Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1

D


ie Frau ist zornig. Und macht
schnell deutlich, warum. Über
tiefen, abgehackten Bässen rappt
sie, rau und getrieben, gegen
»all eure Sarrazine« an, gegen die »Bild«-
Zeitung. Darüber, dass niemand an sie
geglaubt habe. Dass sie die Straßen nie-
derbrennen werde. »Tut mir leid«, rappt
sie, »wir sind keine Friends.«
Die Frau heißt Ebru Düzgün, ist 29 Jah-
re alt. Als Rapperin nennt sie sich Ebow,
nach einer kurdischen Kurzform ihres
Namens. Im Frühjahr hat sie ihr drittes
Album bei dem österreichischen Indepen-
dent-Label Problembär Records veröffent-
licht, »K4L«, kurz für »Kanak for Life«:
»Kanak*in auf Lebenszeit«.
»K4L« wirkt fast wie ein Soundtrack
zum Zeitgeist, ist das Album zu den vielen,
immer radikaler geführten Identitäts- und
Geschlechterdebatten dieser Tage, zu den
Fragen, wer man ist, wozu man gehört.
Düzgün lebt in Wien. Beim Interview, in
einem Café im 7. Bezirk, wirkt sie nicht wü-
tend, sondern höflich. Gleich zu Beginn fragt
sie den Fotografen, der ein Stativ und Lam-
pen dabeihat, ob sie ihm beim Tragen helfen
könne. Sie ist zum Architekturstudium nach
Wien gezogen, vordergründig zumindest.
Eigentlich aber der Musikszene wegen, sagt
sie dann. Musiker aus Wien setzen seit eini-
gen Jahren die Standards im deutschsprachi-
gen Pop: Bands wie Bilderbuch, Wanda oder
der dadaistische Rapper Yung Hurn. Über
den reden gerade die Hipster am Nebentisch,
während Düzgün ihre Geschichte erzählt.
Geboren wurde sie in München, als
Tochter alevitischer Kurden. Aufgewach-
sen ist sie erst in einem Hochhausviertel
an der Münchner Stadtgrenze, dann in
Giesing, das glamouröse München ist hier
weit weg. Ihre Mutter arbeitet bei der Post,
ihr Vater beim Sperrmüll. Ihr Großvater
war als Gastarbeiter aus der Türkei nach
Deutschland gekommen.
Heute rappt seine Enkeltochter: »In mir
steckt der Zorn meiner Oma, meiner Mama,
meiner Tanten drin.« Im selben Song wen-
det sie sich »an alle Nazilehrer, die meinten:
›Du wirst nie etwas erreichen‹«.
Im Gespräch sagt sie: »Unsere Schule
war racist as fuck.« Ihre Grundschullehrerin
habe sie auf die Hauptschule schicken wol-
len, wie die anderen »Kanak-Kids« in der
Klasse, ihre Mutter setzte sich aber dafür
ein, dass ihre Tochter einen Eignungstest
für die Realschule macht. Düzgün bestand.


Vieles, was sie im Alltag erlebe, die ko-
mischen Blicke, die dummen Sprüche, neh-
me sie nicht mehr wahr. Sie habe sich da-
ran gewöhnt, sagt sie und stellt sich jetzt
selbst eine Frage: »Wie abgestumpft muss
man sein, um so etwas Negatives einfach
an sich abprallen zu lassen?« Sie kenne es,
auf der Straße beschimpft, im Amt anders
behandelt oder auf der Polizeiwache aus-
gelacht zu werden.
Was Düzgün da erzählt, erinnert an
die vielen ähnlichen Geschichten junger
Menschen mit Migrationshintergrund, die
im Sommer 2018 unter dem Hashtag
#MeTwo durch die sozialen Medien gingen
und in einer Debatte über den Umgang mit
dem Nationalspieler Mesut Özil gipfelten.
Der deutsch-türkische Fußballer hatte
damals dem DFB-Präsidium Rassismus
vorgeworfen und seinen Rücktritt aus der
Nationalmannschaft bekannt gegeben.
Dem war ein Foto von ihm an der Seite des

