich gebe mir wirk-
lich alle Mühe, dass meine Partei wieder
auf die Beine kommt.“
Er hat sich deshalb, quasi prophylak-
tisch, in den vergangenen Wochen umge-
schaut nach potenziellen Partnerinnen
fffür den Parteivorsitz. Weil hat mit Maluür den Parteivorsitz. Weil hat mit Malu
Dreyer gesprochen, die bei ihrer ableh-
nenden Haltung geblieben ist. Auch mit
Franziska Giffey, die sich eine Kandida-
tur zunächst offengehalten hatte. Inzwi-
schen, nach Weils Rückkehr aus dem Ur-
laub vor knapp zwei Wochen, hat die
Bundesfamilienministerin dem Nieder-
sachsen mitgeteilt, dass sie für eine Kan-
didatur nicht zur Verfügung steht. Eine
Entscheidung, die Giffey an diesem Don-
nerstag mit Blick auf die Plagiatsvorwür-
fffe gegen ihre Doktorarbeit bestätigte. e gegen ihre Doktorarbeit bestätigte.
WWWeil fehlt also nicht nur die persönli-eil fehlt also nicht nur die persönli-
che Entschlossenheit, den Parteivorsitz
zu übernehmen, ihm fehlt auch eine über
jeden Zweifel erhabene Doppelpartnerin.
Hinzu kommt, auch das nährt die ableh-
nende Haltung des Niedersachsen gegen-
üüüber einer eigenen Kandidatur, das lang-ber einer eigenen Kandidatur, das lang-
wierige Verfahren, das die SPD all ihren
potenziellen Vorsitzenden zumutet: 23
Regionalkonferenzen, 23 Debatten mit
Ralf Stegner und Karl Lauterbach und
mit Simone Lange und diversen anderen
Sozialdemokraten mögen für die Unbe-
kannteren unter den Bewerbern von gro-
ßem Reiz sein. Für Politiker, die bereits
einen Namen haben, die in Regierungs-
verantwortung stehen, ist die bevorste-
hende Debattentour nicht nur zeitlich ei-
ne erhebliche Belastung.
So werden Lauterbach und Lange bei
den Veranstaltungen die an der Parteiba-
sis populäre Forderung nach einem so-
fffortigen Ende der großen Koalition stel-ortigen Ende der großen Koalition stel-
len. Für Stephan Weil oder auch Olaf
Scholz, die jeweils selbst Verantwortung
in einem Bündnis mit der Union tragen,
eröffnet sich diese Möglichkeit nicht. Sie
müssten in den diversen Regionalkonfe-
renzen differenzieren, auf die Erfolge der
großen Koalition verweisen, vielleicht so-
gar lavieren und begäben sich damit – 23-
mal in Folge – absehbar in die Defensive.
Vielleicht sogar auf verlorenen Posten.

AAAuf jeden Falluf jeden Fall


vvvielleicht eher nichtielleicht eher nicht


Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil


will sich nicht festlegen, ob er für den SPD-Vorsitz


kandidiert oder nicht. Das hat verschiedene


Gründe. Einer der wichtigeren ist weiblich


DPA

/JULIAN STRATENSCHULTE

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16.08.19 Freitag, 16. August 2019DWBE-HP



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DIE WELT FREITAG,16.AUGUST2019* POLITIK 5


ren 492 antisemitische Vorfälle erfasst.
Betroffene berichteten meist von sub-
tilen Formen des Hasses. Zwar stuften
viele die Lage in dem Bundesland im
Vergleich zu anderen Regionen als ins-
gesamt „recht positiv“ ein. Sie berich-
teten aber auch von einer „beunruhi-
genden, ressentimentgeladenen
Grundstimmung“.
Für den 86 Seiten umfassenden Be-
richt sprach Rias unter anderem mit
zwölf jüdischen Bürgern und einem Kir-
chenvertreter. „Die Befragung zeigt,
dass Antisemitismus vor allem in subti-
len Formen Jüdinnen und Juden alltäg-
lich begegnet“, sagt Mitautorin Dorina
Feldmann von Rias.
Neben der Befragung hat Rias diverse
Daten zu antisemitischen Vorfällen ab-
gefragt und ausgewertet. Als Quellen
dazu dienten die Statistik zu politisch
motivierter Kriminalität des Branden-
burger Landeskriminalamtes sowie
Chroniken der Amadeu-Antonio-Stif-
tung, des Vereins Opferperspektive,
Medienberichterstattung und Fälle, die
Rias über das eigene Meldeportal zuge-
tragen wurden.

