Leben ließen. Und natürlich fanden sich
auch sofortjene Prediger, die behaupte
ten, San Francisco habe die göttliche
Strafe selbst herausgefordert.
E
s ist ein urbaner Emporkömmling,
dersich zu Beginn des 20. Jahrhun
derts an der Pazifikküste etabliert
hat. In 50 Jahren ist ein Hafendorf zur
Metropole aufgestiegen. 400 000 Men
schen leben in San Francisco. Die Stadt
ist Sammelpunkt für Glücksritter, die
von hier aus in die Schürfgebiete auf
brechen und mit Säcken voll Goldstaub
und rohen Manieren zurückkehren, um
sich zu amüsieren. Die Zuckerbarone
und Eisenbahnbosse besuchen eher ei
nes der vielen "French Restaurants". In
deren Erdgeschossen wird Champagner
wie ein Grundnahrungsmittel gereicht.
Eine Treppe höher warten die Huren.
San Francisco steht im Ruf, die un
züchtigste Stadt der USA zu sein. Man
kann sich das leisten. Die Finanzen
sind solide, die Zukunftspläne groß:
US-Präsident Theodore Roosevelt hat
den Hafen zum Tor nach Asien erklärt.
20 P.M. HISTORY -AUGUST 2019
Kleinere Erdbeben, die die Stadt im
mer wieder heimsuchen, haben den
Aufstieg nicht gebremst. Das Stadtsie
gel zeigt einen Phönix, der aus Flam
men aufsteigt. San Francisco ist unzer
störbar. Glauben seine Bewohner.
Bis auf Dennis Sullivan, den Chef
der Feuerwehr. Seit Jahren warnt er,
wehr ist unter den ersten Opfern. Vier
Tage wird er im Krankenhaus überle
ben. Und sehen, dass seine Warnungen
berechtigt waren.
Streifenpolizist James Cook ist der
Erste, der einen Brand meldet. Ein Ge
schäft in der Clay Street. An der Brand
wache haben die Männer schon ihre ver-
Der Bürgermeister gibt Befehl,
alle Plünderer sofort zu töten
Häuser der City seien entzündlich wie
ein Pulverfass. Er hat gefordert, dass
die rostigen Zisternen repariert, dass
Pumpen im Meer installiert werden
müssten. Man hat ihn nicht beachtet.
Am Morgen des 18. April 1906
liegt Sullivan im Bett in der Feuer
wache 3 in der Bush Street. Das be
nachbarte "California Hotel" hält dem
Erdstoß nicht stand, seine Mauern
durchschlagen das Dach der Feuerwa
che. Sullivan stürzt durch den zerfetz
ten Etagenboden. Der Chef der Feuer-
ängstigten Pferde vor den Löschwagen
gespannt. Als der Trupp endlich in der
Clay Street ankommt, ist die Glut schon
auf eine Fleischhandlung übergesprun
gen. Die Feuerwehrleute schließen die
Schläuche an die Hydranten: nichts.
Das Beben hat mehr als 20 000 Verbin
dungsrohre zerstört.
Langsam begreifen die Einwohner
San Franciscos, was der Reporter James
Hopper später so formuliert: "Das Erd
beben war nur der Prolog. Die Tragödie
aber sollte das Feuer schreiben."