Die Welt Kompakt - 13.08.2019

(Barré) #1

KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,13.AUGUST2019 SEITE 20


W


ir haben Becker
und Graf gegen-
einander antre-
ten lassen, in den
Achtzigern, in den Sommerferi-
en. Mein Cousin und ich. Er war
Boris und ich Steffi. Wir spiel-
ten Federball hinterm Sommer-
haus in der Uckermark, über
uns der blaue Himmel von
Wimbledon und unser Match
wurde live in die ganze Welt
übertragen.
20 Millionen Fernsehzuschau-
er allein in Deutschland! Also
prüften wir vor dem Aufschlag
die Bespannung unserer Feder-
ballschläger, ließen sie lässig an
unsere Schuhsohlen tippen, war-
fen den Federball in die Luft, hol-
ten Schwung und droschen direkt
auf den Mann.
Ich war nicht nur Steffi, son-
dern kommentierte das Gesche-

hen auch live, wobei Boris nicht
besonders gut wegkam.
Die von Steffi gewohnt souve-
räne Angabe konnte von Boris er-
wartungsgemäß nicht pariert
werden. Aufschlag Boris. Der zer-
rupfte Federball surrte durch die
Luft und blieb im schlaffen Netz
von Steffis miesem Schläger ste-
cken. Steffi holte aus, und dann
hatte Boris sich mal wieder ver-
kalkuliert, und der Ball traf nicht
aufs Schlägernetz, sondern aufs
Rahmenholz.
„Holz!“, brüllte Steffi. Dann
rannten Boris und Steffi um die
Wette zu dem versprungenen
Ball und warfen ihre Schläger
drauf. Steffi war schneller als Bo-
ris, der Ball lag unter ihrem
Schläger, sie machte blitzschnell
eine Angabe und Boris musste
rennen, um den Ball zurückschla-
gen zu können.

Das Turnier musste unterbro-
chen werden, weil Boris sich
nun höchst unfair und unsport-
lich auf Steffi gestürzt hatte.
Mit Boris’ Knien auf ihren Ober-
armen und ihren Fingern in sei-
nen Nasenlöchern stimmte sie
dem Kompromiss zu, das Match
fffortan nicht mehr zu kommen-ortan nicht mehr zu kommen-
tieren.
Wenn die blasse Kuppe des Fe-
derballs im Nachthimmel nicht
mehr rechtzeitig zu erkennen
war, ließen Steffi und Boris die
Federballschläger müde ins Gras
fallen und gingen ins Haus. Drin-
nen machte die Tante Ärger. „Wo
sind die Schläger? Hebt die Schlä-
ger auf!“
Wenn am nächsten Tag dann
alle zum See fuhren, blieb ich im
Haus und sah „Unsere kleine
Farm“ auf dem Schwarz-Weiß-
Fernseher in der Stube.

Draußen war es heiß, aber ich
saß drinnen bei geschlossenen
Fensterläden und ruckelte an der
Antenne auf dem Fernseher, weil
das Bild krisselte. Michael Land-
on hob Laura neben sich auf den
Kutschbock und drückte ihr die
Zügel in die Hand. Oh, wie sehr
ich sie beneidete!
Mir hatte Mutter kürzlich mal
wieder einen Mireille-Mathieu-
Topfschnitt verpasst, weil das
eben gerade so Mode war und sie
mir vorher versprochen hatte,
dass sie meine Haare „nur ein ganz
kleines Stückchen“ abschneiden
wollte. Aber Laura hatte zwei di-
cke lange Zöpfe und Michael
Landon. Steffi hatte Peter Graf.
Ich hatte keinen Papa. Nie-
manden, der mich vor Mutter
und ihrer Schere in Schutz ge-
nommen hätte. Nach jedem Sieg
rannte Steffi als Erstes zu Peter

HANNAH HERZBERG

(5)

Der Himmel


über Wimbledon


Heute vor zwanzig Jahren erklärte Steffi Graf ihren Rücktritt. Erinnerungen


an eine verlorene Ästhetik. Text: Ruth Herzberg, Bilderserie: Hannah Herzberg


LITERATURARCHIV

Neue Handschriften
von Lasker-Schüler

Zum 150. Geburtstag von Else
Lasker-Schüler kann das
Literaturarchiv Marbach
seine Handschriftensamm-
lung der Dichterin um eine
bislang wenig bekannte
Sammlung ergänzen. Die
Stücke stammen laut Archiv
aus dem Besitz des Verlegers,
Kunsthistorikers und Schrift-
stellers Franz Glück (1899-
1981), dessen umfangreiche
Bibliothek sich bereits seit
1982 in Marbach befindet.

K-POP-STARS

Band BTS darf
Auszeit nehmen

Die derzeit wohl erfolgreichs-
te K-Pop-Band BTS braucht
eine Pause. Die sieben Korea-
ner („Idol“) würden sich zum
ersten Mal seit ihrem Debüt
eine „offizielle und ausführ-
liche Phase der Ruhe und
Entspannung“ gönnen, teilte
das Management am Sonntag
auf Twitter mit. Die Auszeit
würden sie nutzen, um ihre
Batterien aufzuladen.

KOMPAKT


H


ersteller von Wegwerf-
artikeln sollen nach
dem Willen von Svenja
Schulze künftig eine Abgabe
für ihre Produkte bezahlen,
denn bisher kam die Allge-
meinheit für die Beseitigung
des Mülls auf. Zunächst muss
aber die Frage geklärt werden,
was eigentlich kein Wegwerf-
artikel ist? Alles, was so schwer
wiegt, dass man es nicht mit
einer unwirschen Handbewe-
gung wegschleudern kann, ist
mit großer Wahrscheinlichkeit
kein Wegwerfartikel. Wasch-
maschinen, Stereoanlagen,
Thermomixe oder Schrank-
wände sind zur spontanen
Entsorgung eher ungeeignet.
Anders sieht es bei Coffee-to-
go-Bechern und Zigaretten
aus, die bereits ein Viertel der
Fläche der Bundesrepublik be-
decken. Das hat katastrophale
Folgen. Giftige Stoffe aus Ziga-
rettenfiltern sickern ins
Grundwasser, Kaffeereste aus
Pappbechern ebenfalls. An vie-
len Orten ist der Boden bereits
so stark mit Koffein angerei-
chert, dass Pflanzen dort keine
Ruhe mehr finden. Wenn die
Hersteller die Abgabe vermei-
den wollen, müssen sie in Zu-
kunft Zigaretten so schwer
machen, dass man sie nicht
mehr wegwerfen kann.

Zippert


zappt

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