E


s ist ein Widerspruch, den auch
der Historiker Julius Schoeps of-
fenbar nicht auflösen kann. „Was
sollen wir denn sonst machen?“, fragt
er. Zuvor hatte der Gründungsdirektor
des Moses-Mendelssohn-Zentrums
(MMZ) an der Universität Potsdam ge-
sagt, dass Antisemitismus kein norma-
les Vorurteil sei, sondern eine „kollekti-
ve Bewusstseinskrankheit“.

VON MARTIN NIEWENDICK

Dennoch schließt sich Schoeps der
Forderung der mit ihm auf dem Podium
in der Brandenburger Staatskanzlei sit-
zenden Politiker und Experten nach
mehr Bildung im Kampf gegen Juden-
hass an. Mit guten Argumenten gegen
eine „Bewusstseinskrankheit“? Dass das
etwas paradox klinge, sei ihm klar, sagt
er auf Nachfrage.
In Potsdam wurde am Donnerstag
ein neuer Bericht der Recherche- und
Informationsstelle Antisemitismus
(Rias) über Judenfeindlichkeit in Bran-
denburg vorgestellt. Rias zufolge wur-
den dort in den vergangenen fünf Jah-

Auch Martin Gorholt (SPD), Chef der
brandenburgischen Staatskanzlei, ist ei-
ne gewisse Ratlosigkeit anzumerken.
Zwar variierten die Zahlen antisemiti-
scher Vorfälle in den vergangenen fünf
Jahren immer wieder. Aber dass es im
Jahr 2018 mit 95 erfassten Taten in etwa
so viele Vorkommnisse wie im Jahr 2014
(94) gab, zeigt, dass von einer dauerhaf-
ten Verbesserung der Lage keine Rede
sein könne. Gorholt lobt das Meldesys-
tem für Schulen und Lehrerfortbildun-
gen mit der israelischen Holocaust-Ge-
denkstätte Yad Vashem.
Seit Mai hat Brandenburg eine Fach-
stelle Antisemitismus. Doch auch damit
gehe es eher schleppend voran, wie Lei-
ter Peter Schüler einräumt. Einen Tele-
fonanschluss gebe es noch nicht, mitt-
lerweile sei die Stelle aber per E-Mail zu
erreichen, sagt der Kommunalpolitiker
der Grünen. „Unser Ziel wird es sein, ei-
nerseits die Betroffenen zu stärken,
aber auch in Institutionen hineinzuwir-
ken, Erfahrungen mit Antisemitismus
sichtbar zu machen und die Verantwort-
lichen im Umgang damit zu sensibilisie-
ren“, sagt Schüler. Träger der Fachstelle

ist das MMZ. „Wir blicken auf 13 Jahre
Antisemitismus- und Rechtsextremis-
mus-Forschung am Zentrum zurück“,
sagt Gründungsdirektor Schoeps. Man
wolle dazu beitragen, „dass es eine zivil-
gesellschaftliche Anlaufstelle gibt, an
die sich sowohl jüdische und nicht jüdi-
sche Betroffene und Ratsuchende wen-
den können“.
Brandenburg sei sicher kein Brenn-
punkt antisemitischer Übergriffe, so
Schoeps. Aber in den vergangenen Mo-
naten mache sich zunehmend Unsicher-
heit breit. Das liege zum einen an Vor-
fällen wie der Attacke auf einen Kippa-
träger am Potsdamer Hauptbahnhof
Ende Juli. Tatverdächtig sind zwei Sy-
rer. Sie sollen einen 25-Jährigen belei-
digt, bespuckt und bedroht haben. Dazu
kämen noch immer tief in der Gesell-
schaft verankerte antisemitische Legen-
den. „Viele glauben, dass Juden in
Deutschland keine Steuern zahlen müs-
sen und die Wirtschaft kontrollieren.“
Antisemitische Vorfälle treten dem
Rias-Bericht zufolge vor allem in
Kleinstädten und in ländlichen Regio-
nen auf. Dabei wurden auch die ver-

