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n den USA leben schätzungsweise 90 Millionen
Hunde und 94 Millionen Katzen. Ihre Besitzer
geben für Futter und Pflege jährlich 44 Milliar-
den Dollar aus, Tendenz stark steigend. Der
größte Teil davon entfällt mit 42 Prozent auf
Tierärzte oder Tierkliniken.
VON MICHAEL GASSMANN
Es ist ein Markt ganz nach dem Geschmack der
JAB Holding, dem Investmentvehikel der ebenso
vermögenden wie verschwiegenen deutschen Milli-
ardärsfamilie Reimann. Erst im Februar kaufte das
Familien-Office für 1,2 Milliarden Dollar (umgerech-
net 1,09 Milliarden Euro) die Mehrheit an einem
amerikanischen Tierklinikbetreiber mit dem pro-
grammatischen Namen Compassion-First, über-
setzt etwa „Mitgefühl zählt“. Erst fünf Jahre zuvor
von John Payne, einem früheren Bayer-Manager, ge-
gründet, betreibt das Unternehmen heute 41 durch-
weg florierende Häuser in gut einem Dutzend Bun-
desstaaten. „Wir freuen uns, dass wir mit John und
seinem Team am weiteren Erfolg von Compassion-
First arbeiten können“, sagte David Bell, Partner bei
JAB, nach Abschluss des Deals.
Gute Nachrichten kann die verzweigte Familien-
holding der Reimanns derzeit gut gebrauchen. Sie
steuert Dutzende bekannte Weltmarken, legt selbst
aber wenig Wert auf Öffentlichkeit. Die Limogeträn-
ke Snapple, Schweppes und 7up, Kaffeemarken wie
Jacobs, Senseo und Douwe Egberts, Haarpflege von
Wella sowie Dutzende Parfums von Hugo Boss bis
Bruno Banani gehören zum Reimann-Reich. Ebenso
wie Clearasil gegen Pickel im Gesicht, Calgon gegen
Kalk in der Waschmaschine und Durex-Kondome
für sicheren Sex.
Trotz all dieser weltweit erfolgreichen Marken
und Produkte: Fast 200 Jahre nach der Unterneh-
mensgründung zeigen sich Erschütterungen an etli-
chen Ecken. Vieles läuft nicht mehr rund im Imperi-
um des aus der Kurpfalz stammenden Clans. So
weist die übergeordnete Luxemburger JAB Holding
Company für das vergangene Jahr einen Verlust von
852 Millionen Euro aus, wie aus dem Geschäftsbe-
richt hervorgeht. Im Jahr 2017 hatte sie noch einen
Gewinn von 107 Millionen Euro abgeworfen.
Das Image des Konzerns wird zugleich von der
Enthüllung verdüstert, dass der langjährige Firmen-
inhaber Albert Reimann senior und sein Sohn Albert
Reimann junior überzeugte Nationalsozialisten und
Antisemiten waren. Recherchen von „Bild am Sonn-
tag“, die wie WELT zum Verlag Axel Springer ge-
hört, brachten im Frühjahr zutage, dass Vater und
Sohn lange vor der „Machtergreifung“ an die SS ge-
spendet hatten und der NSDAP beigetreten waren,
dass sie Zwangsarbeit, Misshandlungen und Folter
in ihrer mittelständischen Chemiefirma duldeten
und zum Teil förderten.
In der Nachkriegszeit kamen sie dank juristi-
scher Winkelzüge glimpflich davon und konnten
bereits ab Ende der 40er-Jahre wieder an ihrem
wirtschaftlichen Aufstieg arbeiten. Über Jahrzehn-
te hinweg wurde das dunkle Kapitel verschwiegen.
