National Geographic Germany - 08.2019

(WallPaper) #1

BEWUSST LEBEN (^) | GENIAL GEDACHTE PROJEKTE (68)
Caroline Pfützner macht sich gern
die Hände schmutzig: Ihre fruchtbare
schwarze Erde stellt sie immer noch
selbst her. Die Terra Preta bringt Nähr-
stoffe zurück in den Boden.
CAROLINE PFÜTZNER STELLT ERDE NACH DEM MODELL DER TERRA
PRETA HER: DIE HILFT PFLANZEN BEIM WACHSEN UND DEM KLIMA.
W
er im Tiroler Örtchen Schwendt
einer engen Waldstraße folgt,
den fesselt die Natur. Der Blick
schweift endlos über Felder, auf
die Berge – und bleibt schließ­
lich in einem kleinen Garten
hängen, den kein Zaun von der
Landschaft trennt. Unter einer
Eiche steht Caroline Pfützner, eine Frau in grüner
Latzhose und mit einer Mission: „Wir
wollen den Menschen das Konzept der
Terra Preta näherbringen“, sagt sie.
Die Terra preta de índio ist eine
Bodenart. Forscher entdeckten die
„schwarze Indianererde“ Ende des



  1. Jahrhunderts am Amazonas. Die
    fruchtbare Mischung aus Kohle, Kom­
    post, Dung, Tonscherben und Exkre­
    menten entstand vor allem um prä­
    kolumbische Siedlungen herum; ihre
    Bewohner stellten sie wohl auch be­
    wusst her. Heute bedient sich Pfützner
    fast desselben alten Rezepts wie die
    frühen Siedler.
    Als Pfützner 2008 auf die Methode stößt, will sie
    gerade ihren eigenen Garten retten: Der Boden ist
    so unfruchtbar, dass kaum Gemüse darin wächst.
    Also besorgt sie Mikroorganismen, Gesteinsmehle
    und Pflanzenkohle, sammelt Küchen­ und Garten­
    abfälle und schichtet alles zusammen. Das Kom­
    postieren dauert einige Monate – dann kann Pfütz­
    ner eine fünf Millimeter dicke Schicht Terra Preta
    über ihr Ge müsebeet streuen. „Das Ergebnis war
    phänomenal!“, erinnert sie sich. Plötzlich gab
    es mehr Ertrag und weniger Schnecken in ih­
    rem Garten. Bei dem Selbstversuch blieb es nicht:
    Pfützner gründet ein Fami lienunternehmen, die
    TerraTirol KG. Die Geschäfte führt Pfützners Mann,
    die Produktion nimmt sie in ihrem Garten selbst in
    die Hand.
    Das Wunderwerk passiert im Boden selbst: „Die
    Terra Preta bringt Nährstoffe zurück in die Erde“,
    sagt Pfützner. Die Vorarbeit leisten die Mikroorga­
    nismen. Sie unterstützen die Fermentation: einen
    Gärungsprozess, der Vitamine und Enzyme entste­


hen lässt und Fäulnis verhindert. Die Gesteinsmehle
dienen den Kleinstlebewesen als Lebensraum – so
wie bei den Amazonasbewohnern die Tonscherben.
Pfützner greift in einen fertigen Kompost und holt
eine Handvoll tiefschwarzer Erde hervor. Sie fühlt
sich warm an, riecht leicht säuerlich nach Wald boden
und lässt sich mit den Händen formen. Pfützner
zeigt auf kleine schwarze Splitterstücke darin, die
metallisch glänzen: die Pflanzenkohle. „Sie ist die
wichtigste Komponente der Terra
Preta“, sagt sie. Pflanzen enthalten
Kohlenstoff: Während des Wachsens
haben sie es in Form von CO² aus der
Atmosphäre gezogen. Bei der Herstel­
lung der Kohle bleibt der Kohlenstoff,
das C, weitgehend erhalten: In der
Atmosphäre würde er den Klimawan­
del antreiben, aber im Boden hilft er
den Pflanzen. Außerdem wirkt die
Pflanzenkohle wie ein Schwamm: Im
Kompost saugt sie Nährstoffe auf und
speichert sie.
In Testbeeten bringt die Terra Preta
im Vergleich mit herkömmlicher Erde
zwischen 30 und 80 Prozent mehr Ertrag. Pfützner
hat ein Praxisbuch geschrieben, hält Vorträge und
Seminare: Sie möchte anderen zeigen, wie einfach
die Erde herzustellen ist. Alles, was man dafür
braucht, verkauft TerraTirol außerdem im Online­
shop – genauso wie die fertige schwarze Erde.
2016 erhält Pfützner mit der Terra Preta den Tiro­
ler Regionalitätspreis für Nachhaltigkeit. Seit Kurzem
untersucht sie mit der Innsbrucker Universität MCI,
wie ein Großbauer sein unverkäufliches Gemüse als
Terra Preta wiederverwerten kann. Pfützner ist also
nicht allein: Experten auf der ganzen Welt beschäf­
tigen sich heute mit der schwarzen Erde. „Wir leisten
Pionierarbeit“, sagt Pfützner. „Immerhin bauen wir
damit den Boden für die nächste Generation.“

Das Geheimis liegt im Boden


Die fruchtbare


Mischung aus Kohle,


Kompost, Dung,


Tonscherben und


Exkrementen ent­


stand vor allem um


präkolumbische


Siedlungen herum.


TEXT: ALEXANDRA POLIČ FOTO: BENNO KRAEHAHN

22 NATIONAL GEOGRAPHIC
Free download pdf