schiedenen Erscheinungsformen analy-
siert. Den Großteil machen Vorfälle aus,
die in der Studie mit „Post-Shoah“ be-
zeichnet werden. Damit sind Taten wie
etwa Holocaust-Leugnung oder -Ver-
herrlichung gemeint. Auf Platz zwei
steht das sogenannte Othering. Damit
wird die Darstellung einer bestimmten
Gruppe als nicht zur Mehrheit zugehö-
rig bezeichnet. Weitere erfasste Er-
scheinungsformen sind israelbezogener
und moderner Antisemitismus sowie
Antijudaismus.
Zu den Vorfällen kommt es beispiels-
weise auf der Straße, in Bildungsein-
richtungen und an Gedenkorten. Auch
Hasskommentare im Internet spielten
in diesem Zusammenhang eine große
Rolle. Der Bericht zeige, „dass die Prä-
vention von Antisemitismus in einem
eher ländlich geprägten Bundesland wie
Brandenburg vor ganz anderen Heraus-
forderungen steht als beispielsweise in
Berlin“, sagt Rias-Geschäftsführer Ben-
jamin Steinitz. Auch die spezifischen
antisemitischen Ausdrucksformen un-
terschieden sich. So seien in Branden-
burg deutlich geringere Auswirkungen

des Nahost-Konflikts sowohl bei den
angezeigten Straftaten als auch in den
Gesprächen mit jüdischen Gemeinde-
mitgliedern festgestellt worden.
Zur wirksamen Bekämpfung des Anti-
semitismus gehöre neben der Erfassung
und der Aufklärung auch ein funktionie-
render Rechtsstaat. Es brauche eine
konsequente Strafverfolgung, die auch
die Tatmotive miteinbeziehe, so Stein-
itz. Damit sende man gleich zwei Signa-
le. Eines an die Opfer, um zu zeigen,
dass man sie nicht alleine lasse. Und ein
abschreckendes an potenzielle Täter.
In den vergangenen Wochen hatte es
in ganz Deutschland mehrere antisemi-
tische Übergriffe gegeben. Zuletzt wur-
de am Dienstag ein Vorstandsmitglied
des Jüdischen Forums für Demokratie
und gegen Antisemitismus in Berlin an-
gegriffen und zu Boden gestoßen. Im
Juli wurde Yehuda Teichtal, Rabbiner
der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, in
Begleitung seiner Kinder beleidigt und
bespuckt. Anfang August wurden ein
Rabbiner und seine zwei Söhne in Mün-
chen von einem Mann und einer Frau
beleidigt und bespuckt.

„„„Viele glauben, dass Juden in Deutschland keine Steuern zahlen müssen“Viele glauben, dass Juden in Deutschland keine Steuern zahlen müssen“


In Brandenburg sind Politiker und Experten auf der Suche nach wirksamen Rezepten gegen Antisemitismus. Ein neuer Bericht des Vereins Rias soll dabei helfen


KRAMP-KARRENBAUER


Keine Regierung mit


rechts oder links


Angesichts der Diskussion in den ei-
genen Reihen hat CDU-Chefin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer Bündnisse
ihrer Partei mit der AfD oder der Lin-
ken in Brandenburg und Sachsen er-
neut ausgeschlossen. „Wir haben dazu
ganz klare Beschlussfassungen. Diese
Beschlussfassungen sind getroffen
worden unter Einbeziehung aller Lan-
desverbände, und das gilt“, sagte
Kramp-Karrenbauer der ARD. Branden-
burgs CDU-Spitzenkandidat Ingo
Senftleben hatte zuletzt auch ein
Bündnis mit der Linkspartei nicht
ausgeschlossen. „Die CDU muss bereit
sein, über ihren Schatten zu springen.“

BUNDESWEHR


Hubschrauber Tiger


fliegt wieder


Die Bundeswehr hat den aus Sicher-
heitsgründen eingestellten Flugbetrieb
mit dem Kampfhubschrauber Tiger
wieder aufgenommen. Ein Sprecher
des Heeres sagte: „Nachdem in der
ersten Maschine die Bolzen mit mögli-
chen Mängeln ausgetauscht worden
sind, ist sie am 15. August für den Flug
freigegeben worden.“ Der reguläre
Flugbetrieb mit allen weiteren Kampf-
hubschraubern Tiger werde vom 19.
August an nach und nach wieder auf-
genommen. Der Hersteller des Kampf-
hubschraubers hatte der Bundeswehr
Anfang August mitgeteilt, dass be-
stimmte Bolzen Materialmängel auf-
weisen könnten.