Eine Aufarbeitung fand spät und hinter verschlos-
senen Türen statt – erst die Enthüllungen vor eini-
gen Monaten beendeten eine jahrelange Epoche der
Relativierungen. „Reimann senior und Reimann ju-
nior waren schuldig. Die beiden Unternehmer ha-
ben sich vergangen, sie gehörten eigentlich ins Ge-
fffängnis“, sagte JAB-Holding-Chef Peter Harf derängnis“, sagte JAB-Holding-Chef Peter Harf der
„Bild am Sonntag“.
Dabei hätten sich die Chemiefabrikanten gar
nicht politisch anbiedern müssen, um aufzusteigen.
Als die Nazis an die Macht kamen, existierte ihr Un-
ternehmen bereits seit weit mehr als hundert Jah-
ren. Vorfahr Johann Adam Benckiser, dessen Initia-
len für den heutigen Holdingnamen Pate stehen,
gründete bereits 1823 eine erste Salmiakhütte in
Pforzheim. Knapp drei Jahrzehnte später schloss er
sich mit dem Chemiker Ludwig Reimann in Durlach
zusammen, um eine Produktion von Wein- und Zi-
tronensäure aufzuziehen und wenig später mit ei-
nem Werk in Ludwigshafen bei Phosphaten einzu-
steigen. Über Jahrzehnte hinweg existierte die Fir-
ma als mittelgroßes Familienunternehmen.
Zum milliardenschweren Konzern wuchs es erst
in den 1980er-Jahren heran. Seine Besitzer zählen
heute mit einem mal auf 15 Milliarden, mal auf über
30 Milliarden Euro geschätzten Vermögen zu den
reichsten Deutschen. Vier Adoptivkinder des 1984
verstorbenen Firmenerben Albert Reimann junior
teilen es größtenteils unter sich auf: die Geschwister
Renate Reimann-Haas und Wolfgang Reimann sowie
deren jüngere Halbbrüder Stefan und Matthias Rei-
mann-Andersen. Die nächste Generation mit zehn
Nachkommen ist über die Holdings Donata und Pa-
rentes mit dem Firmengeflecht verwoben. Die Rei-
mann-Erben leben heute durchweg in der Schweiz,
in Österreich oder in Italien. Auch die geschäftli-
chen Entscheidungen fallen nicht mehr an Rhein
und Nagold, die Zentrale hat ihren Sitz im steuer-
günstigen Luxemburg. Das operative Geschäft lenkt
die Gruppe unter anderem von Wien aus.
Als Architekt des bestehenden Firmenkonstrukts
gilt der 73-jährige Harf. Kurz nachdem die Familie
den einstigen Boston-Consulting-Berater und Har-
vard-Absolventen Anfang der 80er-Jahre angeheuert
hatte, begann ein grundlegender Umbau des Kon-
zerns. Ein erster großer Schritt war die Übernahme
des Kosmetikherstellers Coty Anfang der 90er-Jahre
vom amerikanischen Pharmakonzern Pfizer. 1999
setzte Harf die Fusion von Benckiser, damals eine
Gesellschaft niederländischen Rechts und an der
Amsterdamer Börse notiert, mit dem britischen
Konzern Reckitt & Colman um. Reckitt Benckiser
ist heute mit Clearasil, Calgon, Scholl-Fußpflege
und anderen Marken einer der wichtigsten Herstel-
ler von Körperpflege- und Reinigungsmitteln.
Im Jahr 2012 stieg die Familie ins Kaffeegeschäft
ein. Harf kaufte zunächst die amerikanischen Röster
Peet’s Coffee und Caribou auf. Ein Jahr später be-
schloss der Konsumgüterkonzern Sara Lee die Tren-
nung von D.E. Master Blenders, Holland-Urlaubern
durch die Marke Douwe Egberts bekannt. Harf griff
zu. Zwei Jahre später stellte der US-Lebensmittel-
riese Mondelez seine Kaffeesparte mit Jacobs ins
Schaufenster. Wieder war JAB zur Stelle. Der Fir-
menlenker hatte ein sicheres Geschäft gewittert.
