P.M. History - 08.2019

(Tina Meador) #1

Heinrich Böll
(1 917-1985) wurde in Köln
geboren, zählt zu den bedeu­
tendsten Schriftstellern der
Nachkriegszeit und erhielt
1972 den Literaturnobelpreis.
ln den 80er-Jahren wurde er
zur Leitfigur der deutschen
Friedensbewegung und zum
Fürsprecher der Grünen.


Doch das meiste-etwa die miese
Abhörerei, deren Opfer ich seit
Jahren bin und wohl auch blei­
ben werde -geht ja ganz still vor
sich. Ich wage schon lange nicht
mehr, private Dinge telefonisch zu
erledigen, kaum noch schriftlich.
Aber ich will Ihnen nicht die Oh­
ren vollhängen, Ihnen eigentlich
nur sagen, dass ich Ihnen vertraue
und die Art bewundere, wie Sie
endlich, endlich nach zwanzig
Jahren Bewegung in die Außenpo­
litik bringen.

BÖLL am 23. April1971 aus Köln
Leider kann ich selbst nicht hand­
schriftlich antworten, da meine
Handgelenke nach vier Romanfas­
sungen, Korrekturen etc. einiger­
maßen strapaziert sind und einer
langen Erholung bedürfen. ( ... )
wenn ich auch verstehe, dass das
miese Gerede eines Herrn Wörner
(Manfred Wörner, 1971 stellver­
tretender Vorsitzender der CDU/
CSU-Fraktion; Anm. der Red.)
Sie verletzt, so bitte ich Sie doch,
gleichzeitig nie zu vergessen, für
wie viele Menschen in diesem Land
Sie die einzige Hoffnung sind.

BRANDT am 5. September 1971 aus Bonn
Wie das bei mir so ist, habe ich es
(Bölls neues Buch "Gruppenbild mit
Dame", Anm. d. Red.) nicht in einem
Zug lesen können, sondern portions­
weise in späten Abendstunden. Bilder,
Charaktere und Zusammenhänge sind
dadurch vielleicht noch besser haften
geblieben. ( ... ) Ich hoffe, dass der
Auflagenerfo lg, der sich abzuzeichnen
beginnt, auch etwas aussagen wird
über aufgeschlossene Herzen.

BRANDT am 6. Oktober 1977 aus Bad
Münstereitel
Sie sind nicht so allein, wie Sie sich
manchmalfühlen mögen. Wenn es,
hoffentlich bald, zu unserer Begeg­
nung kommt, möchte ich auch da­
rüber sprechen, wie wir uns nicht nur
unserer Haut wehren, sondern geistig­
politisch offensiv werden können.

BÖLL am 18. Oktober 1977 aus Köln
Ich bin durch diesen ganzen Wir­
bel mit allem, Arbeit, Terminen,

Plänen, Abwicklungen, so durch­
einander geraten, dass ich die
kommenden Wochen noch nicht
überschauen kann.

BRANDT am 14. Dezember 1977
aus Bonn
Sie haben sich, vielen grotesken
Anfeindungen zum Trotz, nicht
entmutigen lassen. Ich wünsche,
Sie können diesen ruhigen Mut
beibehalten. (. .. ) Das, was unter
dem Stichwort Terrorismus hierzu­
lande geschehen ist, hat unser Volk
nicht verändert! Aber vielleicht ist
sichtbarer geworden, dass sich in der

Richtung des Fortschritts weniger
verändert hatte, als viele von uns
geglaubt oder gehofft hatten. (.. .)
Es ist bezeichnend und alarmie­
rend, dass manfür die Verteidigung
der geistigen Freiheit reden und
schreiben und sich einsetzen muss in
einem Staat, der aus der Antithese
zur extremen Unfreiheit entstanden
ist und sich darauf viel zugute hält.
Aber darin liegt wohl schon der
Trugschluß: Das Reaktionäre war
nur zurückgedrängt, dem Freiheit­
lichen war nur eine Chance gegeben
worden. ( ... ) Pess imismus kann eine
Ausflucht sein, kein Ausweg. Sie
sind, in Wahrheit, kein Pessimist;
ich bin es auch nicht. •

Der Briefwechsel wird hier zitiert nach:
Mut und Melancholie. Heinrich Böll,
Willy Brandt und die SPD. Eine Bezie­
hung in Briefen, Texten, Dokumen­
ten. Hg. von Norbert Bicher, Dietz 2017.
Ausgewählt für P. M. HISTORY hat die
Briefpassagen die Literaturwissenschaft­
lerin Professor Heike Gfrereis.

P.M. HISTORY -AUGUST 2019 75
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