BERLIN


Mehr Steuerprüfungen


bei Vermögenden


Berlins rot-rot-grüne Koalition will
sich im Bundesrat für regelmäßige
Steuerprüfungen bei Menschen mit
hohem Einkommen einsetzen. Die
Fraktionen wollen mit einer Gesetzes-
änderung erreichen, dass sich soge-
nannte Steuerpflichtige mit bedeuten-
den Einkünften mindestens alle drei
Jahre einer Prüfung unterziehen müs-
sen. Verfassungsrechtliche Bedenken
bestünden nach einem Gutachten des
Wissenschaftlichen Diensts des Bun-
destags nicht. Als „Steuerpflichtige mit
bedeutenden Einkünften“ gelten in
Deutschland Menschen mit einem zu
versteuernden Einkommen von mehr
als 500.000 Euro. Bei ihnen dürfen die
Länderfinanzverwaltungen auch ohne
konkreten Anlass eine Prüfung vor-
nehmen.

ISRAEL


US-Abgeordnete


dürfen nicht einreisen


Israel verwehrt zwei demokratischen
US-Kongressabgeordneten die Ein-
reise. Die Regierung sei dagegen, die
Abgeordneten Rashida Tlaib und Ilhan
Omar wie geplant das Land besuchen

zu lassen, gab die stellvertretende
israelische Außenministerin Zipi Hoto-
vely in einem Interview zu verstehen.
Es sei vereinbar mit der Politik, denje-
nigen, die für Boykotte gegen Israel
einträten, die Einreise zu verweigern.
US-Präsident Donald Trump hatte kurz
zuvor bei Twitter mitgeteilt, dass eine
Einreiseerlaubnis „große Schwäche“
zeigen würde. Die Musliminnen Omar
und Tlaib sind Kritikerinnen der israe-
lischen Haltung gegenüber den Palästi-
nensern. Sie setzen sich für einen Boy-
kott gegen das Land ein. Tlaibs Familie
ist aus dem Westjordanland in die USA
emigriert. Der israelische Botschafter
in den USA, Ron Dermer, hatte noch
im Juli gesagt, dass Israel keinem Mit-
glied des US-Kongresses die Einreise
verwehren werde.

GIBRALTAR


Gericht gibt iranischen


Öltanker frei


Das Oberste Gericht des britischen
Überseegebiets Gibraltar hat das Aus-
laufen des seit Anfang Juli dort fest-
gesetzten iranischen Öltankers
„Grace 1“ erlaubt. Ein Antrag der US-
Regierung, das Schiff dauerhaft zu
beschlagnahmen, wurde verworfen.
Großbritannien hatte die mit ira-
nischem Erdöl beladene „Grace 1“ mit
der Begründung festgesetzt, dass sie
im Verstoß gegen EU-Sanktionen
Erdöl nach Syrien habe transportieren
wollen. Laut einem Zeitungsbericht
habe Gibraltars Regierungschef Fabi-
an Picardo eine schriftliche Erklärung
der iranischen Regierung erhalten,
dass das Ölladung nicht in Syrien
gelöscht werde. Der Iran hatte im
Gegenzug einen britischen Tanker
fffestgesetzt. Über dessen Schicksal istestgesetzt. Über dessen Schicksal ist
noch nichts bekannt.

GROSSBRITANNIEN


Corbyn plant Revolte


gegen Premier


Der britische Labour-Chef Jeremy
Corbyn will vorübergehend als Pre-
mierminister das Steuer übernehmen,
um einen EU-Austritt Großbritan-
niens ohne Abkommen mit Brüssel zu
verhindern. Weniger als 80 Tage vor
dem Brexit drängt der 70-Jährige die
Parteien im Parlament, den konser-
vativen Regierungschef Boris Johnson
mit einem Misstrauensvotum aus dem
Amt zu drängen. Als Premier will
Corbyn den Brexit hinauszögern,
Neuwahlen ausrufen und ein neues
Referendum über die EU-Mitglied-
schaft auf den Weg bringen. Das
schrieb er in einem Brief an die Chefs
der anderen Oppositionsparteien und
an Rebellen der regierenden Konser-
vativen Partei. Das Schreiben ver-
öffentlichte Corbyn auch im Kurz-
nachrichtendienst Twitter. „Unsere
Priorität sollte es sein, im Parlament
zusammenzuarbeiten, um einen stark
schädigenden No-Deal-Brexit zu ver-
hindern“, heißt es darin. Der Chef der
britischen Sozialdemokraten hofft,
viele Kritiker auf seine Seite ziehen zu
können, wenn seine Zeit als Premier
klar befristet ist.

KOMPAKT


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