Berliner Zeitung - 19.08.2019

(Rick Simeone) #1

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Berliner Zeitung·Nummer 191·Montag, 19. August 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
WoeinstRheuma-PatienteninMoorlagen,schwitzenheuteYogis:
InBadMeinbergamRandedesTeutoburgerWaldes
hateineGruppevonAussteigernihreHeimatgefunden.
UnddenKurortvordemNiederganggerettet:Gestresste,Gescheiterte
undSinnsuchendekommeninMassen,umihreinnereMittezufinden.
EinBesuchimgrößtenAshramEuropas


A

lsChristofferzurWeltkam,sangen
am nächstenMorgen Hunderte
Yogis das SegensmantraMaha
Mrittyuhnjaya,dasbeivielenWie-
derholungenseineWirkungtunsoll.Chris-
toffer,Sohn vonRama undBrit, ist das
Zeugnis einer Ashram-Liebe.Der Junge er-
blicktejedochnichtinIndiendasLichtder
Welt, wo spirituelleGemeinschaften dieser
Artverbreitet sind.Sein Geburtsor tist Bad
Meinberg, einKurortam Rande desTeuto-
burger Waldes,irgendwo zwischenDet-
moldundPaderborn,derseinebestenTage
gesehenhat.HorstSeehofersGesundheits-
reformaus den Neunzigerjahren, wonach
Kassen nicht mehr für alleKurenaufkom-
men dürfen, führte ein Gästehaus nach
demanderenindieInsolvenz.
Im Norden der kleinen Ortschaft fand
YogaVidyaim Jahr2003eineneueHeimatfür
diewachsendeScharseinerYoga-Anhänger.
DerName derGemeinschaft kommt aus
dem Sanskrit und bedeutetWissen. In der
seitsechsJahrenleerstehendenSilvaticum-
Klinik erkannte ihr spiritueller LeiterSuka-
dev Bretz eine siebenstufige Chakra-Pyra-
mide –sob ezeichnenYogis Energie zentren
imKörper.


Misstr auischeBlickederEinheimischen

DerstudierteBetriebswissenschaftlerBretz,
derauseinerwohlhabendenUnternehmer-
familie stammt, erwarb die Klinik zum
Schnäppchenpreisundzogunterdenmiss-
trauischenBlickenmancherEinheimischer
mit rund 30 Anhängernind as Geisterhaus
ein. Undweil der Zulauf, Sukadevs Vision
entsprechend,nichtabriss,erwarbdieserin
den Folgejahren auch noch zweiNebenge-
bäude,zweiweitereverwaisteKurkliniken.
„Wir sind mit mehr als 100000 Übernach-
tungenimJahrmittlerweiledasgrößteAsh-
raminE uropa“, sagt diePressesprecherin
PranabiCzieschowitzheute.
Wo sicheinstRheuma-PatienteninMoor
räkelten, schwitzen heuteYogis auf rutsch-
festen Matten. Vonder Vergangenheitzeu-
gennochgekachelteWändeindenÜbungs-
räumen, massiveWandleuchten ausMilch-
glasindenFlurenundService-Klingelknöpfe
andenGästebetten.
Am Haupteingang begrüßt die neuen
Gäste Ganesha, eine elefantenköpfigeGott-
heit,diefüreinengutenAnfangsteht.Hinter
den Damen an derRezeption hängen drei
mannshoheDisplaysmitdenlaufendenAn-
geboten.2900SeminarehatYogaVidyajähr-
lich im Programm, darunter exotische wie
„Mit Bäumen sprechen“ oder „Schamani-
scheHeiltechniken“.
UrsprünglichwurdemitAshramdieEin-
siedeleieinesindischenAsketenbezeichnet.
HeuteverstehtmandarunterdenRückzugs-
raumvonspirituellenGemeinschaften.Ash-
ramsfindetmanaufdemgesamtenGlobus.
Yoga Vidya betreibt inDeutschland vier
große Ashrams.Der eingetrageneVerein fi-


