Der Tagesspiegel - 18.08.2019

(Axel Boer) #1

Einmal


drüber schlafen


B


evor ich meine Augen öffne,
drehe ich mich noch einmal
um. Es ist hell, bestimmt schon
elf Uhr. Ich strecke den Arm
aus und öffne den Reißver-
schluss an der Zeltwand hinter mir, ste-
cke den Kopf durch die Fensterklappe –
und blicke aus etwa zwei Metern Höhe
auf ein buntes Dorf aus Zelten.
Zwei-Mann-Iglus, Tipis, Pavillons,
auch ein paar Wohnmobile sind dabei.
Drüben an der Wasserstation tummeln
sich die Leute, putzen sich die Zähne
oder füllen ihre Flaschen auf. Mehr als
30 Grad sind für heute angesagt.
Ich befinde mich auf einem Zeltplatz
ein paar Stunden von Berlin entfernt, auf
einer Wiese am Waldrand nahe einem
See mit klarem Wasser. Genauer gesagt
liege ich eine Etage höher als alleanderen
in einem Zelt, das auf das Dach meines
Jeeps montiert ist. Und schon nach der
ersten Nacht ahne ich, dass das eine sehr
gute Idee war.
Eine leichte Brise durchweht das Zelt.
Ich öffne das gegenüberliegende Fenster
und schalte auf Durchzug. Muff ist schon


mal kein Thema. Nur einer von vielen
Vorteilen, wie sich herausstellen wird.
Denn offenbar ist es kein Naturgesetz,
dass nach einem Camping-Ausflug die
Knochen knacken. In meinem Dachzelt
liegt eine futonartige Schaumstoffma-
tratze, knapp zehn Zentimeter dick. Sie
ist bequemer als eine Isomatte, ich
musste sie nicht aufblasen wie eine Luft-
matratze, und es verbreiten sich auch
keine Schockwellen, wenn sich die an-
dere Person mal umdreht. Neben mir
schläft noch tief und fest eine Freundin.
Nie zuvor war ich nach einer Nacht im
Zelt so ausgeruht. Und ich habe schon
viele Nächte in Zelten verbracht.
Als Kind war der alljährliche dreiwö-
chigeSommerurlaub mitFamilieund Ver-
wandtschaft eine lange Tradition, die uns
insgesamt elf Kindern bereits während
der langen Fahrten im Wohnwagen-Kon-
voi nach Italien oder Südfrankreich jede
Menge Spaß brachte. Urlaub ab der ers-
ten Minute! Unsere sechsköpfige Familie
verteilte sich während der Fahrt relativ
locker in einem Ford Transit, in dem
selbst der große Hund und manchmal
noch meine Nähmaschine Platz fanden.
Auch zum Schlafen wurde der Bus am
Urlaubsort benutzt, umdie beengte Situa-
tion im Wohnwagen etwas zu entschär-
fen. Ein Zelt als Alternative kam uns Kin-
dern damals noch als Rückschritt in die
Steinzeit vor. Erst als Teenager bemerk-
ten wir die Vorteile, die Freiheit, einfach
spontane Trips machen zu können. Und
das nutzten wir.
Um die spezifischen Vorteile von Zel-
ten, die man aufs Autodach montieren
kann, wusste ich nicht. Dabei gibt es sie
schon lange. Sie waren wohl bei meinen
Eltern und Großeltern in jungen Jahren
der letzte Schrei, vor allem in der DDR
waren sie beliebt, dort schnallten sich
viele das Fabrikat „Müller – Autodach-
zelt“ auf den Trabant. Ich hingegen hatte
sie mir bisher immer nur von unten ange-
sehen und nicht weiter darüber nachge-
dacht.
Irgendwann im vergangenen Sommer
erinnerte ich mich aber daran. Ich arbeite
als Designerin und Falt-Künstlerin, ver-
diene also mit dem Zusammenlegen ver-
schiedenster Objekte meinen Lebensun-
terhalt. Gerade ging es in einem neuen
Projekt um auffaltbare Räume – und
wenn ich doch ohnehin alles in Falten
legte,warumnicht auch meineeigene Be-
hausung?
Ich wurde also neugierig. Und da ich
meinen alten weißen Jeep liebe und ab
und an auch damit verreise, bot es sich
an, ihn per Dachaufbau kurzzeitig zum
Wohnmobil zu machen – und mit Freun-
den auf den Zeltplatz zu fahren.
Ich erhebe mich von der Matratze und
freue mich, mit dem Kopf nicht an die
Plane zu stoßen, sondern aufrecht sitzen
zu können. Es ist massenhaft Platz in die-
sem Camper-Himmelbett. Dabei habe
ich nur ein Single-Zelt gemietet, 214 mal
122 Zentimeter Liegefläche. Klein und
kompakt, dachte ich. Als das sandfarbene
Teil aber wie eine kleine Villa auf mei-
nem Jeepdach thronte, gab meine Freun-
din sehr schnell ihren Platz im Nachbar-
zelt auf, um sich oben bei mir einzunis-
ten. Sie schläft übrigens immer noch.