„Der Großteil der Bevölkerung trinkt Kaffee“, sagte
Harf damals WELT. Sogar in der Finanzkrise sei der
Konsum nicht gesunken. Und China stehe als Kaf-
feenation erst ganz am Anfang.
Margenstarke Geschäfte mit Endverbrauchern in
sicheren Wachstumsmärkten – das ist die strategi-
sche Klammer von Harfs Politik. Auch der nun voll-
zogene Einstieg ins Geschäft mit Tiergesundheit
passt in dieses Muster. Zur Finanzierung werden
Beteiligungen verkauft, die nicht mehr passen, oder
Minderheiten der kontrollierten Unternehmen an
die Börse gebracht. So war es bei Coty, heute in
New York notiert, und bei Reckitt Benckiser, an der
JAB nur noch einen geringen Anteil hält. In den
nächsten zwei bis drei Jahren will Harf Anteile der
Zwischengesellschaften Acorn Holding und Pret Pa-
nera an die Börse bringen, die die Kaffeemarke Ja-
cobs Douwe Egberts und Restaurantketten wie Pret
A Manger steuern.
Dann wird sich zeigen, ob der Verlust im vergan-
genen Jahr lediglich ein kleiner Ausrutscher in einer
großen Erfolgsgeschichte war – oder doch ein Indi-
kator für Verwerfungen in Reimanns Reich, in dem
zuletzt längst nicht mehr alles funktionierte.
Vom Geschäft mit Luxusgütern (Bally, Jimmy
Choo) trennte sich das Unternehmen 2018 nach we-
nigen Jahren, nur Restbestände sind von dem Be-
reich noch übrig. Ein regelrechtes Sorgenkind ist in-
zwischen die Parfumtochter Coty. Sie hatte vor vier
Jahren, ganz nach Harfs bewährtem Investmentre-
zept, populäre Düfte vom Konsumgüterkonzern
Procter & Gamble übernommen: Escada, Joop, Hu-
go Boss, Playboy und drei Dutzend weitere, dazu die
Haarpflege von Wella.
Für einen Kaufpreis von 12,5 Milliarden Dollar
schwang sich das Unternehmen damit zur globalen
Nummer drei der Branche hinter L’Oréal und Estée
Lauder auf. Doch die Integration erwies sich als
schwieriger denn gedacht. Mittelpreisige Duftwäs-
ser waren plötzlich weniger gefragt, die Firmenkul-
turen wollten nicht so recht verschmelzen, das Ge-
schäft lahmte.
Die Risse wurden auch nach außen sichtbar. Meh-
rere Topmanager von Coty gingen, teils „aus fami-
liären Gründen“, teils unkommentiert. Und kaum
hatte JAB-Spitzenmanager Bart Becht, ein langjähri-
ger Wegbegleiter von Harf, im Januar überraschend
seinen Rückzug angekündigt, erhöhte Harf für 1,
Milliarden Dollar den Anteil von JAB an der kriseln-
den Parfumbeteiligung von 40 auf 60 Prozent. Beob-
achter sehen einen Zusammenhang – und der Ge-
schäftsbericht legt die ganze Dimension des Kon-
fliktpotenzials offen. Zum Jahresende 2018 lag der
Wert der Coty-Beteiligung bei 1,72 Milliarden Euro,
3,18 Milliarden weniger als zwölf Monate zuvor. Die
Abschreibung war der Hauptgrund für die roten
Zahlen der Holding.
Trotz alledem zählen die Reimanns weiter zu den
vermögendsten Menschen des Landes. Mitgefühl
werden sie nicht nötig haben, auch wenn das bei ih-
rer Neuerwerbung Compassion-First Teil des Ge-
schäftsmodells ist.
Das Reimann-
IMPERIUM
Ein verschwiegener Unternehmer-Clan aus Deutschland ist mit
geschickter Beteiligungspolitik in die Milliardärsliga aufgestiegen.
Doch nun scheint das Glück den Konzern zu verlassen
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17.08.19 Samstag, 17. August 2019DWBE-HP
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