nanziertsich vorallem durchGebühren für
Yoga-SeminareundLehrerausbildiungen.
EsisteinbuntesVölkchen,dassichunter
dem Dach des Ashrams inBadMeinberg
tummelt.Dasindeinerseitsdiedreifigurbe-
wusstenFreundinnen,dieeinGroupon-Ra-
batt-Angebot angelockt hat.Da sind ande-
rerseits kahlrasierte Mönche undNovizen,
dienichtsGeringeresalsdieErleuchtungan-
streben.
ZudenBewohnerndererstenStundege-
hörtRama,ChristoffersVater,dereigentlich
Karsten Schwab heißt und ausBacknang in
derNähevonStuttgartkommt.DerVaterwar
Metzger,die Mutter Schuhfachverkäuferin,
derBruderarbeitetbeiBosch.AuchKarsten
machtenachderSchuleetwasRechtschaffe-
nes:Ertrug Briefeaus ,bisihnmit27Jahren
dieFreundinverließundseineersteLebens-
krise einsetzte.Erf loh auf die thailändische
Insel KohTao,woera ls Tauchlehrer arbei-
tete.DochselbstamOrtseinerTräume,woer
„mit den schönstenFrauen dasBett teilte“,
wie er erzählt, fand er keinen innerenFrie-
den.NurderGedankeandieMutterhieltihn
davonab,ausdemLebenzuscheiden.
Er reiste weiter,dahin, wo„die freundli-
chenundausgeglichenenMenschenherka-
men. Daswaren entweder Meditierende
oder Yogis.“ So begann seine spirituelle
Reise.SieführteihnüberKlösterinThailand
undAshramsinIndiennachBadMeinberg.
Nicht alle Bewohner des Ashrams haben
so bewegteBiografien wieRama. Andere
kommendirektausdemBerufsleben–etwa
aus Vorstandsetagen,Werbeagenturen oder
Behörden. OdersiesinderstgarnichtinsBe-
rufslebeneingestiegen.„Dadraußengehtes
verdammt hartzu“, stellt ein jungerMann
fest,derseiteinemJahrinderKüchearbei-
tet. „Am liebsten würde ich hier für immer
bleiben.“
Sukadev Bretz –56J ahre, sanfte Stimme,
scharferVerstand –kennt seine Schäfchen
genau.EineGruppeseiendie„draußenGe-

Rama Schwab zeigt mit seinem Sohn Christoffer auf dem Rücken die Krähe, eineYoga-Position. VERA GERSTENDORFF-WELLE (2)


OmzumGruße


VonAkikoLachenmann, Bad Meinberg


AkikoLachenmann
wäre an diesem WLAN-freien Ortohne
Lageplan völligverlorengewesen.

Ganesha, eine elefantenköpfige Gottheit,
begrüßt Gäste am Haupteingang.

scheiterten“, die hierhergeflüchtet sind, um
sichzusammelnundnachzwei,dreiJahren
wiederzuStärkezufinden,sagter.Einean-
dereGruppe seien dieErfolgreichen, die
scheinbaralleserreichthabenunddennoch
eineinnereLeereverspüren.Danngibtesdie
Jungen, die sich beiYoga Vidya orientieren
undausprobierenwollten.„Siearbeitenmal
im Garten, mal imOnline-Marketing, ohne
beijedemWechseldensozialenKontextauf-
zugeben“,sagtSukadev.Undschließlichgibt
es die spirituellInteressierten, dieYoga„tief
lebenwollen“.
RamapasstinalldieseGruppen.Erunter-
richtet mittlerweile angehendeYoga-Lehrer,
istaberaucheinspirituellerLehrer.Wenner
an der Reihe ist, um sechsUhrbeim mor-
gendlichenZusammensein dasPranayama
anzuleiten,eineAtemübung,dieKörperund
Geist zusammen führen soll, steht er bereits
umvier UhraufundpraktiziertYogaim Haus-
flur.Seit Brit und ChristoffervomAshram in
eineWohnunginBadMeinberggezogensind,
bewohntRama wie alle anderenDiener ein
klei nesZ immer .DieDiener ,auchSevakasge-
nannt,arbeiten42StundenproWoche,erhal-
ten30 TageUrlaubim JahrundjenachVerant-
wortungsgrad ein monatlichesTaschengeld
von300bis360Euro.DieSozialversicherung
übernimmtdieGemeinschaft.Sukadev Bretz,
dermitseinerFrauauch nurzweiZimmerbe-
wohnt,bildetdakeineAusnahme.
Trotz der widrigen Arbeitsbedingungen
und gewisserRegeln –keinAlkohol, Tabak,
FischoderFleischundkeineDrogen–zieht
es immer mehrMenschen zuYoga Vidya.
Rund500Männer,FrauenundKinderhaben
BadMeinber gzui hrem Wohnsitzerklärt,um
imAshramzulebenoderzumindestindes-
sen Nähe.Manchebleiben ihr Leben lang.
Etwa 200 Personen stehen derzeit auf einer
Warteliste ,umv onYogaVidyaein Wohnrecht
aufLebenszeitzuerwerben.
LauteinerStudiedesBerufsverbandsder
Yogalehrenden haben 16Proz entder Deut-