türkischen Präsidenten Recep Tayyip Er-
doğan vorausgegangen. Schnell wurde eine
Grundsatzdebatte aus der Sache: War Özils
Reaktion berechtigt oder übertrieben?
Für Ebow ist die Antwort klar. »Erdoğan
und ich sind sicher keine Friends«, rappt
sie. »Trotzdem sitze ich mit Özil immer
noch im selben Boot, nein, selben Benz.«
Auf »K4L« beschränkt sie sich nicht da-
rauf, rassistische Erfahrungen zu schildern.
Es geht ihr auch um die sogenannte kul -
turelle Aneignung, derzeit ein wichtiges
Thema der jungen akademischen Linken.
Die Frage, ob es in Ordnung ist, sich die
Gepflogenheiten anderer Kulturkreise zu
eigen zu machen.
Ebow rappt von »Almans«, von Deut-
schen, die beim »Berber«, also beim Fri-
seur säßen und den »Hafti-Schnitt« woll-
ten, die kurz geraspelte Frisur des Offen-
bacher Rappers Haftbefehl, der türkische
Wurzeln hat. »Mach nicht auf Kanake,
Junge«, fordert sie dann.
Im Februar ist ein Sammelband erschie-
nen, der sich dem Leben in Deutschland
aus Sicht von Minderheiten widmet. Er

heißt »Eure Heimat ist unser Albtraum«.
Eine der Herausgeberinnen, die iranisch-
stämmige Journalistin Hengameh Yaghoo-
bifarah, hat einen Gastauftritt auf »K4L«.
»Kauft euch gerne so viel Hummus und
Ayran, wie ihr wollt«, sagt sie da, adres-
siert an »alle Almans«, »aber tut auf social
media nicht so, als ob ihr plötzlich Blut-
gruppe Ayran wärt.«
Aber ist nicht jede kulturelle Entwick-
lung immer ein Akt der Aneignung gewe-
sen? Kann nicht auch etwas Positives darin
liegen, die Codes einer Kultur zu überneh-
men, zu der man ursprünglich nicht gehört
hat? Das Gegenteil davon wäre schließlich
eine hermetische kulturelle Identität, das,
was die Rechte fordert.
»Das Ding ist«, sagt Düzgün, »die Kids,
die das jetzt machen, sind im Grunde die
gleichen Kids, die mich und meine Freun-
de in der Schule als minderwertig gesehen
haben.« Es sei ein Trend. »Wir sind aber
kein fucking Trend.« Sie meint: »Ich kann
nicht Musik für alle machen. Es ist okay,
wenn Leute sich dadurch angegriffen füh-
len. Es ist sogar gut, weil sich dadurch viel-
leicht etwas ändert.«
Düzgün wohnt nicht weit weg von dem
Wiener Café, in dem das Interview stattge-
funden hat, in einer WG. In ihrem Zimmer
liegt Yaghoobifarahs Sammelband neben
Goethes »West-östlichem Divan« und Ed-
ward Saids Standardwerk »Orientalismus«.
An einer Wand hängt eine Flagge. Schwarz-
Orange-Rosa. MIA steht drauf. In den Nul-
lerjahren war die gleichnamige Musikerin
M.I.A. die erste Vertreterin einer neuen
Welle: der jungen, radikalen Migrantinnen
im Pop. Sie ist eines von Düzgüns Idolen.
Musik, so hat Düzgün selbst mal gesagt,
sei für sie ein bisschen wie Heimat. In der
Türkei fühle sie sich nicht sicher, ins Dorf
ihrer Familie sei sie zuletzt vor 17 Jahren
gereist. Aber auch in Österreich und in
Deutschland empfinde sie keine wirkliche
Sicherheit.
Die Geschichte von Ebru Düzgün ist die
Geschichte einer Postmigrantin unter den
Vorzeichen der Globalisierung in Politik
und Kultur: Als sie ein Kind war, sang ihr
Vater ihr kurdische Volkslieder vor. Ihre
Mutter hatte früher, noch in der Türkei,
politische Gedichte geschrieben. Dazu
kam der Polit-Rap von Public Enemy, den
ihre Onkel und Cousins hörten; die Video-
clips des R-’n’-B-Trios Destiny’s Child, die
ihre Tanten schauten. In der Schule schrieb

110 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019

Kultur

Alles Wut


Hip-HopDer Soundtrack zur Identitätsdebatte: Ebru Düzgün, die sich als Rapperin Ebow


nennt, macht das Lebensgefühl junger Migrantinnen zum Thema.


»Es ist gut, wenn Leute
sich angegriffen fühlen,
weil sich dadurch
vielleicht etwas ändert.«
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