So, aufstehen! Ich ziehe am Reißver-
schluss, öffne langsam die Zelttür und
blicke nach unten. Mit Überblick fühlt
man sich irgendwie frei, integriert in
seine Umwelt, aber mit einem angeneh-
men Sicherheitsabstand zu allem, was
gerade da unten passiert. Die Stimmen
der anderen Camper sind nicht ganz so
präsent.
JederMorgenbeginntmiteinem Balan-
ceakt – ich muss die Leiter hinunterklet-
tern. Ich nehme die ersten drei Sprossen
und schaue auf unser kleines Lager. Drei
Zelte, ein Sonnensegel, Tücher, leichte
Decken und eine aufblasbare Luftmat-
ratze, die zur Couch umfunktioniert
wurde. Ich lasse mich hineinfallen – was
für ein Start in den Tag!
Alle weiteren wichtigen Dinge meines
Outdoor-Hauses befinden sich in der un-
teren Etage: im Jeep. Ihn habe ich zum
Kleiderschrank und Speiselager umfunk-
tioniert. Und als nächtlichen Safe für
meine Kamera, die ich immer bei mir
habe.Ich öffnedie Kofferraumtür, ein Hit-
zeschwall kommt mir entgegen. Puh, das
hat sich oben anders angefühlt.
Vom Vortag bin ich ein wenig verka-
tert, also krabbele ich unter das Auto, um
in der mit Wasser gefüllten Wanne nach
einem kalten Getränk zu suchen. Der mit
einem nassen Handtuch abgedeckte
„Kühlschrank“ hat funktioniert. Neben
Prosecco und Pfefferminzlikör findet
sich noch eine Flasche Mineralwasser.
Bei meiner Google-Suche nach „Dach-
zelt“ war ich zunächst bei einem speziali-
sierten Shop gelandet – und bei den Prei-
senfastvomStuhlgekippt. Also eineVor-
warnung: Es besteht ein großer Unter-
schied zu herkömmlichen Zelten. Man ist
schnell ein paar Tausend Euro los. Dafür
sind die Materialien wertig: Metall und
dicke Baumwolle, sie fühlt sich fast an
wie ein Segel. Natürlich ist das Zelt falt-
bar, alles hat seinen Platz. Funktion und
Technik sind seit 50 Jahren gleich, kinder-
leichtundzuverlässig. Beim Auf- undAb-
bauhat dieKonstruktion ihre großen Mo-
mente: links, rechts, Stoff klappen, hier
falten, Stangen auseinander- oder zusam-
menschieben – und das Nest richtet sich
auf. Oder wird wieder platt gedrückt.
Ein weiterer Vorteil: Man muss so ein
Zelt nicht kaufen. Direkt bei mir um die
Eckein Kreuzbergverleiht dieFirma„Ad-
vamping“ Dachzelte ab 20 Euro pro Tag.
Es gibt sie in allen Variationen: Single,
Doppel, Family, mit Vorzelt oder ohne
und sogar eines namens „Honeymoon“.
Die Preise steigen mit der Größe. Ich
habe angerufen und mich beraten lassen.
Meine erste Sorge war, ob so ein Zelt
überhaupt auf meinen Jeep passen
würde. Mit Ausnahme von Cabrios pas-
sen die Zelte wohl auf fast jede Art von
Auto. Es muss nur einen Dachgepäckträ-
ger geben, der aber notfalls auch gemie-
tet werden kann.
Ich habe mir den Luxus gegönnt, mir
das Zelt von den Verleih-Chefs aufs
Dach montieren zu lassen. Das kostet
extra. Aber erstens wollte ich kein Ri-
siko eingehen, wenn ich mit 120 Kilo-
metern pro Stunde über die Autobahn
fahre. Zweitens wiegt es gut 50 Kilo-
gramm. Zwei Männer haben es für
mich hochgehievt.

Am Zeltplatz war ich dann sehr über-
rascht, wie groß es war, als ich es ausei-
nander faltete. Gestell, Plane, Leiter – al-
les ist integriert in einer Box, sogar der
Futon und das Leintuch dazu. Beim Ver-
leiherhatteich miralles ineiner Trocken-

übung in Ruhe erklären lassen. Der Auf-
bau verlief also problemlos. Zum Glück.
Helfende Händewärennämlich nicht ver-
fügbar gewesen.
Während ich mein eigenes kleines
Hausentfaltete, kämpften meine Freunde

mitihren Zeltstangen undhämmerten He-
ringe ins trockene Gras. Als ich nach ei-
ner Minute fertig mit meinem Aufbau
war, habe ich solidarisch bei ihnen mit
angepackt. Man muss den Neid der ande-
ren ja nicht unnötig schüren.

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Text und Fotos: Jule Waibel


Echte Matratze,


super Belüftung,


fantastischer Blick.


Dachzelte sind


die besseren Zelte,


findet unsere Autorin.


Aber ziemlich teuer.


Lohnt sich das?


SONNTAG, 18. AUGUST 2019 / NR. 23 918 UNTERWEGS DER TAGESSPIEGEL S7


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