schen Yoga-Erfahrung. Davo npraktizieren
aktuell 30Proz ent. AufzehnFrauenkommt
dabei einMann. 86 Proz entfühlen sich
durchdiePraxisentspannterund/oderfitter.
Jens Augspurger erklärtden Erfolg von
Gemeinschaften wieYoga Vidya mit einem
wachsendenBedürfnis nach in derGesell-
schaft gelebterSpiritualität.„DieMenschen
wollen sich heutzutage jedoch selbst ihre
Form der Spiritualität aussuchen und nicht
einfach dieReligion derEltern überneh-
men“,sagtderReligionswissenschaftler,der
an derUniversity of London die „Mobilität
vonspirituellenTradit ionen“erforscht.Yoga
VidyaseideshalbeinebeliebteAdresse,weil
Yoga Körper undSeeleerwiesenermaßen
wohlbekommtundweildarüberhinausein
niedrigschwelliges spirituelles Angebot ge-
macht werde, das mit allenKonfessionen
kompatibelist.DerZeitgeisttueeinÜbriges.
„ÜberallwoGesellschaftenaufLeistungund
Selbstoptimierungausgerichtetsind,wächst
der Drang, aus demMainstre am auszubre-
chen und nach anderenWerten zu leben“,
sagtJensAugspurger.
AnderenBeobachternist der Zulauf of-
fensichtlich suspekt.In einemA rtikel, 2016
erschienen imHandelsblatt, wirdSukadev
als„Seelenfänger“ bezeichnet, der mit dem
Yoga-Boom „dunkle Geschäfte“ machen
wolle.Tatsach eist,dassfürYogaVidyadiesel-
ben Gesetzezum Tragen kommen wie für
KlösterundandereOrtedesRück zugs.„Kei-
ner käme auf dieIdee,denen ‚Seelenfang‘
vorzuwerfen“,sagtAugspurger.

GelbeGewänderimPark
Weresw ohlamehestenbeurteilenkann,sind
diealteingesessenenBadMeinberger ,dieden
Wandel desKurortszum Yoga-Hotspot mit
Sorgesahenun ddieEntwicklungseitJahren
aufmerksambeobachten.
„WennaufeinmalBarfüßigeingelbenGe-
wändernimK urparktanzen,machtmansich
schonsoseineGedanken“,sagtBürgermeis-
ter Stefan Rother über die anfänglicheSkep-
sis.DochseinAmtsvorgänger witterte eine
ChancefürdenerloschenenKurortundemp-
fing dieNeubürger ,nachdem er sich beim
Sektenbeauftragten rückversicherthatte,mit
offenenArmen.
DieBetriebe ,die nach langerStagnation
wieder Mitarbeiter einstellen, danken es
ihm.YogaVidyagiltalsguterKunde.Auchdie
Kurtaxefließtwieder.Dastörtesn icht,wenn
aufder Straßemit„Om“gegrüßtwirdundan
denExternsteinen–dieFelsformationistein
beliebtesAusflugsziel fürTouristen–nun
auch Heil-und Transformationsritualestatt-
finden.„JedersollaufseineArtglücklichwer-
den“,sagtBürgermeisterRother.

Herford

Bielefeld

Detmold

Paderborn
5km

BLZ/HECHER

NORDRHEIN-
WESTFALEN

A

A

Bad Meinberg
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